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Ein Mann sitzt in einem Sanatorium an der Grenze der Schweiz. Er erzählt seiner Tochter die Umstände, die zum Tod ihrer Mutter führten. Immer tiefer in seine Vergangenheit eintauchend, zeichnet er Seite für Seite ein Mosaik seines Lebens auf: seine Karriere als Maler, der Auftrag, einen Katalog von Sternbildern zu erstellen, die Zerrüttungen bei der Geburt der Tochter. Was als schonungslose Beichte beginnt, endet als Geständnis: Trägt er Schuld am rätselhaften Tod der Mutter? Raoul Schrotts dichte Erzählung über Gewalt, die Liebe zu einem Kind, Paradiese und Sünde ist ein erschütterndes…mehr

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Produktbeschreibung
Ein Mann sitzt in einem Sanatorium an der Grenze der Schweiz. Er erzählt seiner Tochter die Umstände, die zum Tod ihrer Mutter führten. Immer tiefer in seine Vergangenheit eintauchend, zeichnet er Seite für Seite ein Mosaik seines Lebens auf: seine Karriere als Maler, der Auftrag, einen Katalog von Sternbildern zu erstellen, die Zerrüttungen bei der Geburt der Tochter. Was als schonungslose Beichte beginnt, endet als Geständnis: Trägt er Schuld am rätselhaften Tod der Mutter? Raoul Schrotts dichte Erzählung über Gewalt, die Liebe zu einem Kind, Paradiese und Sünde ist ein erschütterndes Zeugnis. Einem Kippbild gleich zieht es die Geschichte eines großen Verlusts unter vielen Blickwinkeln nach.

Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, D, L ausgeliefert werden.

Autorenporträt
Raoul Schrott, geboren 1964, erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den Peter-Huchel- und den Joseph-Breitbach-Preis. Bei Hanser erschienen zuletzt u.a. Homers Heimat (2008) und seine Übertragung der Ilias (2008), Gehirn und Gedicht (2011, gemeinsam mit dem Hirnforscher Arthur Jacobs), die Erzählung Das schweigende Kind (2012), die Übersetzung von Hesiods Theogonie (2014), der Gedichtband Die Kunst an nichts zu glauben (2015) sowie Erste Erde (Epos, 2016). Erste Erde wurde über mehrere Jahre hinweg von der Kulturstiftung des Bundes gefördert.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Den Rahmen für Raoul Schrotts Erzählung "Das schweigende Kind" bildet eine therapeutische Schreibübung des in einer Nervenklinik befindlichen Erzählers, fasst Rezensent Friedhelm Rathjen zusammen. In der auf diese Weise zustande gekommenen Geschichte um die destruktive Liebe zwischen einem Maler und seinem Modell, die durch die Geburt einer Tochter eine unglückliche Wendung nimmt, sei nie wirklich klar, was tatsächlich passiert und was fantasiert ist. Das Buch sei "ein ausgefuchstes Schelmen- und Kabinettstück literarischer Perspektiventechnik", bilanziert Rathjen, dem das aber doch zu wenig ist.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.03.2012

In der Vorhölle der Väter

In seiner neuen Erzählung "Das schweigende Kind" widmet sich der österreichische Schriftsteller Raoul Schrott dem Leid eines Mannes, dem das Kind entzogen wird. Doch die Rhetorik des Pathos hält der Dringlichkeit des Anliegens nicht stand.

Erzählenswert ist wohl nur Wirkliches. Um dir jedoch die Wahrheit sagen zu können, muss ich Zeugnis alles Falschen ablegen."

Gleich die ersten Sätze von Raoul Schrotts neuer Erzählung führen auf schwankenden Grund. Jemand, ein Mann namens Andreas, legt eine Beichte ab - oder auch Zeugnis wider sich selbst, die religiöse Konnotation ist gewollt. Das Du, das er anspricht, das hier einmal mehr "schweigende Kind", ist seine ihm schon lange ferne Tochter Isa. Und was behauptet er da? Nur Wirkliches sei erzählenswert? Darüber ließe sich streiten, erst recht über die Gleichsetzung von Wahrheit und Wirklichkeit. "Zeugnis alles Falschen" bedeutet offenbar das Gegenteil von falschem Zeugnis.

Es ist die Geschichte eines Scheiterns, wie es gründlicher kaum sein könnte. Dessen Ausweis ist Andreas' Aufenthaltsort, die "Anstalt", in der er sich erinnert: an das Paris der jüngsten Studentenrevolte (2006), in dem der Kunststudent ein Aktmodell näher kennenlernt. Die beiden verlieben sich, planen ein Kind, das trotz redlicher Bemühung erst auf künstlichem Wege zustande kommt. Die Geburt der Tochter steht am Beginn der Erzählung, die das Davor und Danach in subtiler Verschränkung ausmisst, um etwas Ungeheuerliches zu erklären: Isas Mutter ist tot, und ihr Vater hatte anscheinend seine Finger im Spiel.

Das Unheil beginnt mit der pathologisch besitzergreifenden Art, mit der die namenlos bleibende Mutter sich auf ihr Kind stürzt und es dem Vater zunehmend entzieht. Kaum ist es ein Jahr alt, gibt die Mutter dem Mann den Laufpass, gewährt nur englimitierte Besuchszeiten. Als Nichtehemann hat Andreas bei Gericht keine Chance. Das Kind reagiert auf den Kampf der Eltern mit Schweigen: Mutismus lautet die Diagnose. Nach Legionen von Büchern über geschundene Frauen soll dieses mit schöner Bescheidenheit "Erzählung" genannte nun also den Mann in ungewohnter Opferrolle zeigen; ein reizvolles Unterfangen, wenn die literarischen Mittel mit der Dringlichkeit des Anliegens mithielten. So aber liegt das Verhängnis dieses Textes in Schrotts Entscheidung für eine Rhetorik des Pathos begründet. Von Anfang an - jedes der 33 Kapitel beginnt mit einer Sentenz - haftet den Ergüssen dieses Mannes etwas Prätentiöses und Hochtrabendes an. Begriffe wie Enigma und Trajektorien fließen ihm leicht aus der Feder, aber er schreibt "Limbus patrorum" für "Limbus patrum", die Vorhölle der Väter, und weiß nicht, dass es "das Ethos" heißt. Spätestens hier hätte der Catull- und Homer-Übersetzer Schrott ihm beispringen müssen.

Die Zeugungsanstrengungen der Liebenden beschreibt der Erzähler so: "Und unser Begehren wuchs desto mehr, als wir es für jene Tage zurückhielten, in denen deine Mutter fruchtbar wurde, um uns eine Stunde zu suchen, die dann ganz für sich bestand, heil blieb." Während man noch diesem Satz nachhorcht (wie hat man sich eine Stunde vorzustellen, die ganz für sich besteht und heil bleibt?), folgt schon das nächste Rätsel, hinterlassen die beiden doch "auf dem Laken einen Abdruck, von jenem Schmerz gezeichnet, den deine Mutter bald darauf von mir verlangte". Wie könnte ein Abdruck, von Schmerz gezeichnet, ausschauen? Ein Fleck auf dem Leintuch, Blut, Schweiß, Tränen oder etwas Unsichtbares? Und wie kann ein zukünftiger Schmerz einen gegenwärtigen Abdruck hinterlassen? Ein poetisches Paradox?

Kaum ist man darüber hinweg, stolpert man über Betrachtungen, die der Erzähler seiner neuen Liebe Kim per E-Mail sendet: "Die Liebe ist ein Gott, der einem auf der Schulter sitzt. Doch sobald er auf den Boden und laufen will, wird er so quengelig wie ein Kind." Immerhin scheint es sich bei Cupido um kein schweigendes Kind zu handeln, aber es verwundert doch, dass diese Zeilen auf die Adressatin die gewünschte aphrodisierende Wirkung ausüben. Seine künstlerische Entwicklung kommentiert Andreas einmal so: "Zurück zum Figürlichen hatte ich gewollt; doch das Reale missriet mir zum Kitsch, nicht besser als der Zuckerbäckerstil von Sacré-Coeur", ein Sinnbild "völliger Verkommenheit" (oder doch Vollkommenheit?).

Isas pechschwarz gepinselte Mutter wünschte sich wohl niemand zur Lebenspartnerin: eine Mischung aus Femme fatale und Megäre, lüstern, geheimnisvoll, gewalttätig, eifersüchtig, labil. Der Schmerz, den sie verlangt, meint ein masochistisches Begehren: Praktiken mit heißem Wachs, Fesselungen, Schläge. Seltsam, dass ein Vater solches en detail seiner Tochter schildert, um deren Verständnis er buhlt, doch ist er nach der Logik der Geschichte ja selbst ein Zerrütteter. Jedenfalls legt er Wert darauf, dass der Wunsch der Frau, sich von ihm erniedrigen zu lassen, ihn selbst erniedrigt habe. "Das Weib sündigt nicht, denn es ist selbst die Sünde, als Möglichkeit im Manne", heißt es in Otto Weiningers "Geschlecht und Charakter" (1903). Raoul Schrotts Erzählung lässt sich vor der Folie dieser "prinzipiellen Untersuchung" lesen, mit der sie ein Hang zum Schwülen wie zur Apodiktik verbindet. "Deiner Mutter zu verzeihen, so weit bin ich noch nicht. Doch was heißt Schuld? Wie das Böse ist sie ... reine Zuschreibung", räsoniert Andreas. Auch Weininger behauptet nicht, "dass die Frau böse, antimoralisch ist; ich behaupte, dass sie vielmehr böse gar nie sein kann; sie ist nur amoralisch, gemein."

In Andreas' Monolog scheint die Selbstanklage eine Form des Selbstmitleids: Auf seine Art "haltloser" als Isas Mutter, habe er Schuld auf sich geladen. Schrott erzählt diesen Teil der Story - ihren besten - als kleine schmutzige Balkangeschichte. Der Maler fährt mit Kim, der asiatischen Schönheit, nach Kroatien, um eine Mappe mit Sternenbildern bei den höchst zwielichtigen Auftraggebern abzuliefern. Wie auf dem Bauerngut dort das angekündigte Festessen nicht und nicht stattfindet, wie der gepriesene autochthone Wein nur besichtigt, nicht getrunken wird und Andreas langsam begreift, dass man ihn als Geldwäscher missbraucht, und er dennoch erschreckend schnell heimisch wird in dieser Welt kaum verhohlener Gewalt, das erzeugt echte Beklemmung.

Als Coda rückt ein Brief des Therapeuten (der sich desselben gespreizten Stils befleißigt wie sein Patient) manches noch einmal in ein anderes Licht. Die geheime Botschaft des Buches, dass nämlich die Frau selbst schuld ist an ihrem Tod, bleibt davon unberührt. Der falsche Ton des Ganzen, der sich bis in die archaisch raunenden Sätze verfolgen lässt und die Liebeserklärung an die Tochter entwertet, rührt daher, dass der Text sich seines Abgrunds nicht bewusst ist. Das "Zeugnis alles Falschen" ist selbst falsch: unehrlich aus Blindheit.

DANIELA STRIGL.

Raoul Schrott: "Das schweigende Kind". Erzählung.

Hanser Verlag, München 2012. 199 S., geb., 17,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Ein bedeutendes und reifes und fast nebenbei auch ein sachlich lehrreiches, in seinen Episoden aufregendes und überdies ein spannendes Buch." Hans-Herbert Räkel, Süddeutsche Zeitung, 13.03.2012

"Ein ausgefuchstes Schelmen- und Kabinettstück literarischer Pespektiventechnik" Friedhelm Rathjen, Die Zeit, 19.04.12

"Mit der Erzählung ist ihm (Raoul Schrott) das ebenso glaubhafte wie bewegende Psychogramm einer Familientragödie gelungen." Ekkehard Rudolph, Stuttgarter Zeitung, 01.06.12