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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Herrlich überdreht:
Von seiner Heimat
Kongo-Brazzaville
erzählt Alain Mabanckou in einem grotesken
Roman aus dem Jenseits.
Noch als Geist trägt Liwa Ekimakingaï erlesene Garderobe. Kurz nach seiner eigenen Bestattung erwacht der junge Mann, zu Lebzeiten Küchengehilfe in der kongolesischen Hafenstadt Pointe-Noire, in orangerotem Sakko aus Crêpe-Stoff mit breitem Revers über einem neongrünen Hemd mit großem Kragen und Umschlagmanschetten, dazu eine lila Schlaghose und rote Salamander-Lackschuhe mit weißen Schnürsenkeln. Allein die Fliege sitzt ein wenig schief am Hals dieses Untoten, der zumindest dem modebewussten Äußeren nach durchaus seinem Schöpfer Alain Mabanckou ähnelt.
Mabanckou, 1966 in Pointe-Noire geboren, besitzt laut Selbstauskunft eine Kollektion von Hunderten Oberhemden, machte allerdings anders als sein Romanheld aus dem Armenviertel früh Karriere als Jurist in einem Pariser Energiekonzern. Als Literat machte er sich 1998 mit seinem Debütroman "Bleu blanc rouge" über die Szene der "Sapeurs" einen Namen, afrikanische Dandys, die im Paris der Sechzigerjahre durch extravagante Erscheinung und offensiven Snobismus gezielt koloniale Stigmatisierungen unterliefen. In seinem vierzehnten Roman, "Das Geschäft der Toten", verbindet Mabanckou nun einmal mehr Erinnerungen an seine Kindheit in der sozialistischen Republik Kongo, afrikanische Mythologie und beißende Gesellschaftskritik zu einer komisch-bitteren Geschichte über die postkoloniale Wirklichkeit. Dass in der unabhängigen Republik Kongo weder unter den Lebenden noch unter ihren Wiedergängern im Jenseits Gerechtigkeit, Gemeinschaftssinn und Vertrauen herrschen, liest man in dieser hintergründigen Groteske über den adretten Untoten Liwa, dessen Nachname "Der Tod hat Angst vor mir" bedeutet, in jeder Zeile mit.
Liwa nutzt seine Auferstehung auf dem Friedhof "Frère Lachaise" in Pointe-Noire, um im "längsten Traum seines Todes" fünf Tage lang die Umstände seiner eigenen Ermordung nach dem Besuch eines Nachtklubs an der Seite der schönen Adeline zu untersuchen. Als zumeist unsichtbarer Geist - Untote dürfen laut den Legenden der Babembe-Ethnie den Lebendigen höchstens zweimal erscheinen, bevor sie endgültig ins Jenseits eingehen - stolpert Liwa über die doppelten Böden und nebulösen Irrwege zwischen Dies- und Jenseits, zwischen europäischer Moderne und afrikanischer Tradition, zwischen der Fassade einer aufstrebenden Ex-Kolonie und der systemischen Korruption und manipulativen Geisterbeschwörung dahinter.
In seinem vielbeachteten Essay "Das Schluchzen des schwarzen Mannes" kritisierte Mabanckou einmal die "Tendenz einiger Afrikaner, die Übel des schwarzen Kontinents - alle seine Übel - durch das Prisma der Begegnung mit Europa zu sehen". Auch in "Das Geschäft der Toten", in dem aus Geld- und Machtgier Seelen verkauft und Pakte mit Feticheuren und Geistern geschlossen werden, während kriminelle Politiker und skrupellose Unternehmer das Land regieren, wird ein Leitgedanke Mabanckous deutlich, nämlich die Entmoralisierung postkolonialer Literatur. Mabanckou fühlt sich denjenigen Schriftstellern zugehörig, die "Barrieren niederreißen, sich gegen die Aufteilung des Imaginären in Sektionen wehren, weil sie wissen, dass unser Heil im Schreiben liegt und nicht in einer angeblichen, durch die Hautfarbe oder die Durchschnittstemperatur unserer Herkunftsländer definierten Brüderlichkeit".
Ganz im Sinne dieser selbstkritischen Perspektive begegnet Mabanckous untoter Held Liwa noch auf seinem eigenen Trauerzug den strengen Gesetzen sozialer Distinktion in der Republik Kongo. Die Parade zu Liwas Ehren darf keinesfalls durch das Viertel der reichen Weißen und des kongolesischen Bürgertums führen, weil die privilegierten Pointenegriner sich über die Verschmutzung der Verkehrsadern durch Trauerzüge mit "Bierflaschen und Bananenschalen" beschweren und sich überdies mithilfe korrupter Seilschaften längst ihren eigenen "Friedhof der Reichen" angelegt haben. Dessen Bewohner, Geisterwesen zwischen Leben und Tod, zetteln gar einen Generalstreik an, falls man den Falschen in ihrer Nähe bestattet. "Du schmollst ein wenig in deinem Sarg. Du wärst gern durch die ganze Innenstadt zum Boulevard du Général-Charles-de-Gaules getragen worden", legt Mabanckou dem Erzähler in den Mund. Mit der Anrede "du" baut er ein Spannungsverhältnis zwischen Distanz und Nähe zu seinem Helden auf, der zugleich tot und lebendig, zugleich Phantasiefigur und Zeuge postkolonialer Realitäten ist.
Vorbei an Pointe-Noires Altkleidermarkt "Grand Marché", auf dem die Kunden "wie Hunde" die auf dem Boden ausgebreiteten Kleider und Schuhe aus Europa beschnüffeln, endet der Trauerzug schließlich im Armenviertel, in dem Liwa mit seiner Großmutter bis zu seinem eigenen (vorläufigen) Tod lebte. Hier erwachen seine Erinnerungen an die Schulzeit am kommunistischen Collège, an die Geschichten und Streiche seiner Kindheit, aber auch an politische und spirituelle Manipulation etwa durch den Scharlatan "Papa Bonheur", der seine Anhänger gegen "die Weißen" einschwor und den Ritualmord an einem kongolesischen Albino-Mädchen anstiftete. Nachdem Liwa allerlei Geistern der Vergangenheit und illustren Figuren der Gegenwart begegnet ist, will er schließlich wissen, wieso er, ein einfacher Küchengehilfe, sterben musste, wieso sein Tod im Radio gemeldet und der Trauerzug von zweihundert Klageweibern begleitet wurde. Auch auf diese Fragen liefert Mabanckou in seiner herrlich überdrehten Geistergeschichte doppelbödige Antworten, die immer sehr komisch, aber selten schmeichelhaft für die Entwicklung seiner Heimat nach der Unabhängigkeit sind. CORNELIUS WÜLLENKEMPER
Alain Mabanckou:
"Das Geschäft der Toten". Roman.
Aus dem Französischen von Holger Fock und
Sabine Müller. Liebeskind Verlagsbuchhandlung, München 2023. 270 S., geb., 22,- Euro.
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