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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Claudio Coletta folgt der Spur der Tabletten
Das Verlagsmarketing versucht immer wieder, Romane in Schaufenster zu stellen, in denen die Konkurrenz schon erfolgreich war. Aber im Fall von "Das Skalpell des Engels" führt dieses Kalkül in die Irre. Als "perfekter Urlaubskrimi" mit "attraktiven Schauplätzen" beworben, führt dieser eigentümlich altmodische "Kriminalroman aus Italien" in römische Intensivstationen und zu Asylunterkünften in Hochhaussiedlungen an den Rändern der Stadt.
Claudio Coletta, vormals Kardiologe an der La Sapienza in Rom, hat hehre Ziele. Er will einen Fall von fahrlässigen Medikamententests mit Todesfolge, der sich 2016 in Frankreich zugetragen hat - was der Autor im Nachwort verrät -, zusammen mit der Flüchtlingskrise in einem Kriminalroman verarbeiten. Das gelingt ihm, gemessen an tempoharten Gepflogenheiten des Genres, nicht durchgehend, weil er auf viele reflektierende Abwege gerät und auf Leimruten in der Figurencharakterisierung tritt. Aber am Ende schafft er es mit Anstand über die Ziellinie.
Ein alter Mann, Krebs im Endstadium, sitzt nachts rauchend auf dem Balkon. Was da gegenüber von einem Baukran hängt, ist nicht die übliche Kreissäge, die man zum Schutz vor Dieben in der Luft parkt, sondern ein Leichnam. Ein junger Biologe, wie sich herausstellt. Bequembefund der Polizei: Suizid.
Lorenzo Baroldi ist Direktor Operativer Geschäftsbereich Medizin in einer römischen Klinik, vulgo Chefarzt. Glücklich verheiratet, drei erwachsene Kinder, belesen, kultiviert, sensibel, enerviert ihn der Ökonomisierungsdruck in der Klinik gehörig. Patienten sind für ihn noch Menschen - doch, das gibt es. Baroldi quält ein Fall, nicht, weil er noch nie unerwartet Patienten verloren hätte, doch dieser Afrikaner starb innerhalb kürzester Zeit, ohne dass seine Ärzte den Hauch einer Ahnung entwickeln konnten, warum.
Die Pathologin steht vor einem Rätsel, als sie die Leber seziert. "Das Organ war schlaff und von schwärzlicher Farbe, und als sie es auf die Waage legen wollte, passierte etwas Unerwartetes: Die dunkle Masse in ihren Händen zerfiel in zwei Teile, als wäre es Gelatine, die beiden ihr aus den Handschuhen gerutschten Hälften platschten zurück auf das Tablett und verspritzten dabei eine undefinierbare Flüssigkeit." Je vehementer Baroldi nach Erklärungen sucht, desto verwirrter wird er. "Alles an diesem Todesfall entglitt ihm, doch er würde nicht kampflos aufgeben."
Auch deswegen nicht, weil er der schwangeren Witwe Aischa versprochen hat, der Sache auf den Grund zu gehen. Ein zweiter mysteriöser Todesfall eines Afrikaners kommt Baroldi zu Ohren, "subtotale Kolliquationsnekrose" der Leber, schon wieder. Laienhafte Versuche, an Befunde aus anderen Abteilungen zu kommen, scheitern. Etwa bei der Hälfte des Romans wendet sich der Römer an einen Genueser Freund aus Jugendtagen, der als Kriminalkommissar arbeitet. Nario Domenicucci folgt der Bitte und macht sich in Rom ans Ermittlerwerk.
Coletta erzählt mit Insiderwissen vom Medizinbetrieb, steigt in die Welt der Flüchtlingsunterkünfte, in die Praxis eines illegalen Abtreibungsarztes. Den Titel liefert ihm eine Legende aus der Spätantike. Papst Gregor hatte 590 eine Vision, der zufolge über dem Hadriansgrab ein Engel erschien und sein Schwert in die Scheide steckte. So endete die Pest-Epidemie, und das Mausoleum des Hadrian wurde fortan Engelsburg genannt. Nach einem guten Ende sieht es aber bei Coletta nicht aus. Als in den Hinterlassenschaften eines der Verstorbenen eine Schachtel mit einem rätselhaften Kürzel auftaucht, gibt es eine Spur, die Richtung Pharmaindustrie weist. Dann stößt die Zwillingsschwester des angeblichen Selbstmörders auf eine versehentlich in ihrem Postfach gelandete Mail, die einen Hinweis auf eine Firma namens Helvetic Life enthält.
Während ein weiterer Todesfall bekannt wird, steuern Baroldi und Domenicucci die Zentrale eines Schweizer Pharmakonzerns an, dessen Inhaberin die beiden Ermittler im Dienst der Gerechtigkeit gegen jede Wahrscheinlichkeit empfängt. Der Showdown kommt ohne Gewalt aus, er gipfelt in einem Gespräch über Wahrheit und Lüge im außerpharmazeutischen Sinn. Das wichtigste Wort darin lautet "Gewissen". HANNES HINTERMEIER
Claudio Coletta: "Das Skalpell des Engels". Kriminalroman aus Italien.
Aus dem Italienischen von Marina Galli.
Lenos Verlag, Basel 2024. 238 S., br., 24,- Euro.
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