Eine Stadt, in der Ordnung und Perfektion so übertrieben werden, dass es schon ins Krankhafte ausartet... Ein Waisenhaus, hinter dem sich das Böse verbirgt...
Diese Grundideen sind vielleicht nicht ganz neu, werden aber sehr originell und mit bitterbösem Humor umgesetzt. Die Autorin bringt eine
Vielzahl wirklich neuer, witzig abstruser, interessanter Ideen ein und baut dabei geschickt immer…mehrEine Stadt, in der Ordnung und Perfektion so übertrieben werden, dass es schon ins Krankhafte ausartet... Ein Waisenhaus, hinter dem sich das Böse verbirgt...
Diese Grundideen sind vielleicht nicht ganz neu, werden aber sehr originell und mit bitterbösem Humor umgesetzt. Die Autorin bringt eine Vielzahl wirklich neuer, witzig abstruser, interessanter Ideen ein und baut dabei geschickt immer mehr Spannung und unterschwellige Bedrohung auf, und das ganz ohne Gemetzel und unnötige Brutalität. (Jedenfalls in den ersten zwei Dritteln des Buches, aber dazu später.) Das fand ich großartig und auch sehr kindgerecht! Die Geschichte verläuft eher langsam, aber mir gefiel gerade dieses Ruhige, Bedächtige,das sich schleichend zum Albtraum entwickelt...
Aber vor allem habe ich mich schnell in Victoria verliebt, auch wenn die auf den ersten Blick kein sehr liebenswertes Kind ist. Ihr Ziel im Leben ist es, perfekt zu sein - in allem, was sie tut. Perfekte Noten, perfektes Aussehen, perfekte Manieren. Sie liebt es, besser zu sein als andere und weidet sich daran, wenn sie ihre größte Konkurrentin demütigen kann. Freunde macht sie sich so nicht, aber Freunde will sie ohnehin nicht haben, das ist ihr viel zu viel Durcheinander, mit diesen lästigen, unbequemen Gefühlen, die sie lieber vermeidet. Auch mit Lawrence freundet sie sich nicht etwa an, weil sie ihn gernhat, sondern weil sie ihn als Projekt sieht: sie will den chaotischen Tagträumer, der sich nie das Hemd in die Hose steckt und lieber seine alberne Musik macht, statt nützliche Dinge zu lernen, umerziehen, bis er so perfekt ist wie sie.
Im Laufe des Buches muss sie erst lernen, dass es wichtigere Dinge gibt als Manieren, und dass es durchaus gute Gründe gibt, Regeln zu brechen oder zumindest zu hinterfragen. Der Leser sieht ihr dabei zu, wie sie den Wert der Freundschaft und ihre eigene Individualität entdeckt, wie sie zu mehr wird als nur zu Victoria, der Musterschülerin. Und für ein Kinderbuch fand ich das eine sehr passende, schöne Botschaft.
Die Erwachsenen sind hölzerne, beinahe roboterhafte Gestalten, die sklavisch den Regeln folgen, die in Belleville gelten - dafür gibt es allerdings gegen Ende des Buches eine gute Erklärung, es ist also durchaus gewollt! Dennoch fand ich es manchmal schade, wie blass beinahe alle Charaktere außer Victoria blieben.
Den Schreibstil fand ich wunderbar, vor allem den staubtrockenen, bösen Humor, der aus beinahe jeder Seite klingt und doch spurlos an Victoria vorübergeht. Die Autorin beschreibt die Dinge eher klar und einfach, aber doch eindringlich, vor allem die bedrohlichen Geschehnisse - wie die unzähligen Schaben, die auf einmal in der ganzen Stadt herumwuseln, oder die dunklen Schemen, die gegen trübe Glasscheiben hämmern...
Nach den ersten zwei Dritteln des Buches war ich überzeugt, ein neues Lieblingsbuch in der Hand zu haben. Aber ab einen gewissen Punkt wurde die Geschichte nicht nur skuriller, sondern leider auch ekliger und verstörender und in meinen Augen zu grausam für Kinder. Das Buch wird für junge Leser ab 12 empfohlen, aber ich war als erwachsene Leserin manchmal schockiert. Ok, wäre das Buch ein Thriller oder Horrorroman für Erwachsene, hätte ich vielleicht über dieselben Dinge nur müde gelächelt, aber es ist ein Kinderbuch, und eines, das mit so einem schönen, harmlosen Grusel und kindgerechten Botschaften anfängt! Da kam manches unerwartet wie ein heftiger Schlag ins Gesicht. Was gegen Schluss passiert, ist einfach bizarr und grausam, und als Kind hätte ich davon wahrscheinlich Albträume bekommen!
Das Ende fand ich für ein Kinderbuch extremst verstörend, und es bietet meiner Meinung nach auch keine kindgerechte Lösung, die es dem jungen Leser erlauben würde, mit der Geschichte abzuschließen und klarzukommen.
Außerdem blieb für meinem Geschmack zu vieles unerklärt, und eine Sache ganz am Schluss erschien mir sehr aufgesetzt und klischeehaft.