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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.04.2018Rette deinen Nächsten
Mitten in der Heimat diese Fremde: Ein Häftling irrt auf der Suche nach Beistand durch das Rhein-Main-Gebiet der Nazizeit. "Frankfurt liest ein Buch", das Festival, das in diesem Jahr zum neunten Mal stattfindet, bekommt es mit seinem literarisch bislang bedeutendsten Titel zu tun.
Von Florian Balke
Sieben geköpfte Platanen im Lager, sieben improvisierte Kreuze, an denen die flüchtigen Häftlinge hängen sollen, wenn sie wieder aufgegriffen worden sind, sieben Tage der Flucht, sieben Romankapitel, in denen der entkommene Georg Heisler Freunde in Mainz und Frankfurt um Hilfe bittet, von den einen abgewiesen wird und bei den anderen Unterstützung findet. Sieben Schöpfungstage, mit denen Anna Seghers die Passion ihres Helden vergleicht, ehe er wie neugeboren in einem Schiff den Rhein hinabfährt, Richtung Niederlande, Richtung Freiheit.
"Das siebte Kreuz", ihren großen Exilroman, schrieb die am 19. November 1900 in Mainz zur Welt gekommene Seghers zwischen 1937 und 1939 in Paris, kurz bevor sie am 14. Juni 1940, dem Tag des Einmarschs deutscher Truppen in die Stadt, mit ihren beiden Kindern weiter nach Mexiko floh. Vom 16. April an steht der Roman zwei Wochen lang im Mittelpunkt von "Frankfurt liest ein Buch" - ein Glücksgriff für das Festival, das rund um die Orte der Handlung erstmals die Region mit einbezieht. Und es nach zahlreichen regional bedeutsamen und künstlerisch meist sehr gelungenen Büchern, unter denen sich diverse verdienstvolle Wiederentdeckungen befanden, zum ersten Mal mit einem wirklichen Hauptwerk der deutschsprachigen Literatur zu tun bekommt.
Westhofen heißt das Konzentrationslager bei Seghers, das sie nach dem Lager Osthofen benannt haben dürfte, das im April 1933 als erstes in Hessen eingerichtet wurde und etwa ein Jahr lang bestand. Es war ein reines Männerlager für bis zu 200 Häftlinge. Das Motiv der sieben Kreuze hingegen könnte auf einen Vorfall im KZ Sachsenhausen zurückgehen, an den sich der 1984 mit siebzig Jahren gestorbene Frankfurter Willi Knoob erinnerte, als er kurz vor seinem Tod Erinnerungen an die Haft notierte. Aus Sachsenhausen entkamen im November 1936 sieben Häftlinge, für die bis zu ihrer abermaligen Festnahme sieben Kreuze errichtet wurden. "Golgatha", schreibt er dazu: "Auf diese Idee konnte nur das kranke und pervertierte Hirn eines SS-Offiziers kommen. Der indianische Marterpfahl hätte da nichts genutzt. Das Kreuz war das stärkere Symbol für das protzige Machtgefühl." Da Seghers in Paris über politische Verbindungen verfügte und diverse Gliederungen der Kommunistischen Partei, der sie seit 1928 angehörte, über dokumentarisches Material aus dem nationalsozialistischen Deutschland verfügten, ist es gut möglich, dass sie ein Jahr nach dem Ereignis, als sie mit dem "Siebten Kreuz" begann, Kenntnis vom Vorfall in Sachsenhausen hatte.
Ihr Buch hat der 1929 geborene Soziologe Frank Benseler, der es kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs als Student in Mainz las, einen "Heimatroman über Hitlerdeutschland" genannt. Tatsächlich ist es mit der verlorenen Heimat der Autorin zutiefst verbunden. 1975 schrieb sie über Mainz: "In dieser Stadt, in der ich meine Kindheit verbrachte, empfing ich, was Goethe den Originaleindruck nennt, den ersten Eindruck, den ein Mensch von einem Teil der Wirklichkeit in sich aufnimmt, ob es der Fluss ist oder der Wald, die Sterne, die Menschen." Es sei kein Zufall, dass sie das "Siebte Kreuz" in Mainz habe spielen lassen, dass ihr Held sich eine Nacht im Mainzer Dom verstecke und ihm auf einem Rheinschiff die Flucht gelinge. Für Seghers war ein Teil des Originaleindrucks der Fluss. "Ich bin vom Rhein und sah jeden Tag den Rhein mit Neid an, weil er bald in Holland ins Meer fließen wird", hatte sie fünf Jahre zuvor formuliert. Aber sie wusste auch sonst, was Taunus, Rheinhessen und Rheingau ausmacht: "Jedes Jahr geschah etwas Neues in diesem Land und jedes Jahr dasselbe - dass die Äpfel reiften und der Wein, bei einer sanften vernebelten Sonne und den Mühen und Sorgen der Menschen." So heißt es auf den ersten Seiten des "Siebten Kreuzes", auf denen die Handlung mit einer Fahrradfahrt vom Taunus hinab in die Höchster Farbwerke beginnt. Durch die Weinhügel bei Worms steigt später auch Georgs Frau auf das kleine KZ mitten in der Nachbarschaft zu, in dem sie ihn besucht.
Landschaft des Guten und Bösen: Wiederholt hat "Frankfurt liest ein Buch" nach dem Auftakt mit Valentin Sengers "Kaiserhofstraße 12" im Jahr 2010 Romane auf das Festivalprogramm gesetzt, die im nationalsozialistischen Frankfurt spielen. Zu nennen sind vor allem Silvia Tennenbaums "Straßen von gestern" (2012) und Dieter David Seuthes "Frankfurt verboten" (2016). Daneben gab es Bücher über das Kaiserreich und die Weimarer Republik, in denen die kommende deutsche Katastrophe heraufzog: Siegfried Kracauers "Ginster" (2014) und Herbert Heckmanns "Benjamin und seine Väter" (2017). Warum der Verein, der das Lesefest organisiert, sich immer wieder für Titel zur Geschichte des 20. Jahrhunderts entscheidet, hat Seuthes Verleger Rainer Weiss vor zwei Jahren zur Eröffnung des Festivals erklärt. Da hatten Unbekannte gerade antisemitische Schmierereien am Gelände des FC Gudesding im Frankfurter Ostpark angebracht, dessen Vorstandsvorsitzender er ist. In Zeiten, in denen er "Lauf, Jude, lauf" auf seinem Sportplatz lesen müsse, werde die gemeinsame Lektüre von Büchern dieser Art für ihn immer notwendiger: "Die Spaßgesellschaft ist vorbei. Es ist ernst."
Es ist aber auch so, dass Bücher zum großen deutschen Geschichtsthema die spannendsten Erzählungen über Frankfurt bergen: Hier geht es um etwas. Titel aus der Stadt von heute kommen da kaum mit, ob sie nun von Jakob Arjouni, Jörg Fauser, Martin Mosebach oder Peter Kurzeck stammen. Spannung ist gerade für "Das siebte Kreuz" mit seiner Dramaturgie von Flucht und Verfolgung besonders bezeichnend. Sie ist der 1944 uraufgeführten Verfilmung mit Spencer Tracy ebenso anzumerken wie Anselm Webers Inszenierung am Schauspiel Frankfurt, die aufgrund anderer Verpflichtungen des Schauspielers Max Simonischek während des Festivals nicht gezeigt werden kann.
Die beiden ersten Kapitel des Romans erschienen im Juni, Juli und August 1939 in der Moskauer Exilzeitschrift "Internationale Literatur", dann unterbrach der Abschluss des Hitler-Stalin-Pakts den Abdruck des Buches, das im Herbst 1939 vollendet war. Ehe Seghers im Sommer 1940 aus Paris floh, sandte sie mehrere Kopien über den Atlantik, so dass sie im Frühjahr 1941, als sie Mexiko erreichte, selbst kein Exemplar des Buches mehr besaß. Da hatte ihr amerikanischer Agent eine der Kopien allerdings schon an den Mann bringen können. Im Juli 1942 entschied der einflussreiche Book-of-the-Month-Club zudem, den Roman als Titel des Monats Oktober zu veröffentlichen. Von November an veröffentlichten die Zeitungen des Medienmoguls William Randolph Hearst den stark gekürzten Roman darüber hinaus in Gestalt einer Art Comic Strip. Jede Folge bestand aus mehreren Bildern, begleitet von rund 500 Wörtern Text. In dieser Form erreichte "Das siebte Kreuz" bis zu 20 Millionen Leser. Die Illustrationen stammten vom Zeichner William Sharp, der 1900 unter dem Namen Leon Schleifer in Lemberg zur Welt gekommen war. Eines seiner Bilder zeigen wir auf der Titelseite dieser Beilage.
Bis Februar 1943 verkaufte sich der Roman mindestens 421 000 Mal, im Jahr darauf gab es eine Sonderausgabe für amerikanische Soldaten auf dem Weg in deutsches Feindesland. Christa Wolf erinnerte sich Jahrzehnte später an den Bericht eines Deutschen, der in der Army diente. Er hatte Seghers geschrieben: "Als wir bei Mainz über den Rhein fuhren, habe ich den Helm abgenommen, dir und den Freunden vom siebten Kreuz zu Ehren." Wolf selbst hatte den Roman 1948 in der Schule gelesen, als "schnell zerfleddernden Rowohlt-Rotationsdruck". Ihr Exemplar war zwei Jahre alt. 1946 war das Buch bei Aufbau im sowjetischen Sektor Berlins erschienen, noch im selben Jahr kam es bei Rowohlt heraus, im Westteil der Stadt. Ein Jahr später erschien es auch in München, also in der amerikanischen Besatzungszone, in der Seghers 1947 mit dem Büchner-Preis ausgezeichnet wurde, den das neugegründete Land Hessen nach dem Krieg wieder zu vergeben begann. Spätestens mit dem Mauerbau jedoch brach der Ost-West-Konflikt über Seghers herein. Es dauerte bis in die späten Siebziger, ehe die DDR-Schriftstellerin, die im Osten Deutschlands zur Literaturfunktionärin geworden war, im Westen wieder wahrgenommen wurde. Dass das Buch, dass sich für sie mit ihrer Herkunft und ihrem Schicksal verband, jetzt an den Handlungsorten gelesen wird, ist rund achtzig Jahre nach seiner Niederschrift besonders passend.
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Mitten in der Heimat diese Fremde: Ein Häftling irrt auf der Suche nach Beistand durch das Rhein-Main-Gebiet der Nazizeit. "Frankfurt liest ein Buch", das Festival, das in diesem Jahr zum neunten Mal stattfindet, bekommt es mit seinem literarisch bislang bedeutendsten Titel zu tun.
Von Florian Balke
Sieben geköpfte Platanen im Lager, sieben improvisierte Kreuze, an denen die flüchtigen Häftlinge hängen sollen, wenn sie wieder aufgegriffen worden sind, sieben Tage der Flucht, sieben Romankapitel, in denen der entkommene Georg Heisler Freunde in Mainz und Frankfurt um Hilfe bittet, von den einen abgewiesen wird und bei den anderen Unterstützung findet. Sieben Schöpfungstage, mit denen Anna Seghers die Passion ihres Helden vergleicht, ehe er wie neugeboren in einem Schiff den Rhein hinabfährt, Richtung Niederlande, Richtung Freiheit.
"Das siebte Kreuz", ihren großen Exilroman, schrieb die am 19. November 1900 in Mainz zur Welt gekommene Seghers zwischen 1937 und 1939 in Paris, kurz bevor sie am 14. Juni 1940, dem Tag des Einmarschs deutscher Truppen in die Stadt, mit ihren beiden Kindern weiter nach Mexiko floh. Vom 16. April an steht der Roman zwei Wochen lang im Mittelpunkt von "Frankfurt liest ein Buch" - ein Glücksgriff für das Festival, das rund um die Orte der Handlung erstmals die Region mit einbezieht. Und es nach zahlreichen regional bedeutsamen und künstlerisch meist sehr gelungenen Büchern, unter denen sich diverse verdienstvolle Wiederentdeckungen befanden, zum ersten Mal mit einem wirklichen Hauptwerk der deutschsprachigen Literatur zu tun bekommt.
Westhofen heißt das Konzentrationslager bei Seghers, das sie nach dem Lager Osthofen benannt haben dürfte, das im April 1933 als erstes in Hessen eingerichtet wurde und etwa ein Jahr lang bestand. Es war ein reines Männerlager für bis zu 200 Häftlinge. Das Motiv der sieben Kreuze hingegen könnte auf einen Vorfall im KZ Sachsenhausen zurückgehen, an den sich der 1984 mit siebzig Jahren gestorbene Frankfurter Willi Knoob erinnerte, als er kurz vor seinem Tod Erinnerungen an die Haft notierte. Aus Sachsenhausen entkamen im November 1936 sieben Häftlinge, für die bis zu ihrer abermaligen Festnahme sieben Kreuze errichtet wurden. "Golgatha", schreibt er dazu: "Auf diese Idee konnte nur das kranke und pervertierte Hirn eines SS-Offiziers kommen. Der indianische Marterpfahl hätte da nichts genutzt. Das Kreuz war das stärkere Symbol für das protzige Machtgefühl." Da Seghers in Paris über politische Verbindungen verfügte und diverse Gliederungen der Kommunistischen Partei, der sie seit 1928 angehörte, über dokumentarisches Material aus dem nationalsozialistischen Deutschland verfügten, ist es gut möglich, dass sie ein Jahr nach dem Ereignis, als sie mit dem "Siebten Kreuz" begann, Kenntnis vom Vorfall in Sachsenhausen hatte.
Ihr Buch hat der 1929 geborene Soziologe Frank Benseler, der es kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs als Student in Mainz las, einen "Heimatroman über Hitlerdeutschland" genannt. Tatsächlich ist es mit der verlorenen Heimat der Autorin zutiefst verbunden. 1975 schrieb sie über Mainz: "In dieser Stadt, in der ich meine Kindheit verbrachte, empfing ich, was Goethe den Originaleindruck nennt, den ersten Eindruck, den ein Mensch von einem Teil der Wirklichkeit in sich aufnimmt, ob es der Fluss ist oder der Wald, die Sterne, die Menschen." Es sei kein Zufall, dass sie das "Siebte Kreuz" in Mainz habe spielen lassen, dass ihr Held sich eine Nacht im Mainzer Dom verstecke und ihm auf einem Rheinschiff die Flucht gelinge. Für Seghers war ein Teil des Originaleindrucks der Fluss. "Ich bin vom Rhein und sah jeden Tag den Rhein mit Neid an, weil er bald in Holland ins Meer fließen wird", hatte sie fünf Jahre zuvor formuliert. Aber sie wusste auch sonst, was Taunus, Rheinhessen und Rheingau ausmacht: "Jedes Jahr geschah etwas Neues in diesem Land und jedes Jahr dasselbe - dass die Äpfel reiften und der Wein, bei einer sanften vernebelten Sonne und den Mühen und Sorgen der Menschen." So heißt es auf den ersten Seiten des "Siebten Kreuzes", auf denen die Handlung mit einer Fahrradfahrt vom Taunus hinab in die Höchster Farbwerke beginnt. Durch die Weinhügel bei Worms steigt später auch Georgs Frau auf das kleine KZ mitten in der Nachbarschaft zu, in dem sie ihn besucht.
Landschaft des Guten und Bösen: Wiederholt hat "Frankfurt liest ein Buch" nach dem Auftakt mit Valentin Sengers "Kaiserhofstraße 12" im Jahr 2010 Romane auf das Festivalprogramm gesetzt, die im nationalsozialistischen Frankfurt spielen. Zu nennen sind vor allem Silvia Tennenbaums "Straßen von gestern" (2012) und Dieter David Seuthes "Frankfurt verboten" (2016). Daneben gab es Bücher über das Kaiserreich und die Weimarer Republik, in denen die kommende deutsche Katastrophe heraufzog: Siegfried Kracauers "Ginster" (2014) und Herbert Heckmanns "Benjamin und seine Väter" (2017). Warum der Verein, der das Lesefest organisiert, sich immer wieder für Titel zur Geschichte des 20. Jahrhunderts entscheidet, hat Seuthes Verleger Rainer Weiss vor zwei Jahren zur Eröffnung des Festivals erklärt. Da hatten Unbekannte gerade antisemitische Schmierereien am Gelände des FC Gudesding im Frankfurter Ostpark angebracht, dessen Vorstandsvorsitzender er ist. In Zeiten, in denen er "Lauf, Jude, lauf" auf seinem Sportplatz lesen müsse, werde die gemeinsame Lektüre von Büchern dieser Art für ihn immer notwendiger: "Die Spaßgesellschaft ist vorbei. Es ist ernst."
Es ist aber auch so, dass Bücher zum großen deutschen Geschichtsthema die spannendsten Erzählungen über Frankfurt bergen: Hier geht es um etwas. Titel aus der Stadt von heute kommen da kaum mit, ob sie nun von Jakob Arjouni, Jörg Fauser, Martin Mosebach oder Peter Kurzeck stammen. Spannung ist gerade für "Das siebte Kreuz" mit seiner Dramaturgie von Flucht und Verfolgung besonders bezeichnend. Sie ist der 1944 uraufgeführten Verfilmung mit Spencer Tracy ebenso anzumerken wie Anselm Webers Inszenierung am Schauspiel Frankfurt, die aufgrund anderer Verpflichtungen des Schauspielers Max Simonischek während des Festivals nicht gezeigt werden kann.
Die beiden ersten Kapitel des Romans erschienen im Juni, Juli und August 1939 in der Moskauer Exilzeitschrift "Internationale Literatur", dann unterbrach der Abschluss des Hitler-Stalin-Pakts den Abdruck des Buches, das im Herbst 1939 vollendet war. Ehe Seghers im Sommer 1940 aus Paris floh, sandte sie mehrere Kopien über den Atlantik, so dass sie im Frühjahr 1941, als sie Mexiko erreichte, selbst kein Exemplar des Buches mehr besaß. Da hatte ihr amerikanischer Agent eine der Kopien allerdings schon an den Mann bringen können. Im Juli 1942 entschied der einflussreiche Book-of-the-Month-Club zudem, den Roman als Titel des Monats Oktober zu veröffentlichen. Von November an veröffentlichten die Zeitungen des Medienmoguls William Randolph Hearst den stark gekürzten Roman darüber hinaus in Gestalt einer Art Comic Strip. Jede Folge bestand aus mehreren Bildern, begleitet von rund 500 Wörtern Text. In dieser Form erreichte "Das siebte Kreuz" bis zu 20 Millionen Leser. Die Illustrationen stammten vom Zeichner William Sharp, der 1900 unter dem Namen Leon Schleifer in Lemberg zur Welt gekommen war. Eines seiner Bilder zeigen wir auf der Titelseite dieser Beilage.
Bis Februar 1943 verkaufte sich der Roman mindestens 421 000 Mal, im Jahr darauf gab es eine Sonderausgabe für amerikanische Soldaten auf dem Weg in deutsches Feindesland. Christa Wolf erinnerte sich Jahrzehnte später an den Bericht eines Deutschen, der in der Army diente. Er hatte Seghers geschrieben: "Als wir bei Mainz über den Rhein fuhren, habe ich den Helm abgenommen, dir und den Freunden vom siebten Kreuz zu Ehren." Wolf selbst hatte den Roman 1948 in der Schule gelesen, als "schnell zerfleddernden Rowohlt-Rotationsdruck". Ihr Exemplar war zwei Jahre alt. 1946 war das Buch bei Aufbau im sowjetischen Sektor Berlins erschienen, noch im selben Jahr kam es bei Rowohlt heraus, im Westteil der Stadt. Ein Jahr später erschien es auch in München, also in der amerikanischen Besatzungszone, in der Seghers 1947 mit dem Büchner-Preis ausgezeichnet wurde, den das neugegründete Land Hessen nach dem Krieg wieder zu vergeben begann. Spätestens mit dem Mauerbau jedoch brach der Ost-West-Konflikt über Seghers herein. Es dauerte bis in die späten Siebziger, ehe die DDR-Schriftstellerin, die im Osten Deutschlands zur Literaturfunktionärin geworden war, im Westen wieder wahrgenommen wurde. Dass das Buch, dass sich für sie mit ihrer Herkunft und ihrem Schicksal verband, jetzt an den Handlungsorten gelesen wird, ist rund achtzig Jahre nach seiner Niederschrift besonders passend.
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