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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
In der Nische fällt ihr mehr ein als immer nur Gemüse: Teresa Präauers Prosasammlung "Das Glück ist eine Bohne"
Eine kleine, am Absatzende versteckte Parenthese ist es, die den Weg ins Herz dieses Buches öffnet. Ein Ich bekundet, dass es "gerne die Namen aller Blumen" kennen würde. Die "große Flora" sieht es als die Aufgabe, die ihm noch bevorsteht, eine Aufgabe, die auf das Ich wartet und an der es bestmöglich verzweifelt. Und dann kommt sie, die Klammer: "(Texte entstehen daraus.)" Zu finden ist dieses Geständnis in einem 2020 erstmals veröffentlichten "Werkstattgedanken" Teresa Präauers, einer scheinbar beifälligen Schreibübung, die nun, an einen anderen Ort verpflanzt, neu lesbar wird.
Wer Präauers nun erschienene Sammlung "Das Glück ist eine Bohne" aufschlägt, der wird exakt jene konzeptuelle Verzweiflung an der Blütenlese entdecken können. Nicht organische Folge, sondern bestenfalls Arrangement gruppiert die Prosastücke. Somit findet dieser Band sein ästhetisches Muster am ehesten im Stillleben, etwa Ambrosius Bosschaerts Blumenbouqet in einer Nische, das Rosen und Tulpen ungeachtet ihrer unvereinbaren Blütezeiten gemeinsam ins Bild setzt. Präauers Ekphrasis kommt hierüber zum Schluss, dass "der natürliche Strauß in Wirklichkeit ein unmöglicher Strauß" sei. Und da ihre hier nun ebenfalls in einem Buchblock von dreihundert Seiten gemeinsam zusammengebundenen Texte immer auch über sich selbst sprechen, möchte man konzedieren: Es sieht aus wie Wildwuchs, aber erst im Nebeneinander entdeckt man die Künstlichkeit, aus der sich diese Autorin immer wieder zu Natur und Alltag vorarbeitet.
Von Bosschaerts Stillleben hat Präauer indessen nicht nur das Bouquet, sondern auch die Selbstverortung geerbt. "Das Glück ist eine Bohne" sucht nicht die große Bühne, sondern die Nische. Genau genommen handelt es sich um eine Sammlung dessen, was eine Schriftstellerin schreibt, um eine Schriftstellerin bleiben zu können. Man könnte deswegen auch von Angestelltenprosa sprechen, klänge es nicht despektierlich und würde der Begriff nicht auch verfehlen, was hier eigentlich geschieht. Das Genre, an dem Teresa Präauer arbeitet, ist nämlich die Marginalie - nicht einfach nur eine kleine Form.
Wer ihre im "Volltext"-Magazin erscheinende Reihe "Präauer streamt" kennt (aus der es einige Beiträge in den Band geschafft haben), wird mit dem Arbeitsverfahren bereits vertraut sein: Präauer loziert ihre Texte oft am Rande der grellen Erzählung, die man Popkultur nennt - eine Kulisse, die grell und laut in den Vordergrund drängt, so dass die Literatur, die über sie nachdenkt, ihre Stimme erst einmal zu behaupten hat.
Präauer weiß jedoch, dass es im Zweifel nicht darauf ankommt, Themen zu setzen und Ikonen zu bilden, sondern auf das Freilegen des kulturellen Programms, das die Töne und Bilder an die Oberfläche spült. Die ebenso bunte wie flüchtige Gegenwart ist ihr weniger Objekt als vielmehr Vorwand: ein Vorwand zum Supplement, zum Erzählen im Nachsatz. So hält sie bisweilen inne vor einem "Internetfilmchen", einer BBC-Dokumentation über Carmen Miranda etwa oder einem Musikvideo von M.I.A. ("Bad Girls"), viralen Phänomenen, oft ohne Namen, Ort und Zeit. Und dann kommt zum Tragen, was nur die Literatur vermag: Sichtbar werden die überzeitlichen Phantasmen, die Kodierungen am Grunde des Flimmerns, der Tanzformationen, Stilkonventionen, Redeweisen.
Die Stärke der Marginalie erweist sich darin, dass sie niemals zynisch wird, dass sie genau bleibt, gerade dort, wo einem nichts anderes übrigzubleiben scheint. Ob amerikanische Datingshows oder Yoga im Livestream von Servus TV, ob Après-Ski, Kleinkindtopmodel-Wettbewerbe oder Nagelstudiobesuche: die Literatin beobachtet, notiert und assoziiert. Mühelos fügt sich ein Foto von Kim Kardashian zu Georges Didi-Huberman und zerfließt nach und nach in eine Geschichte des Steißes. Kühl öffnet Präauer die "Style Bible", die jedes Jahr beim Wiener "Life Ball" die Kostümspannweite vorgibt, und spannt dabei den Bogen zwischen Gustav Klimts "Tod und Leben" und Conchita Wurst.
Es geht jedoch auch umgekehrt. Ein Text wie "Als Britney uns besuchen kam", der die Figur der Sängerin Britney Spears beiläufig als eine unbekannte Bekannte zusammensetzt, Songtexte als Rohmaterial nutzt und den Gast am Ende mit Decke, Thermoskanne und ein paar Keksen wieder aus der Erzählung entlässt, weist die Richtung. In Zeiten der Subjektsucht eignet der Prosa die Kraft der Nüchternheit, mit der sich das scheinbar Einmalige, das Verklärte und Verkitschte wieder in Handlung verwandeln lässt. Insofern hat man es hier im allerbesten Sinne mit "Gebrauchsliteratur" zu tun - lässt Präauer doch Kultur in ihren täglichen Artikulationsformen so erscheinen, wie wir sie gebrauchen. Wenn man so möchte, liest sich "Das Glück ist eine Bohne" wie eine Chronik unserer Projektionen von Kulturalität, die sich von Marcel Duchamp bis zu Wolfgang Petry, von T-Shirt-Aufschriften bis zu Walter Benjamin, von Borges' Universalbibliothek bis zur "Gala" erstrecken. Das Auge der Prosaikerin richtet nicht, sondern bleibt beharrlich auf die Mechanik gerichtet, die uns all dies produzieren und konsumieren lässt. Sie interessiert sich für die Zurichtung mehr als für den wie auch immer gearteten ideellen Gehalt, für erspürte oder behauptete Identitäten.
Homogen ist das nicht und kann es auch nicht werden. Ab und an tauchen aus dem Fluss der Geschichten doch deutlich programmatische Einlassungen auf, zum Kairos der Kunst, zur Unerträglichkeit des Schönen, zum Begriff der Landschaft. In diesen Momenten schimmert im Hintergrund die Ahnenschaft dieses Schreibens auf; nicht nur einmal fühlt man sich an Robert Walser erinnert, an ein Erzählen am Graphem entlang, dem das Schreibmaterial, das Papier, mindestens genauso viel bedeutet wie die Schriftspur darauf. Kindheitstexte, Reisetexte, Erinnerungsbrocken und Kunstreflexion - all das findet hier ebenso seinen Platz wie die doch verblüffend klassisch gehaltene Short Story "Der Lauf der Dinge", die den Band eröffnet.
Ihre Bedeutung im Horizont der zeitgenössischen Literatur kommt Teresa Präauer deswegen zu, weil sie immer Prozess will. Was stehengeblieben ist, was sich bewahren will, wird ins Gleiten gebracht. Überall, wo sie hinschaut, in jeder Nische arbeitet es. Beiwerk mag das sein, harmlos kommt es daher. Aber ein wohltuendes Gift bleibt es.
PHILIPP THEISOHN.
Teresa Präauer: "Das Glück ist eine Bohne". Erzählungen.
Wallstein Verlag, Göttingen 2021. 312 S., geb., 24,- [Euro].
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