»Ich dachte, heute sei vergangener Montag« - Nachdem der einsam und verlassen in der Schweiz verstorbene Zauberer Tenor dem Ewigen Buddha seinen letzten großen Trick vermacht hat, muss dieser sich nicht nur mit chinesischen Banken und den elendigen Monotheisten herumschlagen, sondern löst mit diesem Missverständnis eine Kette von Verwicklungen aus. Der große Magier César Aira zimmert ein Wolkenschloss aus echten Illusionen und falschen Budenzaubern, die alle Wahrheiten des Daseins infrage stellen. Ein spektakuläres Verwirrspiel, in dem Groteske und Realität, Philosophie und Pop zueinanderfinden und schließlich kaum mehr zu unterscheiden sind.
»César Airas Texte sind erfrischende Lockerungsübungen. Der Autor resümiert nicht das Gesamte des literarischen Erbes. Seine Sache ist eher, Gedanken wie Luftballons platzen zu lassen. Er ist der Agent der Leichtigkeit.« - Eberhard Geisler, NZZ
»César Airas Texte sind erfrischende Lockerungsübungen. Der Autor resümiert nicht das Gesamte des literarischen Erbes. Seine Sache ist eher, Gedanken wie Luftballons platzen zu lassen. Er ist der Agent der Leichtigkeit.« - Eberhard Geisler, NZZ
Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.02.2019Die Gespenster werden gratis mitgeliefert
Konzentriert auf die Flüchtigkeit des Nichtigen: Zwei neue Novellen von César Aira, dem Meistererzähler aus Argentinien
Die Verführungskraft ist unwiderstehlich. Pünktlich zum heutigen siebzigsten Geburtstag von César Aira bringt sein deutscher Verlag Matthes & Seitz gleich zwei Novellen des großen argentinischen Schriftstellers heraus. Und die eine der beiden Erzählungen handelt von einem alternden Zauberer, der seinen letzten Zaubertrick, nachdem er dessen Geheimnis sein Leben lang gehütet hat, jetzt einem Nachfolger vermachen will. Der Autor als Zauberkünstler - was für ein verführerisches Angebot. Aber wir schlagen diese Offerte aus, um Aira als das zu preisen, was er tatsächlich ist: der gewiefteste und raffinierteste Ökonom unter den gegenwärtigen lateinamerikanischen Erzählern.
Schon sein Romandebüt, 1981 unter dem Titel "Ema, la cautiva" erschienen, was nicht nur die historische Bezeichnung für eine von Indianern Gefangene ist, sondern umgekehrt auch das Fesselnde, Gefangennehmende, ja Verzaubernde heißt, entpuppt sich als kalkuliert ausschweifende Wirtschafts- und Geldphantasie im Gewand der Verschleppungs- und Abenteuergeschichte. Auf Deutsch 2004 erschienen, ist sie gespickt mit Weltweisheiten wie: "Wenn man die Geschichte von allem hohlen Gefasel befreit, ist sie nichts als eine Folge von Zahlungen, je exorbitanter, desto besser. Das Einzige, was sich geändert hat, ist die Form und der Kredit." Tatsächlich mit einem heiklen Kredit gründet Ema am Ende der Erzählung mitten in der Pampa - wie man in diesem argentinischen Fall zu Recht sagen darf - ein Unternehmen.
Auch Airas international bislang größter erzählerischer Erfolg, "Gespenster", ist eine durch und durch ökonomische Novelle. Sie nimmt die Herkunft der Ökonomie von "oikos", dem häuslichen Herd, beim Wort und erzählt die Geschichte eines Wohnhauses im Rohbau, das sich sechs Eigentümer in einer Kaufgemeinschaft mit einer chilenischen Hausmeisterfamilie teilen. Nicht etwa ein kommunistisches Gespenst geht um in Airas ökonomischem Gesellschaftsentwurf, sondern zahlreiche Gespenster öffnen die Möglichkeitsräume zu alternativen Lebensweisen: "Los fantasmas", Geister, Phantasmen, Phantasien, hausen in den Winkeln, auf den Schwellen und Giebeln der Haushalte. Ob man will oder nicht, kauft man sie für teures Geld mit ein. Die Gespenster, ihren Spuk und die undefinierten Zwischenräume, in denen sie umgehen, muss man mit auf der Rechnung haben. Und derjenige, der mit ihnen rechnet, ist gerade nicht der klassische, sondern der erzählende Ökonom.
Das Öffnen der phantasmatischen Zwischenräume und -zeiten kann man in jeder einzelnen Geschichte von Airas verfolgen. Und spätestens an dieser Stelle treffen sich doch Ökonomie und Zauberei, denn macht der Zauberer etwas anderes, als trickreich einen Raum zwischen Illusion und realem Erlebnis zu öffnen und, mit den Geistern rechnend, einem ein Phantasma für echt zu verkaufen?
Tatsächlich unterliegt nicht nur César Airas literarische Produktion einer besonderen Ökonomie. Seit den neunziger Jahren verzichtet er darauf, Romane zu verfassen, und veröffentlicht stattdessen in schier unerschöpflich wirkender Produktivität zwei bis drei knapp einhundertseitige Erzählungen pro Jahr. Und in der Tat sind auch die beiden jetzt auf Deutsch erscheinenden Novellen von besonderer Erzählökonomie geprägt. "Was habe ich gelacht" spielt wie so viele Erzählungen von César Aira in dem kleinen Städtchen Pringles. Dieses argentinische Seldwyla liegt in der Provinz Buenos Aires und ist ein Ort, in dem sich außer der Fliesenfabrik des Großvaters noch nie ein Betrieb gehalten hat. In Pringles konzentriert man sich statt auf Leistung "auf den Stil, die Eleganz, die Zwecklosigkeit und, ganz allgemein, auf die Flüchtigkeit des Nichtigen". "Was habe ich gelacht" ist ein erzählerischer Essay über die Komik von Büchern, über das Lachen im Allgemeinen, über dessen soziale Funktion und bindende Kraft vor allem in der Jugend. Die einzelnen Reflexionen sind unterbrochen von feinkörnigen Beobachtungen, atmosphärischen Erinnerungsbildern und - tatsächlich im romantischen Sinne - wunderbaren Erzählsequenzen. Ein atemraubend eindringlicher Bogen von Erzählungen und Figuren, bei dem die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit ebenso verwischt wie die zwischen Theorie und Realität: "Im Grunde ist die Wirklichkeit viel theoretischer als das Denken" lautet einer der Leitsätze des Erzählens.
"Was habe ich gelacht" gleicht einer virtuosen Faltarbeit: Sie geht von der Feststellung des Erzählers aus, dass seine Leser ihn stets mit dem Kommentar "Was habe ich gelacht" ansprechen würden. Das sei das einzige, empörend unangemessene Urteil über seine Literatur, von dem er erfahre. Eine wirkungsökonomische Katastrophe, bedenke man nur, wie facettenreich seine Erzählungen doch auf so viel mehr Wirkungen als nur auf das Lachen abzielten. Von dieser Diagnose aus vertieft sich der Erzähler in die Sommer seiner Jugend, in denen das Lachen in seiner Clique ein Gegengewicht bildete zur sonst allgegenwärtigen Müdigkeit, welche das Leben der jungen Leute wie in einen Kokon eingesponnen hatte.
Kniff für Kniff sieht man dem Autor zu, wie er eine Erinnerungsschicht über die andere faltet, mit sicheren Handgriffen, sanft, präzise und zugleich entschieden über den Falz streichend, bis sich das Papier zu einer kunstvollen Figur fügt. Wobei die Erzählung mit der letzten Faltung, noch einmal von innen nach außen gewendet, plötzlich eine vollkommen neue Gestalt annimmt, sich als schwarzer Schwan entpuppt. Denn auch in den Fugen der einzelnen Textlagen nistet bei Aira das Gespenstische und bewirkt, dass das Erzählte lange etwas anderes zu sein scheint, als es wirklich ist.
Der Zauber dieser Erzählungen hängt von der dichten, atmosphärischen Beschreibung ab. Von den eindringlichen Szenen und einleuchtenden Bildern, die Airas entwirft. Alles kommt bei einer solchen Erzählweise auf die Balance zwischen den einzelnen Episoden an. Ausgerechnet die Erzählung "Das Testament des Zauberers Tenor" aber führt die Gefahr vor Augen, was passiert, wenn Aira nicht der Verführungskraft widerstehen kann, noch einen und noch einen und noch einen Stein in die spiegelglatte Erzähloberfläche zu werfen, um jeden einzelnen Erzählkreis bis zu seiner weitesten Ausdehnung zu verfolgen. Das Vermächtnis des Zauberers von der Schweiz bis nach Indien und schließlich bis zum totalen Zusammenbruch des Erzählens zu verfolgen sei aufgrund seiner extrem luxurierenden Erzählökonomie nur eingefleischten Aira-Lesern empfohlen. "Was habe ich gelacht" aber gehört zu den zauberhaftesten Erzählungen, die César Aira seinem Publikum geschenkt hat.
CHRISTIAN METZ
César Aira: "Was habe ich gelacht".
Aus dem Spanischen von Christian Hansen. Matthes & Seitz, Berlin 2019. 92 S., geb., 16,- [Euro].
César Aira:
"Das Testament des Zauberers Tenor".
Aus dem Spanischen von Christian Hansen. Matthes & Seitz, Berlin 2019. 168 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Konzentriert auf die Flüchtigkeit des Nichtigen: Zwei neue Novellen von César Aira, dem Meistererzähler aus Argentinien
Die Verführungskraft ist unwiderstehlich. Pünktlich zum heutigen siebzigsten Geburtstag von César Aira bringt sein deutscher Verlag Matthes & Seitz gleich zwei Novellen des großen argentinischen Schriftstellers heraus. Und die eine der beiden Erzählungen handelt von einem alternden Zauberer, der seinen letzten Zaubertrick, nachdem er dessen Geheimnis sein Leben lang gehütet hat, jetzt einem Nachfolger vermachen will. Der Autor als Zauberkünstler - was für ein verführerisches Angebot. Aber wir schlagen diese Offerte aus, um Aira als das zu preisen, was er tatsächlich ist: der gewiefteste und raffinierteste Ökonom unter den gegenwärtigen lateinamerikanischen Erzählern.
Schon sein Romandebüt, 1981 unter dem Titel "Ema, la cautiva" erschienen, was nicht nur die historische Bezeichnung für eine von Indianern Gefangene ist, sondern umgekehrt auch das Fesselnde, Gefangennehmende, ja Verzaubernde heißt, entpuppt sich als kalkuliert ausschweifende Wirtschafts- und Geldphantasie im Gewand der Verschleppungs- und Abenteuergeschichte. Auf Deutsch 2004 erschienen, ist sie gespickt mit Weltweisheiten wie: "Wenn man die Geschichte von allem hohlen Gefasel befreit, ist sie nichts als eine Folge von Zahlungen, je exorbitanter, desto besser. Das Einzige, was sich geändert hat, ist die Form und der Kredit." Tatsächlich mit einem heiklen Kredit gründet Ema am Ende der Erzählung mitten in der Pampa - wie man in diesem argentinischen Fall zu Recht sagen darf - ein Unternehmen.
Auch Airas international bislang größter erzählerischer Erfolg, "Gespenster", ist eine durch und durch ökonomische Novelle. Sie nimmt die Herkunft der Ökonomie von "oikos", dem häuslichen Herd, beim Wort und erzählt die Geschichte eines Wohnhauses im Rohbau, das sich sechs Eigentümer in einer Kaufgemeinschaft mit einer chilenischen Hausmeisterfamilie teilen. Nicht etwa ein kommunistisches Gespenst geht um in Airas ökonomischem Gesellschaftsentwurf, sondern zahlreiche Gespenster öffnen die Möglichkeitsräume zu alternativen Lebensweisen: "Los fantasmas", Geister, Phantasmen, Phantasien, hausen in den Winkeln, auf den Schwellen und Giebeln der Haushalte. Ob man will oder nicht, kauft man sie für teures Geld mit ein. Die Gespenster, ihren Spuk und die undefinierten Zwischenräume, in denen sie umgehen, muss man mit auf der Rechnung haben. Und derjenige, der mit ihnen rechnet, ist gerade nicht der klassische, sondern der erzählende Ökonom.
Das Öffnen der phantasmatischen Zwischenräume und -zeiten kann man in jeder einzelnen Geschichte von Airas verfolgen. Und spätestens an dieser Stelle treffen sich doch Ökonomie und Zauberei, denn macht der Zauberer etwas anderes, als trickreich einen Raum zwischen Illusion und realem Erlebnis zu öffnen und, mit den Geistern rechnend, einem ein Phantasma für echt zu verkaufen?
Tatsächlich unterliegt nicht nur César Airas literarische Produktion einer besonderen Ökonomie. Seit den neunziger Jahren verzichtet er darauf, Romane zu verfassen, und veröffentlicht stattdessen in schier unerschöpflich wirkender Produktivität zwei bis drei knapp einhundertseitige Erzählungen pro Jahr. Und in der Tat sind auch die beiden jetzt auf Deutsch erscheinenden Novellen von besonderer Erzählökonomie geprägt. "Was habe ich gelacht" spielt wie so viele Erzählungen von César Aira in dem kleinen Städtchen Pringles. Dieses argentinische Seldwyla liegt in der Provinz Buenos Aires und ist ein Ort, in dem sich außer der Fliesenfabrik des Großvaters noch nie ein Betrieb gehalten hat. In Pringles konzentriert man sich statt auf Leistung "auf den Stil, die Eleganz, die Zwecklosigkeit und, ganz allgemein, auf die Flüchtigkeit des Nichtigen". "Was habe ich gelacht" ist ein erzählerischer Essay über die Komik von Büchern, über das Lachen im Allgemeinen, über dessen soziale Funktion und bindende Kraft vor allem in der Jugend. Die einzelnen Reflexionen sind unterbrochen von feinkörnigen Beobachtungen, atmosphärischen Erinnerungsbildern und - tatsächlich im romantischen Sinne - wunderbaren Erzählsequenzen. Ein atemraubend eindringlicher Bogen von Erzählungen und Figuren, bei dem die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit ebenso verwischt wie die zwischen Theorie und Realität: "Im Grunde ist die Wirklichkeit viel theoretischer als das Denken" lautet einer der Leitsätze des Erzählens.
"Was habe ich gelacht" gleicht einer virtuosen Faltarbeit: Sie geht von der Feststellung des Erzählers aus, dass seine Leser ihn stets mit dem Kommentar "Was habe ich gelacht" ansprechen würden. Das sei das einzige, empörend unangemessene Urteil über seine Literatur, von dem er erfahre. Eine wirkungsökonomische Katastrophe, bedenke man nur, wie facettenreich seine Erzählungen doch auf so viel mehr Wirkungen als nur auf das Lachen abzielten. Von dieser Diagnose aus vertieft sich der Erzähler in die Sommer seiner Jugend, in denen das Lachen in seiner Clique ein Gegengewicht bildete zur sonst allgegenwärtigen Müdigkeit, welche das Leben der jungen Leute wie in einen Kokon eingesponnen hatte.
Kniff für Kniff sieht man dem Autor zu, wie er eine Erinnerungsschicht über die andere faltet, mit sicheren Handgriffen, sanft, präzise und zugleich entschieden über den Falz streichend, bis sich das Papier zu einer kunstvollen Figur fügt. Wobei die Erzählung mit der letzten Faltung, noch einmal von innen nach außen gewendet, plötzlich eine vollkommen neue Gestalt annimmt, sich als schwarzer Schwan entpuppt. Denn auch in den Fugen der einzelnen Textlagen nistet bei Aira das Gespenstische und bewirkt, dass das Erzählte lange etwas anderes zu sein scheint, als es wirklich ist.
Der Zauber dieser Erzählungen hängt von der dichten, atmosphärischen Beschreibung ab. Von den eindringlichen Szenen und einleuchtenden Bildern, die Airas entwirft. Alles kommt bei einer solchen Erzählweise auf die Balance zwischen den einzelnen Episoden an. Ausgerechnet die Erzählung "Das Testament des Zauberers Tenor" aber führt die Gefahr vor Augen, was passiert, wenn Aira nicht der Verführungskraft widerstehen kann, noch einen und noch einen und noch einen Stein in die spiegelglatte Erzähloberfläche zu werfen, um jeden einzelnen Erzählkreis bis zu seiner weitesten Ausdehnung zu verfolgen. Das Vermächtnis des Zauberers von der Schweiz bis nach Indien und schließlich bis zum totalen Zusammenbruch des Erzählens zu verfolgen sei aufgrund seiner extrem luxurierenden Erzählökonomie nur eingefleischten Aira-Lesern empfohlen. "Was habe ich gelacht" aber gehört zu den zauberhaftesten Erzählungen, die César Aira seinem Publikum geschenkt hat.
CHRISTIAN METZ
César Aira: "Was habe ich gelacht".
Aus dem Spanischen von Christian Hansen. Matthes & Seitz, Berlin 2019. 92 S., geb., 16,- [Euro].
César Aira:
"Das Testament des Zauberers Tenor".
Aus dem Spanischen von Christian Hansen. Matthes & Seitz, Berlin 2019. 168 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main