Bewegend! Daniel Kehlmann - Erhebend! Christian Kracht - Belebend! Florian Illies - Erregend! Florena Horaz
Zehn Jahre nach Rafael Horzons erfolgreicher Autobiografie Das Weisse Buch ist es still geworden um den einstigen Liebling der Berliner Intelligenzija. Zu still, wie er findet. Also rafft er sich auf, um es noch einmal zu versuchen: Mit einem neuen Buch möchte er sich zum wichtigsten Intellektuellen des 21. Jahrhunderts aufschwingen, ja sogar endlich den heiß ersehnten Nobelpreis gewinnen. Doch ihm fällt einfach nicht ein, worüber er schreiben könnte. Aus dieser einfachen Grundidee zaubert Rafael Horzon ein wahres Meisterwerk, das manchmal tieftraurig ist, hauptsächlich aber unfassbar lustig, und dann ist an dieser wahnwitzigen Geschichte auch noch kein Wort erfunden ...
Ganz beiläufig verfasst Horzon so vor seinen Lesern Seite für Seite ein kluges und leichtes Buch über die Freundschaft, den Tod, das Leben und die Liebe.
Zehn Jahre nach Rafael Horzons erfolgreicher Autobiografie Das Weisse Buch ist es still geworden um den einstigen Liebling der Berliner Intelligenzija. Zu still, wie er findet. Also rafft er sich auf, um es noch einmal zu versuchen: Mit einem neuen Buch möchte er sich zum wichtigsten Intellektuellen des 21. Jahrhunderts aufschwingen, ja sogar endlich den heiß ersehnten Nobelpreis gewinnen. Doch ihm fällt einfach nicht ein, worüber er schreiben könnte. Aus dieser einfachen Grundidee zaubert Rafael Horzon ein wahres Meisterwerk, das manchmal tieftraurig ist, hauptsächlich aber unfassbar lustig, und dann ist an dieser wahnwitzigen Geschichte auch noch kein Wort erfunden ...
Ganz beiläufig verfasst Horzon so vor seinen Lesern Seite für Seite ein kluges und leichtes Buch über die Freundschaft, den Tod, das Leben und die Liebe.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Wem kann zu diesem Buch geraten werden, fragt sich Rezensent Jan Wiele nach der Lektüre von Rafael Horzons zweitem Buch, dem Nachfolger des Kultobjekts und Kultur-Accessoires "Das weiße Buch". Ganz sicher nur denjenigen, die mit postmoderner Selbstreferentialität, narrativer Narretei, und Criss-Cross-Anspielungen innerhalb der opak schillernden Blase der "Berliner Pop-Bohème" etwas anzufangen wissen, denkt Wiele. Und auch denjenigen, die der Grundidee einer Ästhetisierung des Scheiterns etwas abgewinnen können. Horzons potentielle LeserInnen sind also jene, die dem Autor ähneln in seiner Selbstironie und seinem unbedingten Stilwillen - einem Stilwillen, der, wie Wiele feststellt, auch als Form der Rebellion gegen die eigene prekäre Lebenslage und "die brutale Wirklichkeit" gelesen werden kann. Doch selbst dem wohlwollenden Rezensenten kann nicht die dünne Staubschicht entgehen, die über dem "neuen Buch" liegt sowie eine gewisse Willkürlichkeit der Anekdoten und Ideen. Horzon tut eben, was er immer getan hat. Innovativ ist das jedoch nicht mehr, und vielleicht auch nicht mehr angemessen, lesen wir zwischen den Zeilen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.10.2020Leer wie eine
Champagnerblase
Rafael Horzons neues Buch hat keinen Gegenstand
Ich könnte ja jetzt mal eine Rezension schreiben. Ist doch ein schöner Ort hier, so schlank neben der Anzeige. Weiß zwar noch nicht, worüber, aber das kommt dann schon. Hauptsache, ich nenne sie „Gute Rezension“. Besser noch „Sehr gute Rezension“. Oder nur „Rezension“? Das ist gut, sehr gut ist das, weil letztgültig.
Aber will irgendjemand so was lesen? Kommt wahrscheinlich drauf an. All zu lang kann man auf dieser selbstreferenziellen Nummer jedenfalls nicht rumreiten, bzw. irgendetwas sollten selbst 130 Zeilen zum Inhalt haben. Einen sogenannten Gegenstand. Was auf dieser Literaturseite heißt: Ein Buch. Am besten gar ein neues Buch. Am allerbesten, weil ultimativsten wäre „Das neue Buch“. Aber ob das reicht?
Rafael Horzon ist so eine Art Berliner Lebensgesamtkunstwerk. Gerade und besonders, weil er keine Kunst macht und kein Künstler ist. Auch kein Schriftsteller! Wer Gegenteiliges behauptet, kann Ärger mit seiner Anwältin bekommen. Die hat 2019 in seinem Auftrag die Wikimedia Foundation Inc. verklagt, weil in Horzons Wikipedia-Eintrag lange Zeit und gegen seinen wiederholten Protest stand, er sei „deutscher Künstler, Unternehmer, Schriftsteller und Designer“.
Nun kann man es für spleenig halten, wenn einer aus solch einem Grund Wikimedia verklagt, aber die Frage, ob das Kunst ist, was Horzon so macht, oder eben nicht, berührt unbedingt den Kern seines Tuns. Horzon betreibt auf der Berliner Torstraße einen Mödelladen und hat in den vergangenen 25 Jahren nebenbei regelmäßig neue Unternehmen oder Projekte gegründet. Mal eine Partnertrennungsagentur namens Separitas, mal ein Geschäft für Apfelkuchenhandel. An seiner ganz eigenen Akademie der Wissenschaften konnte man durch die bloße Teilnahme an vier Vorträgen einen Studienabschluss erwerben, und 2019 eröffnete Horzon ein Geschäft für schnöde Dämm-Materialien, die freilich plötzlich nach interessanter Minimal-Art aussehen, wenn man sie nicht außen an die Fassen klebt, sondern innen ausstellt wie Dekorationsobjekte. Kommt eben immer auf den Kontext an. Oder wie er mal Hans Ulrich Obrist gegenüber erklärte: „Das ist ungefähr mein Beruf: Interessante Dinge tun, die keine Kunst sind.“
Der Satz stammt aus „Das Weisse Buch“, Horzons autobiografischem Schelmenroman von 2010, der, das war der Witz, in seinen unwahrscheinlichsten Teilen einfach nur die Wahrheit erzählte. Das Buch war so leicht wie eine Champagnerblase. Also eine Champagnerblase in einem formschönen Champagnerkelch, mit dem ein Mitglied der Berliner Schickeria auf den neuesten Horzon-Streich anstößt. Beim Lesen musste man fortwährend glucksen und dachte, das ist jetzt bestimmt erfunden. War es aber nicht. Das Buch wurde dann in Horzons weltweit erster monothematischer Buchhandlung verkauft.
Jetzt, zehn Jahre später, kommt also „Das neue Buch“. Rafael Horzon überlegt darin, worüber er mal schreiben könnte. Er will nämlich den Nobelpreis gewinnen. Irgendwie erlebt er aber nichts mehr. Weshalb ihm weder Thema noch Titel einfällt, auch nicht im seitenlangen Gespräch mit seinem Suhrkamp-Lektor. Und dann auch nicht im seitenlangen Gespräch mit seinem Freund Philipp Mollenkott. Und danach dann auch nicht wirklich.
Wie im ersten Buch stolpert Horzon als passionierter Lebenstrottel durch seinen Alltag, wie im ersten Buch defiliert das Who is Who der Berliner Kunst- und Medienblase durch die Kapitel, wie im ersten Buch werden Bücher und Autoren zitiert, diesmal besonders gerne Nietzsche, aber auch Goethe, Gontscharows Supertaugenichts Oblomow, Felix Krull und Christian Kracht, der wie im ersten Buch auch einen Auftritt beziehungsweise diesmal einen Ausflug hat, an den Bodensee, zwinkerzwinker „Faserland“. Wie im ersten Buch setzt Horzon frohgemut ein Projekt nach dem anderen in den Sand und hat Geldsorgen, führt aber gleichzeitig ein mondänes Leben mit Dauerpartys und Yachtausflügen. Anders als im ersten Buch kommt all das aber nicht leicht und flirrend daher, sondern eher laut und bemüht und irgendwann auch endgültig zu selbstreferenziell, obwohl das wahrscheinlich der Witz sein soll.
Liegt es nur an den Freunden, die natürlich an die Adlon-Clique erinnern sollen, aber nie zu wirklichen Figuren werden? Am konsumseligen Poppertum, das so völlig aus der Zeit gefallen scheint? Daran, dass aus dem einstigen Newcomer, der ganz Berlin mit seinen Aktionen irritierte, eben mittlerweile der arrivierte Kunstverweigerer wurde? Jedenfalls nimmt Horzon irgendwann einen seiner Freunde beiseite und erklärt ihm, das ganze Kunstgewese sei einfach langweilig. Was bedeutet, man kann machen, was man will, nur langweilig darf es nicht sein. An der Stelle hat man sich aber bestimmt schon zehnmal gefragt, wie lang das hier denn noch weitergeht. Aber vielleicht ist ja auch das wieder gewollt, denn auch dieses neue Buch soll ja auf gar keinen Fall große Kunst sein. Und das hat immerhin geklappt.
ALEX RÜHLE
Rafael Horzon: Das neue Buch. Suhrkamp Berlin 2020. 303 Seiten, 20 Euro.
Horzons Dämm-Materialien
sehen aus wie Minimal-Art
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Champagnerblase
Rafael Horzons neues Buch hat keinen Gegenstand
Ich könnte ja jetzt mal eine Rezension schreiben. Ist doch ein schöner Ort hier, so schlank neben der Anzeige. Weiß zwar noch nicht, worüber, aber das kommt dann schon. Hauptsache, ich nenne sie „Gute Rezension“. Besser noch „Sehr gute Rezension“. Oder nur „Rezension“? Das ist gut, sehr gut ist das, weil letztgültig.
Aber will irgendjemand so was lesen? Kommt wahrscheinlich drauf an. All zu lang kann man auf dieser selbstreferenziellen Nummer jedenfalls nicht rumreiten, bzw. irgendetwas sollten selbst 130 Zeilen zum Inhalt haben. Einen sogenannten Gegenstand. Was auf dieser Literaturseite heißt: Ein Buch. Am besten gar ein neues Buch. Am allerbesten, weil ultimativsten wäre „Das neue Buch“. Aber ob das reicht?
Rafael Horzon ist so eine Art Berliner Lebensgesamtkunstwerk. Gerade und besonders, weil er keine Kunst macht und kein Künstler ist. Auch kein Schriftsteller! Wer Gegenteiliges behauptet, kann Ärger mit seiner Anwältin bekommen. Die hat 2019 in seinem Auftrag die Wikimedia Foundation Inc. verklagt, weil in Horzons Wikipedia-Eintrag lange Zeit und gegen seinen wiederholten Protest stand, er sei „deutscher Künstler, Unternehmer, Schriftsteller und Designer“.
Nun kann man es für spleenig halten, wenn einer aus solch einem Grund Wikimedia verklagt, aber die Frage, ob das Kunst ist, was Horzon so macht, oder eben nicht, berührt unbedingt den Kern seines Tuns. Horzon betreibt auf der Berliner Torstraße einen Mödelladen und hat in den vergangenen 25 Jahren nebenbei regelmäßig neue Unternehmen oder Projekte gegründet. Mal eine Partnertrennungsagentur namens Separitas, mal ein Geschäft für Apfelkuchenhandel. An seiner ganz eigenen Akademie der Wissenschaften konnte man durch die bloße Teilnahme an vier Vorträgen einen Studienabschluss erwerben, und 2019 eröffnete Horzon ein Geschäft für schnöde Dämm-Materialien, die freilich plötzlich nach interessanter Minimal-Art aussehen, wenn man sie nicht außen an die Fassen klebt, sondern innen ausstellt wie Dekorationsobjekte. Kommt eben immer auf den Kontext an. Oder wie er mal Hans Ulrich Obrist gegenüber erklärte: „Das ist ungefähr mein Beruf: Interessante Dinge tun, die keine Kunst sind.“
Der Satz stammt aus „Das Weisse Buch“, Horzons autobiografischem Schelmenroman von 2010, der, das war der Witz, in seinen unwahrscheinlichsten Teilen einfach nur die Wahrheit erzählte. Das Buch war so leicht wie eine Champagnerblase. Also eine Champagnerblase in einem formschönen Champagnerkelch, mit dem ein Mitglied der Berliner Schickeria auf den neuesten Horzon-Streich anstößt. Beim Lesen musste man fortwährend glucksen und dachte, das ist jetzt bestimmt erfunden. War es aber nicht. Das Buch wurde dann in Horzons weltweit erster monothematischer Buchhandlung verkauft.
Jetzt, zehn Jahre später, kommt also „Das neue Buch“. Rafael Horzon überlegt darin, worüber er mal schreiben könnte. Er will nämlich den Nobelpreis gewinnen. Irgendwie erlebt er aber nichts mehr. Weshalb ihm weder Thema noch Titel einfällt, auch nicht im seitenlangen Gespräch mit seinem Suhrkamp-Lektor. Und dann auch nicht im seitenlangen Gespräch mit seinem Freund Philipp Mollenkott. Und danach dann auch nicht wirklich.
Wie im ersten Buch stolpert Horzon als passionierter Lebenstrottel durch seinen Alltag, wie im ersten Buch defiliert das Who is Who der Berliner Kunst- und Medienblase durch die Kapitel, wie im ersten Buch werden Bücher und Autoren zitiert, diesmal besonders gerne Nietzsche, aber auch Goethe, Gontscharows Supertaugenichts Oblomow, Felix Krull und Christian Kracht, der wie im ersten Buch auch einen Auftritt beziehungsweise diesmal einen Ausflug hat, an den Bodensee, zwinkerzwinker „Faserland“. Wie im ersten Buch setzt Horzon frohgemut ein Projekt nach dem anderen in den Sand und hat Geldsorgen, führt aber gleichzeitig ein mondänes Leben mit Dauerpartys und Yachtausflügen. Anders als im ersten Buch kommt all das aber nicht leicht und flirrend daher, sondern eher laut und bemüht und irgendwann auch endgültig zu selbstreferenziell, obwohl das wahrscheinlich der Witz sein soll.
Liegt es nur an den Freunden, die natürlich an die Adlon-Clique erinnern sollen, aber nie zu wirklichen Figuren werden? Am konsumseligen Poppertum, das so völlig aus der Zeit gefallen scheint? Daran, dass aus dem einstigen Newcomer, der ganz Berlin mit seinen Aktionen irritierte, eben mittlerweile der arrivierte Kunstverweigerer wurde? Jedenfalls nimmt Horzon irgendwann einen seiner Freunde beiseite und erklärt ihm, das ganze Kunstgewese sei einfach langweilig. Was bedeutet, man kann machen, was man will, nur langweilig darf es nicht sein. An der Stelle hat man sich aber bestimmt schon zehnmal gefragt, wie lang das hier denn noch weitergeht. Aber vielleicht ist ja auch das wieder gewollt, denn auch dieses neue Buch soll ja auf gar keinen Fall große Kunst sein. Und das hat immerhin geklappt.
ALEX RÜHLE
Rafael Horzon: Das neue Buch. Suhrkamp Berlin 2020. 303 Seiten, 20 Euro.
Horzons Dämm-Materialien
sehen aus wie Minimal-Art
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.11.2020Design für alle, Dekor für Erwählte
Gedankenblitzableiter: Rafael Horzon zeigt mit seinem zweiten Roman, dass im Dasein für Ästheten noch viel Gestaltungsmöglichkeit steckt.
Von Jan Wiele
Vor zehn Jahren trat ein Mann an, die Welt zu verschönern. Weiß sollte sie werden, so weiß wie das Buch, in dem er dazu seine Ideen darlegte und mit dem Suhrkamp ein Accessoire herausbrachte, das vielleicht auch den Umzug des Verlags nach Berlin symbolisch begleiten sollte: mit der Aussage, tabula rasa zu machen (F.A.Z. vom 24. September 2010).
Der Autor, Rafael Horzon, schien in der Gegend, in der nun das neue Verlagsgebäude steht, schon vorher eine Art Faktotum gewesen zu sein: Er hatte ein Möbelgeschäft an der Torstraße, in dem man ein von ihm designtes Bücherregal kaufen konnte, und die Aktion "Umtausch + Zersägung = Zufriedenheit", die als aggressives Marketing gegen Ikea diente, war nur einer von vielen Einfällen, die "Das weiße Buch" amüsant machten. Es war Werbebroschüre, Reise- und Schelmenroman in einem, das Zeugnis eines postmodernen Dandys, der mit seinen Ideen hausieren geht.
Aus dem Jahrtausendwende-Habitus der Popliteraten von "Tristesse Royale" hatte Horzon die Tristesse herausgenommen, so dass nur noch der Wille zum ästhetischen Dasein übrig blieb, der ja beim Dandytum seit jeher die trotzig zur Schau getragene Kehrseite von Armut und Verzweiflung ist. Dass es im Grunde ein Buch über das Scheitern war, konnte man kaum übersehen - eines somit, das den inzwischen abgehaltenen literarischen Tagungen zum "schönen Scheitern" vielleicht als Inspiration diente.
Aber Horzons Verschönerungsideal hat auch einen pragmatischen Bauhaus-Zug: Dezidiert bezeichnet er sich nicht als Künstler oder Schriftsteller, sondern als Designer und Unternehmer, worauf er auch in seinem Buch zu sprechen kommt: Er habe nämlich sogar Wikipedia verklagt, weil diese ihn immer wieder als Künstler bezeichnet habe.
Damit sind wir bei dem Buch, das nun wiederum in Accessoire-Form bei Suhrkamp erscheint: "Das neue Buch" präsentiert sich als Hardware-Update des weißen, indem es in einen Papp-Umschlag mit ausgestanzter Lochschrift gekleidet ist - diesmal allerdings einen chromfarbenen, der je nach Lichteinfall farbig schillert. Und die Software? Hat sich nicht allzu stark verändert, denkt man: wieder ein Tagebuch des fröhlichen Scheiterns seines als Kunstfigur auftretenden Autors, der nun noch Unternehmen für Dämmstoffe und Wanddekorationsobjekte gegründet hat. Sie sind allerdings nicht gerade billig. Er erklärt es seinem besten Freund einmal so: "Hör zu, es gibt zwei Kategorien von Produkten: günstige Produkte für den Massenmarkt, wie zum Beispiel Plastik-Kugelschreiber oder Feuerzeuge, und sehr teure Produkte für einen kleine Zirkel wohlhabender Kunden. Horzons Wanddekorationsobjekte gehören mit einem Stückpreis von 600 000 Euro zur zweiten Kategorie."
Das Problem dabei: Der Verkauf läuft schleppend, "mit anderen Worten: null verkaufte Objekte". Das hält den Erzähler nicht davon ab, weiter fröhlich im "Grill Royal" zu essen und neidisch auf Moritz von Uslar zu schauen, der dort mit einem Goldkettchen und vier Frauen sitzt und, wie es heißt, schon wieder ein neues Buch fertig habe. Wer solchen erzählerischen Spielereien und Augenzwinkereien aus der Berliner Pop-Bohème nichts abgewinnen kann, für den ist Horzon wahrscheinlich nichts.
Für wen dann? Man könnte vielleicht sagen: für Menschen mit starkem Willen zu einem ästhetischen Dasein, die trotzdem, getreu dem Nietzsche-Motto des Buchs, jeden Meister auslachen würden, "der nicht sich selber ausgelacht".
In einer Episode um den inzwischen an Krebs verstorbenen Künstler-Blogger Carl Jakob Haupt, dessen letzte Lebenszeit Horzon beschreibt und dem er das Buch gewidmet hat, wird auch deutlich, dass es um Subversion geht - sowohl der Kultur als auch der eigenen Biographie. Als er Haupt einmal von der Strahlentherapie abholt und diesen in miserablem Zustand sieht, wird eine der typischen Horzon-Geschichten im Münchhausen-Stil über einen Trip zur Designermesse in Aserbaidschan in ihrer Funktion erst recht verständlich: Eingeleitet mit der Frage "Erinnerst du dich noch?", dient sie als tröstende Gegenerzählung zur brutalen Wirklichkeit.
Auch das tröstet freilich nicht ganz darüber hinweg, dass die teils kalauerhafte Selbstreferentialität des Buchs, das über weite Strecken seine eigene Entstehung beschreibt, nicht ganz taufrisch wirkt und manche Geschichte darin, ob es nun um Brautjagd oder Pferderennen geht, einfach nur albern. Man hat das Gefühl, dass der Autor jede Idee mitaufgenommen hat, selbst die abwegigste. Aber das liegt bestimmt auch im Auge der Betrachter: Wie steht es etwa mit einer Autofahrt, begleitet von einem Hörbuch Gert Westphals zu Thomas Manns "Tod in Venedig", die Horzon erkennen lässt: "Die Parallelen zu meinem eigenen Leben sind nicht von der Hand zu weisen?" Oder mit der Behauptung, er habe Christian Kracht zum Verfassen des Romans "Imperium" inspiriert, indem er ihm einen Artikel über Kokovorismus aus der "Apotheken-Umschau" vorgelesen hat?
Die folgende schließlich ist unbestreitbar schön: Wenn man ein Notizbuch für "Gedankenblitze" anschaffen will, der Stilwille aber so groß ist, dass man es eigens bei einem Buchbinder in blauem Leinen mit Prägedruck fertigen lässt und dies fünf Wochen dauert - dann könnte darin das Wesen des stilvollen Prokrastinierens aufscheinen.
Rafael Horzon: "Das neue Buch".
Suhrkamp Verlag, Berlin 2020. 303 S., br., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gedankenblitzableiter: Rafael Horzon zeigt mit seinem zweiten Roman, dass im Dasein für Ästheten noch viel Gestaltungsmöglichkeit steckt.
Von Jan Wiele
Vor zehn Jahren trat ein Mann an, die Welt zu verschönern. Weiß sollte sie werden, so weiß wie das Buch, in dem er dazu seine Ideen darlegte und mit dem Suhrkamp ein Accessoire herausbrachte, das vielleicht auch den Umzug des Verlags nach Berlin symbolisch begleiten sollte: mit der Aussage, tabula rasa zu machen (F.A.Z. vom 24. September 2010).
Der Autor, Rafael Horzon, schien in der Gegend, in der nun das neue Verlagsgebäude steht, schon vorher eine Art Faktotum gewesen zu sein: Er hatte ein Möbelgeschäft an der Torstraße, in dem man ein von ihm designtes Bücherregal kaufen konnte, und die Aktion "Umtausch + Zersägung = Zufriedenheit", die als aggressives Marketing gegen Ikea diente, war nur einer von vielen Einfällen, die "Das weiße Buch" amüsant machten. Es war Werbebroschüre, Reise- und Schelmenroman in einem, das Zeugnis eines postmodernen Dandys, der mit seinen Ideen hausieren geht.
Aus dem Jahrtausendwende-Habitus der Popliteraten von "Tristesse Royale" hatte Horzon die Tristesse herausgenommen, so dass nur noch der Wille zum ästhetischen Dasein übrig blieb, der ja beim Dandytum seit jeher die trotzig zur Schau getragene Kehrseite von Armut und Verzweiflung ist. Dass es im Grunde ein Buch über das Scheitern war, konnte man kaum übersehen - eines somit, das den inzwischen abgehaltenen literarischen Tagungen zum "schönen Scheitern" vielleicht als Inspiration diente.
Aber Horzons Verschönerungsideal hat auch einen pragmatischen Bauhaus-Zug: Dezidiert bezeichnet er sich nicht als Künstler oder Schriftsteller, sondern als Designer und Unternehmer, worauf er auch in seinem Buch zu sprechen kommt: Er habe nämlich sogar Wikipedia verklagt, weil diese ihn immer wieder als Künstler bezeichnet habe.
Damit sind wir bei dem Buch, das nun wiederum in Accessoire-Form bei Suhrkamp erscheint: "Das neue Buch" präsentiert sich als Hardware-Update des weißen, indem es in einen Papp-Umschlag mit ausgestanzter Lochschrift gekleidet ist - diesmal allerdings einen chromfarbenen, der je nach Lichteinfall farbig schillert. Und die Software? Hat sich nicht allzu stark verändert, denkt man: wieder ein Tagebuch des fröhlichen Scheiterns seines als Kunstfigur auftretenden Autors, der nun noch Unternehmen für Dämmstoffe und Wanddekorationsobjekte gegründet hat. Sie sind allerdings nicht gerade billig. Er erklärt es seinem besten Freund einmal so: "Hör zu, es gibt zwei Kategorien von Produkten: günstige Produkte für den Massenmarkt, wie zum Beispiel Plastik-Kugelschreiber oder Feuerzeuge, und sehr teure Produkte für einen kleine Zirkel wohlhabender Kunden. Horzons Wanddekorationsobjekte gehören mit einem Stückpreis von 600 000 Euro zur zweiten Kategorie."
Das Problem dabei: Der Verkauf läuft schleppend, "mit anderen Worten: null verkaufte Objekte". Das hält den Erzähler nicht davon ab, weiter fröhlich im "Grill Royal" zu essen und neidisch auf Moritz von Uslar zu schauen, der dort mit einem Goldkettchen und vier Frauen sitzt und, wie es heißt, schon wieder ein neues Buch fertig habe. Wer solchen erzählerischen Spielereien und Augenzwinkereien aus der Berliner Pop-Bohème nichts abgewinnen kann, für den ist Horzon wahrscheinlich nichts.
Für wen dann? Man könnte vielleicht sagen: für Menschen mit starkem Willen zu einem ästhetischen Dasein, die trotzdem, getreu dem Nietzsche-Motto des Buchs, jeden Meister auslachen würden, "der nicht sich selber ausgelacht".
In einer Episode um den inzwischen an Krebs verstorbenen Künstler-Blogger Carl Jakob Haupt, dessen letzte Lebenszeit Horzon beschreibt und dem er das Buch gewidmet hat, wird auch deutlich, dass es um Subversion geht - sowohl der Kultur als auch der eigenen Biographie. Als er Haupt einmal von der Strahlentherapie abholt und diesen in miserablem Zustand sieht, wird eine der typischen Horzon-Geschichten im Münchhausen-Stil über einen Trip zur Designermesse in Aserbaidschan in ihrer Funktion erst recht verständlich: Eingeleitet mit der Frage "Erinnerst du dich noch?", dient sie als tröstende Gegenerzählung zur brutalen Wirklichkeit.
Auch das tröstet freilich nicht ganz darüber hinweg, dass die teils kalauerhafte Selbstreferentialität des Buchs, das über weite Strecken seine eigene Entstehung beschreibt, nicht ganz taufrisch wirkt und manche Geschichte darin, ob es nun um Brautjagd oder Pferderennen geht, einfach nur albern. Man hat das Gefühl, dass der Autor jede Idee mitaufgenommen hat, selbst die abwegigste. Aber das liegt bestimmt auch im Auge der Betrachter: Wie steht es etwa mit einer Autofahrt, begleitet von einem Hörbuch Gert Westphals zu Thomas Manns "Tod in Venedig", die Horzon erkennen lässt: "Die Parallelen zu meinem eigenen Leben sind nicht von der Hand zu weisen?" Oder mit der Behauptung, er habe Christian Kracht zum Verfassen des Romans "Imperium" inspiriert, indem er ihm einen Artikel über Kokovorismus aus der "Apotheken-Umschau" vorgelesen hat?
Die folgende schließlich ist unbestreitbar schön: Wenn man ein Notizbuch für "Gedankenblitze" anschaffen will, der Stilwille aber so groß ist, dass man es eigens bei einem Buchbinder in blauem Leinen mit Prägedruck fertigen lässt und dies fünf Wochen dauert - dann könnte darin das Wesen des stilvollen Prokrastinierens aufscheinen.
Rafael Horzon: "Das neue Buch".
Suhrkamp Verlag, Berlin 2020. 303 S., br., 20,- [Euro].
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»Gerade eben noch war Berlin-Mitte das gefühlte Zentrum des Universums, heute könnte man sich kaum einen unwichtigeren Ort ausdenken: Aus dieser Spannung erzeugt Rafael Horzon, der letzte deutsche Romantiker, fachmännisch Literatur.« Andreas Rosenfelder DIE WELT 20201128