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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Überzeugt vom zivilisatorischen Auftrag: Die englische Abenteurerin Gertrude Bell reitet 1905 durch Syrien und findet nirgends einnehmendere Araber als in Damaskus
Die Britin Gertrude Bell hatte den Nahen Osten bereits ausgiebig bereist, bevor sie von 1915 bis 1925 als Beraterin von Winston Churchill eine Schlüsselrolle bei der Neuordnung des Nahen Ostens übernahm. Bell hatte Geschichte und Archäologie studiert. Ihre Neugier machte sie zur Abenteurerin, ihr Mut zur Alpinistin. 1904 bestieg sie das Matterhorn, im Jahr darauf reiste sie in einer Zeit, als es noch keine Reiseführer für den Nahen Osten gab, durch Palästina und Syrien und hielt ihre Eindrücke in einem Buch fest, das nun in deutscher Übersetzung vorliegt. Sie ritt allein, begleitet nur von einem einheimischen Führer und Trägern. Abends schlug sie in der Wüste ihr Zelt auf, in den Städten leistete sie sich den Luxus von Hotels. Wo immer sie ankam, war sie Gast von arabischen Scheichs und türkischen Garnisonskommandeuren, von Gouverneuren und Notabeln, Imamen und Bischöfen.
Gertrude Bell durchstreifte eine Welt, die es heute nicht mehr gibt. In ihren auch literarisch einnehmenden Reisebeschreibungen überlieferte sie Schilderungen von archäologischen Stätten und alten urbanen Zentren, die heute bedroht oder zerstört sind. Sie beschrieb die Schönheit der Wüste und den kultivierten Lebensstil in den Städten. Und bereits damals erfasste sie die Ängste von Minderheiten wie der Christen, Alawiten ("Nusairier"), Jesiden und Drusen vor ihren sunnitisch-muslimischen Nachbarn.
Als die 1868 geborene Gertrude Bell 1905 zum zweiten Mal Syrien bereiste, hatte sie bereits 1893 Teheran besucht und 1899 das Gebiet zwischen Jerusalem und Damaskus erkundet. Von 1909 an bereiste sie Mesopotamien, abermals Syrien und den Norden der Arabischen Halbinsel. Kein Brite war mit den Machtverhältnissen in der arabischen Welt vertrauter als sie. Daher entsandte die britische Krone sie 1915 im Rang eines Majors im Nachrichtendienst nach Kairo, wo sie T. E. Lawrence kennenlernte. Der wurde Verbindungsmann zu den arabischen Aufständischen, Gertrude Bell aber beriet ab 1917 die britische Regierung bei der Gründung des neuen Staats Irak, skizzierte dessen Grenzen und baute den Scherifenfürsten Faisal zum König auf.
Das alles tat sie in der Überzeugung, dass "die englische Regierungsform" allen anderen überlegen sei und sie im Nahen Osten einen zivilisatorischen Auftrag zu erfüllen habe. Wie ein Cantus firmus durchziehen das Buch die lobenden Äußerungen ihrer Gesprächspartner zur politischen Ordnung der Engländer. Als Gründe dafür, dass in den Jahren bis 1905 das Ansehen der Engländer im Nahen Osten "deutlich gestiegen" sei, führt sie an erster Stelle die "hervorragende Verwaltung Ägyptens durch Lord Cromer" an, der dem Land zu Wohlstand verholfen habe, gefolgt von der klugen Politik Lord Curzons am Persischen Golf.
Gegen Ende des Buchs lässt sie ihren christlichen Führer Mikhail sagen: "In Eurem Land ist die Regierung stark und gerecht, jeder Engländer muss gehorchen, sogar die Reichen. Bei uns hingegen gibt es keine Gerechtigkeit, der große Mann frisst den kleinen. Jeder von uns leidet auf seine Weise." Einen syrischen Muslim zitiert sie so: Lieber solle man von "ungläubigen Fremden" regiert werden als von den muslimischen Türken.
Dabei sang Gertrude Bell 1905, als die europäischen Kolonialmächte den Nahen Osten noch nicht unter sich aufgeteilt hatten, noch das Hohelied auf die Türken. Sie habe die Erfahrung gemacht, dass nur wenige Menschen so höflich und entgegenkommend seien wie die türkischen Beamten, und den Türken gestand sie zu, "ein starkes Gefühl für Recht und Ordnung" zu haben, selbst wenn ihre Politik zuweilen kurzsichtig sei und ihre Mühlen langsam mahlten, oft sogar stillstünden, weshalb die Türken auch nicht verstünden, was Fortschritt sei.
Bells Bild von den Türken war erheblich besser als das von den Arabern. Nur die Türken hinderten in ihren Augen die Araber daran, sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen, schrieb sie. Eine arabische Nation gebe es nicht. Lediglich den Syrern gestand sie scharfen Verstand zu. Für den Mangel eines Gefühls territorialer Nationalität machte Bell den Islam verantwortlich, der wie ein Band die Araber umfasse und dafür sorge, dass sich noch die kleinste Befindlichkeit wie ein elektrischer Schlag durch die islamische Welt fortsetze.
Fasziniert war Gertrude Bell von der arabischen Dichtung. Sie parlierte mit ihren Gesprächspartnern nicht nur selbstverständlich auf Arabisch, sondern beeindruckte sie auch durch die Leichtigkeit, mit der sie die klassischen arabischen Dichter auswendig vortrug. Diesen Dichtern stellte Bell ein geradezu euphorisches Zeugnis aus.
Die schönsten Passagen der Reisebeschreibungen sind ihre Schilderungen der Wüste. Etwa wenn sie schreibt: "In dieser Wüstendämmerung wach zu werden war, als würde man im Herzen eines Opals erwachen." Als Musik in der Wüste nimmt sie das Geräusch des Stößels wahr, der die Kaffeebohnen zerstößt. Es faszinierte sie, zu beobachten, wie der Beduine selbst für das Kleinste in der Wüste Verwendung findet. Sie war jedoch nicht naiv und fasste die zwei wichtigsten Wörter in der Wüste mit "Gast und Fehde" zusammen; und sie beklagte, dass die Kriege in der Wüste kein Ende fänden.
Dabei erstaunte sie, wie die Menschen selbst in der Wüste von den großen Ereignissen der Zeit Bescheid wussten, wie sie Anteil nahmen am Weltgeschehen, vor allem am Krieg zwischen Japan und Russland. Die Muslime wünschten sich dabei einen Sieg Japans, die Christen einen Sieg des orthodoxen Russlands.
Bell besuchte und beschrieb archäologische Stätten, die vor ihr wenige Europäer gesehen hatten. Den Sonnentempel von Baalbek beschrieb sie als "großartige Tempelanlage", die nur die Akropolis übertreffe; die Burg Krak des Chevaliers war für sie die "vollkommenste der vielen Festungen der Geschichte der Kreuzzüge"; in Apameia fand sie die "einzigartige Verschmelzung von Griechenland und Asien". Und immer wieder suchte sie frühchristliche Kirchen auf, deren Proportionen und Ornamente sie in ihren Bann zogen, so dass sie zu dem Schluss kam: "Die elegante, schlichte Schönheit der Romanik ist in Nordsyrien geboren."
Ausführlich schildert Bell das Leben in den großen Städten Syriens. Nirgends habe sie einnehmendere Araber gefunden als in Damaskus - der Stadt mit den Gärten, Kuppeln und Minaretten -, einer Stadt, die nicht vom Luxus verwöhnt worden sei wie die "Emporkömmlinge" Mesopotamiens; Homs bescheinigte sie eine besondere urbane Kultur und einen eigenen architektonischen Stil; keine andere Stadt sei malerischer als Hama; nur Aleppo attestierte sie eine glänzendere Vergangenheit als Gegenwart - nicht zuletzt als Folge der "Eifersüchteleien europäischer Konzessionsjäger".
Bells Reise endete in Antiochia, über Jahrhunderte "die Wiege der Künste, das Zentrum einer Zivilisation, die auf dieser Welt ihresgleichen" suche. Von dort führte sie ein Ausflug nach Daphne, wo die Nymphe sich dem Gott Apollo entzogen haben und in einen Olivenbaum verwandelt worden sein soll: "Es kann im Frühjahr keinen zauberhafteren Ausritt geben."
Im letzten Dialog mit ihrem christlichen Führer Mikhail schreibt Gertrude Bell: "Denke an alle, die wir auf unseren Wegen getroffen haben, wie gern sie uns geholfen und wie gut sie uns behandelt haben." Worauf sich dieser verabschiedet: "Und möge es Gott gefallen, das Ihr noch viele Male in Frieden, Sicherheit und Wohlstand durch Syrien reist." Den heute Lebenden tut Gott diesen Gefallen nicht mehr. Dieses Buch führt jedem vor Augen, was der Krieg in Syrien zerstört.
RAINER HERMANN
Gertrude Bell: "Das Raunen und Tuscheln der Wüste". Eine Reise durch das alte Syrien.
Aus dem Englischen von Ebba D. Drolshagen. Edition Erdmann, Wiesbaden 2015. 311 S., geb., 22,- [Euro].
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