„Krebsbücher sind doof“, sagt die 16-jährige Hazel, die selbst Krebs hat. Sie will auf gar keinen Fall bemitleidet werden und kann mit Selbsthilfegruppen nichts anfangen. Bis sie in einer Gruppe auf den intelligenten, gut aussehenden und umwerfend schlagfertigen Gus trifft. Der geht offensiv mit seiner Krankheit um. Hazel und Gus diskutieren Bücher, hören Musik, sehen Filme und verlieben sich ineinander - trotz ihrer Handicaps und Unerfahrenheit. Gus macht Hazels großen Traum wahr: Gemeinsam fliegen sie nach Amsterdam, um dort Peter Van Houten zu treffen, den Autor von Hazels absolutem Lieblingsbuch. Ein tiefgründiges, emotionales und zugleich freches Jugendbuch über Krankheit, Liebe und Tod.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 31.07.2012So ein Herz ist ja keine Dartscheibe
Wer hier nicht weint und nicht lacht, fühlt wohl schon lange nichts mehr. John Greens Roman
„Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ erzählt von einer Jugendliebe in Zeiten der Chemotherapie
VON WERNER BARTENS
Was für ein Buch! So rein und klar, so grundstürzend komisch und dann wieder unendlich zart. Und während man noch gluckst vor Übermut und Tränen lacht, ist man sich des Ursprungs seiner Tränen schon nicht mehr ganz sicher und fühlt sich nur noch traurig und zum Heulen.
Es ist schließlich auch ein Krebsbuch, das John Green hier geschrieben hat. Aber es ist viel mehr als das. „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ ist ein Buch der großen Gefühle, ohne jemals gefühlig zu werden. Ohne Sentimentalität stürzt Green seine Figuren in die großen Fragen, beschreibt die erste Liebe, den Lebensübermut wie auch die Krisen, das Wichtige im Leben und im Sterben. Wenn man es noch nicht fertig gelesen hat, möchte man sich gleich wieder mit diesem Schatz zurückziehen. Statt an irgendeinem Geschwätz teilzunehmen oder anderweitig abgelenkt zu werden, will man sich viel lieber in dieses Buch versenken.
Damit klar ist, dass Green nicht die Absicht hat, Genre- oder Bekenntnisliteratur zu schreiben, lässt der Autor seine 16-jährige Ich-Erzählerin Hazel, die an einem metastasierten Krebs leidet („ursprünglich Schilddrüse“), ziemlich zu Anfang des Romans schon unmissverständlich klarstellen: „Krebsbücher sind doof.“
Man ahnt schnell, was Hazel damit meint, denn die übertriebenen Bekenntnisse von Patrick aus der Selbsthilfegruppe sind für Hazel und ihre große Liebe Augustus („Gus“) ebenso falsch wie das automatisierte Mitleid oder der „Krebskinder-Bonus“, den man ihnen immer wieder ungefragt zukommen lässt – und den sie nur ausnahmsweise gezielt nutzen, etwa um im Flugzeug Champagner zu bekommen, obwohl sie noch keine 18 sind.
Green zeigt nicht nur Liebe und Innigkeit der kranken Jugendlichen, sondern auch ihre Wut, etwa wenn Augustus seine Basketball-Pokale gemeinsam mit seinem Freund Isaac zertrümmert, der schon wenige Tage nach dem Trophäenmassaker blind sein wird, weil sein Augentumor operiert werden muss. Die Szene, in der Hazel kurz nach dem Eingriff Isaac im Krankenhaus besucht, ist traurig und lustig zugleich: Sie hat von Augustus eine SMS bekommen, dass „alles gut gegangen“ ist. Wenig später schickt er die Nachricht hinterher: „Ich meine, er ist blind. Das ist nicht gut. Aber offiziell krebsfrei“.
Im Krankenzimmer will Isaac dann Hazels Gesicht betasten und ihr „tiefer in die Seele blicken“, schließlich haben ihm ja alle versprochen, dass seine anderen Sinne schärfer werden, wenn er seine Sehkraft verliert. Und so juxen der Blinde und die Atemlose herum und machen sich über falsche Versprechungen und unbedachte Durchhalteparolen lustig, für die eine Krankenschwester gleich das beste Beispiel liefert. Sie will Isaac aufmuntern, ermahnt ihn, er müsse sich „Zeit zum Heilen geben. Du stehst noch ganz am Anfang, junger Mann. Du wirst schon sehen.“
Sie sagt dem Blinden tatsächlich, dass er schon sehen wird, aber Isaac und Hazel nehmen ihre Gedankenlosigkeit lediglich zum Anlass, die ewige Liste guter Eigenschaften einer Krankenschwester zu erweitern, die bitte gleich in allen Stationszimmern aufgehängt wird: 1.) Macht kein Wortspiel aus deinen Gebrechen, 2.) Trifft die Vene beim ersten Versuch, so ein Arm ist ja keine Dartscheibe, 3.) hat keine Mahnung in der Stimme, 4.) behandelt einen nicht wie ein Baby.
Der 35-jährige John Green gilt als Jugendbuchautor. Seine Bücher „Eine wie Alaska“, „Die erste Liebe (nach 19 vergeblichen Versuchen)“ und „Margos Spuren“ fanden vor allem beim jüngeren Publikum Anklang. Als Video-Blogger tritt Green mit seinem Bruder Hank als „Vlogbrothers“ auf und hat dort eine ebenfalls überwiegend junge Anhängerschaft. Die „Nerdfighter“, die den beiden und ihren Kolumnen auf Youtube folgen, zählen regelmäßig mehr als 200 000 Nutzer. Als bekannt wurde, dass „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ in den USA erscheint, bestellten sofort 150 000 Leser das Buch – und John Green hielt Wort, alle Exemplare zu signieren. Einen Monat lang schrieb er täglich in mehr als 5000 Bücher seinen Namen.
Die Begeisterung hauptsächlich junger Leute zum Anlass zu nehmen, Green als Jugendbuchautor einzugrenzen, führt jedoch in die Irre. Das ist Literatur für alle, denn Green ist durchlässig für Empfindungen und dabei so behutsam, dass er nur klug und anmutig von der Liebe und dem Leben sprechen kann. Und diese Worte zur Liebe sind von bestechender Aufrichtigkeit und Tiefe, auch wenn es sich zufällig um eine Jugendliebe in Zeiten der Chemotherapie handelt.
Wenn sich Hazel und Gus von ihren Lieblingsbüchern erzählen und der andere diese Bücher möglichst schnell lesen will, um einander näher zu sein, ist das nicht Jugendschwärmerei, sondern die Sehnsucht nach einer geistigen Verbindung, die allen Menschen eigen ist, die sich nahe sein wollen – auch wenn Hazel hier wahrscheinlich das größere Opfer bringt: „Das Leichen-Satz-Verhältnis lag bei fast eins zu eins“, sagt sie über Gus’ Lieblingsbuch.
Green hat die Gabe, ohne Umschweife auf den Punkt zu kommen und ist doch auf wunderbare Weise dezent. Er erzählt unwiderstehlich und doch so zurückhaltend, dass es einen immer wieder umbläst – und trotzdem tröstet. Kein falsches Wort, nirgends. Dabei gebe es viele Möglichkeiten für einen Autor, daneben zu liegen und das Thema Krebs zu missbrauchen, um mehr Tiefe damit zu erhaschen.
Aber das hat Green gar nicht nötig. Zudem sind seine beiden Helden viel zu sehr auf der Hut vor falschem Pathos und Albereien, das würden sie ihrem Schöpfer nie durchgehen lassen. Sie sind umwerfend charmant und gewinnend und man verfolgt gebannt, wie Hazel sich das passende Kleid für den Abend mit Gus aussucht und doch weiß, dass sie nicht in erster Linie wegen ihrer Garderobe angesehen wird, sondern weil sie immer eine Sauerstoffflasche mit sich herumtragen muss, da die Metastasen in ihrer Lunge ihr die Luft rauben. Aber wen interessiert das schon, weiß sie doch, dass Gus an diesem Abend nur Augen für sie haben wird.
Wie die beiden sich über Gus’ saumäßigen Fahrstil amüsieren, wissend, dass er mit einer Beinprothese, die er seinem Knochenkrebs zu verdanken hat, nicht feinmotorisch dosiert, sondern nur holprig Gas geben kann, ist ziemlich komisch. Wie sich der fast geheilte Krebspatient Gus vor der Vielfach- und eben auch Lungenkrebspatientin Hazel mit lässiger Gebärde eine Zigarette in den Mundwinkel steckt und sie sich empört fragt, wie er dem Tod so viel Platz einräumen kann, ist hübsch. Als er ihr schließlich erklärt, dass er sich noch nie eine angesteckt hat und die Zigarette eher als Metapher versteht, weil er „das tödliche Ding zwischen die Zähne steckt, aber ihm nicht die Kraft zu töten“ gibt, ist das von großem Witz, aber nicht albern. Sondern intensiv und wahrhaftig und voll tiefster Verachtung für sentimentale Krebskinder-Rhetorik.
Wie schal und verlogen die angebliche Abgeklärtheit der Erwachsenen sein kann, erfahren Hazel und Gus auf einem Abstecher nach Europa, der ihnen zwar eine große Enttäuschung bereitet, aber dennoch zu einem Blütentraumerlebnis in Amsterdam wird, von dem sie lange zehren. Obgleich sich der alte niederländische Schriftsteller, den Hazel in seinen Büchern verehrt, im richtigen Leben als abgefuckter Zyniker erweist, lassen sich Hazel und Gus davon nicht beirren und besinnen sich auf ihre eigene Herzensbildung.
Im Gegensatz zum Alten aus Amsterdam machen die Eltern von Hazel und Gus vieles richtig. Wenn sie in ihrer Trauer und Hilflosigkeit doch mal das Falsche tun oder sagen, sind es die beiden Kranken, die genau wissen, dass es dennoch gut gemeint und trotz kleiner Pannen auch gut gemacht war.
Dieses Buch ist sehr kostbar. Deswegen möchte man es jedem schenken – keineswegs nur den Krebskranken, sondern erst recht den Gesunden, den Jugendlichen wie den Alten. Schlichtweg allen, bei denen sich die Borken auf der Seele noch wegkratzen lassen und die sich wieder berühren lassen, auch wenn sie lange nicht mehr berührt worden sind. Wer bei dieser Lektüre nicht weint und nicht lacht und nicht Angst davor hat, dass diese Schüttelkur der Gefühle bald aufhören wird, der fühlt wohl schon lange nichts mehr.
Das Ende dieses Buches ist sehr traurig. Ja, natürlich auch wegen des traurigen Endes. Aber vor allem, weil dieses magische Buch dann leider vorbei ist.
Das ist kein Jugendbuch,
sondern Literatur für alle
–anmutig, komisch, kostbar
Der Abstecher nach Europa ist für Hazel und Gus zwar eine Enttäuschung, aber Amsterdam bereitet den beiden krebskranken Jugendlichen ein Blütentraumerlebnis, von dem sie noch lange zehren. Unser Bild zeigt ein Touristenboot in den Grachten der Stadt..
FOTO: RUSSELL UNDERWOOD/CORBIS
John Green wurde 1977 in Indianapolis geboren, wo er heute auch wieder lebt. Sein Debüt „Eine wie Alaska“ (2007) genießt Kultstatus unter jungen Lesern. Es folgten die Jugendromane „Die erste Liebe“ und „Margos Spuren“ (2010). FOTO: CORBIS
John Green: Das Schicksal ist ein mieser Verräter. Roman. Aus dem Englischen von Sophie Zeitz. Hanser Verlag, München 2012. 288 Seiten, 16,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Wer hier nicht weint und nicht lacht, fühlt wohl schon lange nichts mehr. John Greens Roman
„Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ erzählt von einer Jugendliebe in Zeiten der Chemotherapie
VON WERNER BARTENS
Was für ein Buch! So rein und klar, so grundstürzend komisch und dann wieder unendlich zart. Und während man noch gluckst vor Übermut und Tränen lacht, ist man sich des Ursprungs seiner Tränen schon nicht mehr ganz sicher und fühlt sich nur noch traurig und zum Heulen.
Es ist schließlich auch ein Krebsbuch, das John Green hier geschrieben hat. Aber es ist viel mehr als das. „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ ist ein Buch der großen Gefühle, ohne jemals gefühlig zu werden. Ohne Sentimentalität stürzt Green seine Figuren in die großen Fragen, beschreibt die erste Liebe, den Lebensübermut wie auch die Krisen, das Wichtige im Leben und im Sterben. Wenn man es noch nicht fertig gelesen hat, möchte man sich gleich wieder mit diesem Schatz zurückziehen. Statt an irgendeinem Geschwätz teilzunehmen oder anderweitig abgelenkt zu werden, will man sich viel lieber in dieses Buch versenken.
Damit klar ist, dass Green nicht die Absicht hat, Genre- oder Bekenntnisliteratur zu schreiben, lässt der Autor seine 16-jährige Ich-Erzählerin Hazel, die an einem metastasierten Krebs leidet („ursprünglich Schilddrüse“), ziemlich zu Anfang des Romans schon unmissverständlich klarstellen: „Krebsbücher sind doof.“
Man ahnt schnell, was Hazel damit meint, denn die übertriebenen Bekenntnisse von Patrick aus der Selbsthilfegruppe sind für Hazel und ihre große Liebe Augustus („Gus“) ebenso falsch wie das automatisierte Mitleid oder der „Krebskinder-Bonus“, den man ihnen immer wieder ungefragt zukommen lässt – und den sie nur ausnahmsweise gezielt nutzen, etwa um im Flugzeug Champagner zu bekommen, obwohl sie noch keine 18 sind.
Green zeigt nicht nur Liebe und Innigkeit der kranken Jugendlichen, sondern auch ihre Wut, etwa wenn Augustus seine Basketball-Pokale gemeinsam mit seinem Freund Isaac zertrümmert, der schon wenige Tage nach dem Trophäenmassaker blind sein wird, weil sein Augentumor operiert werden muss. Die Szene, in der Hazel kurz nach dem Eingriff Isaac im Krankenhaus besucht, ist traurig und lustig zugleich: Sie hat von Augustus eine SMS bekommen, dass „alles gut gegangen“ ist. Wenig später schickt er die Nachricht hinterher: „Ich meine, er ist blind. Das ist nicht gut. Aber offiziell krebsfrei“.
Im Krankenzimmer will Isaac dann Hazels Gesicht betasten und ihr „tiefer in die Seele blicken“, schließlich haben ihm ja alle versprochen, dass seine anderen Sinne schärfer werden, wenn er seine Sehkraft verliert. Und so juxen der Blinde und die Atemlose herum und machen sich über falsche Versprechungen und unbedachte Durchhalteparolen lustig, für die eine Krankenschwester gleich das beste Beispiel liefert. Sie will Isaac aufmuntern, ermahnt ihn, er müsse sich „Zeit zum Heilen geben. Du stehst noch ganz am Anfang, junger Mann. Du wirst schon sehen.“
Sie sagt dem Blinden tatsächlich, dass er schon sehen wird, aber Isaac und Hazel nehmen ihre Gedankenlosigkeit lediglich zum Anlass, die ewige Liste guter Eigenschaften einer Krankenschwester zu erweitern, die bitte gleich in allen Stationszimmern aufgehängt wird: 1.) Macht kein Wortspiel aus deinen Gebrechen, 2.) Trifft die Vene beim ersten Versuch, so ein Arm ist ja keine Dartscheibe, 3.) hat keine Mahnung in der Stimme, 4.) behandelt einen nicht wie ein Baby.
Der 35-jährige John Green gilt als Jugendbuchautor. Seine Bücher „Eine wie Alaska“, „Die erste Liebe (nach 19 vergeblichen Versuchen)“ und „Margos Spuren“ fanden vor allem beim jüngeren Publikum Anklang. Als Video-Blogger tritt Green mit seinem Bruder Hank als „Vlogbrothers“ auf und hat dort eine ebenfalls überwiegend junge Anhängerschaft. Die „Nerdfighter“, die den beiden und ihren Kolumnen auf Youtube folgen, zählen regelmäßig mehr als 200 000 Nutzer. Als bekannt wurde, dass „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ in den USA erscheint, bestellten sofort 150 000 Leser das Buch – und John Green hielt Wort, alle Exemplare zu signieren. Einen Monat lang schrieb er täglich in mehr als 5000 Bücher seinen Namen.
Die Begeisterung hauptsächlich junger Leute zum Anlass zu nehmen, Green als Jugendbuchautor einzugrenzen, führt jedoch in die Irre. Das ist Literatur für alle, denn Green ist durchlässig für Empfindungen und dabei so behutsam, dass er nur klug und anmutig von der Liebe und dem Leben sprechen kann. Und diese Worte zur Liebe sind von bestechender Aufrichtigkeit und Tiefe, auch wenn es sich zufällig um eine Jugendliebe in Zeiten der Chemotherapie handelt.
Wenn sich Hazel und Gus von ihren Lieblingsbüchern erzählen und der andere diese Bücher möglichst schnell lesen will, um einander näher zu sein, ist das nicht Jugendschwärmerei, sondern die Sehnsucht nach einer geistigen Verbindung, die allen Menschen eigen ist, die sich nahe sein wollen – auch wenn Hazel hier wahrscheinlich das größere Opfer bringt: „Das Leichen-Satz-Verhältnis lag bei fast eins zu eins“, sagt sie über Gus’ Lieblingsbuch.
Green hat die Gabe, ohne Umschweife auf den Punkt zu kommen und ist doch auf wunderbare Weise dezent. Er erzählt unwiderstehlich und doch so zurückhaltend, dass es einen immer wieder umbläst – und trotzdem tröstet. Kein falsches Wort, nirgends. Dabei gebe es viele Möglichkeiten für einen Autor, daneben zu liegen und das Thema Krebs zu missbrauchen, um mehr Tiefe damit zu erhaschen.
Aber das hat Green gar nicht nötig. Zudem sind seine beiden Helden viel zu sehr auf der Hut vor falschem Pathos und Albereien, das würden sie ihrem Schöpfer nie durchgehen lassen. Sie sind umwerfend charmant und gewinnend und man verfolgt gebannt, wie Hazel sich das passende Kleid für den Abend mit Gus aussucht und doch weiß, dass sie nicht in erster Linie wegen ihrer Garderobe angesehen wird, sondern weil sie immer eine Sauerstoffflasche mit sich herumtragen muss, da die Metastasen in ihrer Lunge ihr die Luft rauben. Aber wen interessiert das schon, weiß sie doch, dass Gus an diesem Abend nur Augen für sie haben wird.
Wie die beiden sich über Gus’ saumäßigen Fahrstil amüsieren, wissend, dass er mit einer Beinprothese, die er seinem Knochenkrebs zu verdanken hat, nicht feinmotorisch dosiert, sondern nur holprig Gas geben kann, ist ziemlich komisch. Wie sich der fast geheilte Krebspatient Gus vor der Vielfach- und eben auch Lungenkrebspatientin Hazel mit lässiger Gebärde eine Zigarette in den Mundwinkel steckt und sie sich empört fragt, wie er dem Tod so viel Platz einräumen kann, ist hübsch. Als er ihr schließlich erklärt, dass er sich noch nie eine angesteckt hat und die Zigarette eher als Metapher versteht, weil er „das tödliche Ding zwischen die Zähne steckt, aber ihm nicht die Kraft zu töten“ gibt, ist das von großem Witz, aber nicht albern. Sondern intensiv und wahrhaftig und voll tiefster Verachtung für sentimentale Krebskinder-Rhetorik.
Wie schal und verlogen die angebliche Abgeklärtheit der Erwachsenen sein kann, erfahren Hazel und Gus auf einem Abstecher nach Europa, der ihnen zwar eine große Enttäuschung bereitet, aber dennoch zu einem Blütentraumerlebnis in Amsterdam wird, von dem sie lange zehren. Obgleich sich der alte niederländische Schriftsteller, den Hazel in seinen Büchern verehrt, im richtigen Leben als abgefuckter Zyniker erweist, lassen sich Hazel und Gus davon nicht beirren und besinnen sich auf ihre eigene Herzensbildung.
Im Gegensatz zum Alten aus Amsterdam machen die Eltern von Hazel und Gus vieles richtig. Wenn sie in ihrer Trauer und Hilflosigkeit doch mal das Falsche tun oder sagen, sind es die beiden Kranken, die genau wissen, dass es dennoch gut gemeint und trotz kleiner Pannen auch gut gemacht war.
Dieses Buch ist sehr kostbar. Deswegen möchte man es jedem schenken – keineswegs nur den Krebskranken, sondern erst recht den Gesunden, den Jugendlichen wie den Alten. Schlichtweg allen, bei denen sich die Borken auf der Seele noch wegkratzen lassen und die sich wieder berühren lassen, auch wenn sie lange nicht mehr berührt worden sind. Wer bei dieser Lektüre nicht weint und nicht lacht und nicht Angst davor hat, dass diese Schüttelkur der Gefühle bald aufhören wird, der fühlt wohl schon lange nichts mehr.
Das Ende dieses Buches ist sehr traurig. Ja, natürlich auch wegen des traurigen Endes. Aber vor allem, weil dieses magische Buch dann leider vorbei ist.
Das ist kein Jugendbuch,
sondern Literatur für alle
–anmutig, komisch, kostbar
Der Abstecher nach Europa ist für Hazel und Gus zwar eine Enttäuschung, aber Amsterdam bereitet den beiden krebskranken Jugendlichen ein Blütentraumerlebnis, von dem sie noch lange zehren. Unser Bild zeigt ein Touristenboot in den Grachten der Stadt..
FOTO: RUSSELL UNDERWOOD/CORBIS
John Green wurde 1977 in Indianapolis geboren, wo er heute auch wieder lebt. Sein Debüt „Eine wie Alaska“ (2007) genießt Kultstatus unter jungen Lesern. Es folgten die Jugendromane „Die erste Liebe“ und „Margos Spuren“ (2010). FOTO: CORBIS
John Green: Das Schicksal ist ein mieser Verräter. Roman. Aus dem Englischen von Sophie Zeitz. Hanser Verlag, München 2012. 288 Seiten, 16,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Tief bewegt berichtet die Rezensentin Cornelia Geißler von diesem Buch über zwei krebskranke jugendliche, die einander über ein - in der Rezension nicht ghenanntes! - gemeinsames Lieblingsbuch Trost und Halt spenden. John Green wiederum charakterisiert Geißler als "Anwalt der jungen Menschen", der auf sehr selbstverständliche Weise über die Krankheit schreibt, dabei "das Düstere hell" werden lässt und auch heikle Momente - einmal besuchen die zwei Protagonisten das Anne-Frank-Haus, wo sie ihre eigenen Erfahrungen mit denen der Anne Frank vergleichen - souverän handhabt. Mit seinem tiefen Verständnis für die Situation krebskranker Menschen ist Green diesen nicht nur eine Stütze, schließt die Rezensentin, auch Außenstehenden bietet sich dieses Buch als Freund und Lebensbegleiter an. Geißler stellt Green in eine Reiehe mit Jerome Salinger und Ulrich Plenzdorf.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.08.2012Bücher Die britischen Kunstturnerinnen sind jetzt Sechste geworden in London, dabei hat sich eine von ihnen, Jennifer Pinches, beim Finale mit dem Gruß der Nerdfighter fotografieren lassen: Arme verschränkt, Finger wie Mr. Spock zum V gespreizt. Was der nächste Beleg dafür ist, wie Nerdfighter Nummer eins, John Green, gerade die Welt erobert - vom Internet, wo er mit seinem Bruder Hank (die andere Nummer eins) ein Videoblog hat, um das herum sich die internationale Liga der Nerdfighter gebildet hat, und der Jugendliteratur aus in alle angrenzenden Universen. Jetzt ist Greens fünfter Roman erschienen, "Das Schicksal ist ein mieser Verräter" (Hanser, 16,90 Euro), wieder geht es um hochintelligente Teenager, die ein paar Zentimeter neben oder über der Gegenwart zu Hause sind, die zwar Modelshows im Fernsehen gucken, aber ihr Herz wie die Romantiker zu allen Zeiten an Bücher und überspannte Konversation hängen (das wäre die Definition eines Nerdfighters). Hazel hat Krebs, ihr Freund Augustus auch, aber bevor einer von beiden stirbt, müssen sie noch nach Amsterdam, um den Autor von Hazels Lieblingsbuch zu treffen, dessen Ende offen ist. Was sie aber bekommen, sind Antworten auf die letzten Fragen des Lebens. Und auch wenn man erst das Gefühl hat, dass Green es diesmal vor allem auf eine schonungslose, exemplarische Geschichte angelegt hat, reißt ihr Witz bald doch mit, die Leidenschaft, mit der ein Autor hier seinen Figuren eine Integrität andichtet, die larger than life ist, aber nicht größer als der Tod. Das weiß John Green, das ist die Wahrheit seines Buchs, das macht es, ja, doch: weise. (Ab 13 Jahren.)
tob
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
tob
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
John Green gilt unter Lesern besserer Jugendliteratur als Kultautor. Seine Neuerscheinungen werden von vielen mit Jubel begrüßt und als jeweils großes Werk zum Thema eingestuft. Tatsächlich kann er grandios erzählen und seine Themen beziehen sich auf Brennpunkte, die Jugendliche aber auch Erwachsene beschäftigen, wie in diesem Fall das Sterben von jungen Menschen. Diese himmelschreiende Ungerechtigkeit, dass jemand, der gerade anfängt zu leben, damit konfrontiert wird und mit dieser Aussicht noch eine Weile leben muss, dass sein Leben bald schon wieder zu Ende sein wird, dass es keine offene Zukunft gibt, sondern nur noch Elend und Abschied, ist unendlich grausam. Doch genau dieses graue Elend findet für Hazel, die Heldin dieses Romans nicht statt. Stattdessen lesen wir eine hinreißende Liebesgeschichte, finden wir Figuren, die intelligent, phantasievoll und mit herrlichem Humor ihrem Schicksal den Stachel nehmen. Und auch wenn am Ende der Tod auf sie wartet, haben sie doch davor noch viele Schönheiten eines privilegierten Lebens genießen dürfen. Was dem Leser am Ende bleibt, ist die Erfahrung, dass jedes Leben einmalig und stimmig ist: "Ihr fallt alle reif in meine Hände" lässt Hofmannsthal den Tod in "Jedermann" sagen. John Green ist wirklich ein großer Autor. Aber es gibt neben dieser Geschichte noch viele andere Wege, das Schicksal als Verrat zu erleben, anzunehmen oder auch nicht, deshalb sollte dieses Buch vor allem als Türöffner für dieses Tabuthema benutzt werden, denn wer die Angst davor verlieren will, muss sich auch auf die anderen Erscheinungsformen einlassen. Dazu gibt es eine Fülle weiterer Titel; die empfehlenswerten findet man hier ebenfalls besprochen. Gabriele Hoffmann (Leanders Leseladen, Heidelberg)
"Das neue Buch von John Green sollte jeder lesen. Und jeder heißt wirklich jeder ... Es gibt zur Zeit kein bewegenderes Buch." Maren Keller, KulturSpiegel, 30.07.12
"Wer hier nicht weint und lacht, fühlt wohl schon lange nichts mehr. Was für ein Buch! So rein und klar, so grundstürzend komisch und dann wieder unendlich zart. ... Das ist kein Jugendbuch, sondern Literatur für alle, anmutig, komisch, kostbar." Werner Bartens, Süddeutsche Zeitung, 31.07.12
"Was nach einer potentiell kitschigen und sehr pathetischen Geschichte klingt, ist ein fesselnder Roman voller Sprachwitz, Klugheit und Gefühl, der die heikle Balance zwischen Witz und Gravitas in jedem Moment hält - ein Buch, das man erst nicht aus der Hand legen und dann nicht vergessen kann." Felicitas von Lovenberg, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 01.08.12
"Es könnte so ein Buch werden, das wie ein Freund in der Nähe ist, wenn man nicht weiter weiß und auch dableiben darf, wenn man sich gut fühlt. Denn ,Das Schicksal ist ein mieser Verräter' hinterlässt seine Spuren im Leserherz." Cornelia Geißler, Frankfurter Rundschau, 25.08.12
"Ein Roman wie finnischer Tango: tieftraurig und ab und an irritierend komisch. ... Ein Roman, in dem jedes Gespräch über Filme, Musik oder Freunde immer auch ein Ergründen von Liebe und Tod ist; subjektiv, rotzfrech und genial emotional." Hans ten Doornkaat, Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, 19.08.12
"'Harry Potter', 'Twilight', 'Die Tribute von Panem', Weltbestseller der Jugendliteratur, Überraschungserfolge, die einen Nerv trafen. ... Nun gibt es einen neuen Bestseller, der von Teenagern verschlungen wird und dessen Autor sie wie einen Popstar feiern. ... die jungen Helden dieses Buches sind krebskranke Jugendliche, die sagen 'Das Schicksal ist ein mieser Verräter'." Aber es ist alles andere als ein Krebsbuch: Poetisch, skurril, traurig und lustig zugleich. ... Auch für Erwachsene." Marietta Slomka, ZDF Heute Journal, 18.09.12
"Ein Buch über das Sterben, die Liebe und die Macht des Lesens, ein zärtlicher, todtrauriger und lustiger Roman." Felicitas von Lovenberg, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 01.12.12
"Ein Buch, das den Leser gleichzeitig zum Lachen wie zum Weinen bringt und zum Nachdenken anregt."
Aus der Jurybegründung zum Deutschen Jugendliteraturpreis 2013
"Er hat Wahrnehmungs- und Hemmschwellen beseitigt. Endlich nehmen Erwachsene zur Kenntnis, dass Jugendbücher mehr sein können als Vampirgeschichten. Endlich haben Verlage keine Scheu mehr davor, jungen Lesern genug seelische Festigkeit zuzutrauen, auch mit den ganz harten Themen klarzukommen. Endlich haben Kritiker registriert, dass im Bereich der Jugendliteratur eine aufregende Szene entstanden ist, die sie lange übersehen hatten. Endlich haben erstklassige Autoren keine Bedenken mehr, für junge Erwachsene zu schreiben (...). Und endlich sind abgekochte Erwachsene bereit, sich der Erfahrung von Romanen auszusetzen, die für Menschen halb so alt wie sie selbst gedacht sind." Peter Praschl, Die Welt, 28.06.2014
"Wer hier nicht weint und lacht, fühlt wohl schon lange nichts mehr. Was für ein Buch! So rein und klar, so grundstürzend komisch und dann wieder unendlich zart. ... Das ist kein Jugendbuch, sondern Literatur für alle, anmutig, komisch, kostbar." Werner Bartens, Süddeutsche Zeitung, 31.07.12
"Was nach einer potentiell kitschigen und sehr pathetischen Geschichte klingt, ist ein fesselnder Roman voller Sprachwitz, Klugheit und Gefühl, der die heikle Balance zwischen Witz und Gravitas in jedem Moment hält - ein Buch, das man erst nicht aus der Hand legen und dann nicht vergessen kann." Felicitas von Lovenberg, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 01.08.12
"Es könnte so ein Buch werden, das wie ein Freund in der Nähe ist, wenn man nicht weiter weiß und auch dableiben darf, wenn man sich gut fühlt. Denn ,Das Schicksal ist ein mieser Verräter' hinterlässt seine Spuren im Leserherz." Cornelia Geißler, Frankfurter Rundschau, 25.08.12
"Ein Roman wie finnischer Tango: tieftraurig und ab und an irritierend komisch. ... Ein Roman, in dem jedes Gespräch über Filme, Musik oder Freunde immer auch ein Ergründen von Liebe und Tod ist; subjektiv, rotzfrech und genial emotional." Hans ten Doornkaat, Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, 19.08.12
"'Harry Potter', 'Twilight', 'Die Tribute von Panem', Weltbestseller der Jugendliteratur, Überraschungserfolge, die einen Nerv trafen. ... Nun gibt es einen neuen Bestseller, der von Teenagern verschlungen wird und dessen Autor sie wie einen Popstar feiern. ... die jungen Helden dieses Buches sind krebskranke Jugendliche, die sagen 'Das Schicksal ist ein mieser Verräter'." Aber es ist alles andere als ein Krebsbuch: Poetisch, skurril, traurig und lustig zugleich. ... Auch für Erwachsene." Marietta Slomka, ZDF Heute Journal, 18.09.12
"Ein Buch über das Sterben, die Liebe und die Macht des Lesens, ein zärtlicher, todtrauriger und lustiger Roman." Felicitas von Lovenberg, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 01.12.12
"Ein Buch, das den Leser gleichzeitig zum Lachen wie zum Weinen bringt und zum Nachdenken anregt."
Aus der Jurybegründung zum Deutschen Jugendliteraturpreis 2013
"Er hat Wahrnehmungs- und Hemmschwellen beseitigt. Endlich nehmen Erwachsene zur Kenntnis, dass Jugendbücher mehr sein können als Vampirgeschichten. Endlich haben Verlage keine Scheu mehr davor, jungen Lesern genug seelische Festigkeit zuzutrauen, auch mit den ganz harten Themen klarzukommen. Endlich haben Kritiker registriert, dass im Bereich der Jugendliteratur eine aufregende Szene entstanden ist, die sie lange übersehen hatten. Endlich haben erstklassige Autoren keine Bedenken mehr, für junge Erwachsene zu schreiben (...). Und endlich sind abgekochte Erwachsene bereit, sich der Erfahrung von Romanen auszusetzen, die für Menschen halb so alt wie sie selbst gedacht sind." Peter Praschl, Die Welt, 28.06.2014