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Gab es im Mittelalter ein Herrenrecht der ersten Nacht (jus primae noctis)? Jörg Wettlaufer diskutiert diese Frage aus rechtshistorischer und anthropologischer Sicht. Richtungsweisend ist dabei weniger die Verortung des Herrenrechts zwischen Mythos und Realität als die Suche nach Ursprung, Entwicklung und Bedeutung des Glaubens an ein solches Recht. Im Spannungsfeld von literarischem Topos, mittelalterlicher Rechtssymbolik und den Heiratsabgaben der ländlichen Bevölkerung an ihre Herren entsteht ein lebendiges Bild des sozialen Konflikts zwischen niederem Adel und Bauern im 15. und frühen 16.…mehr

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Produktbeschreibung
Gab es im Mittelalter ein Herrenrecht der ersten Nacht (jus primae noctis)? Jörg Wettlaufer diskutiert diese Frage aus rechtshistorischer und anthropologischer Sicht. Richtungsweisend ist dabei weniger die Verortung des Herrenrechts zwischen Mythos und Realität als die Suche nach Ursprung, Entwicklung und Bedeutung des Glaubens an ein solches Recht. Im Spannungsfeld von literarischem Topos, mittelalterlicher Rechtssymbolik und den Heiratsabgaben der ländlichen Bevölkerung an ihre Herren entsteht ein lebendiges Bild des sozialen Konflikts zwischen niederem Adel und Bauern im 15. und frühen 16. Jahrhundert, in dem das Herrenrecht der ersten Nacht eine vornehmlich symbolische Rolle spielte. Unveränderter Nachdruck

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Autorenporträt
Jörg Wettlaufer, Dr. phil., ist Historiker und Koordinator für Digitalisierung und Datenkuration an der Universität Göttingen.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

In einer sehr instruktiven Kritik lässt Michael Borgolte zunächst den Mythos des „ius primae noctis“ Revue passieren. Ob tatsächlich Herren in Europa ein „Recht“ auf die erste Nacht mit Angetrauten der Untertanen je gehabt haben, ist danach aber sehr fragwürdig, obwohl einige Quellen darauf zu verweisen scheinen. Tatsächlich gehört dieser Mythos, so Borgolte, wohl zu den „Stereotypen der Fehlwahrnehmung des Mittelalters“, die besonders von den französischen Aufklärern zum Argument gegen den Feudalismus gemacht wurden. Wettlaufers Buch stellt nach Borgolte „höchste Ansprüche“, denen es aber nicht gerecht werde. Es stört den Rezensenten, dass Wettlaufer die „Ursprünge“ des Mythos aufspüren wolle, ein Bemühen, das an sich schon „irreleitend“ und anachronistisch sei. Anregend findet Borgolte aber, dass Wettlaufer auch die Soziobiologie und Humanethologie zur Aufklärung des Themas heranzieht. Großen Mut beweise Wettlaufer mit der These über eine „anthropologische Konstante“, nach der sich auch im monogamen Europa die Macht der „Alphamännchen“ mit Polygamie zu koppeln scheine.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.11.1999

Der Holterdiepolterabend der Historie
Die Suche nach der ersten ersten Nacht kann nur in die Irre führen / Von Michael Borgolte

Von Catalonia muss ich noch eins erzählen, welches darin gebräuchlich gehalten wird. Die Edelleute schlafen die erste Nacht bey ihrer Bauern Bräuten." Der schlesische Patrizier Nikolaus von Popplau wunderte sich noch im Nachhinein, was er auf seiner Tour durch Europa 1483-1486 erfahren hatte. Allerdings hatte Nikolaus wohl nichts selbst beobachtet und anscheinend auch versäumt, genauer nachzufragen; offenbar hatten ihm katalanische Bauern zugetragen, was sie ihren Herren vorwarfen, diese aber vehement bestritten. Erst zwanzig Jahre vorher war von den Bauern vor Gericht gefordert worden, dass der Patron in der Hochzeitsnacht nicht mit ihren Bräuten schlafen dürfe. In der Klageschrift selbst ist von einem "Recht der ersten Nacht" nicht die Rede, dafür aber von einem Ritual, das zur Gewalt gegen Frauen verführte. Zum Zeichen seiner Herrschaft steige der Feudalherr am Vorabend des Hochzeitsfestes über die im Bette liegende Frau hinweg; dies sei für die Bauern eine große Erniedrigung, gebe den Herren aber auch noch "eine Gelegenheit für Böses". Zersprengte in solchen Vergewaltigungen nicht nur sexuelle Gier die schwache Sozialkontrolle des Rituals, sondern brach dabei noch auf, was schon undenkbar geworden war: dass der Herr ein Recht auf die Entjungferung hatte, wann immer seine abhängigen Bauern die Ehe vollziehen wollten?

Seitdem fromme Editoren im späten siebzehnten Jahrhundert das Wort vom "ius primae noctis" prägten, gehört es zu den Stereotypen der Fehlwahrnehmung des Mittelalters. Denn tatsächlich konnte bis heute nicht nachgewiesen werden, dass es ein solches Recht überhaupt gegeben hat. Allerdings ist unbestreitbar, dass schon im Mittelalter die Existenz des Rechtes wiederholt behauptet wurde und sich zur Erpressung von Heiratsabgaben nutzen ließ. So hielt der Herr Jehan von La Rivière-Bourdet (Département Seine-Maritime) 1419 fest: "Am genannten Ort bin ich auch berechtigt, von meinen Leuten und anderen, wenn sie auf meinem Gebiet heiraten, sechs Sous zu erheben und dazu eine Schweinsseite in der ganzen Länge vom Rückgrat bis zum Ohr - den Schwanz deutlich eingeschlossen - zusammen mit einer Gallone Getränk, wie es auf einer Hochzeit üblich ist. Oder ich kann und muss, wenn es mir gefällt, mit der neu vermählten Frau schlafen gehen, falls mir oder meinem Vertreter weder ihr Mann noch jemand für ihn eine der genannten Sachen liefert."

In nachmittelalterlicher Zeit haben solche Zeugnisse immer wieder Gelegenheit gegeben, die Gegenwart vor dem Hintergrund einer dunklen Vergangenheit leuchten zu lassen. So stellte ein Zürcher Gerichtsherr des späten siebzehnten Jahrhunderts über das Herrenrecht befriedigt fest: "Dises hat die Reformation ufgehebet." Vor allem aber hat die französische Aufklärung seit Voltaire den Feudalismus der alt gewordenen Herrschaftsordnung mit dem "Recht der ersten Nacht" bloßgestellt. Auf das seit dem neunzehnten Jahrhundert so genannte "Herrenrecht", für das in Frankreich auch der Ausdruck "Vorkostrecht" geläufig war, mag die Überlieferung zwar nur spärliche Hinweise geben, "maßlos überschätzt" (Edith Ennen) ist es deshalb aber nicht. Es bietet einen Spiegel der Vergangenheit, vor dem die modernen Menschen ihre eigene Welt in Ordnung zu bringen suchen.

Kein Wunder, dass sich unter diesen Voraussetzungen zuletzt weniger Historiker als Sozialwissenschaftler und Ethnologen mit dem "Recht der ersten Nacht" beschäftigt haben. Die Sexualwissenschaft hatte es schon am Beginn unseres Jahrhunderts mit dem "sexual harassment" in Beziehung gesetzt, das als Ausnützung von Machtverhältnissen am Arbeitsplatz geläufig ist; die feministische Forschung identifizierte das mittelalterliche Herrenrecht in jüngerer Zeit als Vergewaltigung. Die Anthropologie befasst sich auch mit dem verwandten Phänomen der rituellen Defloration in anderen Kulturen. Bereits spätmittelalterliche Reisende in den Orient hatten diesen Brauch beobachtet. So berichtet der Ritter von Mandeville im vierzehnten Jahrhundert von einer Insel, auf der die Ehemänner den ersten Beischlaf mit ihrer Frau einem "armen Knecht" überließen, und Ludovico de Varthema aus Bologna erzählte 1510 von Calicut an der indischen Westküste: "Es scheint mir ganz lustig, die Sitten und Gebräuche der Priester zu vermerken, die dort Stellung der vornehmsten Kleriker bei uns innehaben. Wenn der König eine Frau nimmt, dann schläft er nicht bei ihr, bevor ihr nicht der angesehenste Priester die Jungfräulichkeit genommen hat; das tun die Kleriker aber nicht umsonst, vielmehr gibt der König einem noch fünfhundert Gulden Lohn dazu." Ähnliche Berichte über Priester, die neu vermählte Frauen deflorierten, kennt man auch von Indianern und natürlich aus der Antike (Priapos-Kult). Als Hintergrund des Brauchs wird eine mythologisch fundierte Angst vor dem Vaginalblut und damit verbunden vor dem ersten Geschlechtsverkehr mit einer Jungfrau vermutet. Einen Vergleich der rituellen Defloration durch Häuptlinge in rezenten Kulturen mit dem mittelalterlichen Herrenrecht der ersten Nacht hat schon 1941 Marc Bloch empfohlen.

Nun hat sich Jörg Wettlaufer aus Kiel dieses Themas angenommen, das wegen der schmalen Überlieferung, der heiklen Wertfragen, einer komplexen Forschungsgeschichte und der Anforderungen an transdisziplinäres Denken höchste Ansprüche stellt. Ihnen war der junge Historiker trotz beachtlicher Gelehrsamkeit leider nicht gewachsen. Mühselig arbeitet sich der Verfasser über weite Strecken durch zahlreiche Detailprobleme, ohne seine Leser durch attraktive Beweisziele zu fesseln, und angestrengt hält er das Ganze durch formale Querverweise und andere "Regiebemerkungen" zusammen. Am Ende hat er wohl selbst die Geduld mit seinem Buch verloren; wie sonst wäre es zu erklären, dass grammatikalische und orthographische Fehler nach Hunderten zählen?

Die Fragestellung des Werkes ist anachronistisch. Wettlaufer forschte zwar nicht mehr nach der praktischen Realisierung des "Herrenrechtes", aber er wollte ermitteln, welchen Ursprung die Vorstellung von einem solchen Recht im Mittelalter hatte. Ursprünge sind zwar nach dem Wort eines berühmten Kritikers der Geschichte die "Idole der Historiker", und die Fixierung auf sie verbindet diese mit ihren schärfsten Konkurrenten, den Mythenerzählern. Aber sie zu ergründen ist unmöglich, das Bemühen selbst irreleitend und wenig ergiebig. Hat nicht schon Droysen im neunzehnten Jahrhundert festgestellt, es sei eine bloße Abstraktion oder ein Trugschluß zu glauben, dass wir forschend zu einem Anfang des Gewordenen gelangen können, dem doch immer ein anderes vorausliege? "Noch bedenklicher", fügte er hinzu, "würde die Illusion, wenn man so nach dem Anfang suchen wollte in der Meinung, da das Wesen der Sache, den eigentlichen Lebenskern, aus dem diese Entwicklung hervorging, finden zu sollen." Genau darum aber geht es Wettlaufer, um "den Bedeutungskern des Herrenrechts der ersten Nacht", wie er programmatisch sagt.

Wettlaufer rechnet also nicht mit Anfängen, mit "Anfang" also im Plural, sei es durch Neuansätze alter Bräuche im historischen Wandel, sei es in Durchmischungen verschiedener Motive und historischer Kräfte. Deshalb haftet auch seiner Hauptthese etwas Gewaltsames an; sie bezieht sich auf den "eigentlichen Ursprung der Verbindung zwischen den später bei der Heirat einer Tochter zu zahlenden Abgaben und dem vermeintlichen Vorrecht des Herrn auf das erste Beilager". Im germanischen Rechtskreis war es üblich, dass der Ehemann bei der Vermählung die Schutzherrschaft über seine Frau erwarb; er zahlte ihr einen Geldbetrag, der sein Anrecht auf Heimführung und Beilager begründete. Wenn eine freie Frau einen unfreien Mann heiratete, musste es der Herr des Mannes sein, der das Brautgeld entrichtete. Aus einer langobardischen Urkunde von 721 geht hervor, dass eine durch Heirat unfrei gewordene Frau ihren Töchtern das Recht vorbehielt, im Fall eigener Vermählung das von ihr ererbte Muntgeld an den Herrn zurückzuzahlen. Durch diese Heiratsabgabe hätten sich, so Wettlaufer, die jungen Frauen vom Recht der ersten Nacht freikaufen können; dieses habe dem Herrn zugestanden, weil er einst für den unfreien Bräutigam der Frau das Brautgeld gezahlt hatte. Der Autor will die nicht dicht, aber doch in mehreren Ländern Europas verstreut bezeugte Vorstellung von einem "Recht der ersten Nacht" mit dem einzigen, sehr spezifischen Rechtsgeschäft erklären. Das ist offenkundig unhaltbar, und zu Recht spricht Wettlaufer selbst nur von einer "interessanten Assoziationskette". Anregender ist sein Versuch, Erkenntnisse der Soziobiologie und Humanethologie heranzuziehen. Tatsächlich scheint das mittelalterliche Herrenrecht recht gut zu den Befunden der Anthropologie zu passen, dass selbst in monogamen Gesellschaften "sich die Mächtigen in der Regel eines erweiterten sexuellen Zugangs zu jungen Frauen oder zumindest eines Monopols bei deren Verheiratung" erfreuten (Robin Fox). Mit der These, dass das Recht der ersten Nacht demnach nur spezifischer Ausdruck einer anthropologischen Konstante sei, nämlich der engen Korrelation von Macht und Polygynie, hat der Verfasser großen Mut bewiesen. Wenig erhellend fällt aber sein Versuch aus, das Sexualverhalten mächtiger Männer mit dem von Alpha-Männchen in Affenrudeln zu vergleichen, so überzeugend die neuere Forschung sonst dargetan hat, dass Historiker "anthropologische Forschungsergebnisse nicht ignorieren dürfen, wenn sie von der Einheit der Welt überzeugt sind" (Johannes Fried).

Eher geschadet hat Wettlaufer seiner Sache wohl mit der Entscheidung, die rituelle Defloration vom "Recht der ersten Nacht" ganz abzutrennen. Er behauptet, das Entjungferungsritual sei der abendländischen Welt völlig fremd, und weist darauf hin, dass es das Einverständnis mit der Familie der Braut voraussetzte und durch diese "Freiwilligkeit" im Gegensatz zum Zwang gegenüber dem Brautpaar im Herrenrecht stehe. Dabei geht er freilich darüber hinweg, dass in einigen Zeugnissen ausdrücklich davon die Rede ist, dass der Herr den Beischlaf vollziehen müsse, und zwar nicht nur im normannischen La Rivière-Bourdet. So wird um 1100 im "Buch von der falben Kuh" aus Irland von einem mythischen König Conchobor berichtet, der "sich nicht weigern" konnte, mit den Mädchen seiner Provinz zu schlafen, und wegen dieses Brauchs mit einem wild entschlossenen Verteidiger seiner Frau in einen schweren Konflikt geriet. Und im vierzehnten oder fünfzehnten Jahrhundert hielt sogar eine französische Rechtssammlung fest, dass in Brathueil im Baillage von Senlis sich der Herr bei der Verheiratung seiner Lehnsleute die Pflicht zum Beischlaf mit der Frau in der ersten Nacht für fünf Sous abkaufen lassen könne. Der Vergleich mit der rituellen Defloration in Calicut oder anderswo liegt hier nahe, wenn die Analogien auch nicht lückenlos sind.

So fragt es sich, ob nicht die traditionelle Rede vom "Recht der ersten Nacht" irreführt und auch eine "Pflicht" der Feudalherren zur ersten Nacht in Betracht gezogen werden muss. Eine solche Ambivalenz von Recht und Pflicht würde sehr gut zum Gesamtcharakter des Verhältnisses von Lehnsherrn und Lehnsmann im Feudalismus passen. Vor allem aber würde mit einem derartig erweiterten Verständnis des angeblichen "Rechts der ersten Nacht", das wenig beachteten Nuancen der Überlieferung Rechnung trägt, die simple Rückprojektion aktueller Gewaltverhältnisse über Frauen in eine Vergangenheit erschwert, die eben nicht schon immer so gewesen sein muss wie die Gegenwart.

Jörg Wettlaufer: "Das Herrenrecht der ersten Nacht". Hochzeit, Herrschaft und Heiratszins im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Campus Verlag, Frankfurt am Main 1999. 430 S., 20 Abb., br., 98,- DM.

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