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Donald Trumps Einzug ins Weiße Haus 2016 war kein Betriebsunfall der amerikanischen Geschichte, sondern das Produkt jahrzehntelanger Polarisierung der Politik und Gesellschaft in den Vereinigten Staaten: kosmopolitische und multiethnische Großstädte und Küstenstaaten gegen das "Herzland"; Religiöse gegen Säkulare; rassisch-ethnische Minderheiten gegen eine schrumpfende weiße Mehrheit; "woke" Identitätspolitik gegen rechte Kulturkrieger; CNN gegen Fox News; gun rights gegen gun control; Gewinner gegen Verlierer der Globalisierung - alles säuberlich gebündelt in einer scharfen politisch-ideologischen Lagerbildung. Trump ist der Maestro der Polarisierung und der Demagogie. So wurde er als "Rüpel-in-Chief", der mit dem Rechtsextremismus flirtet, Nachfolger Barack Obamas. Und so wird er womöglich Nachfolger Joe Bidens. Aus seiner Sicht und der seiner glühendsten Anhänger hat er 2024 noch etwas anzubieten, was über Kultstatus hinausreicht: Nach dem Attentat am 13. Juli ist Donald Trump das Werkzeug der Vorsehung.
Es kommt nicht allzu oft vor, dass eine historische Abhandlung so nah und eng in das aktuelle Geschehen eingewoben ist. Aber in Manfred Bergs "Das gespaltene Haus" ist das der Fall. Und so liest man von der ersten bis zur letzten Seite die jüngere amerikanische Geschichte als spannendes, oft schmerzendes Präludium einer radikalisierten, aufgewühlten Gegenwart, bis hin zu der Frage, ob die Vereinigten Staaten womöglich vor einem neuen Bürgerkrieg stehen. Wie konnte es dazu kommen?
Ja, wie konnte es dazu kommen, dass dieses Land, das nach dem Zweiten Weltkrieg als Modell einer konsensorientierten Staatsbürgerkultur galt, zum Krisenfall der Demokratie geworden ist? Das ist die zentrale Frage, der Manfred Berg, Historiker in Heidelberg, nachgeht. Um sie zu beantworten, verfolgt er die politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Konflikte, die Amerika in der Gegenwart entzweien, bis in die Mitte des vergangenen Jahrhunderts zurück. Ihm gelingt das mit Bravour, dank großer Detail- und Literaturkenntnis sowie differenzierter, ausgewogener Darstellung. In der Mitte des 20. Jahrhunderts wird der Autor fündig. Von Jahrzehnt zu Jahrzehnt, von Epochenbruch zu Epochenbruch und von Präsidentenwahl zu Präsidentenwahl wird der Fundus der Erkenntnisse größer. Die weiße Arbeiterklasse (plus untere Mittelschicht) wendet sich dem Konservatismus und dem Rechtspopulismus zu; die sogenannte Roosevelt-Wählerkoalition zerfällt; der Süden orientiert sich parteipolitisch um. Es sind Reaktionen auf Liberalisierung von Werten und Lebensstilen, auf Säkularisierung und rechtliche Gleichstellung der Schwarzen, auf Einwanderung und demographischen Wandel. Es ist die Suche nach der verloren gegangenen Hegemonie des weißen christlichen Amerikas - eine Suche, die im Sommer 2024 Züge einer Apotheose angenommen hat.
Berg gliedert seine Rekonstruktion, wie und warum sich das Haus Amerika gespalten und welche Formen der Konflikt um dessen Identität genommen hat, in drei große Kapitel. Im ersten Kapitel wird beschrieben, wie der "liberale Konsens" zerfallen ist. Das sind die Sechziger- und Siebzigerjahre, Johnsons "Great Society" und Vietnamkrieg; Black Power und weißer "Backlash"; Counterculture, Nixons Appell an "Middle America" und Carters "Malaise'". Das zweite Kapitel behandelt ausführlich die Transformation im Zeitalter der Globalisierung: die Krise des "amerikanischen Traums" und wachsende Ungleichheit; Masseneinwanderung sowie Schwarz und Weiß; die Schlachtfelder der Geschlechter- und Kulturkriege; die Erosion des politischen Vertrauens und die Fragmentierung der Öffentlichkeit; Amerikas Waffenkult und die Radikalisierung des rechten Rands. Jedes dieser Unterthemen treibt die Polarisierung von Politik und Gesellschaft ein Stück voran; überall haben Radikalisierungsunternehmer die Hand im Spiel; für manche ist die systematische Dysfunktionalisierung der Politik Teil des Geschäfts. Mit dem angerichteten Schaden muss die Demokratie fertig werden, und zwar zusätzlich zu den Spannungen, welche die großen sozialen und ökonomischen Veränderungen in die Gesellschaft tragen. Die sind der Dünger, der Trumps Anziehungskraft wirken lässt.
Im dritten Kapitel nimmt Berg den Leser auf den Weg in die Polarisierung mit: die Blütezeit des Neoliberalismus unter Reagan und Clinton; der Krieg gegen den Terror nach "9/11"; Obama und die (erfolglose) Suche nach einem neuen Konsens; schließlich "Make America Great Again" als Versuch, die Zeit zurückzudrehen. Wegmarken der populistisch-nationalistischen Radikalisierung werden inspiziert: etwa die Bankenkrise von 2008, die rechtslibertäre Tea-Party-Bewegung und deren hetzerischer Einfluss auf die Republikanische Partei. Die war Ende der Amtszeit Bushs des Jüngeren demoralisiert, heute kommt sie Berg wie ein Kampfbund militanter weißer Nationalisten vor, deren Loyalität allein Trump gelte. Einen Brandbeschleuniger des weißen Nationalismus nennt Berg die Präsidentschaft Obamas, dessen Sieg den Hegemonieverlust der Weißen markierte. Die Präsidentschaftskandidatin der Demokraten 2016, Hillary Clinton, war damals und schon zuvor Hassobjekt der Republikaner und "Aufputschmittel der rechten Kulturkrieger".
Wer genauer wissen will, ob Fachleute oder interessierte Laien, welche Kräfte die Polarisierung antreiben und wie die (rechts)populistische Revolte aus den Republikanern eine sektenähnliche Führerpartei gemacht hat, dem liefert Berg beim Gang durch die Geschichte reichlich Antworten. Doch diese analytischen Antworten versprechen keine operative Abhilfe. Berg ist Historiker und kein politischer Therapeut. Er ergreift Partei für die Demokratie, ohne dabei seinen wissenschaftlichen Ansatz zu kompromittieren. Doch vergisst er darüber nicht die Trauer und die Wut derer, die sich angesichts der großen Umwälzungen als "Fremde im eigenen Land" fühlen (so die Soziologin Arlie Hochschild) und die sich von Trump Erlösung von ihren Übeln erhoffen. Seine (an einigen Stellen etwas ausufernde) Breite und Tiefe machen das Buch so lesenswert.
An dessen Ende lässt Berg Abraham Lincoln zu Wort kommen. Der rief in Rede zu seiner Amtseinführung seinen Landsleuten zu: "Wir sind keine Feinde, wir sind Freunde. Wir dürfen niemals zu Feinden werden." Das war am 4. März 1861, ein paar Wochen später begann der Krieg. Warum verhallte Lincolns Mahnung ungehört? Weil der ihm zugrunde liegende Konflikt um die Identität der USA fundamental war; weil ihm jahrzehntelange Polarisierung vorausging; weil die "Institutionen dramatisch an Vertrauen, Legitimität und Integrationskraft verloren" hatten. Parallelen zur Gegenwart sind offenkundig. Ist die Analogie alarmistisch? Die Frage, ob die USA vor einem zweiten Bürgerkrieg stehen und die sich Manfred Berg für den Epilog aufgehoben hat, wird nicht mehr als effektheischende Spinnerei abgetan. Eigentlich unvorstellbar. Doch werden nur die allerwenigsten Zeitgenossen ein Geschehen wie das am 6. Januar 2021 für vorstellbar gehalten haben - den Sturm auf das Kapitol. KLAUS-DIETER FRANKENBERGER
Manfred Berg: Das gespaltene Haus. Eine Geschichte der Vereinigten Staaten von 1950 bis heute.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2024. 544 S., 35,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
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