Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Kein Leben außerhalb der Kunst: Evelyn Grills subtiles Künstlerpsychogramm "Das römische Licht" legt offen, welchen Preis die Ewige Stadt für ihre Liebe fordert.
Xenia trägt ihren Namen zu Recht: Sie fremdelt. In einem Alter von vierunddreißig Jahren ist das ein Problem - sowohl für ihre Umgebung als auch für die in Österreich gebürtige Malerin selbst, die seit langem in Deutschland wohnt. Gerade tritt sie ein achtwöchiges Stipendium in einem römischen Künstlerhaus an, und dort erhofft sie sich eine Wiederbelebung ihrer Schaffenskraft durch die Rückkehr zur figurativen Malerei: "Ich hatte vor, hier in Rom keinerlei private Kontakte zu pflegen, keine Zeit mit persönlichen Dingen zu verschwenden." Das lässt Evelyn Grill die Ich-Erzählerin ihres neuen Romans bereits auf der ersten Seite deklarieren, und natürlich kommt es ganz anders. Schon auf der zweiten Seite des Buchs erfährt Xenia von der älteren, noch immer in der gemeinsamen Heimatstadt Linz lebenden Schwester, dass ihre Mutter, eine spät berühmt gewordene Schriftstellerin, ins Koma gefallen ist.
Prompt ist die ganze private Vergangenheit mit in Rom, tritt mit ein in die Straßen und Plätze, die Kirchen und Museen, in denen Xenia Inspiration sucht. Aber dem Ansinnen der Schwester, heimzueilen ans Krankenlager der Mutter, gibt sie nicht nach. Und plötzlich verkehrt sich der Zauber des von der Künstlerin vielbeschworenen römischen Lichts, dem der Roman den Titel verdankt, in eine Permutation: "Ich spürte, dass mich die Stadt nicht mehr ich selbst sein lassen wollte, die, die ich war, als ich hier ankam, mich umzuformen begann." Was zunächst so erwünscht war, entpuppt sich als Bedrohung, weil mit der Herausbildung der neuen Xenia das von der alten zu verschwinden droht, was den Antrieb ihrer Kunst ausmacht: die individuelle Lebensgeschichte.
Evelyn Grill hat ein Händchen für die Ambivalenz von Lebensentwürfen. Die 1942 geborene Autorin hat mit "Das römische Licht" binnen vier Jahren bereits ihren vierten Roman beim Residenz Verlag veröffentlicht und ihrer irisierenden Kollektion von Büchern damit ein neues Glanzlicht hinzugefügt. In "Der Sammler" aus dem Jahr 2006, dem berückend-bedrückenden Porträt eines Mannes, der am Messie-Syndrom leidet, oder in "Vanitas oder Hofstätters Begierden", mit dem Evelyn Grill 2005 für den Deutschen Buchpreis nominiert war, hatten wir bereits Studien durchaus künstlerischer, aber gescheiterter Existenzen geboten bekommen. Für beide galt in tragischerer Weise das Eingeständnis, das Xenia im "Römischen Licht" macht: "Es gab für mich kein Leben außerhalb der Kunst." Und radikaler noch erzählt Evelyn Grill die Geschichte von Wilma, der Titelheldin eines 2007 wiederaufgelegten älteren Romans: Trotz aller Unschuld einer geistig gestörten Persönlichkeit in einem kleinen Bergdorf wendet sich alles zum Schlimmeren. Scheinbar ist Xenia dazu ein Gegenentwurf: eine durchaus weltläufige Frau in der Weltstadt Rom, der es tatsächlich gelingt, ihre Malerei in den wenigen römischen Wochen auf eine neue Grundlage zu stellen. Doch um welchen Preis?
Um den Preis des Lebens von gleich drei Menschen. Denn nicht nur die Mutter geht dem Tod entgegen, auch für die Fotografin Alma, die kurze Zeit nach Xenia in dem Künstlerhaus Quartier bezieht, und den geheimnisvollen Trivialschriftsteller Nico wird sich ihr jeweiliges Schicksal erfüllen. Hinter der Faszination, die diese drei Todgeweihten auf Xenia ausüben, stecken erschreckende Biographien, die der schmale Roman in meisterlicher Präzision enthüllt. Und neben diesem Reigen an erinnerungswürdigen Figuren, zu denen auch noch die Schwester und als dritter Stipendiat ein Autor aus dem Allgäu zu zählen sind, inszeniert Evelyn Grill ein vor Leben und Kunst funkelndes Rom, als wollte sie daraus die Sprachwurzel für die Gattungsbezeichnung "Roman" herleiten. Das Buch ist ein Rechenschaftsbericht über eine hingebungsvolle Liebe für diese Stadt, darin nicht unverwandt dem im vergangenen Jahr erschienenen "Bildnis der Mutter als junge Frau" von Friedrich Carl Delius, doch mit ungleich mehr Freude am dramatischen Potential der römischen Kulisse. Denn Xenia ist viel mehr als eine Malerin eine Beobachterin, und als sie wieder mit dem Pinsel vor der Staffelei steht, enthalten ihre Bilder mehr, als ihr selbst klar ist. Das entspricht ihrem verschlossenen Naturell: Alles sehen, alles wissen, nichts erzählen - so könnte ihr Motto lauten. Evelyn Grill jedoch verleiht ihr dazu eine Stimme, die zwischen den Zeilen alles offenlegt.
ANDREAS PLATTHAUS
Evelyn Grill: "Das römische Licht". Roman. Residenz Verlag, St. Pölten 2008. 236 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH