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Was bedeutet es, frei zu sein? Gibt es eine absolute Freiheit des Willens? Der Philosoph Peter Bieri präsentiert die unterschiedlichsten Antworten auf die Frage der Willensfreiheit wie auf einer Bühne: In kleinen, immer wieder abgewandelten Szenen verstrickt er scheinbar zwingende Vorstellungen von Freiheit so lange in Widersprüche, bis sich am Ende die Prinzipien einer wirklichen Freiheit erkennen lassen. "Das Buch entdeckt die Freiheit, die wir haben - ob wir wollen oder nicht -, wieder neu. Es ist klar bis zur Schönheit und spannend wie ein Roman." Rüdiger Safranski

Produktbeschreibung
Was bedeutet es, frei zu sein? Gibt es eine absolute Freiheit des Willens? Der Philosoph Peter Bieri präsentiert die unterschiedlichsten Antworten auf die Frage der Willensfreiheit wie auf einer Bühne: In kleinen, immer wieder abgewandelten Szenen verstrickt er scheinbar zwingende Vorstellungen von Freiheit so lange in Widersprüche, bis sich am Ende die Prinzipien einer wirklichen Freiheit erkennen lassen. "Das Buch entdeckt die Freiheit, die wir haben - ob wir wollen oder nicht -, wieder neu. Es ist klar bis zur Schönheit und spannend wie ein Roman." Rüdiger Safranski

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Autorenporträt
Peter Bieri, geboren 1944 in Bern, studierte in London und Heidelberg. Forschungsaufenthalte führten ihn nach Berkeley und Harvard. Seit 1993 ist er Professor für Philosophie an der Freien Universität Berlin. Unter dem Pseudonym Pascal Mercier erschienen die Romane Perlmanns Schweigen (1995) und Der Klavierstimmer (1998).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.10.2001

Da hat er ein Problem zu lösen
Willensfreiheit ist eine Frage guter Nerven und fleißiger Stunden: Ein Leitfaden von Peter Bieri
Die spinnen, die Philosophen, stellte Asterix vergnügt fest. Nimmt man das alltägliche Leben zum Maßstab aller Dinge, dann ist die Philosophie immer etwas Verrücktes, bemerkte Martin Heidegger, als er sich einer Grundfrage der Metaphysik zuwandte. Dieser Mensch ist nicht verrückt; er hat nur philosophiert, hätte Ludwig Wittgenstein über Peter Bieri bemerkt, der als Pascal Mercier zwei psychologisch raffinierte Romane geschrieben und jetzt eine umfangreiche philosophische Untersuchung über das Problem der Willensfreiheit vorgelegt hat.
Alles Leben ist Problemlösen, hat Karl Popper festgestellt. Aber während die meisten Menschen damit beschäftigt sind, sich durch ihr kleines Leben hindurch zu wursteln, und oft gar nicht wissend, was sie wirklich wollen, hat Bieri sich durch eine Unzahl von philosophischen Texten hindurch gelesen. Da stand er nun und stellte sich aufs Neue die alte Wesensfrage: „Was ist das überhaupt ­ die Freiheit des Willens?”
Ich kenne mich nicht aus
Um sie beantworten zu können, begab sich Bieri auf das weite Feld einer „beschreibenden Metaphysik des Personseins”. Da hatte er nun ein wirklich großes Problem zu lösen. Die Philosophie ist keine Lehre, sondern eine Tätigkeit, hat Ludwig Wittgenstein vorgeschrieben und Bieri ist ihm gefolgt. Er hat keine Theorie der Freiheit geliefert, auch keine lehrreiche Anleitung zum Freiseinkönnen. Er hat philosophiert, um sich über etwas klar zu werden.
Um dieser Herausforderung zu entsprechen, hat Bieri einen eigenwilligen Stil des Philosophierens entwickelt, der sich weder an der Präzision von Logik oder Mathematik orientiert, noch im Kommentieren überlieferter Texte erschöpft. Er strebte nach einer „philosophischen Genauigkeit”, deren analytische Überzeugungskraft aufs engste mit den lebensweltlichen Erfahrungen verbunden ist, die jeder mit sich selbst macht, ohne sie klar artikulieren, wirklich verstehen und begründet billigen zu können.
Diesen Stil, der sich an den Werken Platons und Wittgensteins orientiert, hat Bieri als „Handwerk” charakterisiert. Am Ende seiner Untersuchung hat er über dieses Motiv seiner philosophischen Tätigkeit Auskunft gegeben: Auch bei ihm stand jene „philosophische Verwunderung”, die seit ihren Anfängen bei Platon und Aristoteles die Menschen zum Philosophieren treibt.
Es geht nicht um alltägliches Verblüfftsein. Wer sich philosophisch über das Phänomen der Willensfreiheit wundert, muss schon philosophisch beunruhigt sein. Er muss bereits wissen, was es heißt, sich in einer erstaunlichen philosophischen Problemsituation zu befinden. Jedes philosophische Problem hat die Form: „Ich kenne mich nicht aus.” Im Prolog seiner Untersuchung hat Bieri den Irrgarten skizziert, in dem man sich zu verlaufen droht, wenn man das Problem der Freiheit mit metaphysischer Schwere belegt. Er hat die Struktur eines scheinbar unlösbaren Widerstreits, der uns gedanklich verwirrt und uns seelisch aus dem Gleichgewicht zu bringen droht.
Auf der einen Seite steht die Idee, dass wir etwas nur dann verstehen können, wenn wir die Bedingungen entdecken, von denen es abhängt. Die Welt, zu der unser Handeln gehört, ist keine unzusammenhängende Abfolge von Ereignissen. Wenn aber alles „bedingt” ist, steht dann nicht auch das menschliche Tun und Wollen in einem gesetzmäßigen Zusammenhang von Ursachen und Wirkungen? Ein harter Determinismus hat daraus seine philosophischen Konsequenzen gezogen.
Dagegen steht die Idee, dass der Mensch in seinem Handeln und Wollen frei ist. Denn er kann grundsätzlich tun und lassen, was er will; und er ist auch so frei, genau den Willen zu haben, den er haben möchte. Als Personen bewegen wir uns in einem Spielraum von Möglichkeiten, zwischen denen wir frei wählen können. Nur deswegen können wir ja auch für unsere Handlungen zur Rechenschaft gezogen werden.
Das also ist der verwirrende Widerstreit, der Bieri philosophisch verwunderte und in einen Irrgarten verführte, in dem er die Orientierung zu verlieren drohte. „Wie sind Handlungs- und Willensfreiheit möglich, wenn solche Freiheiten eigentlich gar nicht möglich sein können, da doch alles nur als bedingt verstehbar ist?” Doch dieses Dilemma ist ja nicht der Endpunkt der Philosophie, sondern nur ihr Anfang. Philosophie ist, Bieri zufolge, der Versuch, in einer verwirrenden Sache, die uns philosophisch staunen lässt, zu einer begründeten Entscheidung zu kommen. Aus dem Irrgarten muss ein Ausweg gefunden werden.
Das ist freilich leichter gesagt, als getan. Denn es handelt sich beim philosophischen Freiheitsproblem ja nicht um einen bloßen Anlass für spielerischen Scharfsinn oder dogmatische Behauptungen. Wir sind herausgefordert, uns über eine Grundkategorie des menschlichen Selbstverständnisses überhaupt klar zu werden. In einer paradoxen Durchführung seines deskriptiv-metaphysischen Programms verführt Bieri seine Leser in ein Labyrinth von Einsichten und Irrtümern, Evidenzen und Missverständnissen, Vermutungen und Widerlegungen, Reflexionen und Erzählungen, aus dem er zugleich den Ausweg zeigt. Seine philosophische Untersuchung ist Irrgarten und Ariadnefaden zugleich.
In drei großen, weit ausholenden Schritten wird eine Denkbewegung vollzogen, die durch unzählige gefühlsmäßige Verwirrungen und gedankliche Unklarheiten hindurch führt, um schließlich zu einer begründeten Überzeugung zu führen. Dieser Dreischritt vollzieht sich, kurz gesagt, etwa so. Zunächst entfaltet Bieri die scheinbar widersprüchliche Idee einer „bedingten Freiheit”. Gegen die Vorstellung, dass „frei” und „bedingt” nicht zusammen passen, versucht er zu erläutern, dass gerade die Freiheit des Willens seine Bedingtheit verlange; denn nur im Rahmen durchgängiger Bedingtheit können wir, Bieri zufolge, bekommen, was uns an der Freiheit des Willens lieb und teuer ist.
Dieser Gedanke wird profiliert, indem in einem zweiten Schritt der Gegner aufgebaut wird. Denn die widerstreitende Idee einer „unbedingten Freiheit” kann, wie Bieri äußerst scharfsinnig dekonstruiert, nur unverständlich, rätselhaft oder verrückt sein, wenn man sie wirklich ernst nimmt.
Und schließlich entwickelt Bieri die Idee einer „angeeigneten Freiheit”, die keine gegebene Tatsache ist. Willensfreiheit muss „erarbeitet” werden im Strom des Lebens, zwischen seinen Hemmnissen und Passagen. Sie kann kommen und gehen, erreicht werden und wieder verloren gehen. „Die Freiheit des Willens – betrachten Sie sie einmal so, dann werden Sie sehen, dass Sie alles bekommen, was sich zu wünschen lohnt.”
Das Wort weist den Weg hinaus
Diese personal-metaphysische Problemlösung, zu der Bieri nach langen und verwickelten Fahrten gelangt ist, mag den Alltagsverstand nicht überraschen. Irgendwie hat man das ja schon immer gewusst, auch wenn es jeder Einzelne auf seine eigene Weise erlebt im veränderlichen Spielraum seiner Möglichkeiten. Aber jetzt weiß man es genauer. „Die Philosophie soll die Gedanken, die sonst, gleichsam, trübe und verschwommen sind, klar machen und scharf abgrenzen”, hat Wittgenstein gefordert, und Bieri ist ihm dabei gefolgt. Aber der willige Leser ist doch erstaunt und wundert sich über die Art und Weise, wie es Bieri gelungen ist, die Problemsituation zu bewältigen, in die er sich freiwillig begeben hat, als Philosoph und als Schriftsteller.
Denn um die philosophische Idee der Freiheit zu verstehen, hat er äußerst differenzierte Begriffsanalysen vorgenommen und den Gebrauchssinn der „Wörter in Aktion” betrachtet. Und um unsere innere Wahrnehmung des freien Willens zu artikulieren, hat er sich mit erzählerischer Genauigkeit und phänomenologischer Phantasie in verschiedene Figuren und ihr Erleben vertieft. Als philosophischer Schriftsteller hat Bieri ein gedanklich-erzählerisches Gespinst gesponnen, das seine Leser zu fesseln vermag, wenn sie bereit sind, ihm in jenen Irrgarten zu folgen, aus dem er einen Ausweg gesucht hat. MANFRED GEIER
PETER BIERI: Das Handwerk der Freiheit. Über die Entdeckung des eigenen Willens. Carl Hanser Verlag, München Wien 2001. 446 Seiten, 49,80 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2001

Solange wir hadern, gibt es einen Ausweg
Man spricht wieder von einer menschlichen Natur: Peter Bieri ringt um die Freiheit, die Jürgen Habermas durch die Gentechnologie schon verloren glaubt / Von Christian Geyer

Mit einem Mal steht man in politischen Konstellationen, in denen mit großer Dringlichkeit Fragen aufgeworfen werden, die man zuvor ohne zu zögern als alteuropäische Marotten abgelegt hätte. Fragen, die sich nicht in der abstrakten Situation einer "Wertediskussion" stellen, sondern die durch politischen Entscheidungsnotstand gewissermaßen erzwungen werden. Die Order des amerikanischen Präsidenten etwa, vom Kurs abweichende Flugzeuge abzuschießen, reißt eine Frage wie jene, welche Übel man in Kauf nehmen darf, um Schlimmeres zu verhüten, aus dem abgeschirmten Bezirk des Akademiendiskurses. Plötzlich redet man über so etwas am Küchentisch. So ist es auch mit den neuen Möglichkeiten der Gentechnik, die dem alten Topos der Freiheit ganz ungewohnt radikale Fragen entlocken, wie man sie seit dem Existentialismus doch eigentlich zu den Akten genommen hatte.

Nachdem wir uns die schematische Technikkritik im Zeichen der "Antiquiertheit des Menschen" nun wirklich an den Sohlen abgelaufen haben, stehen wir jetzt in einer interessanten Situation. Das Unbehagen, das gewisse Optimierungsstrategien auslösen, kann sich nicht mehr einfach mit der Figur einer humanistischen "Sorge" artikulieren. Die Dinge sind in jeder Hinsicht komplizierter geworden. Möglicherweise ist selten so augenfällig gewesen wie heute, daß die Max Weber verzerrt wiedergebende Alternative nicht heißt: Gesinnung oder Verantwortung, sondern daß die Frage im Sinne Robert Spaemanns vielmehr lautet: Wer hat wofür Verantwortung - und wofür gerade keine? Ihre noch so vorläufige Beantwortung erweist sich als elementar für die Normenkritik einer Gesellschaft, in der die Wechselwirkungen der Handlungsbereiche ständig zunehmen.

Den bisher ausgreifendsten Versuch, die Herausforderungen der Gentechnik philosophisch zu bedenken, sie von den Prämissen eines strikt säkularen Denkens her einer Kritik zu unterziehen, hat soeben Jürgen Habermas vorgelegt. Der Plan kommt einem so subversiv wie schlagend vor: Er will den Begriff der Freiheit, auf den sich eine autonome Biopolitik beruft, gegen deren Verfechter kehren. Aber das allein macht "Die Zukunft der menschlichen Natur. Auf dem Weg zu einer liberalen Eugenik?" noch nicht zu jenem bemerkenswerten Buch, das es trotz seiner von Habermas betonten Vorläufigkeit ist. Das eigentlich Erregende ist, daß Habermas sich offenbar gezwungen sieht, im Angesicht des Genoms eine weitgehende Anreicherung der Diskurstheorie vorzunehmen, eine Anreicherung, die man getrost auch als "Revision" zentraler Theorieelemente bezeichnen darf. Dies wiederum ist alles andere als ein bloß theoretisch interessanter Vorfall. Er liest sich vielmehr als ein Symptom für das allgemeine Bewußtsein, daß man die Antworten auf unsere aufgescheuchten moralischen Gefühle nicht in der Tasche hat.

Als einen Beitrag zur Klärung dieser "schwer entwirrbaren Intuitionen" will Habermas seinen Text verstanden sehen. "Ich selbst bin weit davon entfernt zu glauben, daß mir dieses Vorhaben auch nur halbwegs gelungen ist." Trotz dieser Bescheidenheitsgeste geht es revolutionär zu. War bislang nicht allein die "Gesellschaft" der Fluchtpunkt aller "postmetaphysischen", der Praxis der liberalen Demokratie verpflichteten Philosophie? Ging es nicht darum, jedes einer "bloßen" Natur verhaftete Denken als historisch belastetes falsches Bewußtsein auszuweisen? Volker Gerhardt hatte diese Denktradition kürzlich vielleicht etwas zu plakativ als die "Frankfurter Verharmlosung des ,guten Lebens'" bezeichnet. Gemeint ist die philosophische Relativierung inhaltlicher Positionen zugunsten von prozeduralen Argumenten.

In der Tat herrschte zwischen dem "Guten für mich" und dem "Gerechten für alle" so etwas wie akute Platznot für "verbindliche Stellungnahmen zu substantiellen Fragen des guten oder nicht verfehlten Lebens". In seinem neuen Buch glaubt nun Habermas an solchen Stellungnahmen nicht mehr vorbeizukommen. Es ist, als solle auf die bedrängende Aktualität in aller Eile mit einem nachholenden Substanzbekenntnis reagiert werden. Gedacht als eine Art Schadensbegrenzung nicht nur für die menschliche Natur, sondern womöglich auch für die kommunikative Theorie. Unter dem Eindruck einer aufziehenden "liberalen Eugenik" läßt sich Habermas zu überraschenden theoretischen Volten provozieren. Sie sind nicht einfach mit der üblichen Integrationsstrategie zu vergleichen, mit der eine philosophische Schule ihre vermeintlichen Vorgänger zu vereinnahmen pflegt. Hier geschieht etwas anderes als einfach nur die Integration neuer Fragestellungen in die alte Muttermatrix. Hier wird die Matrix selbst an entscheidenden Stellen aufgesprengt, auch wenn am Ende der Versuch steht, die Sollbruchstellen rhetorisch wieder zu kitten. So mag sich die ganze umstürzende Operation im nachhinein bequem auch als bloße Routinemaßnahme zur Sicherung einer "Reziprozität von Ebenbürtigen" darstellen lassen.

Tatsächlich aber werden Hans Jonas, Helmuth Plessner und Arnold Gehlen als Paten für die anthropologische Fiktion einer "Naturwüchsigkeit" des Menschen angerufen, an der vermeintlich die Zukunft seiner Moralfähigkeit hängt. Habermas plädiert für ein "Recht auf ein genetisches Erbe, in das nicht künstlich eingegriffen worden ist", jedenfalls nicht zu anderen als therapeutischen Zwecken. Denn sonst könnte unsere Gattungsidentität so stark verunsichert werden, daß sich die gesamte Struktur unserer moralischen Erfahrung verändere.

Wie das? Die Kontinuität des Selbst als Voraussetzung für Freiheits- und Verantwortungsbewußtsein sei nur erfahrbar, wenn sich die Person im eigenen Leib gewissermaßen zu Hause fühle. Sie darf deshalb nicht die Entdeckung machen, daß ein Teil des Gehäuses, das sie selber ist, ohne ihre Zustimmung willentlich gestaltet wurde. Sie darf in ihrer natürlichen Ausstattung überhaupt keine fremde Absicht antreffen. Andernfalls gerate der Richtungssinn von Zentrum und Peripherie durcheinander, von Eigenem und Fremdem. "Damit sich die Person mit ihrem Leib eins fühlen kann, scheint er als naturwüchsig erfahren werden zu müssen." Die Unverfügbarkeit eines solch urtümlichen Naturschicksals sei "für das Freiheitsbewußtsein wesentlich".

Diese theoretische Grundentscheidung ist eindrucksvoll, aber nicht ohne Tücken. Wer die Skepsis gegen eugenische Maßnahmen einzig und allein auf den Freiheitsbegriff gründen will, müßte die unterstellte Störung des Freiheitsempfindens auch beweisen können. Doch dieser Beweis ist nicht zu erbringen. Habermas selbst scheint das zu ahnen. Anders ist nicht zu erklären, daß er seine Vision vom unfreien Klon meistens im Konjunktiv artikuliert, um sie im Sinne des angestrebten Beweisziels unterderhand dann doch in bare Münze zu verwandeln. Für diesen Währungsumtausch vom "Könnte die Freiheit beeinträchtigen" zum "Wird die Freiheit beeinträchtigen" ist ein hoher Preis zu zahlen: Was sich bisher als diskurstheoretische Idealisierung verstehen durfte, muß nun im Zeichen eines von Kierkegaard inspirierten "Selbstseinkönnens" einem empirischen Härtetest unterworfen werden. Wobei es sich selbst ein in der Wolle gefärbter Metaphysiker wie Kierkegaard gefallen lassen muß, von Habermas unter dem Label des "Postmetaphysischen" eingeordnet zu werden.

Aber mit einem metaphysisch entkernten Begriff des Selbstseinkönnens wird das Gebäude der Diskurstheorie nun notgedrungen auf die schwachen Füße der Entwicklungspsychologie gestellt. So geraten schwankende Einsichten etwa über die "Entwicklung sozialen Urteilens bei jugendlichen Magersüchtigen" in die Nähe eines philosophisch tragenden Arguments. All dies, um angesichts des politischen Entscheidungsnotstands irgendwie den Sprung aus dem Prozeduralen ins Substantielle zu schaffen. Im Blick auf die neuen Klon- und Züchtungsoptionen könne eine Ethik des Selbstseinkönnens "nicht länger mit formalen Argumenten" behauptet werden. "Vielmehr scheint sich heute die philosophische Ursprungsfrage nach dem ,richtigen Leben' in anthropologischer Allgemeinheit zu erneuern."

Die anthropologische Wende der Diskurstheorie ist nicht ohne Ironie. Denn natürlich war es gerade die Anthropologie des zwanzigsten Jahrhunderts, die die Annahme einer ursprünglichen "Natur" des Menschen in Frage zog. Cassirer, Plessner und Gehlen konzentrieren sich - mit ganz unterschiedlichen Akzentuierungen - auf die symbolischen Medien eines zugleich konstruktiven und gebrochenen, aber zunehmend komplexer vermittelten Verhältnisses des erkennenden und handelnden Subjekts zur Welt und zu sich selbst. Gehlen und andere Anthropologen betonen - wie Habermas selbst an anderer Stelle gezeigt hat - gerade das indirekte Selbstverhältnis des Menschen, der sich nur über die Beziehung zu einem Anderen, Objektiven zu sich selbst verhalten kann. Nicht um die Schau auf den Nabel der eigenen Natur geht es, sondern um Entlastung von ihr durch instrumentelles Handeln. Hier gibt es kein Vertrauen auf Invarianten. Die enorme Plastizität der Antriebe erfordert Triebaufschub und Disziplinierung. In diesem Sinne war es Gehlen, der vor dem "Zustand chronischer Ichbewußtheit" und dem "Selbstgenuß der Subjektivität" warnte. Und liest sich nicht auch Plessners "exzentrische Position" als die Antithese zur Festschreibung einer inneren Natur? Als Kronzeugin für die von Habermas angemahnte "Unverfügbarkeit der Naturwüchsigkeit" macht die Anthropologie womöglich eine schlechte Figur.

Was für einen Freiheitsbegriff hatte Habermas im Auge, als er seine Vorbehalte gegen das reproduktive Klonen mit dem Begriff der "genetischen Sklavenherrschaft" begründete? Eine Antwort hierauf ist auf direktem Weg nicht leicht zu geben. Denn der Begriff der Freiheit, wiewohl er bei Habermas doch im Zentrum steht und als philosophisches Problem ganz neu aufgeworfen wird, verschwimmt immer wieder in der Mischung aus anthropologischen Grundannahmen und empirischen Hypothesen. So bleiben die Voraussetzungen seines Themas unausgeleuchtet. Wollte man sie ans Licht bringen, bedürfte es einer genuin philosophischen Begriffsanstrengung, wie sie in einer glücklichen Koinzidenz soeben Peter Bieri unternommen hat. Das neue Buch des Berliner Philosophen heißt "Das Handwerk der Freiheit", befaßt sich nicht explizit mit den Fragen der Gentechnik und ist doch außerordentlich hilfreich bei dem Versuch, die aufgeworfenen Grundfragen des Selbstverständnisses zu vertiefen.

Während man Bieri bei seinem geduldigen Ausschreiten der Freiheitsthematik begleitet, treten die philosophischen Folgen eines strengen genetischen Determinismus, wie er von Habermas in Anschlag gebracht wird, problematisch hervor. Schon rein empirisch ist ja nicht ausgemacht, in welchem Umfang sich der merkmalsverändernde Eingriff tatsächlich in den Eigenschaften des Phänotyps niederschlägt. Bieri weist zurück, was Habermas notwendig voraussetzt, wenn er die Unverfügbarkeit der Naturwüchsigkeit zur Schlüsselerfahrung der Freiheit erhebt: die Deutung des inneren Fluchtpunkts als reines, in einer bloßen Natur verwurzeltes Subjekt. Mit der Annahme dieses sonderbar entsozialisierten Regisseurs mag es zusammenhängen, daß Habermas die Freiheit mit einem Typus von Autonomie gleichsetzt, der eine grundsätzlich "ungeteilte Autorschaft" verbürgt. In dieser Perspektive muß jede fremde Absicht, die einem entgegentritt, bereits eine Schmälerung der Freiheit bedeuten. Bieri setzt den Akzent entschieden anders: Weder beginnt Freiheit bei einem Zustand der völligen Autonomie, noch erreicht sie ihn je. Die definitorische Wendung "Frei ist man, wenn man auch anders kann" will er so verstanden wissen, "daß nicht von beliebigen anderen Möglichkeiten und einer beliebigen Verzweigung unseres Tuns und Wollens die Rede ist, sondern davon, daß jemand, wenn er frei ist, die Fähigkeit besitzt, seinen Willen in Abhängigkeit von seinem Urteil zu verändern".

Bezugspunkt der Freiheit ist hier also das Urteil, mit dem man einer fremden Absicht begegnet, nicht aber diese selbst. Solange diese Urteilsfähigkeit gegeben ist und nicht durch Restriktionen wie Drogen, Hypnose oder Hörigkeit korrumpiert wird, ist im Prinzip auch die Möglichkeit der Freiheit gegeben. Die fremde Absicht wäre demnach keine Größe, die zur Bestimmung des Gehaltes von Freiheit oder Unfreiheit viel beizutragen hätte. Stets bleibt die Möglichkeit, sich zu einer solchen Vorgabe zu verhalten: sei es durch produktive Aneignung oder durch Ablehnung, die nicht weniger produktiv zu sein braucht. Ein Autor, erst recht ein "autonomer", kann auf die Auseinandersetzung mit fremden Absichten nicht verzichten; er ist im Gegenteil auf sie angewiesen, um sich mit eigenen Absichten an ihnen "abarbeiten" zu können. Nur so kann der eigene Wille ein bedingter - und damit überhaupt einer sein.

Auch Bieri nimmt das von Habermas beschriebene Problem auf, daß ein Wille als "fremd", "abgespalten" und "äußerlich" erfahren werden kann. Aber er macht doch klar, wie wenig es ist, was man mit diesen Vokabeln verstanden hat. Ihn interessiert näher, was bei Habermas aufgeworfen, aber dann doch unbearbeitet gelassen wird: Was genau es heißen kann, daß sich jemand mit einer Absicht identifiziert. Und worin umgekehrt die erlebte Fremdheit besteht, die einem unfreien Willen anhaftet. Die Frage nach der Freiheit läuft leer, solange man sie als einen Anwendungsfall einer großkalibrigen Identitätsphilosophie behandelt. Genauer ist da die unauffällig daherkommende Methode Bieris: die begrifflichen Differenzierungen langsam aus der sorgfältigen Betrachtung des Freiheitserlebens entstehen zu lassen. Ein solches Verfahren lockt nicht gleich mit bündigen Thesen, es gleicht vielmehr einem Exerzitium. Wer sich ihm unterzieht, wird von der kristallinen Sprache gefangengenommen, mit der der Exerzitienmeister Bieri nach und nach die verschiedenen, nicht selten gegenläufigen Intuitionen der Freiheit klärt.

Rasch wird klar, daß man sich die Freiheit falsch zurechtlegt, wenn man glaubt, sie für die Gesamtheit des Willens und ein für allemal mit einem Ja oder Nein beantworten zu können. Während Habermas annimmt, ein "Hadern" mit der genetisch fixierten Absicht einer dritten Person sei anders als bei der Sozialisation "ohne Ausweg", pocht Bieri auf die grundsätzlich produktive, jedenfalls nie von vornherein die Freiheit negierende Bedeutung des Haderns. Stets gebe es bei der Willensbildung "tausend Schattierungen des Übergangs, wo nicht klar ist, ob es treffender ist, von Freiheit zu sprechen als von Unfreiheit". Hadern widerlegt nicht den Handlungsspielraum, sondern bestätigt ihn. Solange wir hadern, gibt es einen Ausweg.

Wenn dem so ist, droht aber auch der moralisch relevante Unterschied zwischen den Zwängen der Sozialisation und jenen der genetischen Manipulation zu verwischen, auf den Habermas seine Ablehnung von merkmalsverändernden Eingriffen gründet. Ist nicht auch die Erziehung auf ihre Art "irreversibel"? Und erweist sich nicht in beiden Fällen das Ideal der "Reziprozität von Ebenbürtigen" als Illusion? Die genetisch fixierte Absicht einer dritten Person erscheint, so gesehen, nicht "auswegloser" als die Sozialisation durch Erziehung, der gegenüber ja auch mal mehr und mal weniger Distanz gelingt. Warum bringt Habermas den therapeutischen Optimismus, den er im Falle von Sozialisationsgeschädigten walten läßt, nicht auch gegenüber jenen Leuten in Anschlag, die mit ihrem genetischen Schicksal hadern könnten? Müßte er nicht auch ihnen zugute halten, was für den Rest der Welt ganz fraglos vorauszusetzen sei: "Selbst neurotische Fixierungen lassen sich analytisch, durch die Erarbeitung von Einsichten auflösen"?

Man ahnt intuitiv, daß die Parallele von Erziehung und Eugenik nicht stimmig ist. Aber Habermas kann den Unterschied, auf den es ankäme, mit seinem begrifflichen Instrumentarium nicht plausibel machen. Zwar hat er mit seinem neuen Buch die bisherigen Grenzen dieses Instrumentariums gesprengt. Aber einen neuen Grund, auf den man bauen könnte, hat er nicht gelegt. Seine Intuition der "Abscheu" gegenüber der genetischen Instrumentalisierung des Menschen erklären zu können, verlangt offenbar nach anderen Gründen als den vorgebrachten. Unsere Gefühle bleiben aufgescheucht.

Jürgen Habermas: "Die Zukunft der menschlichen Natur". Auf dem Weg zu einer liberalen Eugenik? Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2001. 128 S., br., 28,- DM.

Peter Bieri: "Das Handwerk der Freiheit". Über die Entdeckung des eigenen Willens. Carl Hanser Verlag, München 2001. 446 S., geb., 49,80 DM.

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