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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Antonio Fian schickt den kleinen Mann zur Hölle
In den Klassifikationslisten psychischer Störungen ist es nicht zu finden, das Polykrates-Syndrom, gehört aber unbedingt hinein. Gemeint ist damit nicht der bereits bei Schiller zu findende Konnex von unverdientem Glück und schwerer Sühne - die Sache mit dem Ring -, denn dass die Mächtigen ihre Macht teuer bezahlen müssten, war wohl immer bloß eine idealistische Hoffnung. Und doch gibt es gerade unter den Nichtmächtigen manch armes Würstchen, das so hartnäckig an diese Verbindung glaubt, dass es eben deshalb tatsächlich ins Verderben rennt: quasi eine doppelte Tragik. Und eben das ist das Polykrates-Syndrom, jedenfalls in der Definition des für geschliffene Dramolette und Sketche bekannten österreichischen Autors Antonio Fian.
Dieser flotte, immer schwarzhumoriger werdende Roman, der ursprünglich ein Drehbuch werden sollte, spielt in der Hauptstadt der saftigen Sünde: im Wien der neunziger Jahre, das mit viel Liebe zum schrägen Detail porträtiert wird. Ein sympathischer Schluffi steht im Zentrum. Nicht dass sich der Akademiker und Ich-Erzähler Artur mit Nachhilfestunden über Wasser hält, macht ihn zum Verlierer - das tun die meisten Geisteswissenschaftler -, sondern dass er damit zufrieden ist. Jeder Antrieb zu Höherem ist ihm fremd. Zwar schreibt Artur halbherzig platte Sketche (so viel selbstbezügliche Koketterie des Autors sei erlaubt), aber es ist ihm recht, dass sie von allen Sendeanstalten abgelehnt werden (wie der "Polykrates"-Film). Dasselbe gilt für Arturs Privatleben: Die Ehe mit Rita besteht aus gegenseitigen Vorwürfen, von denen diejenigen Ritas viel schmerzlicher treffen als umgekehrt. Und auch damit ist der Protagonist zufrieden: kein großes Glück, keine Furcht vor strafenden Göttern.
Dann aber fordert er das Schicksal eines Tages heraus, wobei es das Schicksal darauf freilich angelegt zu haben scheint: Eine hübsche junge Frau hinterlässt im Kopierer eine Nachricht für Artur. Ohne dass er wüsste, wie ihm geschieht, ist er bei den Eingeweiden gepackt - und liegt kurz darauf mit jener Alice im Bett, wenn auch im Amourösen alles andere als ein Draufgänger: "eine Parodie auf einen Ehebruch". Herrlich anzusehen ist es, wie aus dem Ausbruchsversuch des integren Langweilers - "Ich selbst hatte in meinem Leben ein einziges Mal gestohlen, als Mittelschüler, Hesses Steppenwolf. Ich war so nervös gewesen, dass ich bis heute sicher bin, der Buchhändler hatte mich durchschaut und ließ mich nur aus Mitleid entkommen, weil er wusste, was für ein Scheißbuch ich zur Strafe würde lesen müssen" - totaler Kontrollverlust wird: "In der kurzen Zeit, in der ich Alice kannte, hatte ich mich völlig verändert. Ich betrog meine Frau, belog meine Mutter, leistete Beihilfe zum Diebstahl, schaffte Leichen weg und hatte keinen anderen Gedanken, als dass Alice bald wieder mit mir schlafen würde."
Anders als in Fians Dramoletten, die gern Alltagsdummheit und Großmannssucht ins Lyrische überhöhen, ist die Sprache hier bewusst nüchtern, was die Lakonik des Textes steigert. Besonders gut ist der Satiriker in den pointiert ineinander geschnittenen Dialogen, die Messerstechereien gleichen. Auch der Aufbau des Romans erweist sich als durchdachter, als die zunächst dahinbummelnde Handlung vermuten ließ. Die Wirkung ist die eines Spiegelkabinetts: Bald sehen wir uns von einer wiederkehrenden Totentanzszene umstellt. Und da hören wir es auch schon rascheln hinter uns.
OLIVER JUNGEN
Antonio Fian: "Das Polykrates-Syndrom". Roman. Droschl Literaturverlag, Graz 2014. 240 S., geb., 19,- [Euro].
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