Die Vertreibung der armenischen Bevölkerung von Bergkarabach im Herbst 2023 sorgte nur kurzzeitig für internationale Schlagzeilen. In den deutschsprachigen Massenmedien wurden die historischen, politischen und völkerrechtlichen Hintergründe kaum berücksichtigt. Man beschränkte sich weitgehend auf die mantraartig wiederholte Phrase, Bergkarabach gehöre völkerrechtlich zu Aserbaidschan, sei aber überwiegend von Armeniern bewohnt. Es wurde der Eindruck erweckt, Aserbaidschan hole sich nur sein widerrechtlich besetztes Territorium zurück. Das kriegerische Vorgehen wurde zwar zunehmend gerügt, aber aus wirtschaftlichen Interessen nicht mit Sanktionen verbunden. Der Karabachkonflikt begann nicht erst mit der Auflösung der Sowjetunion 1991, sondern besitzt eine lange Vorgeschichte. Dazu gehören die zahlreichen Bevölkerungsverschiebungen im Zuge der osmanisch-persisch-russischen Vormachtkämpfe der vergangenen Jahrhunderte, der osmanische Völkermord an den Armeniern und anderen indigenen Christen während des Ersten Weltkriegs sowie die kriegerischen Auseinandersetzungen im Südkaukasus im Gefolge des Weltkriegs. Auch die wankelmütige Haltung der regionalen Hegemone und westlichen Großmächte trägt bis heute erheblich zur Eskalation bei. Die Verfolgung von Minoritäten in der modernen Türkei während des 20. Jahrhunderts und die stark diskriminierende Bevölkerungspolitik in der Sowjetunion bilden weitere Aspekte. Das Ergebnis ist eine wesentlich differenziertere Sicht auf die Hintergründe der Ereignisse. Dieses Buch schließt die Lücken in der Südkaukasus- bzw. Armenienberichterstattung. Es schildert den Karabachkonflikt im größeren Zusammenhang der armenischen Geschichte und der in Armenien immer wieder kollidierenden Großmachtinteressen. Zugleich zeigt es die Schwierigkeiten einer auf Aussöhnung und Selbstbestimmung basierten Friedenspolitik in der Region.
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