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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Endlich mal ein optimistischer Blick auf die Menschheitsaufgabe der Zukunft
Es gibt viele Bücher über die Klimakrise. Die meisten sind voller Zahlen, Studien und apokalyptischer Szenarien. "Das grüne Jahrzehnt" von Horst von Buttlar ist keines davon. Der Chefredakteur des Wirtschaftsmagazins "Capital" interviewt keine Bedenkenträger, sondern Macherinnen und Macher: Jene Unternehmen, die die Wirtschaft in die Klimaneutralität führen sollen. Und das ist ein sehr wohltuender Ansatz. Es geht um Start-ups, die aus Straßenlaternen Ladestationen für E-Autos machen. Um Labore, in denen künstliches Fleisch gezüchtet wird. Und um kleine Unternehmen, die nachhaltigen Beton herstellen, indem sie Zement mit Kohlefasern, Naturharzen oder Altglas mischen. Man trifft Wissenschaftler, Unternehmerinnen, Tüftler und Gründerinnen und kriegt ein Gefühl dafür, was geschieht, um dieses Land für die Zukunft zu rüsten: einiges.
Die alarmierenden Weckrufe der Klimawissenschaftlerinnen und Aktivisten haben ihre Berechtigung. Aber sie haben eben auch den Effekt, dass keiner mehr hinhört. Wenn aber Autobauer wie Porsche, Chemiekonzerne wie die BASF oder Stahlhersteller wie Thyssenkrupp plötzlich übers Klima sprechen, hört man hin. Sie gehören schließlich zu den Verursachern der Krise - und haben darum auch ihre Bewältigung in der Hand.
Aber wie ernst meinen sie es mit dem Klima? Das ist die Frage, die man sich beim Lesen dieses Buchs immer wieder stellt. Ja, es macht Hoffnung, wenn die BASF in Ludwigshafen ihre Emissionen bis 2030 um ein Viertel senken will. Es klingt gut, wenn der Konzernchef erklärt, wie er seinen Strom künftig aus eigenen Windparks in der Nordsee beziehen will. Und man möchte ihm gern glauben, wenn er die Bewältigung der Klimakrise eine "Menschheitsaufgabe" und eine "Herzensangelegenheit" nennt.
Aber sind all die Pläne mehr als bloße Absichtserklärungen? Das ist der große Zweifel, der einen beim Lesen immer wieder beschleicht. Zum Beispiel dann, wenn Brudermüller erklärt, warum die BASF noch nicht mit der Umsetzung der Pläne begonnen habe. "Man sei im 'Stand-by-Modus', weil die öffentliche Hand sich Zeit lasse", heißt es. Und auch bei Buttlar klingt Kritik an. Aber leider konfrontiert er seine Gesprächspartner mit dieser Kritik nicht. Dabei wüsste man gern, was der Herzens-Klimaschützer im Chefsessel darauf erwidern würde.
Buttlar begegnet den Konzernchefinnen und Unternehmern stets wohlwollend, versucht aber nicht, die Zweifel zu zerstreuen. Vielmehr macht er immer klar, dass es ohne Vorgaben und Verbote aus der Politik eben nicht gehe.
Und so ist die Pointe dieses Buchs auch, dass der Chef von "Capital" mit den größten Fischen der deutschen Wirtschaft spricht und es dabei auch immer um die Grenzen des Kapitalismus geht: Der Markt regelt das eben nicht von selbst. Der Staat muss nachhelfen, und wir alle müssen mitmachen. Wenn der Weg in die Klimaneutralität aber klug gesteuert wird, wenn der Staat den Wandel lenkt, statt ihn durch bürokratische Vorgaben zu bremsen, dann ziehen die Unternehmen mit.
Der Autor glaubt an die Kraft von Unternehmen und den Erfindergeist des Mittelstands. Aber er sagt auch: Es kommt auf jeden von uns an. Buttlar beschreibt das klimaneutrale Wirtschaften so, "als würde man gleichzeitig ein- und ausatmen". Es könne nicht immer weiter um mehr Geld, mehr Jobs, mehr Autos, mehr Urlaub gehen. Das Versprechen von Wohlstand und Freiheit müsse künftig anders gedeutet werden: "Es geht nicht um die Freiheit, so weiterzuleben wie bisher und dabei ordentlich CO2 in die Welt zu pusten, sondern es geht um die Freiheit künftiger Generationen, überhaupt noch ein lebenswertes Leben zu haben." Und das ist gerade deshalb überzeugend, weil er es nicht als Aktivist oder Klimawissenschaftler sagt, sondern als einer, der den Wert des Wirtschaftsstandorts Deutschland kennt und weiß, was auf dem Spiel steht.
Buttlar spricht von sich selbst: Er sei immer gern aufs Oktoberfest gegangen. Und trotzdem stellt er die Frage: 550 000 Hendl, 75 000 Schweinshaxen, 3 Millionen Kilowattstunden Strom, 1100 Tonnen Abfall - muss das sein? Das Buch will uns kein schlechtes Gewissen machen, aber auch keine Illusionen: Ohne Verzicht wird es nicht gehen. Firmen werden pleitegehen, Jobs werden wegfallen und Fabriken geschlossen werden. Aber dafür werden neue entstehen, und manchmal, wie beim Motorhersteller MTU, können aus Maschinenbauern auch einfach Elektrotechnikingenieure werden. "Das grüne Jahrzehnt" ist voller Optimismus und Glaube an technologischen Fortschritt, aber es entlässt uns auch nicht aus der Verantwortung. Dabei kommt Buttlar ohne Ressentiments gegen Weltverbesserer, Aktivistinnen und grüne Politiker auf der einen Seite sowie böse Konzernchefs, hinterlistige Lobbyistinnen und rückständige Klimaverschmutzer auf der anderen aus.
Hin und wieder verfällt der Autor in einen Unternehmensjargon, und manchmal würde man sich weniger Zahlen und Informationen wünschen - damit die, auf die es ankommt, besser wirken. Wenn einen auf jeder Seite eine neue, detaillierte Grafik erwartet, verliert man irgendwann die Muße, sie zu studieren, vor allem wenn die Legende ("Stoffliche Defossilisierung", "PtL-Anlagen", "Effiziente Prozesse") mehr Fragen aufwirft als beantwortet. Aber auch ohne Grafiken bekommt man in diesem Buch alles an die Hand, was man wissen muss über das, was getan wird und was noch zu tun ist. "Das grüne Jahrzehnt" macht nachdenklich, ohne besserwisserisch zu sein, und es macht Mut, ohne schönfärberisch zu sein. Vor allem aber macht es Hoffnung: Wir können die Klimakrise bewältigen. Viele in diesem Land sind schon auf dem richtigen Weg. LIVIA GERSTER
Horst von Buttlar: "Das grüne Jahrzehnt. Wie die Klimakrise die Wirtschaft revolutioniert."
Penguin Random House, München 2022. 336 S., 25 Euro.
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