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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Simon Sailers Novelle "Das Salzfass"
Dass der Wiener Autor Simon Sailer, geboren 1984, gerade mit dem Clemens-Brentano-Preis ausgezeichnet wurde, leuchtet unmittelbar ein. Er ist ein Romantiker, der manchmal wie aus unserer Zeit gefallen scheint, um sich dann doch in der Gegenwart zu fangen. Es geht nicht mit rechten Dingen zu in Sailers Literatur, ganz so, wie es die Romantiker immer schon ahnten. Die waren stets dann zur Stelle, wenn der sowieso überschätzte Hausverstand wieder einmal nicht weiterwusste. Ein Zauber wohnt in allen Dingen, es muss ja kein guter sein, wie Eichendorff hoffte.
In Sailers mit dem besagten Preis ausgezeichneten Novelle "Die Schrift" (2020) erreicht ein seltsames Manuskript einen Wissenschaftler und bringt dadurch dessen Leben aus den Fugen. In Sailers jüngstem Buch, einer wiederum in klassischer Manier gearbeiteten Novelle, trifft ein unerhörtes Ereignis den Antiquitätenhändler Maurice, das ihn völlig aus der Bahn wirft. Auf dramatische Weise wird er aus dem Normalleben gekippt, fürs bürgerliche Leben ist er nicht mehr zu haben. Das passt zur Romantik, die ein gespanntes Verhältnis zu den Philistern unterhielt. Die sind ihr ein Auswuchs des kleinkrämerischen Bürgertums, das mit den Neuerungen in der Gesellschaft nicht mithalten kann und dumpf an Überkommenem festhält. Die Geschäftemacher und Spießer waren E. T. A. Hoffmann und dessen Geistesverwandten ein Dorn im Auge.
Maurice ist durchaus bereit, seinen Mann zu stehen. Er führt den Laden erfolgreich, verfügt über treue Kunden und beweist Gespür für Qualität. Er könnte als Erfolgsmensch durchgehen, der nicht links und rechts schaut und mit sich und der Welt in Einklang steht. Bliebe es dabei, würde sich Simon Sailer mit ihm nicht beschäftigen. Die Gefahr kommt von außen, aber was heißt das schon, wenn es dieser Art von Literatur darum geht, die Abgründe auszuleuchten? Maurice gelangt in den Besitz eines Salzfasses vom Typus "unverkäuflich". Ein Ding bekommt eine Geschichte, bildet eine Individualität aus. Salzspuren befinden sich in seinem Inneren, die sich nicht beseitigen lassen.
Und damit beginnt das Unheil. Offenbar handelt es sich dabei um Wucherungen, die ein Eigenleben entwickeln, sich als ungeheuer gefräßig erweisen und sich Antiquitäten einverleiben. Raumgreifend breiten sie sich aus, lassen sich nicht stoppen, nehmen den ganzen Laden in ihren Besitz. Klarer Fall: Das Salzfass und Maurice stehen in enger Beziehung zueinander, in der Literatur steht solch ein Gegenstand nicht für sich allein, er sagt etwas über den Charakter des Menschen aus. Das Ding aus der fremden Welt, der Innenwelt nämlich, ist das Wilde, Unberechenbare, das Unausgelebte und Unheimliche, dem sich Maurice in seiner gesicherten Existenz nicht zu stellen wagt. Darauf lässt er sich erst ein, als er sich, um dem Einfluss des Salzfasses zu entgehen, in eine Schutzhütte zurückzieht. Dort verwildert er, wird mehr Tier als Mensch, retardiert zu einem Stück Natur, dem Zivilisation nichts gilt.
Viel von Gegenwart ist nicht zu verspüren bislang, alles sieht aus wie eine Parabel, die überzeitlich angelegt ist. Doch Sailer legt noch einen Zahn zu und bringt aktuelle Zeitumstände durch die Hintertür ins Spiel. Das Salzfass entpuppt sich als wählerisch, schätzt das Teure mehr als billige Ware, als "Wertesser" bezeichnet es Maurice einmal. Der Organismus, als den Maurice das Salzfass anerkennen muss, "wandelt den Wert in Gewebe um" oder "zerlegt Wert in Substanz". Mit der marxistischen Tauschwerttheorie hat das nicht viel zu tun, aber um einen ökonomischen Prozess handelt es sich allemal. Eine Verwandlungsprozedur von Handelsware in biologische Substanz findet statt. Aus Materie wird Leben, aus einer Kapitalanlage, einem toten Produkt der kapitalistischen Gesellschaft, entsteht Wildwuchs. Man sieht, eine einfache Geschichte mit vielfältigen Bezügen rollt ab. Wie Sailer sich dann doch am Ende heimlich aus dem Text schleicht, bleibt halbherzig. Man muss gutgläubig sein, um ihm abzukaufen, wie das gerade noch so böse Wuchernde doch wieder zahm wird.
Erzählt wird das Ganze von der Nachfolgerin von Maurice, die auf einen Kunden einredet, um ihm das Salzfass zu verhökern. Das bringt eine aufgeregte, sensationsheischende Rhetorik mit sich. Der Zuhörer solle an der Geschichte "Vergnügen haben", meint die Erzählerin. Das Unterhaltungskonzept immerhin geht auf.
ANTON THUSWALDNER
Simon Sailer: "Das Salzfass".
Edition Atelier, Wien 2021. 128 S., geb., 18,- [Euro].
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