Ein Kabinettstück biographischer Erzählkunst, eines der schönsten Bücher zur Goethezeit Jean Paul war der wildeste und witzigste Erzähler der Goethezeit. Sein gesamtes Werk steht im Zeichen einer poetischen Freiheit, die einmalig ist in der deutschen Literatur. Günter de Bruyn folgt dem prekären Leben des berühmten Dichters und verknüpft es mit den Strömungen seiner Zeit von der Französischen Revolution bis zur Restaurationsepoche, von der Aufklärung bis zur Romantik.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.03.2013Ein Buch ist ja nichts weiter als ein dicker Brief
Sein Esprit ist so hell und schnell wie eh und je: Der Wortmagier Jean Paul feiert seinen 250. Geburtstag.
Schräge Vögel sind in der deutschsprachigen Literatur keine Seltenheit. Keiner aber war je so kauzig, apart, gelehrt und vertrackt wie Jean Paul, der vor 250 Jahren im oberfränkischen Wunsiedel als Johann Paul Friedrich Richter zur Welt kam. Dieser Geburtstag verdient keine Jubiläumsroutine, sondern ist als Glücksfall zu feiern. Denn er beschert uns neben vielen Neuausgaben und Studien mindestens zwei große neue Biographien, die zur Wiederentdeckung verführen. Seit Günther de Bruyns glänzender, jetzt wieder erhältlicher Lebenserzählung aus dem Jahre 1975 - damals Jean-Paul-Initiation für viele in beiden Teilen Deutschlands - ist es nämlich recht still um diesen einst so beliebten Dichter geworden.
Zu seiner Zeit stellte Jean Paul die Klassiker mit seiner riesigen, vor allem weiblichen Leserschaft wie auch mit den erzielten Bogenhonoraren weit in den Schatten. Heute gilt er oft als zu schwierig, umständlich und langatmig, seine verschwenderische Bilderflut und der schier unendliche Anspielungshorizont sind uns nicht mehr leicht zugänglich. Unterhaltsame Käuze und Narren wie das drollige Schulmeisterlein Maria Wutz, der tollkühne Luftschiffer Giannozzo, der neurotische Feldprediger Schmelzle oder der zynische Doktor Katzenberger haben sich stets behauptet. Die wild abschweifenden, hinter Vorreden-Außenwerken, Anhang-Schutzwällen und Herausgeber-Charaden verborgenen Großromane müssen aber zuallererst schmackhaft gemacht werden. Das gelingt den beiden Lebensbildern von Helmut Pfotenhauer und Beatrix Langner auf eindrucksvolle Weise. Anders als zuletzt bei Kleist oder Novalis gerät man hier nicht in die prekäre Lage, feine Nuancen zwischen gleichermaßen gestandenen Parallelbiographien suchen und gegeneinander abwägen zu müssen, denn die beiden Bücher könnten unterschiedlicher kaum sein.
Pfotenhauer versieht eine Werkmonographie mit Leben, Langner unterlegt eine Geistesvita mit Dichtung. Die These des ersten Buches steht im Untertitel: "Das Leben als Schreiben" und zugespitzt im Text: "Das Werk ist alles, das Ich ist nichts." Pfotenhauer - Jean-Paul-Editor und einer der besten Kenner seit Jahrzehnten - begründet seine Entscheidung, die eine vierzigseitige tabellarische Lebenschronik an den Schluss der ausführlichen Werkinspektion rückt, aus der Besonderheit dieses Autors. Wie kaum ein anderer Schriftsteller um 1800 schreibt Jean Paul nicht nur beständig über Facetten des eigenen Daseins und sich selbst als Alter-Ego-Figur mit in die Texte, vielmehr begreift er Dichtung als künftigen Lebensplan, folgt also in der Realität oftmals dem selbsterfundenen Entwurf.
Das klingt ziemlich verrückt - und ist es auch. Literaturbesessen und schriftversessen ist Jean Paul schon als Kind. Der Pastorensohn bastelt sich - wie dann Wutz - aus Papierabschnitten, die von den Oktavpredigten des Vaters abfallen, eine Etui-Bibliothek im kleinsten Sedezformat zusammen. Darin kommentiert er einzelne Bibelverse, manchmal sogar in einem aus chemischen Symbolen zusammengeklaubten Geheimalphabet. Später wird seine "Taschen-Bibliothek" aus 15 000 Seiten von Exzerpten bestehen, die - ausgestattet mit Registern und Registern zu Registern - die wirkliche Welt für rund 11 000 gedruckte Seiten Dichtung enzyklopädisch erschließt: "an jedem extrahierten Buch hängt ein glimmendes Stück meiner Geschichte". So spiegeln die Exzerpte die eigenen Lektüren und zugleich das Leben des tüftelnden und trinkenden Stubenhockers, denn ohne Kaffee und alkoholischen "Gehirnkitzel" geht nichts.
Gleiches gilt für Briefe, auch sie sind nichts als das Leben. Jean Paul erstrebt sie im Gegensatz zum korrespondenzwütigen Zeitalter nicht nur als Gespräche zwischen Abwesenden, sondern als Schriftwechsel zwischen Anwesenden. So gratuliert er seiner Frau in der gleichen Wohnung brieflich zum Geburtstag, 1807 sitzt er mit ihr gar am Tisch, und sie schreiben auf dem gleichen Blatt aufeinander zu. Das Ideal vom Freundeskreis, der sich in einem Raum schriftlich statt mündlich verständigt, entwirft Jean Paul schon 1796. Erst Thomas Manns "verwester Säugling" Detlev Spinell überbietet das noch, wenn er die Post fürs Nachbarzimmer frankiert und über das örtliche Amt besorgen lässt. Bei Jean Paul geht das noch billiger, das Material für den von den Klassikern geneideten Erfolgsroman "Hesperus" liefert dem Erzähler beispielweise ein Spitz in 45 "Hundsposttagen".
Briefe bezeichnet Jean Paul gelegentlich als das eigentliche Werk, es seien dünnere Bücher und diese wiederum dickere Briefe. Es sind für ihn keine bloßen Gebrauchsmedien, sondern Literatur. So ist es nur konsequent, wenn die Biographien jetzt um eine sorgfältig kommentierte Briefauswahl ergänzt werden. Enthalten sind natürlich auch jene beiden Begleitbriefe zur "Unsichtbaren Loge" und zum "Hesperus", die der Empfänger Goethe demonstrativ unbeantwortet lässt. Sie sind so überbordend geistreich, so auftrumpfend "bilderrätselselig", dass sie konkurrierende Nichtbeachtung geradezu herausfordern. Goethe mochte Jean Paul ein "wunderliches Wesen", einen "Philister" und noch dazu "krank" nennen, statt ihn aber zu ignorieren, hat er ihn stets argwöhnisch beäugt. Der junge Dichter ließ sich indes nicht irritieren, publizierte Buch um Buch und nannte das in Weimar etablierte "goldne sechzehnkaratige Zeitalter" schnoddrig ein derweil ziemlich verkalktes.
Das schriftlose Leben bildet in Pfotenhauers ,Werk als Vita' nur den Basso continuo, in Langners "Meister der zweiten Welt" hingegen die tragende Melodiestimme. Damit setzt sich die Kritikerin und Publizistin von der streng akademischen Lesart etwas ab. Langners sprachmächtiges Buch malt stärker die historischen Kontexte aus - wer es liest, lernt ungeheuer viel über die Epoche von Aufklärung und Französischer Revolution, über den Bildungsgang eines begabten, aber fast mittellosen Studenten in Leipzig, über Provinz und Metropole, Weimarer Literaturpolitik und den Mut eines angehenden freien Schriftstellers, sich seines eigenen Esprits zu bedienen. Überhaupt gewinnt bei ihr gerade der junge Jean Paul stark an Kontur: Langner handelt ausführlich über seine geistige Entwicklung und seine Mentoren, die Irritation durch Glaubensskepsis, die neue Menschenkunde, den mühsamen Start in eine Dichterkarriere.
In einem Kapitel zu Jean Pauls journalistischen Anfängen - also zum "Höfer Vierzehntagblatt" oder der "Auswahl aus des Teufels Papieren" - zitiert Langner die Formel des kritischen Zeitungsmachers Ludwig Wekherlin, Folianten seien für Gelehrte, Broschüren hingegen für Menschen. Ihr eigenes Buch zielt, ungeachtet des Umfangs, in eine ähnliche Richtung: Mit Leichtigkeit und Ironie, niemals aber verflachend erklärt sie auch schwierige Zusammenhänge und macht so einen Autor, der sich manchmal selbst im Weg stand, fasslich und zugänglich. Daneben beanspruchen die Liebeleien des allzu oft verlobten Büchermenschen, dem Langner eine Vorliebe für kapriziöse Adelsdamen attestiert, breiten Raum. Seine persönlichen Flegeljahre beendet Jean Paul 1801 in Berlin und klemmt sich ins Joch der Ehe. Der Roman "Flegeljahre" folgt auf dem Fuße.
Pfotenhauers griffiger Untertitel "Das Leben als Schreiben" erschließt sich unmittelbar, Langners "Meister der zweiten Welt" hingegen durchschaut man erst nach geduldiger Lektüre. Tatsächlich zupft sie damit ein verborgenes, aber stetiges Fädchen aus Jean Pauls Leben und Werk hervor. Seit dem Studium der Anthropologie in Leipzig geht es diesem Autor um jenes "wahre innere Afrika", das Rätsel der Seele. Statt durch "philosophisches Laternisieren" scheint es ihm nur durch psychische Selbstüberschreitung erreichbar. Jean Pauls zweite Welt bezeichnet keine "transzendente Schäferwelt" christlicher Jenseitsvorstellungen, sondern die Unsterblichkeit in uns, im psychischen Innenraum unserer Ideen und Vorstellungen, die dem Leib und Gehirn stets verbunden bleiben. Langner spannt so einen weiten Bogen vom frühen skeptischen Gedankenexperiment "Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei" über naturwissenschaftliche Essays zur Entstehung des Lebens bis zu den Parallelwelten im "Kampaner Tal" oder der "Selina". Statt eines traumtänzerischen Idealisten steht bei ihr am Ende ein menschenkundiger Psychologe. Die Nachwelt hat ihn möglicherweise unterschätzt.
ALEXANDER KOSENINA.
Günter de Bruyn: "Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter". Eine Biographie.
Überarbeitete und vermehrte Neufassung, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2013. 350 S., geb., 21,99 [Euro].
Beatrix Langner: "Jean Paul. Meister der zweiten Welt". Eine Biographie.
Verlag C. H. Beck, München 2013. 609 S., geb., 27,95 [Euro].
Helmut Pfotenhauer: "Jean Paul. Das Leben als Schreiben". Biographie.
Carl Hanser Verlag, München 2013. 509 S., geb., 27,90 [Euro].
Jean Paul: "Erschriebene Unendlichkeit". Briefe. Ausgewählt und kommentiert von Markus Bernauer, Norbert Miller und Helmut Pfotenhauer.
Carl Hanser, Verlag, München 2013. 784 S., geb., 34,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sein Esprit ist so hell und schnell wie eh und je: Der Wortmagier Jean Paul feiert seinen 250. Geburtstag.
Schräge Vögel sind in der deutschsprachigen Literatur keine Seltenheit. Keiner aber war je so kauzig, apart, gelehrt und vertrackt wie Jean Paul, der vor 250 Jahren im oberfränkischen Wunsiedel als Johann Paul Friedrich Richter zur Welt kam. Dieser Geburtstag verdient keine Jubiläumsroutine, sondern ist als Glücksfall zu feiern. Denn er beschert uns neben vielen Neuausgaben und Studien mindestens zwei große neue Biographien, die zur Wiederentdeckung verführen. Seit Günther de Bruyns glänzender, jetzt wieder erhältlicher Lebenserzählung aus dem Jahre 1975 - damals Jean-Paul-Initiation für viele in beiden Teilen Deutschlands - ist es nämlich recht still um diesen einst so beliebten Dichter geworden.
Zu seiner Zeit stellte Jean Paul die Klassiker mit seiner riesigen, vor allem weiblichen Leserschaft wie auch mit den erzielten Bogenhonoraren weit in den Schatten. Heute gilt er oft als zu schwierig, umständlich und langatmig, seine verschwenderische Bilderflut und der schier unendliche Anspielungshorizont sind uns nicht mehr leicht zugänglich. Unterhaltsame Käuze und Narren wie das drollige Schulmeisterlein Maria Wutz, der tollkühne Luftschiffer Giannozzo, der neurotische Feldprediger Schmelzle oder der zynische Doktor Katzenberger haben sich stets behauptet. Die wild abschweifenden, hinter Vorreden-Außenwerken, Anhang-Schutzwällen und Herausgeber-Charaden verborgenen Großromane müssen aber zuallererst schmackhaft gemacht werden. Das gelingt den beiden Lebensbildern von Helmut Pfotenhauer und Beatrix Langner auf eindrucksvolle Weise. Anders als zuletzt bei Kleist oder Novalis gerät man hier nicht in die prekäre Lage, feine Nuancen zwischen gleichermaßen gestandenen Parallelbiographien suchen und gegeneinander abwägen zu müssen, denn die beiden Bücher könnten unterschiedlicher kaum sein.
Pfotenhauer versieht eine Werkmonographie mit Leben, Langner unterlegt eine Geistesvita mit Dichtung. Die These des ersten Buches steht im Untertitel: "Das Leben als Schreiben" und zugespitzt im Text: "Das Werk ist alles, das Ich ist nichts." Pfotenhauer - Jean-Paul-Editor und einer der besten Kenner seit Jahrzehnten - begründet seine Entscheidung, die eine vierzigseitige tabellarische Lebenschronik an den Schluss der ausführlichen Werkinspektion rückt, aus der Besonderheit dieses Autors. Wie kaum ein anderer Schriftsteller um 1800 schreibt Jean Paul nicht nur beständig über Facetten des eigenen Daseins und sich selbst als Alter-Ego-Figur mit in die Texte, vielmehr begreift er Dichtung als künftigen Lebensplan, folgt also in der Realität oftmals dem selbsterfundenen Entwurf.
Das klingt ziemlich verrückt - und ist es auch. Literaturbesessen und schriftversessen ist Jean Paul schon als Kind. Der Pastorensohn bastelt sich - wie dann Wutz - aus Papierabschnitten, die von den Oktavpredigten des Vaters abfallen, eine Etui-Bibliothek im kleinsten Sedezformat zusammen. Darin kommentiert er einzelne Bibelverse, manchmal sogar in einem aus chemischen Symbolen zusammengeklaubten Geheimalphabet. Später wird seine "Taschen-Bibliothek" aus 15 000 Seiten von Exzerpten bestehen, die - ausgestattet mit Registern und Registern zu Registern - die wirkliche Welt für rund 11 000 gedruckte Seiten Dichtung enzyklopädisch erschließt: "an jedem extrahierten Buch hängt ein glimmendes Stück meiner Geschichte". So spiegeln die Exzerpte die eigenen Lektüren und zugleich das Leben des tüftelnden und trinkenden Stubenhockers, denn ohne Kaffee und alkoholischen "Gehirnkitzel" geht nichts.
Gleiches gilt für Briefe, auch sie sind nichts als das Leben. Jean Paul erstrebt sie im Gegensatz zum korrespondenzwütigen Zeitalter nicht nur als Gespräche zwischen Abwesenden, sondern als Schriftwechsel zwischen Anwesenden. So gratuliert er seiner Frau in der gleichen Wohnung brieflich zum Geburtstag, 1807 sitzt er mit ihr gar am Tisch, und sie schreiben auf dem gleichen Blatt aufeinander zu. Das Ideal vom Freundeskreis, der sich in einem Raum schriftlich statt mündlich verständigt, entwirft Jean Paul schon 1796. Erst Thomas Manns "verwester Säugling" Detlev Spinell überbietet das noch, wenn er die Post fürs Nachbarzimmer frankiert und über das örtliche Amt besorgen lässt. Bei Jean Paul geht das noch billiger, das Material für den von den Klassikern geneideten Erfolgsroman "Hesperus" liefert dem Erzähler beispielweise ein Spitz in 45 "Hundsposttagen".
Briefe bezeichnet Jean Paul gelegentlich als das eigentliche Werk, es seien dünnere Bücher und diese wiederum dickere Briefe. Es sind für ihn keine bloßen Gebrauchsmedien, sondern Literatur. So ist es nur konsequent, wenn die Biographien jetzt um eine sorgfältig kommentierte Briefauswahl ergänzt werden. Enthalten sind natürlich auch jene beiden Begleitbriefe zur "Unsichtbaren Loge" und zum "Hesperus", die der Empfänger Goethe demonstrativ unbeantwortet lässt. Sie sind so überbordend geistreich, so auftrumpfend "bilderrätselselig", dass sie konkurrierende Nichtbeachtung geradezu herausfordern. Goethe mochte Jean Paul ein "wunderliches Wesen", einen "Philister" und noch dazu "krank" nennen, statt ihn aber zu ignorieren, hat er ihn stets argwöhnisch beäugt. Der junge Dichter ließ sich indes nicht irritieren, publizierte Buch um Buch und nannte das in Weimar etablierte "goldne sechzehnkaratige Zeitalter" schnoddrig ein derweil ziemlich verkalktes.
Das schriftlose Leben bildet in Pfotenhauers ,Werk als Vita' nur den Basso continuo, in Langners "Meister der zweiten Welt" hingegen die tragende Melodiestimme. Damit setzt sich die Kritikerin und Publizistin von der streng akademischen Lesart etwas ab. Langners sprachmächtiges Buch malt stärker die historischen Kontexte aus - wer es liest, lernt ungeheuer viel über die Epoche von Aufklärung und Französischer Revolution, über den Bildungsgang eines begabten, aber fast mittellosen Studenten in Leipzig, über Provinz und Metropole, Weimarer Literaturpolitik und den Mut eines angehenden freien Schriftstellers, sich seines eigenen Esprits zu bedienen. Überhaupt gewinnt bei ihr gerade der junge Jean Paul stark an Kontur: Langner handelt ausführlich über seine geistige Entwicklung und seine Mentoren, die Irritation durch Glaubensskepsis, die neue Menschenkunde, den mühsamen Start in eine Dichterkarriere.
In einem Kapitel zu Jean Pauls journalistischen Anfängen - also zum "Höfer Vierzehntagblatt" oder der "Auswahl aus des Teufels Papieren" - zitiert Langner die Formel des kritischen Zeitungsmachers Ludwig Wekherlin, Folianten seien für Gelehrte, Broschüren hingegen für Menschen. Ihr eigenes Buch zielt, ungeachtet des Umfangs, in eine ähnliche Richtung: Mit Leichtigkeit und Ironie, niemals aber verflachend erklärt sie auch schwierige Zusammenhänge und macht so einen Autor, der sich manchmal selbst im Weg stand, fasslich und zugänglich. Daneben beanspruchen die Liebeleien des allzu oft verlobten Büchermenschen, dem Langner eine Vorliebe für kapriziöse Adelsdamen attestiert, breiten Raum. Seine persönlichen Flegeljahre beendet Jean Paul 1801 in Berlin und klemmt sich ins Joch der Ehe. Der Roman "Flegeljahre" folgt auf dem Fuße.
Pfotenhauers griffiger Untertitel "Das Leben als Schreiben" erschließt sich unmittelbar, Langners "Meister der zweiten Welt" hingegen durchschaut man erst nach geduldiger Lektüre. Tatsächlich zupft sie damit ein verborgenes, aber stetiges Fädchen aus Jean Pauls Leben und Werk hervor. Seit dem Studium der Anthropologie in Leipzig geht es diesem Autor um jenes "wahre innere Afrika", das Rätsel der Seele. Statt durch "philosophisches Laternisieren" scheint es ihm nur durch psychische Selbstüberschreitung erreichbar. Jean Pauls zweite Welt bezeichnet keine "transzendente Schäferwelt" christlicher Jenseitsvorstellungen, sondern die Unsterblichkeit in uns, im psychischen Innenraum unserer Ideen und Vorstellungen, die dem Leib und Gehirn stets verbunden bleiben. Langner spannt so einen weiten Bogen vom frühen skeptischen Gedankenexperiment "Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei" über naturwissenschaftliche Essays zur Entstehung des Lebens bis zu den Parallelwelten im "Kampaner Tal" oder der "Selina". Statt eines traumtänzerischen Idealisten steht bei ihr am Ende ein menschenkundiger Psychologe. Die Nachwelt hat ihn möglicherweise unterschätzt.
ALEXANDER KOSENINA.
Günter de Bruyn: "Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter". Eine Biographie.
Überarbeitete und vermehrte Neufassung, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2013. 350 S., geb., 21,99 [Euro].
Beatrix Langner: "Jean Paul. Meister der zweiten Welt". Eine Biographie.
Verlag C. H. Beck, München 2013. 609 S., geb., 27,95 [Euro].
Helmut Pfotenhauer: "Jean Paul. Das Leben als Schreiben". Biographie.
Carl Hanser Verlag, München 2013. 509 S., geb., 27,90 [Euro].
Jean Paul: "Erschriebene Unendlichkeit". Briefe. Ausgewählt und kommentiert von Markus Bernauer, Norbert Miller und Helmut Pfotenhauer.
Carl Hanser, Verlag, München 2013. 784 S., geb., 34,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
[eine] an prägnanter Plastizität und erzählerischer Eleganz kaum überbietbare Lebensbeschreibung Jean Pauls Kirsten Voigt NZZ am Sonntag 20130331