Originell, tiefgründig und mit Humor erkundet Samantha Harvey das Mysterium des Schlafs und die fatalen Folgen von Schlaflosigkeit. "Ein Meisterwerk, so gut, dass es mir den Atem verschlägt." (Helen Macdonald) Von einem Tag auf den anderen verliert die Schriftstellerin Samantha Harvey die Fähigkeit zu schlafen. Sie gerät in Panik und versucht alles, um ihre Schlaflosigkeit zu überwinden: Akupunktur, Sanskrit-Gesänge und Ernährungsumstellung, Dankestagebücher und Schlafapparaturen - nichts scheint zu helfen. Das Jahr ohne Schlaf ist ein eindringlicher innerer Monolog über ein Jahr ohne eine der grundlegenden menschlichen Lebensbedingungen. Originell, tiefgründig und mit Humor erkundet Harvey auf ihren nächtlichen Reisen das Erinnern, das Schreiben, Tod und Überlebenswillen und entwirft eine düster-komische Anatomie der Schlaflosigkeit. Ein genresprengendes literarisches Memoir von der Intensität jener Wachträume, die alle Schlaflosen heimsuchen.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Kai Spanke kann Samantha Harveys Sprunghaftigkeit beim Verfassen ihrer Memoiren einer Nichtschläferin gut nachvollziehen. Wie ein umgestülpter, wenngleich geordneter Zettelkasten kommt ihm das Buch vor, in dem die Autorin über Drogenerfahrungen, den Tod, das Fernsehen (wohl das Nachtprogramm) und allerhand anderes nachdenkt, was ihr in langen, schlaflosen Nächten durch den zerrütteten Sinn geht. Spanke erkennt den Ernst der Lage, findet die Lektüre aber dennoch erfrischend, auch wenn Harvey mitunter eine Wendung zu viel nimmt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.2022Perfekter Teufelskreis
Samantha Harvey über ihre schlaflosen Nächte
Man könnte das Thema mit Statistiken zu fassen versuchen: Soundso viele Menschen haben in Großbritannien, der EU oder sonst wo Schlafprobleme. Man könnte es auch, wie etwa Marina Benjamin in ihrem Buch "Insomnia", historisch, philosophisch und künstlerisch aufbereiten, in der Hoffnung, an neue Einsichten zu gelangen. Man könnte eine Service-Fibel zusammenschustern und die üblichen Ratschläge vorbringen: warme Milch, Premiumkissen, Stressreduktion, keine Online-Ausflüge vorm Schlafen. Ebenso könnte man all das lassen und ein sprunghaftes Memoir schreiben, das dem Gegenstand eine angemessene Struktur gibt. Für diesen Weg hat sich die englische Schriftstellerin Samantha Harvey entschieden. Ihr Buch "Das Jahr ohne Schlaf" mutet an wie ein autobiographischer Zettelkasten, in dem alles zusammengehört und doch disparat, oft genug fragmentarisch nebeneinandersteht.
Harvey erzählt viele Anekdoten, sie schildert, warum der Hund ihrer Mutter irgendwann dem Vater gehörte und qualvoll zugrunde ging, wie sie versucht, in den Schlaf zu finden, und welche Gedanken ihr währenddessen durch den Kopf rauschen, wie sie einmal Ecstasy genommen und anschließend einen Busch angestarrt hat. Obendrein wechselt sie die Perspektive zwischen der ersten und dritten Person. Dieses Durcheinander erscheint, ein vermeintlicher Widerspruch, wohlkomponiert, ja diszipliniert. Die Autorin verzahnt Inhalt und Darstellungsweise aus gutem Grund: "Ein Leben ohne Schlaf, in dem ein Tag in den anderen fließt, verliert jegliche Form."
Immer wieder wird der Formverlust zum Gegenstand der Betrachtung, etwa wenn sich Harvey den Verwesungsprozess ihres in jungen Jahren verstorbenen Cousins vorstellt: "An Deinem vierten oder fünften Tag als Toter beginnst Du zu stinken, und Du wirst zu einer dynamischen, sich bewegenden Masse. Methan, Ausdünstungen, Schwellungen, Verwandlungen, Deine Zunge entgleitet dem Mund, Flüssigkeiten Deiner Nase, Eingeweide dem Rektum." Solchen kreatürlichen Metamorphosen stellt die Autorin Reflexionen über das immer Gleiche gegenüber. So fragt sie sich beim Wachliegen etwa, warum auffällig viele Fernsehsendungen das Wort "geheim" im Titel führen: "Das geheime Leben der Hunde" oder "Die geheime Geschichte Irlands". Seltsam, denn ein Hund gibt sich ja keine Mühe, seinen Alltag vor uns zu verbergen. Vielleicht wissen wir nur wenig über ihn, aber von einem Geheimnis kann hier keine Rede sein.
Um den Ernst der Lage zu verdeutlichen, folgt recht früh ein Hinweis: "Wenn ich nicht schlafe, was sehr häufig der Fall ist, schlafe ich gar nicht. Ich bin inzwischen weniger eine schlechte Schläferin als eine Nicht-Schläferin." Insofern sind Nächte, in denen Harvey schlecht schläft, gute Nächte, weil sie überhaupt schläft. Und immer führt die Angst vor der Schlaflosigkeit zu Schlaflosigkeit. "Ein Teufelskreis von euklidischer Perfektion." Wer das nicht kennt, kann es kaum nachvollziehen: Auf ihre Ärztin wirkt die Patientin vor allem neurotisch, und je lauter sie, die Patientin, klagt, desto überzeugender erscheint sie in ihrer nicht selbst gewählten Rolle als psychischer Problemfall. Sobald sie bemerkt, dass sie nicht ganz ernst genommen wird, tritt sie vehementer auf, was die Ärztin als Bestätigung des Ausgangsverdachts betrachtet.
Harveys formaler und inhaltlicher Wankelmut beschert eine erfrischende Lektüre. Sie erprobt, da es wiederholt um den Schreibprozess geht, unterschiedliche Metaphern, formuliert innerhalb eines Gedankens gleich den nächsten und fragt sich, was das von der gleichnamigen indigenen Bevölkerung gesprochene Pirahã wohl für Auswirkungen auf die Selbstwahrnehmung hat, denn diese Sprache kennt keine Nebensätze. Sobald auch noch eine Kurzgeschichte Eingang ins Memoir findet, zerfranst der von Harvey gewobene Flickenteppich ein wenig. Es geht um einen Mann, der einen Bankautomaten leer räumt, dabei den Ehering verliert und aus Angst vor seiner unausstehlichen Frau an den Ort des Verbrechens zurückkehrt, um sich auf die Suche zu machen. Das ist dann doch ein Register zu viel. Tatsächlich wäre stattdessen die ein oder andere Statistik interessanter gewesen. KAI SPANKE
Samantha Harvey: "Das Jahr ohne Schlaf".
Aus dem Englischen von Julia Wolf. Hanser Berlin Verlag, Berlin 2022. 176 S., geb., 23,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Samantha Harvey über ihre schlaflosen Nächte
Man könnte das Thema mit Statistiken zu fassen versuchen: Soundso viele Menschen haben in Großbritannien, der EU oder sonst wo Schlafprobleme. Man könnte es auch, wie etwa Marina Benjamin in ihrem Buch "Insomnia", historisch, philosophisch und künstlerisch aufbereiten, in der Hoffnung, an neue Einsichten zu gelangen. Man könnte eine Service-Fibel zusammenschustern und die üblichen Ratschläge vorbringen: warme Milch, Premiumkissen, Stressreduktion, keine Online-Ausflüge vorm Schlafen. Ebenso könnte man all das lassen und ein sprunghaftes Memoir schreiben, das dem Gegenstand eine angemessene Struktur gibt. Für diesen Weg hat sich die englische Schriftstellerin Samantha Harvey entschieden. Ihr Buch "Das Jahr ohne Schlaf" mutet an wie ein autobiographischer Zettelkasten, in dem alles zusammengehört und doch disparat, oft genug fragmentarisch nebeneinandersteht.
Harvey erzählt viele Anekdoten, sie schildert, warum der Hund ihrer Mutter irgendwann dem Vater gehörte und qualvoll zugrunde ging, wie sie versucht, in den Schlaf zu finden, und welche Gedanken ihr währenddessen durch den Kopf rauschen, wie sie einmal Ecstasy genommen und anschließend einen Busch angestarrt hat. Obendrein wechselt sie die Perspektive zwischen der ersten und dritten Person. Dieses Durcheinander erscheint, ein vermeintlicher Widerspruch, wohlkomponiert, ja diszipliniert. Die Autorin verzahnt Inhalt und Darstellungsweise aus gutem Grund: "Ein Leben ohne Schlaf, in dem ein Tag in den anderen fließt, verliert jegliche Form."
Immer wieder wird der Formverlust zum Gegenstand der Betrachtung, etwa wenn sich Harvey den Verwesungsprozess ihres in jungen Jahren verstorbenen Cousins vorstellt: "An Deinem vierten oder fünften Tag als Toter beginnst Du zu stinken, und Du wirst zu einer dynamischen, sich bewegenden Masse. Methan, Ausdünstungen, Schwellungen, Verwandlungen, Deine Zunge entgleitet dem Mund, Flüssigkeiten Deiner Nase, Eingeweide dem Rektum." Solchen kreatürlichen Metamorphosen stellt die Autorin Reflexionen über das immer Gleiche gegenüber. So fragt sie sich beim Wachliegen etwa, warum auffällig viele Fernsehsendungen das Wort "geheim" im Titel führen: "Das geheime Leben der Hunde" oder "Die geheime Geschichte Irlands". Seltsam, denn ein Hund gibt sich ja keine Mühe, seinen Alltag vor uns zu verbergen. Vielleicht wissen wir nur wenig über ihn, aber von einem Geheimnis kann hier keine Rede sein.
Um den Ernst der Lage zu verdeutlichen, folgt recht früh ein Hinweis: "Wenn ich nicht schlafe, was sehr häufig der Fall ist, schlafe ich gar nicht. Ich bin inzwischen weniger eine schlechte Schläferin als eine Nicht-Schläferin." Insofern sind Nächte, in denen Harvey schlecht schläft, gute Nächte, weil sie überhaupt schläft. Und immer führt die Angst vor der Schlaflosigkeit zu Schlaflosigkeit. "Ein Teufelskreis von euklidischer Perfektion." Wer das nicht kennt, kann es kaum nachvollziehen: Auf ihre Ärztin wirkt die Patientin vor allem neurotisch, und je lauter sie, die Patientin, klagt, desto überzeugender erscheint sie in ihrer nicht selbst gewählten Rolle als psychischer Problemfall. Sobald sie bemerkt, dass sie nicht ganz ernst genommen wird, tritt sie vehementer auf, was die Ärztin als Bestätigung des Ausgangsverdachts betrachtet.
Harveys formaler und inhaltlicher Wankelmut beschert eine erfrischende Lektüre. Sie erprobt, da es wiederholt um den Schreibprozess geht, unterschiedliche Metaphern, formuliert innerhalb eines Gedankens gleich den nächsten und fragt sich, was das von der gleichnamigen indigenen Bevölkerung gesprochene Pirahã wohl für Auswirkungen auf die Selbstwahrnehmung hat, denn diese Sprache kennt keine Nebensätze. Sobald auch noch eine Kurzgeschichte Eingang ins Memoir findet, zerfranst der von Harvey gewobene Flickenteppich ein wenig. Es geht um einen Mann, der einen Bankautomaten leer räumt, dabei den Ehering verliert und aus Angst vor seiner unausstehlichen Frau an den Ort des Verbrechens zurückkehrt, um sich auf die Suche zu machen. Das ist dann doch ein Register zu viel. Tatsächlich wäre stattdessen die ein oder andere Statistik interessanter gewesen. KAI SPANKE
Samantha Harvey: "Das Jahr ohne Schlaf".
Aus dem Englischen von Julia Wolf. Hanser Berlin Verlag, Berlin 2022. 176 S., geb., 23,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Ein im besten Sinne essayistisches Buch, das zwischen verschiedenen Denk- und Wahrnehmungsweisen hin und her springt. Sein Grundton ist dunkel. Doch bei aller Trauer und Sorge wird immer wieder eine große Lebendigkeit spürbar, ein ständiges Knistern und Zünden und Explodieren der Gedanken." Nico Bleutge, DLF Büchermarkt, 04.11.22
"Ein sprunghaftes Memoir ..., das dem Gegenstand eine angemessene Struktur gibt. ... Dieses Durcheinander erscheint, ein vermeintlicher Widerspruch, wohlkomponiert, ja diszipliniert. ... Immer wieder wird der Formverlust zum Gegenstand der Betrachtung, ... Harveys formaler und inhaltlicher Wankelmut beschert eine erfrischende Lektüre." Kai Spanke, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.12.22
"In der Konzentration liegt die Kraft dieses Memoires, das ganz beim eigenen Erlebten und Durchlebten bleibt. In solch einer Scharfstellung tritt das Persönliche aus dem eigenen Korsett heraus, erlangt Gültigkeit über das einzelne Leiden hinaus. ... Statt eines einlullenden Gutenachtlieds, lädt Samantha Harvey ein zu einem düster-humorvollen Reigen, der Halt suchend in der Dunkelheit einem bisweilen den Atem verschlägt." Claas Oberstadt, Zeit Online, 10.11.22
"Ein berührendes Memoir" ZDF aspekte, 20.01.23
"Der Autorin gelingt es, die Bodenlosigkeit ihrer durchwachten Nächte zu fixieren, diesen zähen Ziffernbewegungen der Uhr einen Rhythmus zu geben." Andrea Seibel, Welt am Sonntag, 05.11.22
"Samantha Harveys Buch 'Das Jahr ohne Schlaf' ist intensiv ... Es ist ein wilder, assoziativer Schreibritt durch die eigene Seele, gespickt mit klugen essayistischen Einschüben, Romanfragmenten, melancholischen Erinnerungen an die eigene Kindheit." Gabriele Knetsch, Bayern 2, 11.12.22
"Beim Wachherumliegen sinniert die britische Schriftstellerin in 'Das Jahr ohne Schlaf' derart erhellend über ihr Leben und Schreiben, dass man es besser nicht vorm Einschlafen lesen sollte. Weckt auf." Barbara Gärtner, Donna, 01.11.22
"Ein langer innerer Monolog zwischen Verstand und Unterbewusstsein, Traum und Realität, literarisch wuchtig und am Ende tröstlich." Brigitte, 02.11.22
"Ein luzides, farbenreiches Buch" Angela Schader, Perlentaucher, 13.10.22
"Ein sprunghaftes Memoir ..., das dem Gegenstand eine angemessene Struktur gibt. ... Dieses Durcheinander erscheint, ein vermeintlicher Widerspruch, wohlkomponiert, ja diszipliniert. ... Immer wieder wird der Formverlust zum Gegenstand der Betrachtung, ... Harveys formaler und inhaltlicher Wankelmut beschert eine erfrischende Lektüre." Kai Spanke, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.12.22
"In der Konzentration liegt die Kraft dieses Memoires, das ganz beim eigenen Erlebten und Durchlebten bleibt. In solch einer Scharfstellung tritt das Persönliche aus dem eigenen Korsett heraus, erlangt Gültigkeit über das einzelne Leiden hinaus. ... Statt eines einlullenden Gutenachtlieds, lädt Samantha Harvey ein zu einem düster-humorvollen Reigen, der Halt suchend in der Dunkelheit einem bisweilen den Atem verschlägt." Claas Oberstadt, Zeit Online, 10.11.22
"Ein berührendes Memoir" ZDF aspekte, 20.01.23
"Der Autorin gelingt es, die Bodenlosigkeit ihrer durchwachten Nächte zu fixieren, diesen zähen Ziffernbewegungen der Uhr einen Rhythmus zu geben." Andrea Seibel, Welt am Sonntag, 05.11.22
"Samantha Harveys Buch 'Das Jahr ohne Schlaf' ist intensiv ... Es ist ein wilder, assoziativer Schreibritt durch die eigene Seele, gespickt mit klugen essayistischen Einschüben, Romanfragmenten, melancholischen Erinnerungen an die eigene Kindheit." Gabriele Knetsch, Bayern 2, 11.12.22
"Beim Wachherumliegen sinniert die britische Schriftstellerin in 'Das Jahr ohne Schlaf' derart erhellend über ihr Leben und Schreiben, dass man es besser nicht vorm Einschlafen lesen sollte. Weckt auf." Barbara Gärtner, Donna, 01.11.22
"Ein langer innerer Monolog zwischen Verstand und Unterbewusstsein, Traum und Realität, literarisch wuchtig und am Ende tröstlich." Brigitte, 02.11.22
"Ein luzides, farbenreiches Buch" Angela Schader, Perlentaucher, 13.10.22