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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Philipp Schönthaler schaut den Silberzungen der neuen Arbeitswelt aufs Maul und auf die Finger
Schleimer, Schwätzer, Scharlatane, wohin man in diesem Roman schaut: Auf den geschliffenen Jargon der Eintönigkeit - die Sprachformeln der Produktmanager, Headhunter, Personal Trainer oder Consultants - versteht sich keiner besser als Philipp Schönthaler. Schon mit seinem Erzählband "Nach oben ist das Leben offen" (2012) hat er die Leistungsgesellschaft aufs Korn genommen, jetzt wendet er sich ganz der Unternehmenswelt zu. Von der seltsamen Titelmelodie dieses Romandebüts darf man sich nicht täuschen lassen: "Das Schiff das singend zieht auf seiner Bahn" befindet sich auf keiner fröhlichen Kreuzfahrt. Die Belegschaft ist strikt auf Kurs gebracht: "Einstieg als Aufstieg".
Der Kosmetikkonzern "Pfeiffer Beauty" ist ein völlig austauschbarer Schauplatz: protzig geschleckte Firmenzentrale nahe Stuttgart mit weitläufigem Foyer und Lichthof, verglasten Aufzügen, Meetingpoints, Oasen und Bistros. Gleiches gilt für das auf "Selbstoptimierung" gedrillte Personal: Mitte dreißig, smarte, redegewandte Selbstdarsteller. Damit diese Standardeigenschaften niemand vergisst, führen die Figuren sprechende Namen: Erik Jungholz, der die Firma mit einem neuen Herrenduft retten soll, ist Golfer, liebt schnelle Autos und erinnert sich ständig vor dem Spiegel daran, wie gut, ja wirklich gut er ist. Die Unternehmensberaterin Pamela Smaart hat trotz ihres Glasauges einen ziemlich guten Durchblick. Dr. Posner, Career Center Coach, lehrt die rechte Haltung und predigt das KLP-Prinzip: Kompetenz, Leistungsorientierung, Persönlichkeit.
Im Unterschied zu Typensatiren aus der literarischen Tradition stellt Schönthaler aber nicht nur die sorgfältig einstudierten Rollen seines Personals vor. Hinter den Fassaden tun sich jähe Abgründe auf. Die scheinbar so reibungslos auf ihrer Bahn dahinschnurrenden Aufziehfiguren müssen sich von Schlaftherapeuten, Stimmtrainern und Psychologen behandeln lassen, um überhaupt zu funktionieren. Sie kämpfen mit allen möglichen psychosomatischen Begleiterscheinungen ihrer Karriere, der sie sich viel bedingungsloser und verbissener verschreiben als die nachfolgende, Leistung und Lebensgenuss balancierende "Generation Y". Besonders hart trifft es die ewige Bewerberin Rike, die in jeder Vorstellungssituation versagt. Ihr Name ist die anagrammatische Umkehrung des Strahlemanns Erik Jungholz.
Schönthaler schreibt nicht als Insider, sondern als literarisch verdeckter Ermittler. Traditionelle Erzählpositionen, über deren Verabschiedung bei Bernhard, Sebald und Kertész er 2010 promoviert wurde, versucht er im eigenen Roman aufzugeben, auch formal: Dem Titelblatt auf Seite 9 gehen sechs Druckseiten mit charakterisierenden Fragmenten voraus. Das Buch selbst verwebt die kühl protokollierten Geschichten der einzelnen Figuren, die recht wenig miteinander zu tun haben.
Insgesamt handelt es sich bei dem Roman um ein handlungsarmes Soziogramm, das den Agenten der Effizienz bei der Arbeit zusieht. Ihr neoliberaler Geist stammt zwar aus der Unternehmenswelt, hat aber längst alle Institutionen, Behörden und Bildungseinrichtungen durchdrungen. Qualitätssicherung, Evaluation und Consulting allüberall, im Roman werden gar nicht sonderlich fiktiv wirkende Erhebungsbögen, Statistiken und Tortendiagramme abgedruckt. Die Controller, die all das, vor allem aber sich selbst kontrollieren, lachen sich dabei ins Fäustchen. Literatur als Spiegel der Welt soll das nicht aussparen, es bleibt aber die Entscheidung des Lesers, ob er sich dem nicht lieber entziehen will.
ALEXANDER KOSENINA
Philipp Schönthaler: "Das Schiff das singend zieht auf seiner Bahn". Roman.
Matthes & Seitz, Berlin 2013. 334 S., geb., 19,90 [Euro].
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