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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Ein Plädoyer für die Aufrüstung der Kartellbehörden
Im Falle des Zündholzmonopols war die Sache noch einfach: Der Deutsche Bundestag hat das Monopol 1982 einfach per Gesetz abgeschafft - seither gibt es mehrere Anbieter, und die Preise für Streichhölzer sind gefallen. Ähnlich erging es dem Branntweinmonopol, dem Feuerversicherungsmonopol und dem Kehrmonopol der Kaminfeger.
Leider lässt sich Marktmacht nicht immer so einfach per Beschluss beseitigen. Sobald Größenvorteile und Netzwerkeffekte eine Rolle spielen, wird es weit komplizierter. Das hat sich schon im Fall der Eisenbahn, der Telekommunikation und der Elektrizitätsnetze gezeigt. Und es zeigt sich jüngst nochmals in der Frage, wie mit der ungeheuren Größe von Unternehmen wie Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft umgegangen werden soll.
Der Wirtschaftsjournalist Hans-Jürgen Jakobs ist hochbesorgt über die Macht der Tech-Giganten. Die Kartellämter rund um die Welt verhalten sich nach Jakobs Auffassung viel zu passiv. Viele dieser "Superstarfirmen" hätten "nicht nur die Größe, sondern auch das Selbstverständnis von Staaten", schreibt der frühere Chefredakteur des "Handelsblatts". Aus ihnen seien jene "Machtkörper" entstanden, vor denen Walter Eucken einst gewarnt habe. Diese Form der wirtschaftlichen Machtballung gebe es inzwischen weltweit in zwei Varianten: Im Westen in Form der oben genannten "Big Five"-Digitalriesen, die nach ihren Anfangsbuchstaben kurz GAFAM genannt werden. Im Osten in Form des chinesischen Staatskapitalismus mit den drei Digitalunternehmen Baidu, Alibaba und Tencent - kurz BAT genannt, dem chinesischen Pendant zu GAFAM, die mittlerweile aber von den kommunistischen Machthabern voll auf Parteilinie gebracht worden sind.
Das Buch beschränkt sich nicht auf die Macht der Digitalriesen. Jakobs nimmt seine Leser mit auf einen äußerst lesenswerten Streifzug durch allerhand hoch konzentrierte Märkte rund um die Welt: Meist geht es nicht um Monopole im engeren Sinne, sondern um Oligopole oder Quasimonopole. Es geht auch um Rohstofflieferanten, Schattenbanken, Lebensmittelkonzerne, Pharmakonzerne, Wirtschaftsprüfer, Medienkonzerne und Reedereien. Jedes einzelne Kapitel über die verschiedenen Branchen ist faktengesättigt, lehrreich und dabei sehr verständlich geschrieben.
Bei der Frage, ob Marktmacht vorliegt, zielt er sehr stark auf die hohe Konzentration ab. Hohe Marktanteile setzt er aber womöglich zu leichtfertig mit hoher Marktmacht gleich. Das mag zwar oft stimmen, greift aber doch zu kurz, weil noch entscheidender als die Konzentration die Frage sein dürfte, ob ein Unternehmen durch Marktzutrittsschranken vor aktiven und potentiellen Wettbewerbern geschützt wird. In manchen Fällen kann es auch volkswirtschaftlich sinnvoll sein, dass ein Markt hoch konzentriert ist. Größenvorteile tut er an einer Stelle des Buches etwas leichtfertig ab als "argumentativer Standardbausatz eines jeden Unternehmensberaters". Diesem Problem muss sich aber gerade die Wettbewerbstheorie stellen und versuchen, Wege aus dem Dilemma zu entwickeln.
Recht hat Jakobs, wenn er schreibt, dass die Fusionskontrolle wieder ernster genommen werden muss, damit die "schöpferische Zerstörung" des Wettbewerbs wieder zum Laufen kommt. Zwar sei es richtig, dass Unternehmen, die einen Markt ganz neu erschaffen würden, eine gewisse Zeit einen Monopolgewinn als Belohnung für diese Pionierarbeit zugestanden werde, doch es sei genauso wichtig, dass irgendwann Nachahmer oder andere Neulinge mit frischen Ideen kommen könnten, die das neu geschaffene Monopol zugunsten der Allgemeinheit wieder zerstören und daraus einen Markt mit mehreren Anbietern machen. Genau das aber fehle oft. Stattdessen würde den großen Tech-Giganten zu leichtfertig erlaubt, Rivalen, die ihnen gefährlich werden könnten, einfach aufzukaufen.
Viele Jahre haben die Wettbewerbsexperten das Problem unterschätzt, schreibt Jakobs. Er zeigt aber auch gut, mit welchen Problemen Wettbewerbshüter im Zuge der technischen und ökonomischen Entwicklungen zu kämpfen haben. Während früher Marktmacht einfacher an hohen Preisen für Endkunden erkennbar waren, ist die Sache heute oft diffiziler. Zahlt man den überhöhten Preis womöglich nicht überall mit Geld, sondern manchmal indirekt auch mit Daten? Im Mittelpunkt der Digitalwirtschaft steht heute das Sammeln, Verbinden und Verwerten von Daten. Für die Dienste, die sich daraus ergeben, existiere "scheinbar oft überhaupt kein Preis". Es gehe in künftigen Kartellfällen auch viel darum, wie Unternehmen Daten miteinander verknüpfen dürfen. Die Kartellbehörden brauchten mehr technische Experten, schreibt Jakobs zu Recht, statt nur Juristen und Volkswirte: "Wer über Google & Co. urteilen will, muss Algorithmen verstehen."
Manches Urteil scheint aber zu harsch: So sieht Jakobs die Ökonomen der Chicagoschule allein als "maßgebliche Theoretiker des Monopolismus". Unter den Tisch fällt, dass sie auch zur Öffnung von Sektoren beigetragen haben, die früher oft in Staatsbesitz waren, weil sie als "natürliche Monopole" als unantastbar galten und über die es lange hieß, hier sei überhaupt gar keine Form des Wettbewerbs möglich. Es ging teilweise aber doch, wie die Erfolge der Liberalisierungspolitik der Achtzigerjahre etwa im Falle der Telefonpreise und Flugpreise gezeigt haben. TILLMANN NEUSCHELER
Hans-Jürgen Jakobs: Das Monopol im 21. Jahrhundert. Wie private Unternehmen und staatliche Konzerne unseren Wohlstand zerstören. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2022, 432 Seiten, 25 Euro.
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