Bücher sind eine stehende Armee der Freiheit. (Jean Paul).
Diese Essays sind eine Reise durch ein persönliche Universum. Als Seismograph enthüllt er nicht nur ein Thema, sondern er wickelt es aus, entfaltet es (Willemsen). Er leuchtet die Persönlichkeit Saddam Husseins, eines Diktators par
excellence, aus. „ L’etat c’est moi“ passt wie maßgeschneidert auf ihn und seine Herrschaft. Das Lachen bei…mehrBücher sind eine stehende Armee der Freiheit. (Jean Paul).
Diese Essays sind eine Reise durch ein persönliche Universum. Als Seismograph enthüllt er nicht nur ein Thema, sondern er wickelt es aus, entfaltet es (Willemsen). Er leuchtet die Persönlichkeit Saddam Husseins, eines Diktators par excellence, aus. „ L’etat c’est moi“ passt wie maßgeschneidert auf ihn und seine Herrschaft. Das Lachen bei seiner Hinrichtung war eine seiner Inszenierungen: Das Lächeln des Mächtigen. Das Lächeln des Ge-Mächtigen. Die 43 lächelnden Gesichtsmuskeln mit makellosen Zähnen sind eine moderne Währung. Er wäre ein perfekter Instagramer geworden.
Ali beschreibt die Moderne als technische Erobererin. Für den Orient war Technik etwas Wesensfremdes. Es gab keinen Gegenentwurf, man blieb im Status quo. Schon Al Afghani fragte, warum der Orient so rückschrittlich sei und Dan Diner erkannte die "Versiegelte Zeit". Homo faber und Homo consumens waren westliche Götter, sie läuteten die Veränderung der Gesellschaft ein, aber im Orient ruhte man sich auf den hochzeitlichen Diwanen der arabischen Kultur aus. Es kam nur zu Machtverschiebungen. Der Staat wurde zum Schrittmacher, die Gesellschaft jedoch trabte noch im alten Rhythmus.
Abermals zeigt sich der Zerfall des Osmanischen Reiches als Zäsur. Die Säkularisierung war schwach. Die Assassinen kehrten in modernem Gewand als die Bewaffneten Gottes zurück. Alles war Gottes Wille. Der Mensch blieb passiv, Gottes Abbild materialisierte sich in Diktatoren. Früher hatte man ein eine persönliche Beziehung zum Allmächtigen. Die moderne Büchse der Pandora ließ die Städte wuchern, die Bauern hatten durch Landflucht ihren natürlichen Rhythmus verloren. Dieser Bruch zwischen Mensch und Natur, die innere Leere war die Triebkraft des politischen Islams.
Ali beschreibt eine spiegellose Gesellschaft. Wer sich nicht selbst betrachten kann, hat kein wahres Bild von sich. Said verschweigt im „Orientalismus“ die selbst geschaffenen Trugbilder und die Unfähigkeit zur Selbstreflexion. Ein Spiegel zeigt das wahre Gesicht. Er ist kein Fernglas für die Weite, sondern ein Brennglas für die eigene Nähe.
Der orientalischen Literatur sind Krieg und Gewalt nicht fremd, das individuelle Morden ist ein unbekanntes Element. Töten ist ein Mittel der Macht, des Kollektivs, kein Einzelwerk. Kriege, Attentate, Hinrichtungen sind alltäglich. Schaustellung von Macht und Männlichkeit. Der Verlust der Macht bedeutet phalluslos zu sein. Die Angst vor Kastration und die männlichen Körperpanzer ergänzen sich. Im Orient ist Krieg ein Männlichkeitscode.
Bachtyar Alis Sprache, das Sorani, war verboten. Sprache macht uns zu einem sozialen Geschöpf, gibt uns Heimat. Sie ist unsere persönliche Schatztruhe, sie birgt unsere Träume, Wünsche und Ängste. Für Heidegger ist Sprache das „Haus des Seins“. Später gelernte Sprachen sind nur erweiterte Horizonte.
Im letzten Essay evoziert Ali sein Elternhaus, in dem es verbotene Bücher gab.
E gehorchte dem Befehl seiner Großmutter und verbrannte sie.
Später floh er nach Teheran: dort zog er von Buchhandlung zu Buchhandlung, las ein Kapitel hier, ein Kapitel dort. Er schmuggelte Bücher moderner Klassiker. Rührend seine Ansprache an das Bücher-Muli: „ ich vertraue dir mein Leben und das Überleben dieser Bücher an. Die einen wichtigen Teil der menschlichen Zivilisation beherbergen. Weil ich glaube, dass du diese Aufgabe besser erfüllen kannst als die Menschen.“
Die autoritären Staaten fürchten den Leser. Am Flughafen in Frankfurt fragte man ihn, warum er gekommen sei. „Um in Ruhe lesen zu können.“
Bachtyar Alis Essays sind zeitgeschichtliche Preziosen, verbunden mit politischen und gesellschaftlichen Betrachtungen, verflochten mit seinen ganz persönlichen Erfahrungen. Er hat ein tiefes Verständnis für Literatur, für das Lesen und Schreiben, fühlt sich dabei umhüllt von seiner ersten Sprache. Er öffnet uns neue Horizonte aus dem Dickicht des Hausgemachten, bringt Vielfalt statt Einfalt. Das ist in der Welt des literarischen und journalistischen Einheitsbreis ein großes Verdienst. DANKE.