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Die Hölle der sibirischen Straflager unter den Romanows: »Meisterhaft, fesselnd ... über Verbrechen und Strafe, Liebe und grausame Gewalt.« Simon Sebag Montefiore In endlosen Kolonnen zogen sie auf monatelangen Märschen gen Sibirien: die Verbannten des Zarenreichs. Männer, Frauen und Kinder, ganze Familien waren es, die unter extremen Bedingungen in sibirischen Arbeitslagern schuften mussten. Die Eishölle musste besiedelt, die Rohstoffe sollten ausgebeutet werden - eine riesige Aufgabe, die nur mit verurteilten Sträflingen zu bewältigen war. Der Historiker Daniel Beer erzählt fesselnd und…mehr

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Produktbeschreibung
Die Hölle der sibirischen Straflager unter den Romanows: »Meisterhaft, fesselnd ... über Verbrechen und Strafe, Liebe und grausame Gewalt.« Simon Sebag Montefiore In endlosen Kolonnen zogen sie auf monatelangen Märschen gen Sibirien: die Verbannten des Zarenreichs. Männer, Frauen und Kinder, ganze Familien waren es, die unter extremen Bedingungen in sibirischen Arbeitslagern schuften mussten. Die Eishölle musste besiedelt, die Rohstoffe sollten ausgebeutet werden - eine riesige Aufgabe, die nur mit verurteilten Sträflingen zu bewältigen war. Der Historiker Daniel Beer erzählt fesselnd und anrührend vom Alltag, von Verzweiflung und Hoffnung der Menschen, die oft nichts anderes verbrochen hatten als Kritik an der Herrschaft der Zaren zu üben - wie Dostojewski oder Lenin. Und er zeigt, wie in diesem Mikrokosmos von liberalen Intellektuellen eine Keimzelle der Revolution von 1917 entstand: Viele der Verbannten wurden zu Trägern dieses Umsturzes, der das Zarenreich zu Fall brachte. Für dieses Buch erhielt Daniel Beer den renommierten Cundill History Prize 2017.

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Autorenporträt
Daniel Beer, geboren 1973, lehrt Modern European History an der University of London. Für »Die Kolonie der Toten« hat er jahrelang in sibirischen und russischen Archiven geforscht und zahlreiche unbekannte Dokumente entdeckt. Das Buch gewann 2017 den Cundill History Prize und stand auf der Shortlist für den Wolfson History Prize sowie den Pushkin House Russian Book Prize. Es war »Book of the Year« der »Times«, des »Spectator«, des »Times Literary Supplement« und bei »BBC History«.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.02.2019

Eine abgetrennte Welt mit eigenen Gesetzen
Daniel Beer über die sibirischen Straflager und Verbannungsorte unter der Zarenherrschaft

Rußland ist groß, Sibirien ein Archipel gigantischen Ausmaßes, der alle Menschen verschluckt. Schon immer haben Russlands Machthaber die Größe und Unwirtlichkeit Sibiriens genutzt, um Straftäter, Dissidenten und Kritiker loszuwerden und in der Wüste für immer zu isolieren. Und stets verbanden sie die Strafe mit der Vorstellung, die Unglücklichen könnten die Ödnis urbar machen, besiedeln und erschließen. Straflager waren Vorposten des Staates. Aber wie sollte aus einem Heer von Sträflingen eine Gesellschaft von Bürgern werden? In Wahrheit wusste darauf niemand eine zureichende Antwort zu geben. Denn das Verbannungssystem, das Daniel Beer in seinem Buch über das sibirische Exil unter der Zarenherrschaft beschreibt, verwahrte nicht nur Sträflinge, es produzierte sie auch, weil sich auch die reinsten Seelen am Ort der Verdammnis in hartherzige Kriminelle verwandelten.

Die Verbannung war eine Strafe, die den Verbrecher buchstäblich aus der Welt schaffte und die Gesellschaft von seinem Anblick befreite. Nicht auf Besserung und Resozialisierung der Straftäter kam es an, sondern auf ihre Isolation. Wer zur Zwangsarbeit oder zur Ansiedlung nach Sibirien verurteilt worden war, verlor alle Standesrechte und verschwand für immer im Heer der Entrechteten. Seit Peter I. nutzte der Staat die Arbeit von Gefangenen für die Errichtung von Festungen und Straßen, im neunzehnten Jahrhundert wurden Sträflinge zur Arbeit in Bergwerken und Goldminen im fernen Sibirien geschickt. Bis zur Aufhebung der Leibeigenschaft im Jahr 1861 konnten Gutsbesitzer Bauern in die Verbannung schicken, später erhielten die Dorfgemeinden das Recht, Gewalttäter, Diebe oder Aufsässige nach Sibirien abzuschieben. Die Ausnahmegesetze des Jahres 1881, die nach der Ermordung Alexanders II. erlassen wurden, ermächtigten auch den Innenminister und die Gouverneure, Unruhestifter auf administrativem Weg nach Sibirien zu deportieren.

Bis zur Mitte des neunzehnten Jahrhunderts wurden alle Sträflinge, die von Gerichten zur Zwangsarbeit verurteilt worden waren, vor ihrer Deportation gebrandmarkt. Man zerbrach einen Säbel über ihren Köpfen, verurteilte sie zum bürgerlichen Tod, brannte ihnen das Wort "Dieb" auf die Stirn, schor ihnen den Kopf zur Hälfte und brachte sie in ein zentrales Gefängnis, bevor sie die Reise nach Sibirien antraten. Daniel Beer beschreibt in seinem Buch die entwürdigende Prozedur, die einen Häftling aus der Mitte der Gesellschaft entfernte, bevor er Sibirien überhaupt erreicht hatte. Anfangs gingen die Häftlinge zu Fuß in die Verbannung, am Ende des neunzehnten Jahrhunderts wurden sie in Eisenbahnwaggons gesperrt. Alle Häftlinge, die zur Zwangsarbeit oder zur lebenslangen Ansiedlung verurteilt worden waren, wurden mit eisernen Fesseln aneinander gekettet und in großen Kolonnen durch die Straßen geführt.

Der Konvoi und das Gefängnis waren Orte eigenen Rechts, in denen die Skrupellosen und Entschlossenen das letzte Wort behielten. Denn sobald das Urteil gefällt worden war, wurde der Verurteilte aus den Händen des Staates in die Verfügungsgewalt von Aufsehern und Kriminellen gebracht. Wie überall in Russland griffen die Behörden auch in der Verbannung auf das Instrument der Selbstkontrolle und kollektiven Solidarhaftung zurück. Gewöhnlich ließen Berufskriminelle andere Gefangene für sich arbeiten, bestachen Wachleute, schmuggelten Alkohol und Prostituierte ins Gefängnis. Abweichler aus den eigenen Reihen und Häftlinge, die sich den Regeln widersetzten, wurden getötet.

Auch außerhalb der Lager waren die "Diebe im Gesetz" gefürchtet. Kriminelle, die geflohen oder aus dem Gefängnis entlassen worden waren, aber nicht in ihre Heimat zurückkehren konnten, schlossen sich Räuberbanden an und terrorisierten die Bewohner in den sibirischen Siedlungen. Die Regierung wusste darauf keine andere Antwort zu geben, als alle Formen der Landstreicherei unter Strafe zu stellen. Und so produzierte sie überhaupt erst das Heer der Kriminellen, das sie eigentlich beseitigen wollte. Ein Teufelskreis, aus dem es kein Entkommen gab, solange die Autokratie am System der Verbannung festhielt.

Zwar wurden Gefängnisdirektoren und Aufseher zur Verantwortung gezogen, wenn sie Häftlinge misshandeln ließen, aber in den meisten Fällen blieb einfach unbemerkt, was sie taten. Wenngleich die zarischen Gefängnisse keine Stätten der Vernichtung waren, war in ihnen die Gewalt doch allgegenwärtig: Häftlinge wurden wegen geringer Vergehen bis aufs Blut ausgepeitscht, wegen Fluchtgefahr für Jahre in Ketten gelegt oder an Schubkarren gefesselt. Manche wurden so lange mit der Knute geschlagen, bis sie ihren Verletzungen erlagen.

Es hat nicht an Versuchen gefehlt, das System der Strafen zu reformieren. 1864 wurde die rechtsprechende von der exekutiven und legislativen Gewalt getrennt, die Jurisdiktion in die Hände unabhängiger Richter gelegt, die Strafen gemildert, Brandmarkung und Prügelstrafen abgeschafft. Im Justizministerium arbeiteten liberale Juristen an der Reform des Strafvollzuges, der nun der Resozialisierung, nicht mehr der Ächtung und Isolation dienen sollte. Im Jahr 1900 wurde die Verbannungsstrafe für die meisten Kapitalverbrechen abgeschafft und durch Gefängnishaft ersetzt. Sie sollte Straftäter durch nützliche Arbeit auf ein Leben in Freiheit vorbereiten, Kriminelle in Staatsbürger verwandeln, die sich an Recht und Gesetz hielten. Aber es gab keine Gefängnisse für all die Menschen, die in den Wirren der ersten Russischen Revolution verhaftet wurden. Auf die administrative Verschickung wollte und konnte die Regierung nicht verzichten. Zwar verschwanden Ketten, Prügel und Zwangsarbeit aus dem Strafvollzug, Verbannung und Besiedlung wurden voneinander getrennt. Das Gefängnis ohne Dach aber überlebte alle guten Vorsätze.

Eine eigene Welt mit eigenen Gesetzen sei der Ort der Verbannung gewesen, ein "Totenhaus für lebendig Begrabene", schrieb Dostojewski in seinen 1862 erschienenen "Aufzeichnungen aus einem Totenhaus". Alle Chronisten und Interpreten des Archipels haben sich seither an diesem literarischen Denkmal abgearbeitet, und das gilt auch für Daniel Beer. Sein Buch beschreibt die Leiden der Erniedrigten und Erbitterten in einer Sprache, die den Leser verstehen lässt, was es heißt, wenn Menschen nicht nur ihre Freiheit, sondern auch ihre Würde verlieren. So gesehen, ist es nicht nur ein Buch über die sibirische Verbannung. Es ist auch ein Buch über das Leben in Willkür und Gewalt.

JÖRG BABEROWSKI

Daniel Beer:

"Das Totenhaus".

Sibirisches Exil unter den Zaren.

Aus dem Englischen von Bernd Rullkötter.

S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2018. 624 S., geb., 28,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Jörg Baberowski erfährt bei Daniel Beer, wie sich das Leben und Sterben im sibirischen Exil während der Zarenzeit gestaltete. Von der Prozedur der Vorbereitung der Häftlinge über die Gesetze und Kontrollmechanismen durch Selbstkontrolle und Solidarhaftung bis zu den Strafen und der Gewalt misst der Autor laut Rezensent das System der Verbannung und den Teufelskreis aus administrativer Verschickung und Verbrechen aus. Dass sich der Autor dabei unter anderem auf Dostojewskis "Aufzeichnungen aus einem Totenhaus" bezieht, indem er die passende Sprache für den Verlust von Freiheit und Würde findet, findet Baberowski verständlich. Das Buch weist für ihn über das Thema der sibirischen Verbannung hinaus und erfasst das Leben in Willkür und Gewalt im Allgemeinen.

© Perlentaucher Medien GmbH
Wer dieses Buch liest, lernt viel über den russischen Staat und seine Untertanen und versteht das Land vielleicht um einiges besser. Sabine Adler Deutschlandfunk 20181126