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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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Phantasievoll: François Garde folgt den Spuren der Wale
Als er im Küchenschrank einen Wal entdeckt, weicht François Garde zurück und zweifelt an seinen Sinnen. Bei dem Wal, den er sieht, handelt es sich zwar um das Logo einer Meersalzmarke. Die Vorstellung von einem echten Wal im Schrank des französischen Autors, der mit seinem historischen Roman "Was mit dem weißen Wilden geschah" (2012) den Prix Goncourt für das beste Debüt und noch einige weitere Literaturpreise gewann, liefert aber zwischen Wahn und Witz ein schönes Bild für Gardes phantasievolle Annäherung an den "Wal in all seinen Zuständen". So lautet der Originaltitel des Essaybands, der nun als "Das Lachen der Wale" auf Deutsch vorliegt.
Bevor Garde mit Anfang fünfzig literarisch debütierte, hatte er hohe Posten in den französischen Außengebieten inne. Seine berufliche Laufbahn spiegelt sich in den dreiundvierzig Essays des Buchs wider, denn an seinen Einsatzorten begegneten ihm immer wieder Wale. Auf der Karibikinsel Martinique musste er entscheiden, was mit einem Walkadaver am Strand geschehen sollte. (Er ließ ihn sprengen.) Als Oberster Statthalter der Süd- und Antarktisgebiete engagierte er sich dafür, die Ruinen einer verfallenen Walfabrik auf dem Kerguelen-Archipel zu bewahren. Und im pazifischen Neukaledonien hörte er eine Sage darüber, wie beim Hüttenbau ein Pfosten durch Sand und Boden dringt und einen schlummernden Pottwal trifft.
"Unmöglich" sei es, "sich dem Wal wie einem Thema zu nähern", behauptet Garde in der Einleitung. Doch was macht dann der britische Sachbuchautor Philip Hoare in seinem wunderbaren Wälzer "Leviathan oder Der Wal", in dem er von Walen, Walfang, Walschutz und dem Walroman "Moby-Dick" erzählt (F.A.Z. vom 22. April 2013)? Die künstliche Abgrenzung braucht es zum Glück gar nicht, um den kleinteilig-essayistischen Ansatz zu rechtfertigen, den Garde wählt.
Viele Wege führen hier zum Wal. Erstaunlich sind die Verbindungen, die zwischen weit entfernten Zeiten und Weltgegenden aufscheinen. Der unter dem Sand schlummernde Wal aus dem Pazifik etwa ähnelt als Sagenmotiv der vermeintlichen Insel, die der frühmittelalterliche irische Mönch Brendan auf seinen Reisen erreicht haben soll: Sie erwies sich als ein Wal, der plötzlich abtauchte. Außerdem berichtet Garde nicht nur von gravierten Walzähnen aus dem neunzehnten Jahrhundert, sondern auch von einem viel älteren, der sich in einer prähistorischen französischen Höhle fand und in den zwei Steinböcke geschnitzt sind.
Es geht auch um den Propheten Jona des Alten Testaments, der den Bauch des Wals womöglich gar nicht verlassen will. Man müsse sich ihn - Camus lässt grüßen - "als einen glücklichen Menschen vorstellen". Ohnehin spickt Garde das Buch mit Anspielungen. Melville rät er, "Moby-Dick" umzubenennen, und schlägt Titel wie "Auf der Suche nach dem verlorenen Wal" und "Reise ans Ende des Wals" vor. Mit Spott beginnt das Kapitel "Appetit" über den Wal als Speise: "Trotz einer unbestreitbar engen Konkurrenz erringt Island haushoch die Siegespalme der schlechtesten skandinavischen Küche."
Garde pflegt mitunter ein freies Verhältnis zu Fakten und bekennt einmal in Klammern, dass die "heutigen Historiker" den Hergang, den er gerade beschreibt, als Legende entlarvt haben. Die "Magie der alten Landkarten" verteidigt er gegen die Entzauberung durch die Realität und hält bewusst an der Fehlübersetzung fest, die in Kanada den "Fluss des Kleinen Wals" hervorbrachte. So kann er weiter vom Bonsai-Wal im Zimmeraquarium träumen. Eiswürfel genügen "als Eisberge und Packeis".
THORSTEN GRÄBE
François Garde:
"Das Lachen der Wale".
Eine ozeanische Reise.
Aus dem Französischen von Thomas Schultz. Verlag C. H. Beck, München 2016. 231 S., geb., 19,95 [Euro].
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