70 Jahre Goethe-Institut Carola Lentz bietet eine ebenso informative wie konzise Geschichte des Goethe-Instituts und seiner sich wandelnden Aufgaben im Kontext bundesrepublikanischer und globaler Zeitgeschichte. Zugleich eröffnen Erfahrungsberichte von ehemaligen und aktuellen MitarbeiterInnen lebendige Eindrücke in die Arbeit eines der wichtigsten weltweit agierenden Kulturinstitute. Vom Kulturexport zum globalen Netzwerk - unter diesem Motto kann man die siebzigjährige Geschichte des Goethe-Instituts zusammenfassen, die eng mit der jüngeren Geschichte Deutschlands und mit globalen Umbrüchen verwoben ist. Das Institut musste immer wieder neue Antworten auf externe und interne Herausforderungen entwickeln. Anfangs war seine Arbeit auf die Förderung der deutschen Sprache im Ausland und den Export »deutscher Kultur« fokussiert. Doch schon bald wurde das Kulturverständnis vielfältiger, und das Goethe-Institut wurde zur größten Mittler-Organisation der deutschen auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Dabei bildete sich auch eine neue Rolle heraus: Heute agiert das Goethe-Institut, in 98 Ländern mit insgesamt 157 Instituten, vor allem als globales Netzwerk lokaler und regionaler kultureller Initiativen.
Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, HR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.11.2021Ein bisschen Bonaparte
Das Goethe-Institut feiert die ersten siebzig Jahre seiner Geschichte mit einer Publikation. Und spricht dabei von vielem, nur nicht von deutscher Kultur.
In einem kurzen Werbefilm zum siebzigsten Geburtstag des Goethe-Instituts werden ein paar Stationen aufgezählt, die für die auswärtige deutsche Kulturarbeit wichtig waren. Etwa die Gründung des ersten Auslandsinstituts, 1952 in Athen. Oder die Erweiterung des Aufgabenfelds von der reinen Sprachlehre auf die Kulturarbeit im Jahr 1961. Oder der Rahmenvertrag über Pflichten und Freiheiten, den das Bundesaußenministerium und das Goethe-Institut 1969 unterzeichneten und der mit Modifikationen ein halbes Jahrhundert später immer noch gültig ist, vermutlich eines der glücklichsten Vertragskonstrukte unseres Landes. Nicht zu vergessen die enorme Aufwertung der auswärtigen Kulturpolitik während der Kanzlerschaft Willy Brandts, ihre Adelung zur "dritten Säule" der Außenpolitik, deren Leitsätze 1970 der damalige Parlamentarische Staatssekretär Ralf Dahrendorf formulierte.
Es gibt gute Gründe, warum sie jahrzehntelang Bestand hatten und fast schon auf heutige Debatten um Diversität und Postkolonialismus vorausdeuten: Dahrendorf proklamierte vor fünfzig Jahren den Abschied vom nationalen Selbstbezug und richtete den Blick auf die Partner, ob in Asien, Afrika oder Lateinamerika. Auswärtige Kulturpolitik sollte sich nicht an Ewigkeitswerte klammern, sondern sich mit der politischen Gegenwart befassen und ein "Angebot an alle" sein. Eine Einladung zur Kooperation "auf Augenhöhe", wie man heute sagen würde, in gewissem Sinn die idealistische Seite der Politik und ihr besseres Selbst.
Pünktlich zum Jubiläum hat die seit einem Jahr amtierende Präsidentin Carola Lentz, eine emeritierte Ethnologin der Universität Mainz, in ihrem soeben erschienenen Buch "Das Goethe-Institut: Eine Geschichte von 1951 bis heute" (Klett-Cotta) die Häutungen der Institution beschrieben. Schönfärberei war von Lentz nicht zu erwarten, und so beleuchtet sie auch ein schon 1932 gegründetes Goethe-Institut der Deutschen Akademie, das in der späten Weimarer Zeit und im Nationalsozialismus die auswärtige Kulturpolitik Deutschlands erheblich mitbestimmte. Wir erfahren, dass die Akademie (und mit ihr das ursprüngliche Goethe-Institut) sich selbst gleichschaltete, kaum war Hitler an die Macht gekommen, und Mitglieder wie Thomas Mann, Max Liebermann und Konrad Adenauer ausschloss.
Im Vogelflug gleitet die Autorin durch die Nachkriegsjahrzehnte und erklärt die Entstehung einer hochherzigen Idee, die geradezu verzweifelt das Gegenteil der Haltung sein wollte, aus der die geschichtliche Katastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts erwuchs. Man könnte auch sagen: von der Belehrung zur partnerschaftlichen Zusammenarbeit. Frühere Präsidenten des Instituts spielen darin eine Rolle, besonders ein "großer Reformer" wie der Frankfurter Horst Harnischfeger, der das Amt von 1976 bis 1996 innehatte, aber auch geschichtliche Umbruchsdaten wie der Mauerfall oder der 11. September 2001.
Jedes dieser Daten brachte eine Neuorientierung mit sich; allein die Vita des heutigen Goethe-Generalsekretärs Johannes Ebert - mit Stationen in Damaskus, Riga, Kiew und Kairo - spiegelt Brennpunkte der internationalen Politik. In den neunziger Jahren etwa beschäftigte sich das Institut verstärkt mit einem Europa ohne Kommunismus; später, nach einer dringend notwendigen Konsolidierung des Haushalts, mit Asien, der "islamisch geprägten Welt" und mit Afrika. Bis heute hat sich das Goethe-Institut, ein eingetragener Verein mit 158 Standorten in 98 Ländern, an seine idealistische Mission gehalten. Eisern. Im Guten wie im Schlechten.
Im Guten, weil unzählige Menschen durch das Goethe-Institut Deutsch gelernt, andere Länder bereist, Stipendien erhalten, eine nachwirkende Förderung ihrer künstlerischen Arbeit erfahren oder freundschaftliche Kontakte fürs Leben geknüpft haben. Im Schlechten, weil sich über Jahrzehnte hinweg eine Goethe-Instituts-Ideologie mitsamt ihrer begleitenden Goethe-Instituts-Prosa entwickelt hat, die sich nicht mehr auf Bücher, Bibliotheken und Hochkultur stützt, sondern vor allem auf globale "Vernetzung" und einen vermeintlich progressiven Theoriejargon, der aus den ästhetischen Gegenständen, mit denen sich das Institut gelegentlich auch noch befasst, jegliches Geheimnis wegerklärt. Von der Erschütterung durch aufregende, provozierende, tabubrechende Kunst gleich zu schweigen. In diesem Verständnis ist das Institut nur noch eine "Verteilerstation" (Ebert), die mit den Worten der Präsidentin Lentz "Impulse von außen aufnimmt, nach Deutschland bringt und dann auch wieder in die Welt verteilt".
Interessanterweise wird diese Entwicklung in Lentz' Buch kurz gestreift, aber nicht erklärt. In den neunziger Jahren hatte der amerikanische Ideenhistoriker Mark Lilla in einem Beitrag für die F.A.Z. bei Goethe-Mitarbeitern, mit denen er zu tun hatte, eine "heftige Allergie gegen alles, was für sie nach der alten Welt der deutschen Bildung riecht", ausgemacht. Er sah darin eine Verarmung, eher Entwicklungshilfe als Kulturpolitik zu betreiben. Kein Wunder, möchte man sagen, wenn man Lentz' Buch liest. Kultur spielt nämlich im Selbstverständnis des Instituts offenbar kaum noch eine Rolle außer einer funktionalen: als dienstbare Magd beim Kampf gegen Nationalismus, Kolonialismus, Autoritarismus, Rassismus, Intoleranz und so weiter. Natürlich können das erwünschte Nebeneffekte sein; aber zu glauben, Kunst ginge darin auf, nähme ihr genau das Unberechenbare, das man im Goethe-Institut gern als garantierte Einnahme verbuchen würde.
Als das Buch von Carola Lentz in einer von Jens Bisky moderierten digitalen Podiumsdiskussion vorgestellt wurde, die nun umständehalber als Jubiläumsfeier herhalten muss, kamen auch langjährige Wegbegleiter des Goethe-Instituts zu Wort. Die aufklärerische Rolle der Kultur - im Film, in der Kunst und der historischen Forschung - wurde am eloquentesten von der russischen Germanistin Irina Scherbakowa vertreten. Gemeint war natürlich: wirkliche Kultur. Scherbakowa, Jahrgang 1949, ist Mitbegründerin der russischen Menschenrechtsgesellschaft "Memorial", die sich die Aufklärung von Stalins Verbrechen und die Aufarbeitung der Sowjetzeit zur Aufgabe gemacht hat. Warum nur hatte man den Eindruck, diese von deutscher Kultur tief geprägte Frau habe eine lebendige Ahnung davon, aus welchen Elementen sich der Name Goethe-Institut zusammensetzt? PAUL INGENDAAY
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das Goethe-Institut feiert die ersten siebzig Jahre seiner Geschichte mit einer Publikation. Und spricht dabei von vielem, nur nicht von deutscher Kultur.
In einem kurzen Werbefilm zum siebzigsten Geburtstag des Goethe-Instituts werden ein paar Stationen aufgezählt, die für die auswärtige deutsche Kulturarbeit wichtig waren. Etwa die Gründung des ersten Auslandsinstituts, 1952 in Athen. Oder die Erweiterung des Aufgabenfelds von der reinen Sprachlehre auf die Kulturarbeit im Jahr 1961. Oder der Rahmenvertrag über Pflichten und Freiheiten, den das Bundesaußenministerium und das Goethe-Institut 1969 unterzeichneten und der mit Modifikationen ein halbes Jahrhundert später immer noch gültig ist, vermutlich eines der glücklichsten Vertragskonstrukte unseres Landes. Nicht zu vergessen die enorme Aufwertung der auswärtigen Kulturpolitik während der Kanzlerschaft Willy Brandts, ihre Adelung zur "dritten Säule" der Außenpolitik, deren Leitsätze 1970 der damalige Parlamentarische Staatssekretär Ralf Dahrendorf formulierte.
Es gibt gute Gründe, warum sie jahrzehntelang Bestand hatten und fast schon auf heutige Debatten um Diversität und Postkolonialismus vorausdeuten: Dahrendorf proklamierte vor fünfzig Jahren den Abschied vom nationalen Selbstbezug und richtete den Blick auf die Partner, ob in Asien, Afrika oder Lateinamerika. Auswärtige Kulturpolitik sollte sich nicht an Ewigkeitswerte klammern, sondern sich mit der politischen Gegenwart befassen und ein "Angebot an alle" sein. Eine Einladung zur Kooperation "auf Augenhöhe", wie man heute sagen würde, in gewissem Sinn die idealistische Seite der Politik und ihr besseres Selbst.
Pünktlich zum Jubiläum hat die seit einem Jahr amtierende Präsidentin Carola Lentz, eine emeritierte Ethnologin der Universität Mainz, in ihrem soeben erschienenen Buch "Das Goethe-Institut: Eine Geschichte von 1951 bis heute" (Klett-Cotta) die Häutungen der Institution beschrieben. Schönfärberei war von Lentz nicht zu erwarten, und so beleuchtet sie auch ein schon 1932 gegründetes Goethe-Institut der Deutschen Akademie, das in der späten Weimarer Zeit und im Nationalsozialismus die auswärtige Kulturpolitik Deutschlands erheblich mitbestimmte. Wir erfahren, dass die Akademie (und mit ihr das ursprüngliche Goethe-Institut) sich selbst gleichschaltete, kaum war Hitler an die Macht gekommen, und Mitglieder wie Thomas Mann, Max Liebermann und Konrad Adenauer ausschloss.
Im Vogelflug gleitet die Autorin durch die Nachkriegsjahrzehnte und erklärt die Entstehung einer hochherzigen Idee, die geradezu verzweifelt das Gegenteil der Haltung sein wollte, aus der die geschichtliche Katastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts erwuchs. Man könnte auch sagen: von der Belehrung zur partnerschaftlichen Zusammenarbeit. Frühere Präsidenten des Instituts spielen darin eine Rolle, besonders ein "großer Reformer" wie der Frankfurter Horst Harnischfeger, der das Amt von 1976 bis 1996 innehatte, aber auch geschichtliche Umbruchsdaten wie der Mauerfall oder der 11. September 2001.
Jedes dieser Daten brachte eine Neuorientierung mit sich; allein die Vita des heutigen Goethe-Generalsekretärs Johannes Ebert - mit Stationen in Damaskus, Riga, Kiew und Kairo - spiegelt Brennpunkte der internationalen Politik. In den neunziger Jahren etwa beschäftigte sich das Institut verstärkt mit einem Europa ohne Kommunismus; später, nach einer dringend notwendigen Konsolidierung des Haushalts, mit Asien, der "islamisch geprägten Welt" und mit Afrika. Bis heute hat sich das Goethe-Institut, ein eingetragener Verein mit 158 Standorten in 98 Ländern, an seine idealistische Mission gehalten. Eisern. Im Guten wie im Schlechten.
Im Guten, weil unzählige Menschen durch das Goethe-Institut Deutsch gelernt, andere Länder bereist, Stipendien erhalten, eine nachwirkende Förderung ihrer künstlerischen Arbeit erfahren oder freundschaftliche Kontakte fürs Leben geknüpft haben. Im Schlechten, weil sich über Jahrzehnte hinweg eine Goethe-Instituts-Ideologie mitsamt ihrer begleitenden Goethe-Instituts-Prosa entwickelt hat, die sich nicht mehr auf Bücher, Bibliotheken und Hochkultur stützt, sondern vor allem auf globale "Vernetzung" und einen vermeintlich progressiven Theoriejargon, der aus den ästhetischen Gegenständen, mit denen sich das Institut gelegentlich auch noch befasst, jegliches Geheimnis wegerklärt. Von der Erschütterung durch aufregende, provozierende, tabubrechende Kunst gleich zu schweigen. In diesem Verständnis ist das Institut nur noch eine "Verteilerstation" (Ebert), die mit den Worten der Präsidentin Lentz "Impulse von außen aufnimmt, nach Deutschland bringt und dann auch wieder in die Welt verteilt".
Interessanterweise wird diese Entwicklung in Lentz' Buch kurz gestreift, aber nicht erklärt. In den neunziger Jahren hatte der amerikanische Ideenhistoriker Mark Lilla in einem Beitrag für die F.A.Z. bei Goethe-Mitarbeitern, mit denen er zu tun hatte, eine "heftige Allergie gegen alles, was für sie nach der alten Welt der deutschen Bildung riecht", ausgemacht. Er sah darin eine Verarmung, eher Entwicklungshilfe als Kulturpolitik zu betreiben. Kein Wunder, möchte man sagen, wenn man Lentz' Buch liest. Kultur spielt nämlich im Selbstverständnis des Instituts offenbar kaum noch eine Rolle außer einer funktionalen: als dienstbare Magd beim Kampf gegen Nationalismus, Kolonialismus, Autoritarismus, Rassismus, Intoleranz und so weiter. Natürlich können das erwünschte Nebeneffekte sein; aber zu glauben, Kunst ginge darin auf, nähme ihr genau das Unberechenbare, das man im Goethe-Institut gern als garantierte Einnahme verbuchen würde.
Als das Buch von Carola Lentz in einer von Jens Bisky moderierten digitalen Podiumsdiskussion vorgestellt wurde, die nun umständehalber als Jubiläumsfeier herhalten muss, kamen auch langjährige Wegbegleiter des Goethe-Instituts zu Wort. Die aufklärerische Rolle der Kultur - im Film, in der Kunst und der historischen Forschung - wurde am eloquentesten von der russischen Germanistin Irina Scherbakowa vertreten. Gemeint war natürlich: wirkliche Kultur. Scherbakowa, Jahrgang 1949, ist Mitbegründerin der russischen Menschenrechtsgesellschaft "Memorial", die sich die Aufklärung von Stalins Verbrechen und die Aufarbeitung der Sowjetzeit zur Aufgabe gemacht hat. Warum nur hatte man den Eindruck, diese von deutscher Kultur tief geprägte Frau habe eine lebendige Ahnung davon, aus welchen Elementen sich der Name Goethe-Institut zusammensetzt? PAUL INGENDAAY
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main