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Kim Stanley Robinson hat mit "Das Ministerium für die Zukunft" den Roman zum Klimagipfel geschrieben
Seit vier Tagen läuft die Weltklimakonferenz in Glasgow, und noch ist schwer zu sagen, wie sie enden und im Gedächtnis bleiben wird: als der Klimagipfel, auf dem die Weltgemeinschaft Ernst gemacht hat mit dem 1,5-Grad-Ziel, das 2015 in Paris so feierlich beschlossen wurde? Oder als weitere Zusammenkunft der vagen Versprechen und schönen Worte, des "Blablabla"? Artikel 16, Absatz 4 des Übereinkommens von Paris besagt, dass es Aufgabe der Vertragsstaaten sei, Beschlüsse zu fassen, die die Umsetzung des Vertrags ermöglichen. Es könnten dafür, wenn nötig, auch "Nebenorgane" eingesetzt werden. Auf diesen Absatz, so hört man aus Glasgow, berufen sich nun vermehrt Delegierte und fordern die Einrichtung eines solchen Organs.
Nun gut, der letzte Satz des Absatzes stimmt nicht. Eine UN-Behörde, die für die Erfüllung der Ziele von Paris kämpft, wird es wohl nicht geben - es sei denn, einige Konferenzteilnehmer hätten Kim Stanley Robinsons "Das Ministerium für die Zukunft" gelesen und fühlten sich davon inspiriert. In dem Roman wird im Jahr 2025 ebenjenes Ministerium gegründet, nachdem sich die Vertragsparteien von Paris eingestehen mussten, dass die Länder die selbst gesteckten Ziele nicht erreichen. Die neue Institution soll "für die zukünftigen Generationen der Welt eintreten", um deren Rechte umzusetzen. So steht es auf Seite 25 des Romans. Auf den folgenden 700 Seiten schmilzt die Eisfläche des arktischen Ozeans, leitet Indien nach einer Hitzewelle mit zwanzig Millionen Toten den Umbau zu organischem Landbau ein, Öko-Terroristen schießen benzinbetriebene Passagierflugzeuge ab und versenken Containerschiffe, in der Antarktis pumpen Ingenieure Schmelzwasser unter Gletschern hervor, damit die wieder fest auf ihrem felsigen Untergrund sitzen und nicht ins Polarmeer rutschen. Die neue Behörde droht eine weitere zahnlose Institution zu werden, aber dann gelingt es ihrer Leiterin, die Zentralbanken vom Konzept der Carboncoins zu überzeugen, einer Währung, die Unternehmen für Kohlenstoff bekommen, den sie nicht ausstoßen. Das Buch endet knapp dreißig Jahre nach der Gründung des Zukunftsministeriums: Der Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre sinkt, Wildtiere durchstreifen riesige Schutzgebiete, auf den Meeren wird Ware von Schiffen mit Fotovoltaiksegeln transportiert. Die Welt, so scheint es, hat es gerade noch einmal geschafft.
In den USA ist "Das Ministerium für die Zukunft" Ende 2020 erschienen und viel diskutiert worden, allerdings weniger in literarischen als in politischen und klimaaktivistischen Kreisen. Barack Obama hat den Roman auf seine Liste der wichtigsten Bücher des Jahres gesetzt, und der bekannte Kommentator Ezra Klein hat mit Robinson darüber gesprochen, ob es moralisch legitim sei, im Kampf für das Klima Gewalt anzuwenden, und wie unvermeidbar Geoengineering ist. In Deutschland hat die Initiative klimafakten.de Kim Stanley Robinson mit der Klimatologin Friederike Otto zusammengeschaltet, einer der Autorinnen des letzten Weltklimaberichts. Otto sagte, dass ihr vieles in dem Buch so vertraut sei, dass es sich kaum wie Fiktion anfühle: der Stand der Wissenschaft, die Extremwetterereignisse, die Ohnmacht der Institutionen. Dass es aber fantastisch wäre, wenn die Welt dorthin käme, wo sie am Ende des Buches steht.
Ein Roman, der in einer sehr wiedererkennbaren Gegenwart beginnt und in einer wünschenswerten Zukunft endet: Ist das vielleicht weniger Literatur als Aktivismus? Und am Ende einer, der Gewalt propagiert? So einfach ist es nicht. Der Science-Fiction-Autor Robinson, am bekanntesten für seine Marsbesiedlungs-Trilogie, ist ein zu guter Erzähler, um seinen Roman zum Vehikel einer Botschaft zu machen. "Ein Ministerium für die Zukunft" ist keine Handlungsanweisung, sondern ein kühles Ausloten der Dynamiken, die aus einer Welt der Beharrungskräfte eine der Veränderung machen könnten. Eine solche Dynamik wird in der Tat durch terroristische Akte beschleunigt: Die Attentate auf Flugzeuge bringen den Treibhausgase produzierenden Flugverkehr zum Erliegen, verantwortlich ist die Bewegung "Children of Kali", nach der hinduistischen Göttin der Zerstörung. Sie hat sich nach der tödlichen Hitzewelle in Indien gegründet - als drastische Variante dessen, was etwa der Politologe Stephan Rammler vom Berliner Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung für denkbar hält: Das Gefühl, von der älteren Generation nicht gehört zu werden, könne zu einer Radikalisierung von Teilen der Klimabewegung führen. Es ist ein legitimes Gedankenspiel, dass sich Gruppen bilden könnten, die es nicht bei der Sabotage etwa von Kohlekraftwerken belassen.
"Ein Ministerium für die Zukunft" endet hoffnungsvoll, ein optimistisches Buch ist es dennoch nicht. Die Transformation, auf die die Zivilisation zusteuert, kommt nicht plötzlich. Sie ist das Ergebnis zäher Prozesse, von Kräften, die irgendwann doch ineinandergreifen und die Robinson zu einer kühnen Collage montiert: Sitzungsprotokolle der UN-Behörden, wirtschaftstheoretische Ausführungen etwa zum Jevons-Paradoxon (höhere Effizienz beim Gebrauch eines Rohstoffs führt zu dessen vermehrter Nutzung), philosophische Dialoge, innere Monologe namenloser Protagonisten, so etwa eines Besuchers des Weltwirtschaftsforums, dessen Teilnehmer als Geiseln genommen werden, oder einer Bewohnerin von Los Angeles, die im Kanu durch die überschwemmte Stadt paddelt. Es ist ein zuweilen irrer Ritt, bei dem auch ein Kohlenstoffatom seine Reise durch die Zeiten beschreibt oder die Sonne einen empathielosen Blick auf den Planeten richtet, der von ihrer Wärme lebt.
Die Stärke dieser Dos-Passos-haften Multiperspektivität liegt im Dazwischen; im Raum, der sich auftut, wenn Erzählfetzen so unvermittelt nebeneinanderstehen. Als Leser wird man aus seinem eingeschränkten Erdbewohner-Blickwinkel gehoben und sieht den Planeten als das, was er ist: ein komplexes, bedrohliches, zauberhaftes Gefüge von Wechselwirkungen ökologischer, menschlicher, wirtschaftlicher Art. Der eigentliche Handlungsbogen ist weniger stark, er konzentriert sich auf Mary Murphy, die Chefin des Zukunftsministeriums, und einen früheren Entwicklungshelfer, der die letale Hitze in Indien traumatisiert überlebt. Ihre Wege kreuzen sich: Er richtet eine Waffe auf Mary Murphy, um sie zum Zuhören zu zwingen, sie zu überzeugen, dass ihr Ministerium nicht genug tut. Die langsame Annäherung beider Figuren durchzieht den Roman, doch sie gewinnen nicht wirklich an Kontur. Andere Stimmen in Robinsons Weltenchor sind da eindringlicher: "Ich bin die Geschichte. Und auf euch kommt es an, ob ich gut werde." PETRA AHNE
Kim Stanley Robinson: "Das Ministerium für die Zukunft". Roman.
Wilhelm Heyne Verlag, München 2021. 716 S., br., 17,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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