Das furiose Portrait des spätherbstlichen Istanbul - und die Geschichte einer herzzerreißenden Liebe. Istanbul im November 1994: Ein Mann wird in einem Hotel erschossen. Eine alte Liebe zerbricht. Eine neue Liebe entsteht. Und dazwischen ein trinkender und mit dem Leben hadernder Künstler, dem die Wahrheit zur Obsession und die Wirklichkeit zur Chimäre wird. Bis der Tod sich bei ihm holt, was ihm längst schon gehört. Seltsam unwirkliche Dramen spielen sich ab vor der Kulisse jener Stadt zwischen Orient und Okzident, zwischen Fama und Wirklichkeit. Zwischen dem Glanz der Geschichte und der Hektik der Moderne.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2003Der große Rauschangriff
Stadt, Land, Schwarzes Meer: Christoph Peters reist ans Ende der Liebe / Von Volker Weidermann
Warum kann ein Rausch nicht ewig dauern? Was müßte das für ein Traum-Rausch sein, der dich fort und fort trägt, immer weiter, immer höher, ohne Erwachen, ohne Landung in einer bodenschweren Wirklichkeit am Ende. Ein Schweben, eine Leichtigkeit, ein großes Vergessen. Ein ewiges Glück. Wie lächerlich, wie tragisch ist die Figur, die diese Unmöglichkeit nicht versteht, die immer weiter trinkt und hofft und trinkt und glaubt, das schöne, große Vergessen werde am Ende schon noch kommen. Oder die Erleuchtung. Das Verstehen. Das Schweigen. Doch es kommt immer nur das Elend allein. Das Leben.
Albin Kranz ist Steinbildhauer, Meister einer aussterbenden Kunst, wie er selber weiß, er ist Liebender in einer Beziehung, die am Ende ist, wie er selber ahnt, und er ist schwerer Trinker, der fabulierfreudigen Endphase des Delirium tremens gefährlich nahe. Davon weiß er aber nichts. Um ihn und ihre Liebe zu retten, hat seine Freundin, die Fotografin Livia, eine Reise ins herbstliche Istanbul organisiert. Im November 1994 fahren die beiden los. Es wird eine Reise ins Unglück werden. Eine Reise in die Dunkelheit, wo die Liebe endet, die Kunst und auch das Leben.
Christoph Peters, der mit seinem präzisen Provinzroman "Stadt Land Fluß" und dem Erzählungsband "Kommen und gehen, manchmal bleiben" furios ins Literatenleben gestartet war und Publikum und Kritik gleichermaßen beeindruckte, hat einen neuen Roman geschrieben. "Das Tuch aus Nacht" ist ein Roman über die Kunst, das Reisen und das Flüchten. Ein Liebesroman. Er paßt in diesen Herbst, in dem die deutsche Literatur in vielen Büchern die Liebe entdeckt. Einem Herbst, in dem sich die deutschen Autoren entschlossen von den großen Utopien und den kleinen Kämpfen, von selbstgenügsamen Ich-Bespiegelungen und unlesbaren Theorievergnügungen abwenden und einfach nur den anderen Menschen, die Liebesutopie, das Lebensglück suchen und in kleinen Momenten und großen Büchern auch immer wieder finden. Ein Liebesherbst, der ewig entzweite Kämpfer wie Günter Grass und Botho Strauß in Potenzfeiern und Treuefreuden heiter und gelassen vereint, junge Lebens- und Liebesbeginner wie Benjamin Leberts Romanhelden verzweifeln läßt, Michael Lentz' liebeskranken Erzähler per Bahn durch Deutschland hetzt, Raoul Schrott durch ganze Liebesjahrhunderte treibt und Maxim Biller und Alban Nikolai Herbst sogar vors Liebes- und Verratsgericht im richtigen Leben. Dieser Herbst also hat jetzt mit Christoph Peters' "Tuch aus Nacht" noch einen ganz besonders kunstvollen, raffinierten, romantischen Liebesroman hervorgebracht. Und mehr als das.
Die Handlung scheint schnell erzählt. Ein Paar fährt auf der Suche nach der verlorenen Liebe nach Istanbul und findet dort nur Gleichgültigkeit und Trennungsgründe. "Ich habe ihn überredet, nach Istanbul zu fahren, an einen Ort, den wir beide nicht kannten, um das wiederzufinden, dessentwegen wir ein Paar gewesen sind. Seine einzige Sorge, vom Flughafen bis heute, bestand darin, Alkohol zu bekommen, er hat keinen anderen Gedanken als den nächsten Drink", stellt Livia schnell fest.
Doch nach kurzer Zeit treffen die beiden auf eine Gruppe junger deutscher Kunststudenten, die in Istanbul ebenfalls ein neues Gemeinschaftsgefühl erzwingen wollten. Mit ähnlich desaströsem Ergebnis. Alle streiten und verachten sich. Man hält nichts von der Kunst des anderen und von dessen Charakter auch nicht. Ihr Professor trinkt, läßt die Gruppe Gruppe sein und verbrüdert sich mit dem ähnlich rauschfreudigen Albin. Und Livia, die Freundin Albins, die die Liebesrettungsreise eigentlich erfand, verliert sich schnell an einen der Studenten, verliebt sich neu und verliert den Steinbildhauer Albin mehr und mehr aus ihren Augen, bis er schließlich ganz verschwindet.
Am Anfang der Geschichte stehen zwei Todesfälle. Albin hat einen Mord beobachtet. Miller, der Juwelenhändler, ist in seinem Hotelzimmer erschossen worden. Oder hat er den Mord gar nicht beobachtet? Gab es diesen Mord gar nicht? Waren es Dreharbeiten mit Marlon Brando, die er sah? War es ein Delirium in seinem Kopf? Es ist der Beginn einer Entwirklichungsgeschichte, die mit der Zeit immer dramatischere Züge annimmt. Was ist wahr, was Halluzination? Albin weiß es nicht. "War der Mord an Miller die erste Bildsequenz aus Albins eingestürzter Innenwelt oder doch ein wirkliches Ereignis?" fragt sich Livia und zweifelt. Die Beschreibungen verschwimmen. Die Erinnerungen auch. Albin macht sich auf die Suche nach dem Mörder, nach Mord und nach Motiv in den Tiefen der Istanbuler Basare und in den Tiefen der Gläser an der Hotelbar. Es ist eine Halluzinierungsgeschichte, und der Leser verliert Seite für Seite, gemeinsam mit dem Steinbildhauer, immer weiter die Orientierung.
Christoph Peters, der in seinem früheren Leben, bevor er Schriftsteller wurde, Gepäckdurchleuchter an Flughäfen gewesen ist, das heißt ein professioneller Erkenner verborgener, tief verpackter Geheimnisgegenstände, hat in seinem neuen Buch alles dafür getan, das Geschehen zu verdunkeln. Die unheimliche Atmosphäre eines Gedächtnisverlustes zu erschaffen, eines Orientierungsverlustes in der Wirklichkeit, wie man ihn selten zuvor gelesen hat.
Und parallel zu dieser Entwirklichungsgeschichte auf der Suche nach einer Todesursache und nach einem Toten wird eine weitere Todes- und Lebensgeschichte erzählt. Albin stirbt. Gleich zu Beginn stürzt der betrunkene Bildhauer, an seiner Kunst zweifelnd, am Leben verzweifelnd und an der Liebe auch, vom Herzschlag getroffen, von Bord eines Schiffes und versinkt in den Fluten. Sein Leben, die letzten Tage seines Lebens, werden rückwärts erzählt. In seiner Todessekunde sieht er die Schrecken seines Lebens noch einmal vor seinen Augen ablaufen. Wovor lief er davon? Was hat ihn in die Kunst getrieben, was in die Trunksucht, was in die Liebe, was von der Liebe fort? "Wir haben uns verpaßt", denkt er, "Livia und ich. Genaugenommen habe ich sie verpaßt, ich habe ihr mehr zugemutet, als man einem Menschen zumuten darf, fünf Jahre lang, um herauszufinden, ob sie mich liebt, und wenn ja, ob diese Liebe Grenzen hat, dann hätte ich sie verlassen."
Beide Erzählstränge, die Mörder- und Wirklichkeitssuche auf der einen Seite, die Rückschau auf das eigene Leben, die Zeit vor dem eigenen Untergang auf der anderen, beide Stränge, die da in unterschiedlicher Richtung voneinander forttreiben, führen beide weg vom Tod und hin zu einem Geheimnis. Weg von der Kunst, in ein Vergessen hinein. Zu einem Bild von Liebe hin, das es nicht gibt, von einem vergangenen Erschrecken fort, das Antrieb für all das Lebenslaufen war, das folgte. Hin zu einem Bild der Liebe, das nicht wirklich werden kann und das immer wieder neues Unglück bringt. Zurück zum Anfang hin. Ins Schwarze. Ins Nichts. Zur Geburt zurück. Wo all dies begann. Das Künstlerunglück. Das Leben. Die unmögliche Liebe. Die Sehnsucht und die Kunst.
In diesem Liebesbücherherbst hat Christoph Peters mit diesem kunstvoll künstlerischen und dabei immer unangestrengt lustvoll zu lesenden Roman eines der interessantesten Bücher geschrieben. Das verrätseltste, das romantischste und das unglücklichste vielleicht auch.
Christoph Peters: "Das Tuch aus Nacht". Roman. Goldmann Verlag, München 2003. 317 S., geb., 21,90 [Euro].
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Stadt, Land, Schwarzes Meer: Christoph Peters reist ans Ende der Liebe / Von Volker Weidermann
Warum kann ein Rausch nicht ewig dauern? Was müßte das für ein Traum-Rausch sein, der dich fort und fort trägt, immer weiter, immer höher, ohne Erwachen, ohne Landung in einer bodenschweren Wirklichkeit am Ende. Ein Schweben, eine Leichtigkeit, ein großes Vergessen. Ein ewiges Glück. Wie lächerlich, wie tragisch ist die Figur, die diese Unmöglichkeit nicht versteht, die immer weiter trinkt und hofft und trinkt und glaubt, das schöne, große Vergessen werde am Ende schon noch kommen. Oder die Erleuchtung. Das Verstehen. Das Schweigen. Doch es kommt immer nur das Elend allein. Das Leben.
Albin Kranz ist Steinbildhauer, Meister einer aussterbenden Kunst, wie er selber weiß, er ist Liebender in einer Beziehung, die am Ende ist, wie er selber ahnt, und er ist schwerer Trinker, der fabulierfreudigen Endphase des Delirium tremens gefährlich nahe. Davon weiß er aber nichts. Um ihn und ihre Liebe zu retten, hat seine Freundin, die Fotografin Livia, eine Reise ins herbstliche Istanbul organisiert. Im November 1994 fahren die beiden los. Es wird eine Reise ins Unglück werden. Eine Reise in die Dunkelheit, wo die Liebe endet, die Kunst und auch das Leben.
Christoph Peters, der mit seinem präzisen Provinzroman "Stadt Land Fluß" und dem Erzählungsband "Kommen und gehen, manchmal bleiben" furios ins Literatenleben gestartet war und Publikum und Kritik gleichermaßen beeindruckte, hat einen neuen Roman geschrieben. "Das Tuch aus Nacht" ist ein Roman über die Kunst, das Reisen und das Flüchten. Ein Liebesroman. Er paßt in diesen Herbst, in dem die deutsche Literatur in vielen Büchern die Liebe entdeckt. Einem Herbst, in dem sich die deutschen Autoren entschlossen von den großen Utopien und den kleinen Kämpfen, von selbstgenügsamen Ich-Bespiegelungen und unlesbaren Theorievergnügungen abwenden und einfach nur den anderen Menschen, die Liebesutopie, das Lebensglück suchen und in kleinen Momenten und großen Büchern auch immer wieder finden. Ein Liebesherbst, der ewig entzweite Kämpfer wie Günter Grass und Botho Strauß in Potenzfeiern und Treuefreuden heiter und gelassen vereint, junge Lebens- und Liebesbeginner wie Benjamin Leberts Romanhelden verzweifeln läßt, Michael Lentz' liebeskranken Erzähler per Bahn durch Deutschland hetzt, Raoul Schrott durch ganze Liebesjahrhunderte treibt und Maxim Biller und Alban Nikolai Herbst sogar vors Liebes- und Verratsgericht im richtigen Leben. Dieser Herbst also hat jetzt mit Christoph Peters' "Tuch aus Nacht" noch einen ganz besonders kunstvollen, raffinierten, romantischen Liebesroman hervorgebracht. Und mehr als das.
Die Handlung scheint schnell erzählt. Ein Paar fährt auf der Suche nach der verlorenen Liebe nach Istanbul und findet dort nur Gleichgültigkeit und Trennungsgründe. "Ich habe ihn überredet, nach Istanbul zu fahren, an einen Ort, den wir beide nicht kannten, um das wiederzufinden, dessentwegen wir ein Paar gewesen sind. Seine einzige Sorge, vom Flughafen bis heute, bestand darin, Alkohol zu bekommen, er hat keinen anderen Gedanken als den nächsten Drink", stellt Livia schnell fest.
Doch nach kurzer Zeit treffen die beiden auf eine Gruppe junger deutscher Kunststudenten, die in Istanbul ebenfalls ein neues Gemeinschaftsgefühl erzwingen wollten. Mit ähnlich desaströsem Ergebnis. Alle streiten und verachten sich. Man hält nichts von der Kunst des anderen und von dessen Charakter auch nicht. Ihr Professor trinkt, läßt die Gruppe Gruppe sein und verbrüdert sich mit dem ähnlich rauschfreudigen Albin. Und Livia, die Freundin Albins, die die Liebesrettungsreise eigentlich erfand, verliert sich schnell an einen der Studenten, verliebt sich neu und verliert den Steinbildhauer Albin mehr und mehr aus ihren Augen, bis er schließlich ganz verschwindet.
Am Anfang der Geschichte stehen zwei Todesfälle. Albin hat einen Mord beobachtet. Miller, der Juwelenhändler, ist in seinem Hotelzimmer erschossen worden. Oder hat er den Mord gar nicht beobachtet? Gab es diesen Mord gar nicht? Waren es Dreharbeiten mit Marlon Brando, die er sah? War es ein Delirium in seinem Kopf? Es ist der Beginn einer Entwirklichungsgeschichte, die mit der Zeit immer dramatischere Züge annimmt. Was ist wahr, was Halluzination? Albin weiß es nicht. "War der Mord an Miller die erste Bildsequenz aus Albins eingestürzter Innenwelt oder doch ein wirkliches Ereignis?" fragt sich Livia und zweifelt. Die Beschreibungen verschwimmen. Die Erinnerungen auch. Albin macht sich auf die Suche nach dem Mörder, nach Mord und nach Motiv in den Tiefen der Istanbuler Basare und in den Tiefen der Gläser an der Hotelbar. Es ist eine Halluzinierungsgeschichte, und der Leser verliert Seite für Seite, gemeinsam mit dem Steinbildhauer, immer weiter die Orientierung.
Christoph Peters, der in seinem früheren Leben, bevor er Schriftsteller wurde, Gepäckdurchleuchter an Flughäfen gewesen ist, das heißt ein professioneller Erkenner verborgener, tief verpackter Geheimnisgegenstände, hat in seinem neuen Buch alles dafür getan, das Geschehen zu verdunkeln. Die unheimliche Atmosphäre eines Gedächtnisverlustes zu erschaffen, eines Orientierungsverlustes in der Wirklichkeit, wie man ihn selten zuvor gelesen hat.
Und parallel zu dieser Entwirklichungsgeschichte auf der Suche nach einer Todesursache und nach einem Toten wird eine weitere Todes- und Lebensgeschichte erzählt. Albin stirbt. Gleich zu Beginn stürzt der betrunkene Bildhauer, an seiner Kunst zweifelnd, am Leben verzweifelnd und an der Liebe auch, vom Herzschlag getroffen, von Bord eines Schiffes und versinkt in den Fluten. Sein Leben, die letzten Tage seines Lebens, werden rückwärts erzählt. In seiner Todessekunde sieht er die Schrecken seines Lebens noch einmal vor seinen Augen ablaufen. Wovor lief er davon? Was hat ihn in die Kunst getrieben, was in die Trunksucht, was in die Liebe, was von der Liebe fort? "Wir haben uns verpaßt", denkt er, "Livia und ich. Genaugenommen habe ich sie verpaßt, ich habe ihr mehr zugemutet, als man einem Menschen zumuten darf, fünf Jahre lang, um herauszufinden, ob sie mich liebt, und wenn ja, ob diese Liebe Grenzen hat, dann hätte ich sie verlassen."
Beide Erzählstränge, die Mörder- und Wirklichkeitssuche auf der einen Seite, die Rückschau auf das eigene Leben, die Zeit vor dem eigenen Untergang auf der anderen, beide Stränge, die da in unterschiedlicher Richtung voneinander forttreiben, führen beide weg vom Tod und hin zu einem Geheimnis. Weg von der Kunst, in ein Vergessen hinein. Zu einem Bild von Liebe hin, das es nicht gibt, von einem vergangenen Erschrecken fort, das Antrieb für all das Lebenslaufen war, das folgte. Hin zu einem Bild der Liebe, das nicht wirklich werden kann und das immer wieder neues Unglück bringt. Zurück zum Anfang hin. Ins Schwarze. Ins Nichts. Zur Geburt zurück. Wo all dies begann. Das Künstlerunglück. Das Leben. Die unmögliche Liebe. Die Sehnsucht und die Kunst.
In diesem Liebesbücherherbst hat Christoph Peters mit diesem kunstvoll künstlerischen und dabei immer unangestrengt lustvoll zu lesenden Roman eines der interessantesten Bücher geschrieben. Das verrätseltste, das romantischste und das unglücklichste vielleicht auch.
Christoph Peters: "Das Tuch aus Nacht". Roman. Goldmann Verlag, München 2003. 317 S., geb., 21,90 [Euro].
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"Das Tuch aus Nacht ist feinste Webware, nach der man im zeitgenössischen Literaturbasar lange suchen muss." Hubert Winkels, Die Zeit