In einer weit entfernten Zukunft hat die Menschheit die Galaxie besiedelt und ein gewaltiges Sternenreich errichtet. Seit vielen Hundert Jahren befindet sich das Imperium im Krieg gegen die außerirdische Zivilisation der Cielcin, die mit ihren gewaltigen Eisschiffen bereits Tausende Planeten zerstört haben - einem Krieg, in dem sich Hadrian Marlowe als Held hervorgetan hat. Umso schwerer wiegt sein Verrat, wegen dem er auf seine Hinrichtung wartet: Er hat ein ganzes Sonnensystem ausgelöscht. Nun, kurz vor seinem Tod, erinnert sich Hadrian an sein Leben. Dies ist seine Geschichte …
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.01.2019All die Retter und Zerstörer
Christopher Ruocchios "Sonnenfresser"-Saga
Wer ist dieser Hadrian Marlowe? Sehr viel ist über sein Leben nicht zu erfahren. Eingekerkert wartet er auf seine Hinrichtung, hat offenbar Menschheitsrettendes vollbracht, Verbrecherisches ebenso, eine Sonne zerstört, den Tod unzähliger Leben zu verantworten. Und schreibt gerade seine Erinnerungen, deren ersten Teil er nun zugänglich gemacht hat.
Das ist der Rahmen, mit dem der junge amerikanische Autor Christopher Ruocchio seine "Sonnenfresser"-Saga umzogen hat. Der Auftaktband "Das Imperium der Stille" ist ein wirklich glänzendes Debüt. Die Menschheit hat das Universum besiedelt, sich verteilt über Zigtausende Planetensysteme, aufgegliedert in vererbbare Hierarchiestufen, zementiert von einem autokratischen Herrschaftsgebilde, dessen Macht auf Angst und Technologie fußt: Wer dem Adel angehört, darf genetisch so verändert werden, dass er resistent gegen viele Volkskrankheiten ist, eine deutlich längere Lebenserwartung hat als die niederen Klassen und ihnen körperlich überlegen ist. Hadrian Marlowe wächst als Sohn eines Adligen mittleren Ranges auf - also per Geburt unglaublich chancenreich. Einerseits.
Andererseits leidet er. An der Rivalität mit seinem Bruder. Unter der mangelnden Anerkennung und Zuneigung seiner Eltern. An der dauerhaften Abwesenheit seiner Mutter. Und der inneren Auseinandersetzung darüber, was er wollen möchte und wollen sollte. Sein in Aussicht stehendes Erbe ist für ihn mehr ein goldener Käfig als erfüllende Verheißung - ein Leben als wissenschaftlicher Erkunder des Unbekannten (das ist nicht nur geographisch gemeint) versagt ihm der Vater. Als er ihn zum Erfüllungsgehilfen der interplanetaren Inquisition ausbilden lassen möchte, eskaliert der Widerstand des Sohnes und wird zur Flucht. Und dem Beginn einer bemerkenswerten Reise, die ihn Lichtjahre weit weg von zu Hause bringen wird, aus der Adelsklasse vorübergehend in eine sklavenähnliche Position, ihn Hunger leiden und den Tod von Freundinnen erleben lässt.
Ruocchio beschreibt ein gewaltiges Panorama, mit manchmal zu viel Liebe zum Detail, zeichnet die äußere und innere Entwicklung eines Aufbrechenden und Suchenden haarklein nach, wie der ums Leben kämpft und bisweilen ums Überleben. Vergleiche zu Frank Herberts epischer "Wüstenplanet"-Reihe drängen sich nicht zufällig auf, ähnlich wie Pierce Brown ("Red Rising") schreibt Ruocchio auf dem ergiebigen Ideenübergang zwischen Science-Fiction und Fantasy. Dass ihn J. R. R. Tolkiens "Herr der Ringe"-Epos mit sozialisierte, fällt hin und wieder durchaus auf, sein Interesse an der Antike umso mehr, an Römischem und Byzantinischem.
Wesentlich unterscheidet sich Ruocchios Debüt indes durch die nahezu allgegenwärtige Ruhe. Hier prallen keine zerstörerischen Zivilisationen brutal aufeinander, gibt es keine monumentalen Weltraumschlachten, die den Kampf Gut gegen Böse versinnbildlichen, geschieht - und das ist ganz erstaunlich - an und für sich nichts Schicksalsträchtiges, wenigstens wirkt das nicht so; weder Marlowes Duell mit seinem Bruder noch sein Zweikampf mit dem deformierten Nachkommen einer ihn zutiefst hassenden Inquisitionsoberen.
Umso mehr Raum bekommen Dialoge mit seinem Lehrer, seiner ersten Liebe, seiner Vorbildforscherin. Der jahrhundertelange Krieg jedenfalls, den die Menschen gegen die außerirdischen Cielcin führen, die lose der Migration der Goten ins Römische Reich nachempfunden scheinen, ist weit weg, schemenhaft, erreicht uns erst am Ende dieses Bandes in konkreten Personen. Und konfrontiert auch eben jenen noch jungen, hoffnungsfrohen, idealistischen Marlowe, der die Lösung in der Verständigung sucht und daran glaubt, dass hier ein siegreiches Ende möglich ist, auch ohne dass eine der beiden Seiten siegt. Der zuerst den anderen sieht und nicht den Gegner.
Seine Haltung wird sich wohl ändern, verheißt Ruocchio. Das ergibt sich schon aus der Erzählperspektive. Wie sehr, lässt sich nicht vorhersagen. Wer ist dieser Hadrian Marlowe? Der Autor selbst stellte seinen Helden im Gespräch mit dieser Zeitung unlängst als Aufeinandertreffen des britischen Romantikers Lord Byron, der den Griechen im Kampf gegen das Osmanische Reich half, und der "Star Wars"Hauptfigur Darth Vader vor. Als kommenden Vernichter und Retter also. Als Test-Projektionsfläche, auf der wir sehen können, wo das eine beginnt und das andere endet. Vielleicht. Jedenfalls hat Ruocchio allemal verdient, dass wir erst einmal weiterlesen.
ALEXANDER ARMBRUSTER
Christopher Ruocchio:
"Das Imperium der Stille". Roman.
Aus dem Englischen von Kirsten Borchardt. Heyne Verlag, München 2018.
992 S., br., 16,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Christopher Ruocchios "Sonnenfresser"-Saga
Wer ist dieser Hadrian Marlowe? Sehr viel ist über sein Leben nicht zu erfahren. Eingekerkert wartet er auf seine Hinrichtung, hat offenbar Menschheitsrettendes vollbracht, Verbrecherisches ebenso, eine Sonne zerstört, den Tod unzähliger Leben zu verantworten. Und schreibt gerade seine Erinnerungen, deren ersten Teil er nun zugänglich gemacht hat.
Das ist der Rahmen, mit dem der junge amerikanische Autor Christopher Ruocchio seine "Sonnenfresser"-Saga umzogen hat. Der Auftaktband "Das Imperium der Stille" ist ein wirklich glänzendes Debüt. Die Menschheit hat das Universum besiedelt, sich verteilt über Zigtausende Planetensysteme, aufgegliedert in vererbbare Hierarchiestufen, zementiert von einem autokratischen Herrschaftsgebilde, dessen Macht auf Angst und Technologie fußt: Wer dem Adel angehört, darf genetisch so verändert werden, dass er resistent gegen viele Volkskrankheiten ist, eine deutlich längere Lebenserwartung hat als die niederen Klassen und ihnen körperlich überlegen ist. Hadrian Marlowe wächst als Sohn eines Adligen mittleren Ranges auf - also per Geburt unglaublich chancenreich. Einerseits.
Andererseits leidet er. An der Rivalität mit seinem Bruder. Unter der mangelnden Anerkennung und Zuneigung seiner Eltern. An der dauerhaften Abwesenheit seiner Mutter. Und der inneren Auseinandersetzung darüber, was er wollen möchte und wollen sollte. Sein in Aussicht stehendes Erbe ist für ihn mehr ein goldener Käfig als erfüllende Verheißung - ein Leben als wissenschaftlicher Erkunder des Unbekannten (das ist nicht nur geographisch gemeint) versagt ihm der Vater. Als er ihn zum Erfüllungsgehilfen der interplanetaren Inquisition ausbilden lassen möchte, eskaliert der Widerstand des Sohnes und wird zur Flucht. Und dem Beginn einer bemerkenswerten Reise, die ihn Lichtjahre weit weg von zu Hause bringen wird, aus der Adelsklasse vorübergehend in eine sklavenähnliche Position, ihn Hunger leiden und den Tod von Freundinnen erleben lässt.
Ruocchio beschreibt ein gewaltiges Panorama, mit manchmal zu viel Liebe zum Detail, zeichnet die äußere und innere Entwicklung eines Aufbrechenden und Suchenden haarklein nach, wie der ums Leben kämpft und bisweilen ums Überleben. Vergleiche zu Frank Herberts epischer "Wüstenplanet"-Reihe drängen sich nicht zufällig auf, ähnlich wie Pierce Brown ("Red Rising") schreibt Ruocchio auf dem ergiebigen Ideenübergang zwischen Science-Fiction und Fantasy. Dass ihn J. R. R. Tolkiens "Herr der Ringe"-Epos mit sozialisierte, fällt hin und wieder durchaus auf, sein Interesse an der Antike umso mehr, an Römischem und Byzantinischem.
Wesentlich unterscheidet sich Ruocchios Debüt indes durch die nahezu allgegenwärtige Ruhe. Hier prallen keine zerstörerischen Zivilisationen brutal aufeinander, gibt es keine monumentalen Weltraumschlachten, die den Kampf Gut gegen Böse versinnbildlichen, geschieht - und das ist ganz erstaunlich - an und für sich nichts Schicksalsträchtiges, wenigstens wirkt das nicht so; weder Marlowes Duell mit seinem Bruder noch sein Zweikampf mit dem deformierten Nachkommen einer ihn zutiefst hassenden Inquisitionsoberen.
Umso mehr Raum bekommen Dialoge mit seinem Lehrer, seiner ersten Liebe, seiner Vorbildforscherin. Der jahrhundertelange Krieg jedenfalls, den die Menschen gegen die außerirdischen Cielcin führen, die lose der Migration der Goten ins Römische Reich nachempfunden scheinen, ist weit weg, schemenhaft, erreicht uns erst am Ende dieses Bandes in konkreten Personen. Und konfrontiert auch eben jenen noch jungen, hoffnungsfrohen, idealistischen Marlowe, der die Lösung in der Verständigung sucht und daran glaubt, dass hier ein siegreiches Ende möglich ist, auch ohne dass eine der beiden Seiten siegt. Der zuerst den anderen sieht und nicht den Gegner.
Seine Haltung wird sich wohl ändern, verheißt Ruocchio. Das ergibt sich schon aus der Erzählperspektive. Wie sehr, lässt sich nicht vorhersagen. Wer ist dieser Hadrian Marlowe? Der Autor selbst stellte seinen Helden im Gespräch mit dieser Zeitung unlängst als Aufeinandertreffen des britischen Romantikers Lord Byron, der den Griechen im Kampf gegen das Osmanische Reich half, und der "Star Wars"Hauptfigur Darth Vader vor. Als kommenden Vernichter und Retter also. Als Test-Projektionsfläche, auf der wir sehen können, wo das eine beginnt und das andere endet. Vielleicht. Jedenfalls hat Ruocchio allemal verdient, dass wir erst einmal weiterlesen.
ALEXANDER ARMBRUSTER
Christopher Ruocchio:
"Das Imperium der Stille". Roman.
Aus dem Englischen von Kirsten Borchardt. Heyne Verlag, München 2018.
992 S., br., 16,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main