Ein behutsames Buch
„Das Vogelhaus“ hat es mir angetan. Es ist zwar ein Roman, aber doch kein richtiger. Es ist eine Biographie, aber auch keine richtige. Und es ist ein Vogelkundebuch, aber auch das kein richtiges. Und genau deshalb, weil das Buch vieles ist, sich nicht festlegen lässt, mag ich
es sehr. Immer ist es kurzweilig, man liest und liest, man lässt sich von den Geschichten wegtragen,…mehrEin behutsames Buch
„Das Vogelhaus“ hat es mir angetan. Es ist zwar ein Roman, aber doch kein richtiger. Es ist eine Biographie, aber auch keine richtige. Und es ist ein Vogelkundebuch, aber auch das kein richtiges. Und genau deshalb, weil das Buch vieles ist, sich nicht festlegen lässt, mag ich es sehr. Immer ist es kurzweilig, man liest und liest, man lässt sich von den Geschichten wegtragen, genießt die teilweise so poetisch schöne Sprache, die nicht viele Worte machen muss, um Kopfbilder zu erzeugen, und wenn man das Buch schließt, ist man völlig unbemerkt und ungewollt zum Vogelbeobachter geworden, mit größter Achtung vor der Natur.
Der Autorin ist es gelungen, uns das Leben und Forschen der vergessenen Vogelkundlerin Len Howard (1894-1973) auf eine ganz spezielle, wunderbar kurzweilige Weise näherzubringen. Von Kindesbeinen an hatte Len eine besondere Affinität zur Natur, insbesondere zu Vögeln, aber auch schon sehr früh in ihrem Leben zeigte sich, dass sie sich mehr zur Natur hingezogen fühlte als zu ihren Mitmenschen. Sie lebte als erfolgreiche Geigerin in London, ihre Freizeit jedoch gehörte ausschließlich der Beobachtung und Deutung von Verhalten und Gesang von Vögeln. Der Wunsch, sich ganz diesem Hobby zu widmen, führte schließlich dazu, dass sie sich in ein Cottage weitab von der lauten Großstadt zurückzog und die nächsten 40 Jahre sozusagen in Extremform in Wohngemeinschaft mit Vögeln verbrachte. Über ihre Beobachtungen und Erkenntnisse schrieb sie Bücher und Geschichten. Tragisch zu hören, dass ihr Vermächtnis, ihr Haus dem Sussex Naturalists‘ Trust als Auffangstation zu vermachen, ignoriert wurde, das Cottage teuer verkauft und die Bäume des Gartens abgeholzt wurden.
Die Mischung zwischen fiktiven und überlieferten biographischen Szenen aus dem Leben der Vogelforscherin und eingestreuten Geschichten über Sternchen, einer ganz besonderen Kohlmeise, macht das Geheimnis des Buches aus. Auf ganz unspektakuläre Weise gewinnen wir einen Einblick in das Fühlen und Denken eines Menschen, der völlig aufging in seiner wahren Berufung. Die Autorin konnte auf großartige Weise die Faszination des genauen Hinschauens vermitteln einschließlich der Entbehrungen, die die Besessenheit für eine Sache mit sich bringt. Dass ein Mensch, der auf solch intensive Weise mit scheuen Wesen zusammenlebt, zum menschenfeindlichen Einsiedler wird, lässt Eva Meijer völlig wertfrei im Raum stehen. Den eigenen Weg zu gehen mit allen Konsequenzen als eine Möglichkeit, das Leben zu gestalten, das vermittelt Eva Meijer in wunderbarer Weise, so leise und behutsam, wie es die Annäherung an Vögel erfordert.