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© BÜCHERmagazin, Katharina Manzke
Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
"Das weibliche Prinzip" handelt, anscheinend, vom Feminismus, aber leider hat sich Meg Wolitzer auch vorgenommen, den Großen Amerikanischen Roman zu schreiben
Es war heiß, sehr heiß sogar, als ich im Garten saß und Meg Wolitzers "Das weibliche Prinzip" zu lesen versuchte, das Lesen strengte mich ungeheuer an, und so legte ich alle zehn, fünfzehn Seiten das Buch auf den Rasen, der grün war, sich aber bald braungelb färben würde, und starrte auf die Hortensien, deren Rispen, ermattet von der hohen Temperatur, es nicht mehr schafften, so weiß zu leuchten, wie das Hortensienrispen eigentlich tun. Sie brachten nur ein mattes Hellgrün hervor, wie Avocadocreme ohne Senf, dachte ich, und über dem Stab, der die Hortensienstengel stützte, stand ein libellenartiges Insekt in der Luft, wie ein Helikopter über dem Dach eines New Yorker Wolkenkratzers.
Wolken waren keine zu sehen, obwohl die Wetter-App ein paar Regenschauer versprochen hatte. Dauernd musste ich auf diese App schauen, und weil sich da nichts bewegte, stellte ich mir vor, dass bald jemand eine Creative-Writing-App erfinden müsste, für Romane wie diesen hier. Man gäbe ein paar nüchterne Daten ein, Personen, Schauplatz, Tageszeit, schilderte kurz den Konflikt, der hier verhandelt würde, und die App fände dann ein paar schöne, literarisch klingende Vergleiche, wählte die Worte nach deren Nachdenklichkeits- und Sensibilitätsfaktor aus, und dann hätte die Szene gleich doppelt so viele Seiten und wäre echte Literatur. Man müsste diese App "Muse" nennen, dachte ich, aber Meg Wolitzer würde das sicher nicht gut finden, fiel mir dann ein, weil so ein Name ja nur die alten Geschlechterrollen fortschreiben würde.
Nein, Meg Wolitzers "Das weibliche Prinzip" ist kein satirischer Roman, welcher, indem er den Stil bis zur Kenntlichkeit übertriebe, sich über das Jonathan-Franzen-hafte, Creative-Writing-geschulte Schönschreibertum, das sich selber als Krönung der amerikanischen Literatur versteht, lustig machte - auch wenn er alle paar Seiten so klingt. Meg Wolitzer meint es ernst, sie nimmt sich selbst, ihre Figuren, deren Sprache und Geschichte absolut ernst; sie hat ein dickes Buch von fast fünfhundert Seiten (in der deutschen Übersetzung) hingelegt - und damit gleich mal klar wird, was der Anspruch ist, hat der Verlag, wie man in den Rezensionen lesen kann, den Rezensenten zu den Rezensionsexemplaren, quasi als Gebrauchsanleitung, einen Aufsatz Meg Wolitzers aus der "New York Times" beigelegt, in welchem die Autorin alles, was semantische, literarische oder soziale Verwandtschaft zum Begriff der "Frauenliteratur" hat, zurückweist.
Es geht hier um nicht weniger als "The Great American Novel", einen Roman also, dem es gelänge, seine Gegenwart (und deren Vorgeschichte) mit all ihren materiellen und geistigen Konflikten zu einer Erzählung zu formen. Dass man, als Rezensent, aber das Wort vom Großen Amerikanischen Roman, trotz "Moby Dick" und "Gravity's Rainbow", allenfalls ironisch verwenden möchte, liegt daran, dass so vieles, das man liebt und bewundert an der amerikanischen Literatur und das man immer wieder lesen muss, in eher schlanken Büchern steht. Den "Großen Gatsby", nur zum Beispiel, müsste man in sehr großen Buchstaben setzen, damit er vierhundert Seiten füllte.
Und wenn jetzt eine oder einer von dem Verdacht gepackt wird, dass das alles nur vorgeschobene Gründe seien; dass hier ein männlicher Rezensent von männlichen Autoren vor allem deshalb spricht, damit die Herren unter sich bleiben können und Meg Wolitzer nur der Zugang zum Club verwehrt bleibt - dann darf man sich als diese Person gerne Joan Didion vorstellen und sich fragen, ob die in Gelächter oder in Tränen ausbricht, wenn sie Sätze wie diese hier liest: "Ihre Nase war absolut in Ordnung, aber Greer wusste, dass diese für immer ein Teil ihres Blickes auf die Welt sein würde. Greer hatte damals kapiert, dass man weder dem eigenen Körper entrinnen konnte noch der Art, auf die man sich selbst wahrnahm."
Es geht, anscheinend, um den Feminismus, um die Bewegung und um deren Geschichte. Das Buch erzählt von Greer Kadetsky, einer jungen, etwas spröden, aber extrem ehrgeizigen jungen Frau, die am College ziemlich übel sexuell belästigt wird. Und die daraufhin zur Aktivistin wird. Es erzählt von Zee Eisenstat, der besten Freundin, die von Greer, weil die nach oben kommen will, verraten wird. Und es erzählt von Faith Frank, der Veteranin der Bewegung, einer charismatischen Anführerin, die erst Greers Mentorin und später Greers Gegenspielerin wird. Das sogenannte Projekt, bei dem Greer einsteigt und sich nach oben arbeitet, eine Mischung aus Thinktank und NGO zur Fortbildung und Förderung von Frauen, ist eigentlich nicht der Rede wert. Ein geübter Lektor brauchte nur ein paar Begriffe auszutauschen, und es wäre eine Softwarefirma oder ein Hightech-Unternehmen (die ja auch die Welt ein bisschen besser machen wollen).
Das spricht nicht unbedingt gegen die Autorin - Meg Wolitzers literarisch-feministisches Projekt scheint eher auf die Inversion der üblichen Rollen hinauszulaufen. Sie erzählt weniger die Geschichte des Feminismus (auch wenn sie, in einer Rückblende auf Faith' Lebensweg alle Stationen der Bewegung quasi im Zeitraffer passieren lässt), sie erzählt vor allem von der Macht, von Verrat, Freundschaft, Loyalität und vom Sex, der da immer dazugehört. Und die Pointe ist eben, dass die Mächtigen, die Verräter, die schuldig Gewordenen allesamt Frauen sind, während die Männer, wenn sie kurz aus dem Hintergrund heraustreten, erst mal auf ihre sexuelle Attraktivität hin geprüft werden von diesem Text. Was, für den männlichen Leser jedenfalls, den irritierenden und letztlich produktiven Effekt hat, dass man nicht genau sagen kann, woran es liegt, dass all die Machtkämpfe, der Verrat, die Konflikte dann doch nicht mit äußerster Härte und Konsequenz ausgetragen werden; dass da nirgends ein Abgrund ist, höchstens ein Aufzug, der ein paar Stockwerke nach unten fährt. Will Meg Wolitzer uns damit sagen, dass genau das der Unterschied ist, wenn man diese Rollen mit Frauen besetzt; dass Frauen sich also weigern, so aggressiv wie Männer zu kämpfen? Oder liegt es daran, dass es der Autorin an Entschlossenheit fehlt?
Dass man zur zweiten Hypothese tendiert, liegt nicht nur an der Sprache dieses Romans, an diesem scheinpoetischen und pseudonachdenklichen Stil, der immer wieder Sätze wie diesen hier hervorbringt: "Offenbar gab es zig Möglichkeiten, das zu finden, was man schließlich machte, und zu der Person zu werden, die man am Ende war." Es liegt nicht nur an der Redundanz, die nötig war, damit der Roman auf Great-American-Novel-hafte fünfhundert Seiten kam. In manchen Kapiteln stellt sich Greer erst einmal vor, was sie gleich tun wird. Dann tut sie es. Und dann stellt sie sich vor, wie sie ihrem Freund berichten wird, was sie gerade getan hat.
Es liegt aber vor allem daran, wie Meg Wolitzer ihren Anspruch an die Ästhetik der Werbung und des Fernsehfilms verrät. Alle, wirklich alle Frauen, die überhaupt eine Rolle spielen, sehen hübsch und interessant aus, attraktiv fürs eigene oder das andere Geschlecht, mit kleinen Normabweichungen, welche die Individualität akzentuieren. Alle Männer, die ihnen näherkommen, sehen sehr gut aus, riechen gut, reden von interessanten Dingen. Und wenn es zum Sex kommt, dann ist er nichts als Glück, Gelingen, Lust. Selbst die Szene, in welcher Zee, die lieber Frauen mag, von einem verliebten Jungen angefleht und bedrängt wird, worauf sie, weil sie ihn mag, ihm Erleichterung verschafft, hinterlässt keine Flecken in dieser Prosa.
Und insofern ist es keine ganz schlechte Nachricht, wenn jetzt berichtet wird, Nicole Kidman habe die Rechte gekauft; demnächst werde das Buch in Hollywood verfilmt. Die Metaphern und der Creative-Writing-Kitsch bleiben für Kameras unsichtbar. Und wenn echte Menschen diese Charaktere verkörpern, können die nur gewinnen.
CLAUDIUS SEIDL.
Meg Wolitzer: "Das weibliche Prinzip". Dumont, 496 Seiten, 24 Euro
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