Studienarbeit aus dem Jahr 2010 im Fachbereich Theologie - Historische Theologie, Kirchengeschichte, Note: keine Benotung, aber sehr gut , Friedrich-Schiller-Universität Jena (Theologische Fakultät), Veranstaltung: Philipp Jakob Spener und die Anfänge des lutherischen Pietismus, Sprache: Deutsch, Abstract: Wenn man einen Blick auf die Menschheitsgeschichte wirft, fällt einem schnell auf, das bedeutende Persönlichkeiten stets dann auftauchten, wenn Not und Leid am größten waren. Man denke nur an Jesus, der auftrat als sich das Judentum seiner Zeit – bedingt durch die Fremdherrschaft Roms und die damit einhergehenden, gesellschaftlichen Missstände im Land – in eine strenge Jenseitsfrömmigkeit geflüchtet hatte, wodurch die vorherrschenden Bedürfnisse der Menschen ignoriert wurden; an Martin Luther (1483-1546), der die falschen Lehren und Riten der Kirche anprangerte und das Christentum auf seine ursprünglichen Wurzeln bringen wollte oder – um ein etwas aktuelleres Beispiel anzufügen – an Mahatma Gandhi (1869-1948), der seine Heimat auf friedlichem Wege von der britischen Hegemonie befreien und die lang verwehrte Unabhängigkeit aufrichten wollte. In diese Reihe gehört auch Philipp Jakob Spener. Spener lebte und wirkte in einer gesellschaftlich-sozial äußerst desolaten Zeit. Der Dreißigjährige Krieg, der den gesamten europäischen Kontinent erschüttert hatte, war erst wenige Jahre vorbei. Die Menschen kämpften noch immer mit den Nachwehen dieses Jahrhundertkrieges – Seuchen, Missernten, Hungersnöten, hohe Mortalität, Entwurzelung und Vertreibung u.v.m. –, unter denen v.a. das geistigspirituelle Leben litt. In die leidvolle Gegenwart wurde von Seiten der einfachen Gläubigen kaum mehr Hoffnung investiert. Die Kirche – katholischer als auch protestantischer Konfession –, der eigentlich die Bekämpfung des religiösen Leids oblag, hatte sich selbst in feste, orthodoxe Bahnen manövriert. Sie war objektiv betrachtet kaum in der Lage, Hoffnung zu schüren bzw. die Missstände zu beseitigen. In eben dieser Zeit agierte Spener ganz im Sinne des Brecht Zitates – sein Land, seine Heimat, seine Kirche1, seine Mitchristen – ja seine ganze Epoche waren unglücklich und hatten es nötig, von jemanden auf den rechten Weg zurückgebracht zu werden. Kurz gesagt: die Zeit war günstig für eine erneute Reform. Spener nahm die reformatorische Herausforderung an und machte sie zu seiner Lebensaufgabe. In den nachfolgenden Ausführungen sollen beide Aspekte – erneuernde Reformation und Lebensaufgabe –, die m. E. in der Person Philipp Jakob Speners untrennbar mit einander verbunden sind, betrachtet und entsprechend seines Reformprogrammes gedeutet werden. Die dahinterstehende Frage [...]betrifft v.a. den Charakter der Spenerschen Reform. Ist sie Neuschöpfung oder Vermächtnis anderen Gedankenguts?