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Strahlende Sonne, blauer Himmel: das Mittelmeer an Weihnachten, vom Deck eines Kreuzfahrtschiffes aus gesehen. An Bord die Psychologin Rose mit ihren beiden halbwüchsigen Kindern, sie soll sich eine Auszeit gönnen, denn es kostet Kraft, Familie und Beruf zu vereinbaren, und dann steht noch ein Umzug bevor, aus dem hektischen Paris ins beschauliche Clèves. Mit der Erholung ist es vorbei, als ein Seelenfänger kentert und das luxuriöse Passagierschiff die Überlebenden aufnimmt, nur kurz, bis die italienische Küstenwache eintrifft. Zeit genug für Rose, sich auf das Drama einzulassen und…mehr

Produktbeschreibung
Strahlende Sonne, blauer Himmel: das Mittelmeer an Weihnachten, vom Deck eines Kreuzfahrtschiffes aus gesehen. An Bord die Psychologin Rose mit ihren beiden halbwüchsigen Kindern, sie soll sich eine Auszeit gönnen, denn es kostet Kraft, Familie und Beruf zu vereinbaren, und dann steht noch ein Umzug bevor, aus dem hektischen Paris ins beschauliche Clèves. Mit der Erholung ist es vorbei, als ein Seelenfänger kentert und das luxuriöse Passagierschiff die Überlebenden aufnimmt, nur kurz, bis die italienische Küstenwache eintrifft. Zeit genug für Rose, sich auf das Drama einzulassen und unwillkürlich Verantwortung zu übernehmen, wenigstens für einen der Flüchtlinge, für den jungen Younès, und sei es nur, weil er sie an ihren Sohn erinnert. Durch ihre spontane Hilfsbereitschaft stellt Rose das Leben ihrer ganzen Familie auf den Kopf. Und sie lernt ihre Heimat aus einem ganz neuen Blickwinkel kennen, erkundet den Dschungel von Calais und sondiert Herzen, das eigene und das ihrer Mitmenschen. Ein ungeheuer kluger, bewegender und zeitloser Roman über unsere Gegenwart in ihrer ganzen Komplexität, über die Schwierigkeiten und Schönheiten einer Begegnung mit dem Fremden, vor allem eine literarisch berückende Schule der Empathie, aus der Feder einer der bedeutendsten Schriftstellerinnen Frankreichs.
Autorenporträt
MARIE DARRIEUSSECQ, geboren 1969 in Bayonne, hat seit 1996 neben diversen kleineren Texten 16 Bücher veröffentlicht, darunter »Schweinerei«, »Prinzessinnen« und »Man muss die Männer sehr lieben«, wofür sie 2013 mit den Prix Médicis ausgezeichnet wurde. Zuletzt von ihr im Secession Verlag erschienen: »Unser Leben in den Wäldern«, das zur Zeit unter der Regie von Magali Magistry verfilmt wird, sowie »Hiersein ist herrlich. Das Leben der Paula Modersohn-Becker«. Sie lebt mit ihrer Familie in Paris. PATRICIA KLOBUSICZKY geboren 1968 in Berlin, hat zehn Jahre lang als Lektorin beim Rowohlt Verlag gearbeitet. Seit 2006 ist sie freie Übersetzerin aus dem Französischen und Englischen und hat neben zahlreichen anderen Werke von William Boyd und Marie Darrieussecq ins Deutsche übertragen. Von März 2017 war sie Bundesvorsitzende im Verband deutschsprachiger Übersetzer literarischer und wissenschaftlicher Werke.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.03.2024

Wo gibt es denn altruistische Immobilienmakler?

Die Provinz taugt noch immer nicht zur Idylle: Marie Darrieussecq beschreibt in "Das Meer von unten" anschaulich Mittellebens-Tristesse.

Von Niklas Bender

Marie Darrieussecq hat die Gabe, beiläufig Kontinuitäten herzustellen. "Das Meer von unten" führt mehrere Vorgänger fort, und es überrascht, wie der Roman es tut. Der Leser kennt Rose Goyenetche aus "Prinzessinnen": Dort ist sie die beste Freundin der Hauptfigur Solange, die im baskischen Dorf Clèves sexuell erwacht; im aktuellen Roman rückt Rose ins Zentrum, als Pariser Psychologin, Ehefrau und Mutter in einer handfesten Existenzkrise. Aus dem dystopischen Roman "Unser Leben in den Wäldern" schwappen Szenen von staatlicher Verfolgung und Marginalität ins neue Werk herüber. Diese Kontinuitäten sind alles andere als nebensächlich.

Doch zunächst zu Rose, deren Leben "ihrem etwas altmodischen Vornamen" nicht recht entspricht: In vier Abschnitten wird eine Umbruchzeit erzählt. Der Roman setzt mit einer weihnachtlichen Mittelmeerkreuzfahrt ein, die Rose mit ihren Kindern Gabriel, fünfzehn, und Emma, sieben, unternimmt: Sie verspricht sich Erholung, ihre Ehe ist angeschlagen; ihr Mann Christian, das lebende Oxymoron eines altruistischen Immobilienmaklers, hat ein Alkoholproblem. Die Besatzung des Kreuzfahrtschiffs fischt 150 Migranten aus dem Meer, unter ihnen Younès Aboussa, dem Rose Kleider und das Mobiltelefon ihres Sohnes gibt; fortan bleiben sie in Verbindung. Der zweite Abschnitt berichtet die letzten Monate in Paris: Roses Familie zieht aus der dortigen Dreizimmerwohnung in ein Haus in Clèves um, Christians und Roses Heimatort. In Abschnitt drei holt Rose Younès aus Calais ab, wo er sich beim Versuch, auf einen Laster nach England zu gelangen, verletzt hat. Der vierte Abschnitt schildert Younès' Pflege und das gemeinsame Leben in Clèves sowie die Rückfahrt nach Calais; ein Ausblick auf die Zukunft der Familie bildet den Epilog.

Die Handlung ist überschaubar, der Roman zeichnet vor allem das Psychogramm einer Midlife-Crisis: "Sie betrachtet ihren dösenden Mann, seine vom Alkohol verdeckte Schlaflosigkeit. Mit zwanzig hätte sie das nicht ausgehalten. Mit dreißig auch nicht, mit vierzig wollte sie alles hinter sich lassen, jetzt ist sie fünfundvierzig und hat Paris hinter sich gelassen und das ist ihr Leben." Der frankreichtypische Gegensatz zwischen Hauptstadt und Provinz liefert die Grundstruktur: Der Umzug aufs Land soll mehr Platz, weniger Stress und ein besseres Schulumfeld bringen (sprich einen Schulranzen ohne Fäkalien für die Kleine). Und er soll den Verfall einer bröckelnden Ehe aufhalten.

Wir wissen es seit "Madame Bovary": Die Provinz taugt nicht zur Idylle. Zwar sind die Basken heute "weniger maulfaul, weniger rustikal" und Clèves mit 3000 Einwohnern kein Dorf mehr, aber das Setting bedrückt dennoch. Mit Rose trifft der Leser Charaktere aus "Prinzessinnen" wieder, die gealtert sind - selten zu ihrem Vorteil. Arnaud, einst für Solanges sexuelle Initiation zuständig, ist nun "voller Falten, dürr, rot und glänzend". Er arbeitet nicht mehr als Feuerwehrmann, sondern als "Beschwörer" und trinkt mit Christian um die Wette. Ein weiteres Beispiel ist Physiotherapeutin Nathalie, mit der Rose sich überwirft, als sie ihr "Wischiwaschi-Toleranz" gegenüber Younès vorwirft. Beruflich hapert es, die Leute vertrauen auf "Knochenklempner, Hellseherinnen, Heiler, Zauberer, Hexen", nicht auf Psychologen; Christian plagt sich ebenfalls. Und trinkt: "Manchmal findet sie ihn schlafend auf dem Klo, dann zieht sie ihn aus und steckt ihn ins Bett. Manchmal wacht er halb auf und legt sich auf sie, dann entsteht eine Art Minimalkontakt in der Ehenacht. Sie ist so nett, ihn gewähren zu lassen, und vielleicht ist es seinerseits auch eine Nettigkeit." Kurz, "das ursprüngliche Gefühl: Man muss hier weg" ist wieder da.

In diese Mittellebens- und Mittelschicht-Tristesse trägt der Migrant Younès einen Funken Lebendigkeit, der das Zeug zur Initialzündung hat. Der Jugendliche zeigt bedingungsloses Vertrauen in Rose und ihre heilenden Hände; mit wechselndem Glück und begrenztem Geschick verfolgt er den Traum von einem besseren Leben in England. Und Rose lernt von Younès - ja, was eigentlich? Nichts Weltbewegendes, vielleicht das Ausscheren aus dem Funktionieren, die kleine Illegalität. Beruflich startet sie durch, als sie Handauflegen in ihr Therapiekonzept übernimmt.

Darrieussecq gelingt es, die enttäuschten Träume einprägsam zu fassen. Dabei verliert sie selten die ironische Distanz zur ihrer gutmenschelnden, aber liebenswürdigen Heldin - ein zentraler Unterschied zu "Man muss die Männer sehr lieben", wo die Schilderung von Solanges Star-Leben in Hollywood durch deren Barbie-Brille blickt. Rose hingegen tapert mutig, tollpatschig und höflich durchs Leben. Man muss über sie lachen, wenn sie sich während der Christmette Cocktails hinter die Binde gießt und dem einen oder anderen Seitensprung leicht torkelnd ausweicht. Ihre menschlichen Grenzen sieht man ohne Hohn und Bitterkeit.

Der Humor hilft: "Passagiere, alle im Greisenalter, verteilten sich schleppend wie arthritische Hummer über das ganze Schiff", heißt es über die Kreuzfahrt. Und ein Sinn für das Poetische: Rose spürt dem Unendlichen nach, sei es "das unermessliche, gleichgültige Meer", das sich im Schiff unter ihr erstreckt, sei es das nächtliche Weltall: "Das Haus dreht sich um sie herum, die Renovierungsarbeiten sind beendet. Dreht sich langsam mit der noch schwärzeren Masse der Bäume in der leeren Nacht." Bestechend ist schließlich ein Genrebild, das der letzten Tankstelle vor dem Kanaltunnel, wo Migranten versuchen, auf Laster zu springen. Nachts sieht Rose die Kassiererin: "Eine flämisch-blonde Erscheinung im Schaufenster. Eingerahmt vom Tresen und von den Verkaufsständern, über ihre Kasse gebeugt, hat sie die konzentrierte, fast schon erhabene Anmutung der Magd über ihrem Milchkrug, der Spitzenklöpplerin an ihrem Arbeitstisch, des Astronoms (!) über seinem Globus." Damit kontrastieren realistische Szenen und historische Bezüge wie die Migrationskrise, der Untergang der Costa Concordia und der Anschlag auf den RER B; sie werden neu sortiert, rufen aber die jüngere Vergangenheit auf.

Zweimal wurde Darrieussecq der Vorwurf gemacht, abgeschrieben zu haben: Marie NDiaye hat ihr "Nachäfferei" vorgeworfen, Camille Laurens "psychisches Plagiat". Der Clèves-Zyklus - denn der zeichnet sich nach und nach ab - beweist, dass Darrieussecq ihrer stilistischen Wandelbarkeit zum Trotz ein ureigenes Universum baut. "Das Meer von unten" zeigt es von seiner überzeugenden Seite. Man darf gespannt sein, wie es weitergeht: "Fabriquer une femme" (Eine Frau herstellen), im Januar in Frankreich erschienen, bietet ein Wiedersehen mit Solange und Rose.

Marie Darrieussecq: "Das Meer von unten".

Roman.

Aus dem Französischen von Patricia Klobusiczky. Secession Verlag, Berlin 2024. 186 S., geb., 25,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension

Rezensent Dirk Fuhrig bedauert, dass Marie Darrieussecq nicht durchhält und die Geschichte um einen afrikanischen Bootsflüchtling und seine französische Samariterin nicht bis zum Ende mit der befreienden satirischen Grundhaltung durcherzählt. Der Kontrast zwischen einer Kreuzfahrtgesellschaft und einem Migrantenschicksal ist anders eigentlich kaum zu ertragen, findet Fuhrig. Was die sich zu einem Roadmovie auswachsende Konstellation zu Beginn spannend und lesenswert macht, geht schließlich verloren, wenn die Autorin ihre weibliche Protagonistin zur Wunderheilerin stilisiert, kritisiert Fuhirg. Der engagierte Elan des Romans verpufft in einer esoterischen Wolke, stellt er betrübt fest.

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