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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Die Philosophin Amia Srinivasan entwirft eine politische Kritik des Begehrens in Zeiten von MeToo und Internetpornografie.
Seitdem er im letzten Herbst auf Englisch erschienen ist, hat Amia Srinivasans Essayband "Das Recht auf Sex" einiges Aufsehen erregt. Srinivasan, Philosophin und Professorin an der Oxford University, nimmt darin eine politische Kritik der Sexualität und des Begehrens vor, die sie in ihrer Verstricktheit mit weitreichenden Machtstrukturen betrachtet. Im Mittelpunkt stehen dabei die sexualisierte Gewalt und die gewaltsame Sexualisierung, vor allem von Frauen - als die Srinivasan, ohne biologische Register zu bemühen, alle Menschen bezeichnet, die sich selbst als Frauen verstehen. Wo beginnt die Gewalt im Sexuellen? Ist hier Gewaltfreiheit, Freiheit überhaupt, möglich? Und wenn ja, wie?
In ihren sechs Essays bezieht sich Srinivasan auf Diskussionen, die in den Ländern, auf die sie blickt - USA, Großbritannien und Indien -, im letzten Jahrzehnt intensiv geführt wurden: Diskussionen über den richtigen Umgang mit Missbrauchsvorwürfen im Kontext von "MeToo" und "IBelieveHer" oder die Wirkung von Mainstream-Pornografie auf jene, die mit ihr erwachsen werden; Debatten über männliche Incels - "involuntary celibates" (unfreiwillig Enthaltsame), die ihre Kränkung mitunter zum Anlass nehmen, Frauen zu ermorden, über sexuelle Beziehungen zwischen Lehrenden und Studierenden an den Unis und die Frage, wie und ob Sexarbeit juristisch reglementiert werden sollte.
Was Srinivasans Essays durchzieht, ist ihre Kritik der Annahme, Justiz und Staatsgewalt könnten wirksam gegen sexualisierte Gewalt angehen. Polizeiliche Verfolgung und Gefängnisstrafen - etwa von Prostitution, Pornografie oder Missbrauch - hält sie für ungeeignet, allein schon, weil Rechtssystem und Exekutive auf patriarchalen Strukturen aufbauten. Zudem treffe die Strafverfolgung meist die schwächsten - mittellose Frauen of Color etwa, deren Ehemänner entweder zu Unrecht des Missbrauchs bezichtigt werden oder zu Recht für ihn inhaftiert werden. Natürlich müsse die Gewalt geahndet werden, Verbote und Wegsperren seien jedoch meist bloß symbolpolitisch. Srinivasan befürwortet Projekte des abolitionistischen Feminismus, wie ihn beispielsweise Angela Davis vertritt. Täter werden hier zur Rechenschaft gezogen, allerdings jenseits von Staat und Strafgerichten. Und es gehe darum, stärker in Maßnahmen gegen Armut, Rassismus oder beispielsweise das Kastenwesen zu investieren, um die Lebens- und Arbeitsbedingungen derer, die am stärksten sexuell ausgebeutet werden, zu verbessern.
Srinivasan beruft sich auf ein Modell von Intersektionalität, mit dem Kriterien für Unterdrückung wie Race, Klasse oder Sexualität derart in ihren möglichen Verschränkungen bedacht werden, dass jene, die am wenigsten privilegiert sind, weil sie etwa of color, arm und weiblich sind, am meisten Unterstützung erfahren. Dass Srinivasan die verschiedenen Unterdrückungserfahrungen an die Effekte von Staatsmacht, Kapitalismus oder Migrationspolitik bindet, ist schon deshalb eine Überforderung, weil jeder dieser Faktoren in sich bereits unüberschaubar scheint. Diese Verbindung ist jedoch notwendig, weil sich - wie sie überzeugend darlegt - die persönliche Mikroebene von Begehren und Sexualität nicht von der sozialen Makroebene lösen lässt. So würden weiße und blonde Frauen der Mittel- oder Oberschicht sexuell als überdurchschnittlich attraktiv - in anderen, oft gängigeren Worten: "fickbar" - wahrgenommen, wogegen die Körper von Frauen of Color oder Inderinnen aus der Kaste der Dalit traditionell und routiniert so hypersexualisiert seien, dass sie als besonders "rapeable" (vergewaltigbar) gelten.
Ein Recht auf Sex, das macht Srinivasan sehr deutlich, gibt es nicht. Es gibt, schreibt sie, ein Recht, zu begehren, was man möchte. Spätestens hier aber fangen die Verwicklungen an, denn was man begehrt oder zu begehren glaubt, ist womöglich gar nicht das, was man möchte. Oder zumindest nicht das, was einem oder anderen guttut oder später gutgetan haben wird. Wie jedes Begehren ist auch das sexuelle gesellschaftlich geformt, mehr noch: es ist gesellschaftlich formatiert, in ihm stecken überindividuelle Kräfte, die da sind, bevor individuell gelebte Sexualität überhaupt beginnt. Die Vorstellung, Sex sei eine rein private Angelegenheit, ist, so Srinivasan, illusorisch, weil er immer auch, immer schon, öffentlich ist. Damit sagt sie nichts Neues, sondern beruft sich auf Positionen, die schon etliche Feministinnen vor ihr - und nicht nur Feministinnen - vertreten haben.
Ihr Buch ist auch eine Auseinandersetzung mit der Geschichte der Feminismusbewegung, deren inneren und äußeren Konflikten, um aktuelle feministische Regungen kritisch einzuordnen, etwa die heute weit verbreitete "Sex-positive"-Haltung, die stark auf die Freiheit von Frauen setzt, das zu tun, was sie wollen, sofern sie es eben wollen und es auf möglichst explizitem Konsens beruht. Während Feministinnen früherer Generationen heteronormative Sexualität und den Wunsch von Frauen danach oft als Effekt und Verfestigung des Patriarchats begriffen, überwiegt inzwischen die "Betonung des Rechts der Frau auf körperliche Lust sowie der Einvernehmlichkeit als einzigem Limit für zulässigen Sex". Nur seien Lust und Einvernehmlichkeit aber nach wie vor oft von männlich dominierten Machtverhältnissen bestimmt oder zumindest von einem männlichen Blick. "Konsens" ist also eine heikle Vorbedingung.
Srinivasan schildert einen Fall, in dem es einvernehmlich zu sexuellem Kontakt kommt, das "Nein" einer Frau als "Nein" akzeptiert wird und in dem der gewaltlose - "spielerische" - Versuch des Mannes, die Frau, die gehen will, zurückzuhalten, von ihr erst freundlich weggelacht, später dann jedoch als Übergriff empfunden und zur Anzeige gebracht wird. Wenn "ja" eigentlich "nein" oder "jein" bedeutet, wenn Frauen aufhören wollen, aber weitermachen, nicht weil sie dazu gezwungen werden, sondern weil sie glauben, eine Erwartung erfüllen zu müssen, greift weder die Logik der Einvernehmlichkeit noch die des Strafrechts. Wenn Frauen internalisiert haben, dass man einen Mann nicht erst stimuliert und dann einfach abbricht, wenn sie fürchten, als "frigide Schlampe" geächtet zu werden und deshalb die eigenen Grenzen überschreiten oder überschreiten lassen, ist das wirksam, was Srinivasan die "Politik des Begehrens" nennt. Man könnte auch von sozial erzeugten, eingeübten und reproduzierten Verhaltens- und Fühlweisen sprechen, von ungeschriebenen Normen und Erwartungserwartungen, von dem also, was man erwartet, dass es von einem erwartet wird und dem man sich vorauseilend und häufig unbewusst fügt.
Ihre Studierenden, so Srinivasan, hätten ihr davon erzählt, wie sie ihr Wissen über Sexualität vorrangig aus online zugänglichen Pornos ziehen, die ihnen weniger Mittel von Lustgewinn und Selbstbefriedigung seien, sondern vor allem Sexualerziehung. Srinivasan schildert ihr Erstaunen darüber, wie sehr die Studierenden geschlechterübergreifend von sich aus Positionen der feministischen Anti-Porn-Bewegung der Siebziger- und Achtziger- jahre teilten. Sie seien überzeugt davon gewesen, dass Mainstream-Pornos Frauen zum Objekt machen, einem eventuellen "Nein" wenig Raum geben und die Bereitschaft zu sexualisierter Gewalt erhöhen. Und obwohl sie unter dem Druck litten, sexuell zu erfüllen, was Porn-Skripts vorgeben, fühlten sie sich auf Pornos angewiesen, um zu erfahren, "wie Sex geht".
Was Srinivasan "die gute alte 'Ausziehen-Blasen-Ficken-Abspritzen'-Hetero-Pornografie" nennt und was, anders als etwa feministischer Indie-Porn, massenhaft kostenlos verfügbar ist, steht in eigentümlichem Widerspruch zur Feier von "Body Positivity" und der immer lauter vernehmbaren Rede von weiblichem Empowerment. "Wird durch den Diskurs über sexuelle Selbstermächtigung und Autonomie etwas Dunkleres, Unfreies, verschleiert?", fragt Srinivasan. Obwohl sich die Forderungen der feministischen Anti-Porn-Bewegung schon aus pragmatischen Gründen erledigt haben - Internetpornografie ist nicht mehr aus der Welt zu schaffen -, denkt sie darüber nach, was sich deren Einfluss entgegensetzen lässt. "Pornografie informiert, überzeugt, diskutiert nicht. Pornografie trainiert." Da sie das "unter Umgehung jenes Teils von uns" täte, "der innehält, abwägt, nachdenkt", hält Srinivasan eine zusätzliche Art von Sexualerziehung für sinnvoll, die das Innehalten, Abwägen und Nachdenken fördere, gegen die Wucht von Bildern und Texten anwirke und keine Maßgabe dafür liefere, wie Sex zu sein habe, um "den jungen Leuten klarzumachen, dass sie selbst die einzige Autorität sind, was ihre jetzige und zukünftige Sexualität anbelangt". Pornos limitierten die "erotische Vorstellungskraft". Die Phantasie könne aber "selbst Neues erfinden", es könne ihr gelingen, "ihre einstige Kraft wiederzuerlangen".
Nachdem Srinivasan ansonsten stets davon ausgeht, dass unsere Sexualität nie nur privat und immer kulturell hervorgebracht ist, legt sie hier nahe, wir könnten von selbst und in uns selbst ein Begehren aufspüren, das unabhängig vom Außen ist. Das wirkt fast naiv und ist umso bedauerlicher, als Srinivasan nur hier und an sehr wenigen anderen Stellen kurz aufblitzen lässt, es gebe Hoffnung darauf, dass Sex, den sie vor allem als weiterhin bestürzend unfrei entlarvt, "beglückender, mehr auf Augenhöhe, freier" sein könne - und diese wie immer utopische Hoffnung macht den Fluchtpunkt ihrer Essays aus. Hier möchte man Srinivasan die Frage stellen, die sie durch ihr Buch hindurch verfolgt: Wie eigen kann das Begehren sein? Und hinzufügen möchte man: Muss es denn eigen sein, um frei zu sein? Genau dort, wo sie - wie vage auch immer - eine befreiende Sexualerziehung ins Spiel bringt, unterläuft Srinivasan ihre eigenen Reflexionen, die sich in weiten Teilen als so anregende wie anstrengende und deshalb so wichtige Sexualerziehung verstehen lassen, weil sie vorführen, wie das gehen kann: Innehalten, Abwägen und Nachdenken. Und die es vor allem vermögen, die Frage aufzuwerfen, warum wir wollen, was wir wollen und ob wir es wirklich wollen.
NOVINA GÖHLSDORF
Amia Srinivasan: "Das Recht auf Sex: Feminismus im 21. Jahrhundert". Aus dem Englischen von Claudia Arlinghaus und Anne Emmert. Klett-Cotta, 320 Seiten, 24 Euro
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