Am Beispiel der französischen Presse untersucht die vorliegende Studie erstmals Entstehung und Entwicklung des journalistischen Interviews und liefert somit einen romanistischen Beitrag zur Geschichte einer zentralen journalistischen Darstellungsform. Im Zentrum der historischen Interview-Typologie, die mit den Methoden einer pragmatisch ausgerichteten Textlinguistik in exemplarischen Einzelanalysen gewonnen wird, steht die Visite: Sie basiert auf dem sozialen Handlungsmuster einer in der französischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts beheimateten Besuchskultur und sollte die Interview-Tradition in Frankreich über Jahrzehnte hinweg prägen. Zudem verdeutlicht die Visite, die die Anfänge der Texttradition in den 1860er Jahren markiert, die historische Verwandtschaft des Interviews mit der journalistischen Reportage und dem naturalistischen Roman. Dagegen wird die Bedeutung des Verhörs, das in der publizistischen Forschung bislang als historischer Prototyp des Interviews galt, zumindest für die französische Entwicklung deutlich relativiert.
Die Untersuchung, deren zweite Säule eine historische Begriffsanalyse zeitgenössischer Interview-Bezeichnungen bildet, basiert auf einem umfangreichen Textkorpus. Dessen Schwerpunkt liegt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, doch dokumentiert die Sammlung von 240 Texten aus dem Zeitraum von 1789 bis 1999 zugleich die Geschichte des französischen Presseinterviews in zwei Jahrhunderten.
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