Von erzählten und unerzählten Geschichten
„Ich glaube, in ihren Geschichten findet man das Beste, was Menschen sein können“
Janice arbeitet als Putzfrau und dringt als solche tief in die Leben ihrer Kunden ein. Da ihre Mitmenschen schnell Vertrauen zu Janice fassen und sich gerne mit ihr
unterhalten, sammelt Janice Geschichten wie andere Leute Briefmarken und bezeichnet sich selbst auch als…mehrVon erzählten und unerzählten Geschichten
„Ich glaube, in ihren Geschichten findet man das Beste, was Menschen sein können“
Janice arbeitet als Putzfrau und dringt als solche tief in die Leben ihrer Kunden ein. Da ihre Mitmenschen schnell Vertrauen zu Janice fassen und sich gerne mit ihr unterhalten, sammelt Janice Geschichten wie andere Leute Briefmarken und bezeichnet sich selbst auch als „Geschichtensammlerin“. Eine eigene Geschichte hat Janice nicht, behauptet sie. Doch als sie an eine neue, etwas schwierige Kundin gerät, die eine ganz besondere Geschichte auf Lager hat, wird offensichtlich, dass auch in Janice eine Geschichte steckt….
Die Handlung wird von einem allwissenden Erzähler in der dritten Person Gegenwart geschildert. Nach kurzer Zeit hatte ich mich an den besonderen, einerseits direkten und klaren, aber dennoch auch etwas distanzierten Schreibstil gewöhnt.
Janice hat ein festes Bild von sich, dem allerdings nicht alle Bekannten gleichermaßen zustimmen würden: „Sie hätte gerne unmissverständlich klargestellt, dass sie hier die Geschichtensammlerin ist. Dass sie fremde Geschichten zusammenträgt, weil sie selbst keine hat. Das möchte sie laut herausschreien, um die leise Stimme in ihr drin zu übertönen, die hinzufügen möchte: „Zumindest keine, die ich ihnen jemals erzählen würde.“
Janice ist besonders aufmerksam allen anderen gegenüber, vernachlässigt aber oft sich selbst. Ihre neue Kundin Mrs. B., die sich alles andere als sanftmütig und sympathisch gibt, sich vielmehr eher widerborstig und willensstark zeigt, weckt in Janice allerdings etwas, das lange verborgen war, den Blick auf das eigene Leben. Und dann treten noch ein Hund und ein Busfahrer auf den Plan…
Wirklich jeder Mensch hat eine Geschichte zu erzählen. Und alle Geschichten verdienen es auch, erzählt und gehört zu werden. Das ist die so einfache wie wichtige Botschaft des Romans „Das Glück der Geschichtensammlerin“.
Janice, die sich für die, die ihr wichtig sind, engagiert einsetzt und immer da ist, wenn sie gebraucht wird, ist eine bemerkenswerte Protagonistin. Sie hat Angst vor ihrer eigenen Geschichte, gleichzeitig ist sie aber wie jeder zwangsläufig Teil einer Geschichte. Eine schöne Vorstellung, dass Janice als Geschichtensammlerin ihren Mitmenschen so viel Wertschätzung entgegenbringt.
Manche Figuren wurden mir allerdings zu einseitig, klischeehaft, ja fast lieblos dargestellt. Hätten diese nicht vielleicht auch eine etwas komplexere, weniger platte Geschichte zu erzählen? Sicher gibt es Gründe, warum sie sich verhalten, wie sie sich verhalten…
Manche Aspekte der Handlung kamen mir zudem etwas „aufgeblasen“ und pathetisch vor. Das Wort „Geschichte“ wird im Roman so inflationär gebraucht, dass es auf mich schon etwas penetrant wirkt. Letztendlich sind Geschichten, wie sie Janice sieht, schließlich auch Schicksale, Erlebnisse und Erinnerungen, die uns prägen.
Trotz dieser Kritikpunkte habe ich den Roman über weite Strecken gerne gelesen. Das Buch stimmt zuversichtlich und sorgt garantiert für gute Laune. Vielleicht müssten wir alle, wie Janice einfach ein bisschen intensiver zuhören und uns mehr für andere interessieren, denn Beziehungen mit anderen bereichern das Leben sicher um einige schöne Geschichten. Wer Romane wie „Der Buchspazierer“ mochte, wird auch Freude an diesem Buch haben.