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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Den Juristen nur halb entkommen: Ein Band versammelt recht unterschiedliche Essays zum Grundgesetz
Der juristische Gesetzeskommentar ist eine eigenartige Form. Sie fordert von den Kommentierenden Kenntnisse des Rechtstextes, seiner Entstehung, seinem Verhältnis zu anderen Normtexten, seiner Anwendung in der juristischen Praxis - sowie von möglichst allen anderen Kommentierungen. Eine originelle These oder eine neue Sicht auf die kommentierte Stelle bringt man besser in anderen Formaten unter. Denn das Versprechen des Kommentars ist Zuverlässigkeit, bei der Neues stören könnte. Seinen Eigensinn gewinnt der Kommentar weniger durch die Autoren als aus einer Form, die sich maßgeblich an den Zufälligkeiten der gesetzlichen Formulierung orientiert.
Im deutschen Verfassungsrecht, das, wenn es zwischen Buchstaben und Geist, zwischen erratischer Formulierung des Gesetzgebers und hehrem Prinzip zu wählen hat, mit schöner Regelmäßigkeit Geist und Prinzip wählt, zeichnet gerade seine Wortlautfixiertheit den Kommentar aus. Diese Störrigkeit zeigt sich nicht zuletzt darin, dass jede noch so unscheinbare und abseitige Norm ihre Kommentierung bekommt. Auch die Übergangsvorschriften zur Postprivatisierung finden immer wieder neue Kommentatoren.
Was aber ist dann ein "Literarischer Kommentar" zum Grundgesetz, der uns nun quasi als Gegenstück zu den mindestens fünf Grundgesetz-Kommentaren präsentiert wird, die im selben Verlag, aber dessen fachlichem Zweig erschienen sind.
Georg M. Oswald, als Rechtsanwalt und Schriftsteller Wanderer zwischen beiden Welten, ist Herausgeber des Buchs. Seine Einführung beginnt er mit dem Unterschied zwischen Juristen und Nichtjuristen, namentlich mit dem in der Tat bemerkenswerten Drill der Ausbildung, der Juristen einen ganz eigenen Umgang mit Sprache und Bedeutung beibringt. Oswald will dem etwas entgegensetzen und definiert das Literarische der folgenden Kommentierungen schlicht als essayistischen Zugriff, der mit je radikal subjektiven Perspektivwechseln operiert. Die Normtexte des Grundgesetzes sollen dem vom Juristen sorgsam erworbenen Tunnelblick entrissen werden, um für willkommene Verfremdung zu sorgen. Das könnte in der Tat interessante Ergebnisse liefern. Lasst die Poeten an den Länderfinanzausgleich! Das schön gestaltete und durch viele geistreiche Beiträge lesenswerte Buch leidet aber daran, dass es diese Konzeption nicht konsequent durchzieht, sondern gleich zwei folgenreiche Kompromisse eingeht.
Zum Ersten schreiben neben vielen bekannten, ja berühmten Schriftstellern auch allerarten ihrerseits erlesene professionelle Verfassungsrechtler am Buch mit. Was die Juristen schreiben, ist interessant, vielgestaltig und durchaus anders als das, was sie in einem Juristenkommentar schreiben würden. Was genau es mit der Literarizität des Gebrauchstexts Grundgesetz zu tun hat, bleibt aber meistens offen. Das Buch gerät hier zu einer Sammlung von Kurzessays anlässlich einer Grundgesetzlektüre, die oft darauf hinauslaufen, den vom Herausgeber beschworenen Nichtjuristen ein Stück vom deutschen Verfassungsrecht zu erklären. Dagegen ist nichts zu sagen, es ist aber eine Art politischer Bildung, die man für eher literaturfern halten könnte. Auch die Dichter machen, wie vom Herausgeber erwünscht, alles Mögliche, von autobiographischen Stücken bis zu kleinen Gesellschaftsszenen, in denen bestimmte Probleme des Verfassungsrechts anschaulich werden. Die Qualität ist gemischt, insgesamt sticht ins Auge, wie unterschiedlich der Grad an investierter Mühe ist. Mit der Entscheidung dafür, die Poeten mit der Verfassung nicht allein zu lassen, wird in jedem Fall etwas vom Projekt verschenkt.
Ein zweiter Kompromiss des Buches liegt darin, dass der Herausgeber nicht nur darauf verzichtet hat, alle Normen des Grundgesetzes kommentieren zu lassen, was in der Tat nicht einfach gewesen wäre, sondern auch die Verteilung der Artikel so massiv gewichtet, dass sich das Ganze mehr wie ein Kommentar zum kurzen Grundrechtsteil liest, der zwei Drittel des Buches ausmacht. Hinzu kommt, dass im letzten Drittel zum Recht der Staatsorganisation oft gar keine konkreten Normen mehr kommentiert werden, sondern Normblöcke, also letztlich Institutionen wie der Bundespräsident oder die Bundesregierung. Hier wäre es angemessener gewesen, sich einfach eine Norm zu nehmen, um anhand ihrer etwas Allgemeineres aufzuschlüsseln. Das Ergebnis leidet an der Unterschätzung der Form des Kommentars und dessen genuin poetischer Liebe zum Wortlaut.
Dass gerade die Grundrechte mit so viel kommentierender Zuwendung beachtet werden, erscheint dann wiederum wie eine Flucht aus der poetischen Konfrontation mit dem Recht. Zu Grundrechten können natürlich alle etwas sagen, in ihrer Sprache verbinden sich aber vornehmlich politische Pamphletistik und praktische Philosophie, das Juridische an ihnen wäre erst zu bergen. In vielen der Beiträge scheint es auch weniger um das eigentlich kommentierte Grundrecht des Grundgesetzes zu gehen als um ein Menschenrecht, über das man auch schreiben könnte, wenn es das Grundgesetz nicht gäbe. Dass sich nationale Verfassungen die Universalität der Menschenrechte angeeignet, damit aber auch deren Bedeutung verändert (und deren praktische Relevanz vermutlich erhöht) haben, wird dann wiederum eher von den Juristen verarbeitet.
Wenig Zuwendung erhält das Organisationsrecht. Das spezifisch Juristische, die durchdringende Unanschaulichkeit der Regeln, das Knirschen im Maschinenraum der Staatsorganisation - in Normsätzen wie "Durch Bundesgesetz dürfen Gemeinden und Gemeindeverbänden Aufgaben nicht übertragen werden" - hätte einen poetologisch geschulten Blick verdient, der dem Genre eines literarischen Kommentars des Grundgesetzes wirklich gerecht geworden wäre.
So schreiben im Ergebnis sehr unterschiedliche Autoren mit sehr unterschiedlichen Zugängen mal über Normen, mal über Institutionen des Grundgesetzes. Nicht zufällig stellt sich das typische Phänomen des Sammelbandes ein, der weniger ist als die Summe seiner Teile. Aber vielleicht ist das ein zu strenges Urteil. Hat man die Lektüre einmal begonnen, so weckt die Beliebigkeit der Beiträge die Neugierde des Lesers, der wissen will, was jetzt noch kommt. Auf diese wohl eher ungeplante Art liest man das Ganze dann auch wieder mit Freude, gelegentlich enttäuscht, aber oft angeregt, freilich auch in der Hoffnung, dass die gute Idee eines literarischen Kommentars unserer prosaischen Verfassung an anderer Stelle noch ihre Verwirklichung finden wird. CHRISTOPH MÖLLERS
Georg M. Oswald (Hrsg.): "Das Grundgesetz". Ein literarischer Kommentar.
C. H. Beck Verlag, München 2022.
381 S., geb., 26,- Euro.
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Süddeutsche Zeitung, René Schlott
"Es ist gerade die Vielstimmigkeit, die das Buch zu einem Lehrstück über gelebte Demokratie und Meinungsfreiheit macht."
rbbKultur, Natascha Freundel
"Alle 38 Beiträgerinnen und Beiträger geben Antworten, die ... vor allem durch die Klarheit ihrer Kritik überraschen."
Berliner Zeitung, Cornelia Geißler
"Das Grundgesetz weiter lebendig zu halten, das ist der Appell der Autorinnen und Autoren. Der von Georg M. Oswald zusammengestellte Band bietet dafür lesenswerte Anregungen. Für Nichtjuristen, aber durchaus auch für Juristen."
Deutschlandfunk Andruck, Peggy Fiebig
"Sehr lesenswerter Band"
SWR 2, Oliver Pfohlman
"Von Susanne Baer über Patrick Bahners, Udo Di Fabio und Eva Menasse, Herta Müller und Angelika Nußberger, Ronen Steinke und Andreas Voßkuhle hat Oswald zweifellos schriftstellerische und juristische Schwergewichte zusammengebracht. Schon deshalb nimmt man das Buch gern zur Hand und schon deshalb lohnt die Lektüre"
Legal Tribune Online, Alexander Thiele
"Höchst anregend, lehrreich und lesenswert"
Aachener Nachrichten, Markus Kriener