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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Das Netz muss erst noch wirklich lebendig werden: Künftig wird der Mensch mit der Natur internetgestützte Zwiesprache halten, davon ist Alexander Pschera überzeugt.
Von Helmut Mayer
Die amerikanischen Monarchfalter fliegen vom Ort ihres Ausschlüpfens in Mexiko Hunderte Kilometer nach Norden. Die nächste Generation setzt diese Reise fort, und die dritte oder vierte erreicht das Gebiet der Großen Seen. Die nun folgende Generation aber kehrt wieder zurück, über Tausende Kilometer, in das kleine Gebiet in Mexiko, wo dieser wundersame Zyklus begann. Diese Falter sind nicht die einzigen Insekten, die einen solchen Generationen übergreifenden Migrationszyklus aufweisen.
Man weiß, dass solches Wanderverhalten die gute Nutzung von Nahrungsquellen ermöglicht. Auch den Orientierungsmechanismus der Insekten kennt man grob, und Tricks, die manche von ihnen benutzen, wie die Benutzung von Strömungen in hohen Luftschichten; und dass mit dem Wanderverhalten des Monarchfalters zwar viele Gene zu tun haben, aber die Mutation eines einzigen offenbar darüber entscheidet, ob dieses Verhalten sich einstellt.
Das ist zwar nicht wenig. Aber natürlich wüsste man gern genauer, wie sich solche Zyklen herausbilden. Hätte man dann nicht vor Augen, wie sich das genomische Netzwerk der Falter in größeren Netzwerken justiert, in denen geographische, klimatische und erdgeschichtliche Zusammenhänge zum Ausdruck kommen? Oder gleich emphatischer formuliert: Würden wir dann nicht der Einsicht in einen lebendigen Naturzusammenhang, dem sich genau genommen keine Grenzen ziehen lassen, einige Schritte näher kommen?
Auf einen Monarchfalter stößt man im Bildteil von Alexander Pscheras Buch. Nicht auf irgendeinen, sondern auf ein "besendertes" Exemplar. Denn so kleine und leichte GPS-Sender lassen sich inzwischen herstellen, dass sie sogar Insekten appliziert werden können. Sie sind der miniaturisierte Extremfall einer Technik, mit der sich Tiere mittlerweile verfolgen lassen. Und nicht nur der Ort wird mit etwas aufwendigeren Sensoren aufgezeichnet, sondern auch physiologische Daten des Tiers und Parameter der Umgebung, etwa die Temperatur, lassen sich übermitteln.
Nüchtern betrachtet, ist das eine Technik zur Erforschung tierischer Verhaltensweisen. Sie bringt Biologen oft verblüffende Aufschlüsse darüber, wie sich diese Tiere in ihren Habitaten einrichten und durchschlagen. Aber die im engeren Sinn wissenschaftliche Nutzung dieser Technik überschneidet sich mit einem weiter ausgreifenden Gebrauch: Die Informationen fließen nicht bloß in wissenschaftliche Datenbanken, sondern werden einem Publikum zugänglich gemacht, das auf Computer und Smartphone die Wege der besenderten Tiere verfolgt; Vögel etwa oder auch Säugetiere, deren Positionsdaten, angereichert mit Informationen aus Beobachtungen, zum Grundgerüst von nachverfolgbaren tierischen Lebensgeschichten werden können. So wie unsere eigene, nicht nur animale Lebensgeschichte offenläge, führte man die Daten zusammen, die wir über unsere mobilen Internetgeräte generieren.
Das ist der Ansatzpunkt für Alexander Pscheras "Internet der Tiere". Die einige zehntausend Tiere, die mittlerweile bereits einen Sender tragen, sind für ihn bloß ein Anfang. Denn was diese Technik zeige und ermögliche, das sei ein sich wandelndes Verhältnis der Menschen zu wilden Tieren. Womit gar nicht so sehr die Einsichten und Modelle der Biologen gemeint sind, die von dieser Technik profitieren können - etwa auf dem Weg, die Genese des Migrationsverhaltens der Monarchfalter zu verstehen. Für Pschera geht es jenseits solcher Einsichten vielmehr darum, dass die Tiere zu einer neuen Darstellung finden. Und so hochgradig technologisch vermittelt diese Darstellung im Internet auch zustande kommt - sie ist für ihn doch unmittelbar und sinnlich konkret, schaffe eine wirkliche, von Empathie getragene Nähe zu den wilden Tieren. Verglichen nämlich mit den eingespielten Präsentationen von Tieren und selbst noch, daran hält der Autor fest, mit der Praxis der Tierbeobachtung in der freien Natur, etwa dem optisch hochgerüsteten Birdwatching.
Diese Volte, gerade eine gern als Instrument fataler Entfremdung von Natur hingestellte Technologie zum Agenten ihrer sinnlichen Wiedergewinnung zu machen, ist bei Pschera zentral. Sie spitzt eine Einsicht zu, der man sich schwer verschließen kann: Dass es angesichts der schnell voranschreitenden Zerstörung von tierischen Habitaten kaum mehr darauf ankommen wird, von Menschen unberührte Naturräume, also Wildnis, erhalten zu wollen, sondern vielmehr auf eine Form der Durchdringung von Natur mit avancierter Technologie. Oder anders formuliert: dass ein Natur- und insbesondere Naturschutzbegriff, der den strikten Ausschluss menschlicher Eingriffe fordert, überholt ist.
Die Sender und Kameras sind eine solche Technologie und Pschera schildert einige Beispiele, wie sie Tiere zu einer Darstellung verhelfen können, die menschliches Interesse an ihrem Auskommen und Überleben mobilisiert. Etwa dann, wenn es um die Auswilderung einer nachgezüchteten Vogelart wie dem Waldrapp geht, mit dem sogar der Flug über die Alpen in sein Sommerquartier trainiert werden muss. Oder mit Blick auf gefährdete Primaten, die über ihre Ortbarkeit via GPS-Sender gut zahlende Öko-Touristen anziehen könnten, was wiederum die Chancen ihres Überlebens gegen Wilderei und fortschreitende Habitatzerstörung erhöht.
Vor allem aber entwirft Pschera mit utopisierender Verve Fluchtlinien zukünftiger Entwicklung. Aus den besenderten Tieren werden schnell bloggende Tierindividuen, mit denen wir kommunizieren, statt ihnen bloß kreatürliche Einfühlung zuteil werden zu lassen. Am Horizont leuchtet die Idee einer neuen Sprache, die Mensch und Tier im Medium der Technik wieder verknüpft: das Internet der Tiere als der entscheidende Schritt über jenes der bloßen Dinge hinaus, mit dem der von Grund auf "organische" Charakter des Netzes erst zum richtigen Ausdruck kommt. Und kaum hat man sich's versehen, steht man vor drei grundlegend neuen Tierrechten, die mit dem Internet der Tiere verknüpft seien: Jedes Tier habe Anrecht darauf, eine Identität zu erhalten, vom Menschen gekannt und geschützt zu werden und in seinem Habitat optimale Lebensbedingungen vorzufinden.
Wozu man natürlich nur sagen kann: Dann mal los! Aber es wäre doch voreilig, den utopischen Impuls, dem Pschera ziemlich ungebremst folgt, einfach durch schnöden Realismus aus dem Feld zu schlagen. Oder ihn gleich auf die pragmatisch-nüchterne Einschätzung zurückzustutzen, die der von ihm zitierte renommierte Zoologe Joseph Reichholf formuliert: dass der digital vermittelte Kontakt mit Tieren allemal besser ist, als der Vorstellung einer unberührten Natur nachzuhängen. Denn auch wenn dieser Autor unübersehbar zu überstürzten Vollmundigkeiten neigt: Man erkennt noch und gerade an ihnen, dass er mit seinen Aussichten auf ein neues Tier-Mensch-Verhältnis virulente Fragen berührt. Informierte Science-Fiction hat auf diesem Terrain ein angestammtes Recht.
Alexander Pschera: "Das Internet der Tiere". Der neue Dialog zwischen Mensch und Natur.
Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2014. 187 S., Abb., geb., 19,90 [Euro].
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