Hier ist von einem besonderen Mädchen die Rede - mit einer ganz besonderen Eigenschaft, die es ihr aber nicht immer leicht macht, wie der Autor gleich zu Beginn seines vergnüglich zu lesenden Kinderbuches erklärt: Das Mädchen aus dem Spiegel? Ebenso gut hätte ich ,Die Geschichtenerfinderin' darüber schreiben können. Denn am meisten wird von einem Mädchen erzählt, das sich Geschichten ausdenkt. Fast überall, wo es sich aufhält. Für sich selbst, aber auch für andere und damit auch für euch. Nur so zu ihrem Spaß. Aber jeder, der sie bereits kennt und sich mit ihr unterhält, blickt sie zuerst immer zweifelnd an und fragt sich: Sagt sie jetzt die Wahrheit? Oder spinnt sie wieder und tischt mir eine ihrer Geschichten auf? Das hört sich an, als wäre dieses Mädchen eine ganz gewöhnliche Lügnerin. Ich kenne sie aber sehr gut und kann darum behaupten, dass dies nicht zutrifft. Vielmehr spricht sie einfach aus, was ihr gerade in den Sinn kommt. Weil es ihr schwer fällt, es für sich zu behalten. Sie besitzt eine große Erfindungsgabe und kann manchmal selbst nicht genau unterscheiden, ob sie sich an etwas erinnert oder es sich soeben ausgedacht hat. Hört man ihr zu, irrt man ständig zwischen Glauben und Unglauben umher, als befände man sich an einer Wegkreuzung und könne sich nicht für eine Richtung entscheiden. Und eben das macht es für andere Leute nicht so ganz einfach, wenn sie es mit Dagmar zu tun haben. Dagmar, so heißt die Geschichtenerfinderin, die sich selber meist jedoch als Daggi vorstellt. Wer aber verstehen will, weshalb Daggi, bald elf, so eine kräftige Fantasie entwickelt hat, der muss etwas aus ihrer Kindheit wissen, als sie noch Klein-Daggi war: Trotzdem kam Daggi um die eigene Erfahrung nicht herum, weil sie bereits als ganz kleines Mädchen wegen eines Sonnenbrandes tagelang im Haus bleiben musste. Während ihre Freundinnen sich an den Strand des nahen Sees legten und ihre großen Halbgeschwister in der Schule waren, wälzte sie sich auf ihrer Matratze wie eine Katze, die im Sand ihr Ungeziefer abstreift. Sie selbst streifte schließlich ihre alte Haut ab, die sich wie feines Papier löste und helle Flecke hinterließ - als hätte man sie über Nacht mit Puderzucker gesprenkelt. Auf diese Weise musste sie lernen, die Einsamkeit zu bekämpfen, um nicht an Langweile zu sterben. Sie begann sich Geschichten auszudenken, lustige und traurige und auch solche, die wie Abenteuer verliefen und auch genauso endeten. Hauptsache war, dass am Schluss das Gute siegte.
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