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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Simone Hirths Briefroman "Das Loch" zwingt seine Wahrnehmung der ganzen Welt auf
Jedes Jahr erscheinen ein paar Bücher mit literarischem Anspruch, die diesem nicht gerecht werden. Keine Frage, einer Autorin, die schon einmal Mitteilenswertes abgeliefert hat, darf ein Text missraten, aber muss er deshalb gleich zu einem Buch gemacht werden? Simone Hirth würde besser dastehen, wenn ihr der Verlag eine Absage zugemutet hätte. Dass es nicht geschah, ist wohl den Usancen des Literaturbetriebs zuzuschreiben, dem in Österreich noch mehr als anderswo bange wird, sollte es kritisch zugehen. Simone Hirth hat etliche Preise und Stipendien eingeheimst. Wer fragt dann noch nach, was es mit ihrer Literatur auf sich hat? Dabei lässt sich leicht nachweisen, dass Preise nicht selten unbedacht vergeben werden. Eine langfristige Schriftstellerexistenz sollte man darauf nicht bauen.
Was läuft im neuen Buch von Simone Hirth nun schief? Eine junge Frau fällt in ein tiefes Loch, weil sie als junge Mutter überfordert ist und der Mann, anders als erwartet und erhofft, als Gefährte versagt. Also versucht sie, zu sich selbst zu kommen, indem sie in der wenigen Zeit, die ihr zur Verfügung bleibt, Briefe an unterschiedliche Adressaten formuliert. Es müssen gleich die ganz Großen dabei sein wie Jesus und Mohammed, die Popsängerin Madonna und Ingeborg Bachmann, auch die nicht ganz so Großen wie der österreichische Kanzler und die Frauenministerin, und bisweilen wird die Briefschreiberin bescheiden und schreibt dann an das Murmeltier oder das Loch. Das könnte von einigem Reiz sein, wenn ihr nicht lauter Albernheiten einfallen würden. Wie schreibt sie an den Frosch (Achtung, raffiniertes Symbol: Frosch als Prinz)? "Du bist überhaupt nicht kuschelig, du hast kein flauschiges Fell, und gerade deshalb schätze ich dich so." Sie teilt ihm mit, wie nahe sie dem Wahnsinn oft sei, und betreibt verkniffen das Handwerk des Lamentos. Der Wahnsinn wird ihr zum "Teich, um den keine Pflanzen wachsen". Angst vor verkorksten Metaphern hat diese Korrespondentin jedenfalls ebenso wenig wie vor dem Schreiben, auch wenn ihr gar nichts einfällt: "Egal, ob diese Wörter dann im Ganzen einen Sinn ergeben oder nicht." Doch warum sollen wir das überhaupt lesen?
Ihr Kämmerchen ist eng, Rosa Luxemburgs Gefängniszelle auch, also macht sie diese unversehens zur Verbündeten. Die Briefeschreiberin liest Rosa Luxemburg, wie die im Fensterausschnitt die wenige Natur beobachtet, und freut sich, "dass es mir aus Deinen Briefen entgegenzwitschert. Zwi-zwi." Von Revolution jedoch sieht die junge Mutter in ihrem Kämmerchen in der tiefen österreichischen Provinz gar nichts. Das Frappierende an diesem Buch ist die Absenz jeglicher Reflexion und des historischen Bewusstseins.
Man kommt gar nicht nach mit dem Ärger über die fortschreitende Infantilisierung. Alle Adressaten werden ausnahmslos mit dem engen Erfahrungshorizont der Briefverfasserin gleichgesetzt. "Lieber Kanzler, mein großes Thema ist momentan das Abstillen." Es ist gleichgültig, an wen sie sich wendet, sie ist der Mittelpunkt der Welt, und das sollen alle anderen gefälligst zur Kenntnis nehmen. Es geht nie um die Erfahrungs- oder, Gott bewahre, Gedankenwelt der anderen, jedem wirft sie sich an den Hals, um mitzuteilen, wie arm sie dran ist. Ein Unbehagen muss sie verspürt haben, immerhin wendet sie sich auch an den Literaturkritiker: "Du meinst, das interessiert keinen", fragt sie ihn in der Annahme, dass er ihren Stoff als für zu gering erachten würde. Als ob es um ein Thema ginge! Die Frage ist ja, was sie daraus macht. Und dann passiert ihr sogleich ein sprachliches Missgeschick: "Umso länger der Brei gekocht wird, umso fester wird er." Immerhin die Brei-Metapher, wenn es denn eine sein soll, leuchtet auf Simone Hirths Buch bezogen ein.
ANTON THUSWALDNER
Simone Hirth: "Das Loch". Briefroman.
Kremayr & Scheriau, Wien 2020. 272 S., geb., 22,90 [Euro].
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