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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Firmen sollen politischer denken, sagen Berater
Internationale Konflikte, Klimawandel, Umwelt und Menschenrechte stellen die Wirtschaft vor wachsende Probleme. Unternehmen dürfen solche externen Faktoren keinesfalls länger ignorieren, mahnen Katrin Suder und Jan F. Kallmorgen in ihrem gemeinsamen Buch "Das geopolitische Risiko". Das Duo fordert Unternehmen zu mehr geopolitischer Strategie auf. Firmen müssten sich künftig in einem völlig neuen Risikoumfeld auch mit nicht betriebswirtschaftlichen Dynamiken auseinandersetzen. Immer wichtiger werde der Blick auf internationale Politik, Technologie und veränderte gesellschaftliche Erwartungen. In der neuen Weltordnung und Bewusstseinslage brauche es für unternehmerischen Erfolg vor allem "globales Monitoring und Frühwarnsysteme, dazu regelmäßige Szenario-Planungen".
Suder und Kallmorgen wissen, wovon sie sprechen. Für beide Autoren ist die Unternehmens- und Politikberatung tägliches Brot. Katrin Suder wurde 2014 von Ursula von der Leyen aus der Unternehmensberatung McKinsey ins Verteidigungsministerium geholt. Ihren Posten als beamtete Staatssekretärin quittierte sie vier Jahre später im Zuge der sogenannten Berateraffäre und berät seitdem vielfältig in Politik und Wirtschaft. Für die gemeinsame Publikation tat sich die gelernte Physikerin 2020 mit dem Politikwissenschaftler Jan F. Kallmorgen zusammen, den sie aus dem Young-Leaders-Programm der deutsch-amerikanischen Atlantik-Brücke kannte. Beachtlichen Anteil am vorliegenden Text hatte offenbar der Berliner Ghostwriter und Redenschreiber Christoph Schlegel, dem im Abspann ausdrücklich gedankt wird.
Das im Oktober 2021 abgeschlossene Buch, das ohne Fußnoten, Personen- und Sachindex auskommt, aber ans Ende zehn Seiten Literatur- und Quellenverzeichnis anhängt, hat acht lesefreundlich in viele Einzelhäppchen aufgeteilte Kapitel. Es startet mit einem optimistischen Tableau, wie deutsches Wirtschaftsleben 2025 aus-sehen könnte und sollte. Was dazu geopolitisch nötig wäre, schließt sich an. Welcher Autor für welche Schwerpunkte verantwortlich zeichnet, ist kaum zu erkennen.
Die Strecke bis Seite 203 des Buches liest sich als Parcours durch weitgehend bekannte aktuelle Weltpolitik. Vordringliches Risiko sehen Suder und Kallmorgen im neuen "kalten Krieg" zwischen USA und China. Vom aktuellen schrecklichen Ukrainekrieg ist im vier Monate zuvor beendeten Text noch nicht die Rede. In Suders Rückblick auf ihre Tätigkeit im Verteidigungsministerium findet sich immerhin die aus heutiger Sicht prophetische Einschätzung: "Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, ausgelöst durch die russi-sche Annexion der Krim-Halbinsel, hatte damals eine militärische Auseinandersetzung in Europa wahrscheinlicher gemacht, die Frage nach Luftverteidigung war also längst keine akademische, sondern eine sehr reale Bedrohung." Abgehandelt werden neben der bis dato militärischen Aggression Russlands in der Ukraine die schwierige Wirtschafts- und Währungspolitik des türkischen Ministerpräsidenten, Irans Atompolitik und die kritischen Beziehungen zwischen USA, China und der EU. Querbeet treten dazu Klimawandel und die gesellschaftliche Verantwortung für Umwelt, Nachhaltigkeit, faire Löhne sowie Diversity und Menschenrechte. Ebenso das Schicksal der Uiguren, Chinas Neue Seidenstraße sowie die Tücken von Wertschöpfungsketten.
Als besonders wichtiger Geofaktor wird auf die zunehmende Bedeutung neuer Technologien verwiesen. Aus ihnen sei "ein politisches Machtinstrument geworden", heißt es im Buch. Auf den Feldern von Halbleitern, Künstlicher Intelligenz, Blockchain und Robotik werde international die Zukunft entschieden, schreibt Suder, die unter Angela Merkel ab 2018 den Digitalrat der Bundesregierung leitete.
Beim Durchmarsch durch die einzelnen Themen finden sich an einigen Kapitelenden Handlungsempfehlungen, etwa zum Umgang mit China oder zu verantwortlichem sozialen Handeln. Die letzten zwei Dutzend Seiten verdeutlichen, wen Suder und Kallmorgen vor allem als Leser im Blick haben - ihre Kollegen aus der Beraterbranche und die Manager in den Führungsetagen als deren Auftraggeber. Denn am Schluss stehen für Praktiker detaillierte Frage-und-Antwort-Spiele sowie Denkszenarien, wie sich Firmen ange-sichts der Herausforderungen unserer Zeit klüger aufstellen können. Angeboten werden etwa "Tools für politisches Risikomanagement", "What-if-Situationen" und konkret eine "Szenario-Planung für Banken" als Strategiegrundlage. Mitgegeben wird die Aufforderung, firmenintern geopoliti-scher zu denken und dafür Instrumente zur Antizipation von möglichem Geschehen in seiner Auswirkung auf das eigene Unternehmen bereitzustellen. "Es geht darum, das Wissen um politische Entwicklungen und die Zukunft der wichtigsten Märkte in eigene Strategieplanungen einfließen zu lassen."
Suder und Kallmorgen appellieren ausdrücklich nicht nur an Großkonzerne, ihr Aufruf gilt vor allem dem Mittelstand, bei dem sie "ein gewisses Desinteresse an Politik" wahrzunehmen meinen. Viele mittelständische Unternehmen täten sich noch immer schwer, sich auf die stark politisch getriebene Zeit von heute vorzubereiten. ULLA FÖLSING
Katrin Suder, Jan F. Kallmorgen: Das geopolitische Risiko. Unternehmen in der neuen Weltordnung. Campus Verlag, Frankfurt 2022, 232 Seiten, 28 Euro.
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