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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Unterwegs in vierzig Ländern: Auszüge aus Evliya Çelebis "Reisebuch" in neuer Übersetzung
Der 1611 in Istanbul geborene Schriftsteller Evliya Çelebi nannte sich einen "Weltreisenden", und das war er auch. Im Norden kam er bis Wien, im Süden bis zu den Quellflüssen des Nils. Eingetragen in eine heutige Landkarte, bereiste er vierzig Staaten, allein in Anatolien beschrieb er 1141 Orte. Auf den Reisen machte er sich Notizen. Erst in Kairo, wo er sein letztes Lebensjahrzehnt verbrachte und mutmaßlich 1684 starb, fügte er sie zu den zehn Bänden des "Reisebuchs" zusammen.
Seine Herkunft hat es ihm ermöglicht, allein um des Reisens willen unterwegs zu sein. Sein Vater war der oberste Hofgoldschmied des Sultans, seine Mutter eine Hofdame aus dem Kaukasus. Im Serail erhielt er eine religiöse Ausbildung. War er mit militärischen Einheiten unterwegs, diente er ihnen als Muezzin. An hoher islamischer Gelehrsamkeit war er aber nicht interessiert. Evliya Çelebi war kein Dogmatiker, sondern offen für alles, was er sah.
Er nutzte seine Stellung, um sich an diplomatischen Missionen des Osmanischen Reichs zu beteiligen. Sie führten ihn etwa nach Täbriz, nach Wien und nach Sudan. Er nahm an Strafexpeditionen teil, etwa in die Regionen rebellischer Kurden. Er beschrieb glorreiche Siege der osmanischen Armee, so 1645 auf Kreta, und in schonungsloser Offenheit ebenso Niederlagen wie die in der Schlacht 1664 bei St. Gotthard im südlichen Burgenland. Und vor allem unternahm er aus reiner Neugier Vergnügungsreisen, in denen er das damalige Leben schildert.
Der Turkologe Klaus Kreiser hat das gewaltige Opus in Teilen übersetzt und auf vierhundert Seiten komprimiert. Diesem "Reisebuch" stellt er eine Einleitung voran, die das Leben und das Werk Evliya Çelebis einordnet. Zwischen die übersetzten Teile des Reisebuchs fügt er Erläuterungen und Zusammenfassungen der ausgelassenen Passagen ein. Das Ergebnis ist eine äußerst vergnügliche Lektüre. Schließlich sei Evliya Çelebi, schreibt Kreiser, gebildet und hochmütig, und er schaue auch dem Volk aufs Maul.
Kreiser erinnert daran, dass das "Reisebuch" lange eine Hauptquelle für die Kenntnis vieler Städte war, vor allem in Anatolien und in Südosteuropa. Evliyas Beschreibungen einer Stadt beginnen meist mit ihrer Befestigung, es folgen die Moscheen und andere Bauwerke sowie Schilderungen von Geschichten und des Alltags. Er schrieb nieder, was er hörte und was er sah. Bei seinen Reisen hielt er sich "unter Höflingen und Gelehrten, an Lagerfeuern und Karawansereien, in Derwischklöstern und Kaffeehäusern" auf.
Der erste der zehn Bände des "Reisebuchs" ist Istanbul gewidmet. Einen Höhepunkt bildet der legendäre Zunftaufzug aus dem Jahr 1638, bei dem vor den Augen des Sultans alle großen zivilen Zünfte und - in Vorbereitung auf einen Feldzug - besonders die militärisch wichtigen Gruppen vorbeimarschierten. Fünfzehn Stunden habe der Aufzug gedauert. Evliya Çelebi beschreibt die Gerber als eine "erbarmungslose, brutale Zunft", die "Herrscher stürzen und auf den Thron setzen können". Die Köche vom Fischmarkt fehlen ebenso wenig wie die Betreiber der jüdischen Weinschenken.
Manchmal geht Evliya Çelebi die Phantasie durch. Übertreibungen gehören zu seinem Stil. Eine Kostprobe der unterhaltsamen Anekdoten Evliyas gibt Kreiser mit der Passage zu den Akrobaten, von denen sich einer angeblich mit Schwingen über den Bosporus hat tragen lassen. Evliya bleibe seinem sich selbst gegebenen Auftrag treu, die Leser an keiner Stelle zu langweilen, kommentiert Kreiser.
Die folgenden acht Bände sind den zahllosen Einzelreisen gewidmet, beginnend mit Bursa, wo er die "75 Kaffeehäuser" als "Versammlungsorte der Kultivierten" würdigt. In Täbriz beschreibt er das Polospiel und auch die grauenhaften Folterpraktiken der persischen Herrscher. In Baku trifft er auf das Erdöl, in Piräus sieht er noch den drei Meter hohen Löwen aus Marmor, den die Venezianer 1687 als Raubkunst mitnehmen sollten. Ausführlich beschreibt er seine Pilgerfahrt nach Mekka. Auf der Reise dorthin kommt er staunend in der Nabatäerstadt Mada'in Salih vorbei.
Ein Höhepunkt seiner Reisen war ein mehrmonatiger Aufenthalt in Wien, das er 1665/66 als Mitglied einer diplomatischen Delegation kennenlernte. Er traf Kaiser Leopold, im Stephansdom faszinierte ihn die Bibliothek mit ihrer "umfassenden Sammlung wertvoller Bücher, wie sie sonst kein Land mehr besitzt". Der Sorgfalt und der Liebe zu den Büchern in Wien stellt er die Vernachlässigung der Bibliotheken in der islamischen Welt gegenüber.
Die Beschreibung dessen, was Evliya südlich von Ägypten und nilaufwärts erkundet hat, etwa zur politischen Ordnung, den Sitten und der Tierwelt, gilt als ein beachtlicher Beitrag zur Afrikanistik. Auch auf anderen Gebieten sind seine Leistungen bemerkenswert. So bescheinigt ihm Kreiser, ein Pionier der Linguistik gewesen zu sein. Sein "Reisebuch" ist eine Hauptquelle zu Musikinstrumenten seiner Zeit. In Edirne beschreibt Evliya im dortigen Krankenhaus die Musiktherapie für psychische Erkrankte. Zudem gilt Evliya als der erste türkische Ethnologe.
Viel erfahren die Leser über die materielle Kultur des siebzehnten Jahrhunderts, wenn Evliya etwa über handwerkliche und künstlerische Berufe schreibt, über Kleidungsstücke und Waffen, über eine Vielzahl von Gegenständen, über Speisen und Kochrezepte. Die UNESCO hat das "Reisebuch" 2013 gewürdigt und in seine Liste des Weltdokumentenerbes aufgenommen. RAINER HERMANN
Evliya Çelebi: "Das Reisebuch". Die Welt zwischen Wien und Mekka.
Aus dem osmanischen Türkisch von Klaus Kreiser. C. H. Beck Verlag, München 2023. 512 S., Abb., geb., 36,- Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung, Rainer Hermann
"Der Chronist Evliya Çelebi reiste im 17. Jahrhundert durch das Osmanische Reich und nach Wien. Seine gerade neu aufgelegten Reiseberichte erlauben einmalige Einblicke in eine ferne Zeit, und manches wirkt erstaunlich vertraut."
Süddeutsche Zeitung, Dunja Ramadan
"Eine tolle Reiselektüre im Sommer"
rbb kulturradio, Katharina Döbler
"Als Erzähler changiert Çelebi zwischen Humboldt und Münchhausen, liefert frühe ethnologische Erkenntnisse und platziert daneben Geschichten, in denen er seine barocken Zeitgenossen an Fantasie übertrifft. Mit Übersetzung und Anmerkungen gibt der Turkologe Klaus Kreiser Einblicke in das fabelhafte Riesenwerk eines großen neuzeitlichen Reiseschriftstellers."
Der Falter, Sebastian Fasthuber
"Die neu übersetzte Auswahl mit Erläuterungen macht einfach Spaß."
P.M. History