Von der Sehnsucht nach einer besseren Welt und vom Fremdsein in der schönsten aller Städte: Rom. Das neue Buch der vielfach ausgezeichneten Pulitzerpreisträgerin und «Meisterin der Kurzgeschichte» (Die Welt). Ein Mann erinnert sich an eine Sommerparty, die eine andere Version seiner selbst zum Leben erweckt hat. Ein Paar, das von einem tragischen Verlust heimgesucht wird, kehrt nach Rom zurück, um Trost zu suchen. Eine Außenseiterfamilie wird aus dem Wohnblock vertrieben, in dem sie sich niederzulassen gehofft hat. Eine Treppe in einem römischen Viertel verbindet das tägliche Leben der unzähligen Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt. Dieses Buch ist ein eindrucksvolles Fresko von Rom, der verführerischsten Stadt von allen: widersprüchlich, in ständigem Wandel und ein Zuhause für diejenigen, die wissen, dass sie nicht ganz dazugehören können, sich aber trotzdem dafür entscheiden. «Das Wiedersehen» ist ein meisterhaftes Werk einer der großen Schriftstellerinnen unserer Zeit. Jhumpa Lahiri hat es in ihrer geliebten Wahlsprache Italienisch verfasst und erzählt wie keine andere von Heimat und Zugehörigkeit. «Eine wunderschöne, elegante Prosa, Figuren, die von Leid, Isolation, Verlust, großen und kleinen Tragödien heimgesucht werden, und vor allem eine alles durchdringende, tiefe Menschlichkeit.» Khaled Hosseini
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensentin Christiane Pöhlmann ist ganz begeistert von Jhumpa Lahiris Erzählungen, die "typische wie individuelle" Schicksale aus Rom erzählen. So drehen sich die meisten Erzählungen um Figuren, die alltäglichen Rassismus erleben und das Gefühl der Ohnmächtigkeit, sich nicht dagegen wehren zu können, lesen wir. Mit einem "schnörkellosen Stil", lobt die Kritikerin, erzählt Lahiri eine Gesellschaft, in der nicht ganz klar ist, wo der Rückzug des Individuums anfängt und wo Ausgrenzung geschieht. Pöhlmann freut sich über die "Gestaltung der Zeitlosigkeit" innerhalb der Erzählungen und ist auch von Julika Brandestinis Übersetzung überzeugt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.07.2024Die Ungleichgültigen
Jhumpa Lahiri bebildert in "Das Wiedersehen" Rassismus in Rom
Die Spanische Treppe hat viel gesehen, vom Blitzlicht bis zum Selfie-Stick, von der Boheme im Caffè Greco bis zu den Boutiquen großer Modelabels. Alltägliches Leben kennt sie kaum. Davon wissen aber die vielen anderen römischen Treppen, die in dieser wundervollen "Scheißstadt" zwei Straßen miteinander verbinden. "Nachts wirkt die Treppe wie ein antikes Amphitheater, mit den Jugendlichen, die in Gruppen im Freien sitzen, um irgendeiner Tragödie beizuwohnen, nur dass sie selbst das Theaterstück sind."
Über die Stufen dieser Treppe irgendwo am Tiber ziehen "die Mutter", "das Mädchen" und "die Witwe", Figuren ohne eigene Namen. In anderen, treppenfreien Geschichten treten mal eine P. oder eine L. auf. Mit diesem Kniff erzeugt Jhumpa Lahiri in ihrer Erzählsammlung "Das Wiedersehen" formal eine interessante Schwebe: Die Porträts, die Schicksale sind ebenso typisch wie individuell. Sprachlich geht das einher mit einem klaren, schnörkellosen Stil, der am Ton der realistischen Prosa aus dem neunzehnten Jahrhundert geschult ist und keinerlei Konzessionen an Wendungen der Moderne macht. Autorin wie Übersetzerin überzeugen beide in der Gestaltung von Zeitlosigkeit.
Der deutsche Untertitel "Römische Geschichten" ist wie der italienische Originaltitel, "Racconti romani", eine Hommage an Alberto Moravias "Römische Erzählungen". Wie dieser Autor fängt Lahiri Diskriminierungen und Ressentiments ein, im Unterschied zu ihm repräsentieren ihre Figuren jedoch nicht ausschließlich die unteren Schichten. Eine Universitätsprofessorin, eine "moretta", muss in einem Restaurant hören, wie ein Kind sagt: "Die andere mag ich nicht, sie ist hässlich und gemein", als es sie und ihre italienische Freundin erblickt, und selbst die Freundin findet in der Situation keine Widerworte. Wieder und wieder fängt Lahiri den tagtäglichen Rassismus ein, der mal in plumpen Briefen artikuliert wird, mal mit Pistolenschüssen oder ausgeschlagenen Zähnen.
Das gelingt ihr eindrucksvoll, allerdings erzielt sie auf der inhaltlichen Ebene die formale Schwebe nur in einer einzigen Geschichte: "Das Mädchen" beschreibt eine Außenseiterin, der ihre Eltern sagen "Bedecke dich", auch wenn sie gern einmal in einem See schwimmen würde. Die Eltern erlauben ihr nicht, bei "einer unbekannten Familie zu bleiben", und sie denkt schließlich: "Besser gar nicht eingeladen werden." So träumt sie von einem eigenen Weg, der ihr individuelle Freiheit einräumt: "Tatsächlich hätte das Mädchen Lust, länger auf der Treppe zu verweilen, nein, immer auf der Treppe zu sein, im Hinuntergehen mit ihren Klassenkameradinnen, sich als Teil dieses Rudels zu fühlen", und genau deshalb "tut es ihr leid, die letzte Stufe zu erreichen, sich von den anderen zu lösen und alleine weiterzugehen". Gleichzeitig liegt es nicht in ihrem Charakter, gegen ihre Eltern aufzubegehren. Hier lässt Lahiri offen, wo der eigene Rückzug beginnt, wo die Ausgrenzung durch die anderen.
Die übrigen Erzählungen stellen Figuren vor, die diskriminiert werden oder persönliche Brüche erleben: ein Coming-out, die Midlife-Crisis, den Tod eines Kindes. Lahiri kommt diesen Erfahrungen detailreich nahe, bekräftigt aber nur die bohrende, schmerzvolle Gewissheit: Rassismus existiert, selbst wenn die Kinder "die Sprache so gut beherrschten, als wären sie nicht unsere eigenen", selbst wenn die Eltern hoffen, dass die Tochter "studiere, die Universität besuche und dann fortgehe, fort von ihnen". "Das Mädchen" bewegt, weil es keine Gewissheit kennt. CHRISTIANE PÖHLMANN
Jhumpa Lahiri: "Das Wiedersehen". Römische Geschichten.
Aus dem Italienischen von Julika Brandestini. Rowohlt Verlag, Hamburg 2024.
256 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
Jhumpa Lahiri bebildert in "Das Wiedersehen" Rassismus in Rom
Die Spanische Treppe hat viel gesehen, vom Blitzlicht bis zum Selfie-Stick, von der Boheme im Caffè Greco bis zu den Boutiquen großer Modelabels. Alltägliches Leben kennt sie kaum. Davon wissen aber die vielen anderen römischen Treppen, die in dieser wundervollen "Scheißstadt" zwei Straßen miteinander verbinden. "Nachts wirkt die Treppe wie ein antikes Amphitheater, mit den Jugendlichen, die in Gruppen im Freien sitzen, um irgendeiner Tragödie beizuwohnen, nur dass sie selbst das Theaterstück sind."
Über die Stufen dieser Treppe irgendwo am Tiber ziehen "die Mutter", "das Mädchen" und "die Witwe", Figuren ohne eigene Namen. In anderen, treppenfreien Geschichten treten mal eine P. oder eine L. auf. Mit diesem Kniff erzeugt Jhumpa Lahiri in ihrer Erzählsammlung "Das Wiedersehen" formal eine interessante Schwebe: Die Porträts, die Schicksale sind ebenso typisch wie individuell. Sprachlich geht das einher mit einem klaren, schnörkellosen Stil, der am Ton der realistischen Prosa aus dem neunzehnten Jahrhundert geschult ist und keinerlei Konzessionen an Wendungen der Moderne macht. Autorin wie Übersetzerin überzeugen beide in der Gestaltung von Zeitlosigkeit.
Der deutsche Untertitel "Römische Geschichten" ist wie der italienische Originaltitel, "Racconti romani", eine Hommage an Alberto Moravias "Römische Erzählungen". Wie dieser Autor fängt Lahiri Diskriminierungen und Ressentiments ein, im Unterschied zu ihm repräsentieren ihre Figuren jedoch nicht ausschließlich die unteren Schichten. Eine Universitätsprofessorin, eine "moretta", muss in einem Restaurant hören, wie ein Kind sagt: "Die andere mag ich nicht, sie ist hässlich und gemein", als es sie und ihre italienische Freundin erblickt, und selbst die Freundin findet in der Situation keine Widerworte. Wieder und wieder fängt Lahiri den tagtäglichen Rassismus ein, der mal in plumpen Briefen artikuliert wird, mal mit Pistolenschüssen oder ausgeschlagenen Zähnen.
Das gelingt ihr eindrucksvoll, allerdings erzielt sie auf der inhaltlichen Ebene die formale Schwebe nur in einer einzigen Geschichte: "Das Mädchen" beschreibt eine Außenseiterin, der ihre Eltern sagen "Bedecke dich", auch wenn sie gern einmal in einem See schwimmen würde. Die Eltern erlauben ihr nicht, bei "einer unbekannten Familie zu bleiben", und sie denkt schließlich: "Besser gar nicht eingeladen werden." So träumt sie von einem eigenen Weg, der ihr individuelle Freiheit einräumt: "Tatsächlich hätte das Mädchen Lust, länger auf der Treppe zu verweilen, nein, immer auf der Treppe zu sein, im Hinuntergehen mit ihren Klassenkameradinnen, sich als Teil dieses Rudels zu fühlen", und genau deshalb "tut es ihr leid, die letzte Stufe zu erreichen, sich von den anderen zu lösen und alleine weiterzugehen". Gleichzeitig liegt es nicht in ihrem Charakter, gegen ihre Eltern aufzubegehren. Hier lässt Lahiri offen, wo der eigene Rückzug beginnt, wo die Ausgrenzung durch die anderen.
Die übrigen Erzählungen stellen Figuren vor, die diskriminiert werden oder persönliche Brüche erleben: ein Coming-out, die Midlife-Crisis, den Tod eines Kindes. Lahiri kommt diesen Erfahrungen detailreich nahe, bekräftigt aber nur die bohrende, schmerzvolle Gewissheit: Rassismus existiert, selbst wenn die Kinder "die Sprache so gut beherrschten, als wären sie nicht unsere eigenen", selbst wenn die Eltern hoffen, dass die Tochter "studiere, die Universität besuche und dann fortgehe, fort von ihnen". "Das Mädchen" bewegt, weil es keine Gewissheit kennt. CHRISTIANE PÖHLMANN
Jhumpa Lahiri: "Das Wiedersehen". Römische Geschichten.
Aus dem Italienischen von Julika Brandestini. Rowohlt Verlag, Hamburg 2024.
256 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.06.2024Die Lässigkeit der Götter
In Jhumpa Lahiris „Römischen Geschichten“ trifft die globale Oberschicht auf ein dienstbares Migrationsprekariat. Doch die Sozialkritik bleibt vage und gefühlig.
Ein gutmütiges Spottwort behauptet, dass Franzosen immer Französisch sprechen, ganz gleich, welchen Wortschatz – beispielsweise Englisch oder Deutsch – sie gerade verwenden. Akzentfreies Sprechen ist da kein Stilideal. Man baut auf den erprobten Charme und die Eleganz einer seit Ludwig XIV. zivilisatorisch maßgeblichen Sprache. Ähnliches könnte man von der amerikanischen Short Story sagen. Sie ist längst eine universelle Form geworden und funktioniert als Genre auch ohne sprachliche Lokalfarbe. Allenfalls hat sie den Effekt, den jeweils erzählten Weltausschnitt unversehens zu amerikanisieren, die Handlichkeit der Form auf den Gegenstand zu übertragen.
Anders als die Novelle, die natürliche Tochter von Chronik, Zeitungsmeldung und Historiografie, ergreift die Short Story ihre Gegenstände nicht deduktiv von oben und außen, sondern induktiv von innen, aus Situation und Moment heraus. Sie leuchtet Schritt für Schritt eine solche Mikrokonstellation aus. In den besten Beispielen des Genres erwächst die Spannung nicht aus der Handlung, der unerhörten Begebenheit, sondern aus der raffinierten Informationsverteilung beim Zeichnen eines Zustandes. Erst am Ende darf dann etwas dramatisch ins Rutschen kommen, oft nur noch im angedeuteten Ausblick.
Die „Römischen Geschichten“ Jhumpa Lahiris funktionieren genregerecht bis zum Konventionellen. Sie spielen überwiegend – nicht ausschließlich – in Rom, aber handeln sie von der großen, historisch-ästhetisch so überbordend vielschichtigen Stadt? Trotz einiger Klassikerzitate eher nicht. Rom ist hier die Bühne für ein allgemeineres Thema, nämlich die Konfrontation einer globalisierten Unterschicht mit der westlichen, europäisch-amerikanischen Wohlstandswelt.
Es gibt längst ein planetarisches Prekariat, das vor allem im Dienstleistungssektor schuftet, beim Housekeeping, im Klein- und Gebrauchthandel, im reparierenden Handwerk, und es ist kein ganz neuer Einfall, den Blick einmal umzudrehen und unsere alteuropäische Welt einmal aus den Augen dieser Menschen zu betrachten.
Wer ein Ferienhaus auf dem Land mietet, trifft auf gemachte Betten, saubere Küchenschränke und gefüllte Obstteller. Lahiris Geschichte „Die Grenze“ zeigt die Feriengäste wie lässige olympische Götter, sich gutartig achtlos in ihrer extraterrestrischen Sphäre entspannend, wöchentlich wechselnd. Blickgeschützt hinter einer Hecke hausen dienstbare Geister, die viel mehr Schicksal haben als die Menschen, denen sie aufwarten. Sie kommen aus anderen Kontinenten, haben Flucht- und Gewalterfahrungen hinter sich, tragen die äußeren Zeichen anderer Kulturen – bei Frauen lange Gewänder, bedeckte Frisuren – und erregen damit immer neuen Anstoß. Die Verletzungskraft selbst gutartig-höflicher Distanz wird in so einer Geschichte immer fühlbarer, bis zum schwer erträglichen Schmerz.
Denn wenn aus Übersehen Beachtung wird, gerät der Kontakt der Klassen oft feindselig. Sind die langen Kleider nicht viel zu heiß? In zwanzig Jahren werden sie die Mehrheit auf den Straßen stellen! Verachtung und Panik mischen sich. Eine der beklemmendsten Geschichten Lahiris zeigt den unaufhaltsamen Abstieg eines geflüchteten Familienvaters in die Obdachlosigkeit: Eine nachts wenig befahrene, kühle Unterführung verspricht besseren Schlaf als ein überfülltes Massenquartier in einem stickigen Mietshaus. Frau und Kinder wurden weggeschickt. Den herzzerreißend geschilderten Traum von einer eigenen Wohnung haben bösartige Nachbarn zerstört. Einmal kontert Lahiri die Perspektiven. Erst zeigt sie die Innensicht einer migrantischen Haushälterin, die erstmals mit einem westlichen Kleid – ein Geschenk der Patrona – zu einer Erledigung geht. Dann, im abrupten Wechsel, die von zynischen Jugendlichen, die von einem Motorroller aus auf sie schießen – nicht einmal das westliche Kleid hat die Fremde vor der Aggression beschützt.
Fast schlimmer, furchtbarer als solche offene Aggression wirken kleine bösartige Zettel, die einer Migrantin, die in einer Schule als Aufsichtsperson arbeitet, in die Manteltasche gesteckt werden – anonyme Drohungen in Kinderschrift, als Gewalt fast unter der Nachweisgrenze, aber tief erschreckend. In einer anderen Geschichte sagt ein Kind zu einer Frau, die mit ihrer Freundin ein Restaurant besucht, sie sei im Gegensatz zur anderen hässlich. Kurz zuvor hatte die Wirtin diese mit vergifteter Vertraulichkeit als „moretta“, als irgendwie dunkel, gar schwarz angesprochen. In keinem Fall erklären die Geschichten, woher genau die prekären Fremden kommen. Die ungehörige Frage nach der Herkunft schwebt wie eine Drohung über ihren Schicksalen. Sie kommen von weither, aus anderen Kontinenten, über Meere, sie tragen irgendwie bedrohlich wirkende andere Kleidung, sie haben fremde Kulte, das muss genügen. Eine engagierte Reporterin interessiert sich kurz für das Nähere des aus dem Wohnviertel gemobbten Obdachlosen – doch ihre Zeitungsgeschichte erscheint nie. Eine Serie von Miniaturporträts von Anwohnern der Spanischen Treppe weitet den Blick auf andere Zurückgesetzte, etwa eine alte Frau, die auf als Polizisten verkleidete Kriminelle hereinfällt. Einmal wird der Blick eines verschleierten Mädchens auf ihre halb nackten Altersgenossinnen gezeigt. Und zwei lange ambitionierte Storys handeln von Eheproblemen in der globalisierten akademischen Oberschicht, die die Dienste des ebenso globalisierten Prekariats so beiläufig in Anspruch nimmt. Im Vergleich mit den kürzeren Geschichten, die die soziale Blickumkehr erproben, wirken sie überladen, psychologisch wenig plausibel.
Die 1967 in London geborene Lahiri hat einen indischen Hintergrund. Sie blickt auf eine mit Preisen gepflasterte Karriere als vorwiegend amerikanische Schriftstellerin zurück und lehrt heute Kreatives Schreiben in Princeton. Sie arbeitet in einer Sphäre ästhetischer Regelpoetik und erprobter narrativer Verfahren. Die „Römischen Geschichten“ hat sie auf Italienisch verfasst, nachdem sie mit ihrem Mann eine Zeit lang in Rom gelebt hatte.
Doch so bewundernswert die sprachliche Anverwandlung ist, als Geschichten bleiben ihre Texte ganz im Formenrepertoire dieser amerikanischen, zwischen Campus und Zeitschrift lebenden Erzählweise. Deutschsprachige Leser, die nicht wüssten, dass ihr Buch aus dem Italienischen übersetzt ist, müssten es nicht bemerken (was natürlich auch ein Kompliment an die Übersetzerin ist). Und italienische Leser könnten es für eine Übersetzung aus dem Amerikanischen halten.
Das ist kein Einwand, sondern die Beobachtung eines Experiments. Es gibt, parallel zu einer globalisierten Wohlstands- und Armutswelt eben auch eine globalisierte, überall anschlussfähige Literatur. Lateinisch wurde am Ende der Antike in allen Provinzen des Römischen Reichs mit gleicher Geschliffenheit geschrieben. Man kann Jhumpa Lahiris römische Geschichten als Reprise und Rückkehr lesen: Das Weltmodell amerikanischer Schreibweisen erprobt sich an dem Ort, von dem die erste globale Literatur ausging.
Doch ein Bewusstsein von solcher historischen Reflexivität zeigen Lahiris Geschichten an keiner Stelle. Unter ihrer polierten Oberfläche bleiben sie vage sozialkritisch, universell gefühlig, sprachlich uninteressant. Wer sie braucht, um einen sich abmühenden migrantischen Paketboten als Mitmenschen zu erkennen, dem ist vermutlich auch mit ihnen nicht zu helfen.
GUSTAV SEIBT
Die Geschichten sind
auf Italienisch verfasst,
bleiben aber amerikanisch
Preise pflastern ihren Weg: die amerikanische Schriftstellerin Jhumpa Lahiri.
Foto: picture alliance
Jhumpa Lahiri:
Das Wiedersehen.
Römische Geschichten.
Aus dem Englischen von
Julika Brandestini. Rowohlt, Hamburg 2024.
256 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
In Jhumpa Lahiris „Römischen Geschichten“ trifft die globale Oberschicht auf ein dienstbares Migrationsprekariat. Doch die Sozialkritik bleibt vage und gefühlig.
Ein gutmütiges Spottwort behauptet, dass Franzosen immer Französisch sprechen, ganz gleich, welchen Wortschatz – beispielsweise Englisch oder Deutsch – sie gerade verwenden. Akzentfreies Sprechen ist da kein Stilideal. Man baut auf den erprobten Charme und die Eleganz einer seit Ludwig XIV. zivilisatorisch maßgeblichen Sprache. Ähnliches könnte man von der amerikanischen Short Story sagen. Sie ist längst eine universelle Form geworden und funktioniert als Genre auch ohne sprachliche Lokalfarbe. Allenfalls hat sie den Effekt, den jeweils erzählten Weltausschnitt unversehens zu amerikanisieren, die Handlichkeit der Form auf den Gegenstand zu übertragen.
Anders als die Novelle, die natürliche Tochter von Chronik, Zeitungsmeldung und Historiografie, ergreift die Short Story ihre Gegenstände nicht deduktiv von oben und außen, sondern induktiv von innen, aus Situation und Moment heraus. Sie leuchtet Schritt für Schritt eine solche Mikrokonstellation aus. In den besten Beispielen des Genres erwächst die Spannung nicht aus der Handlung, der unerhörten Begebenheit, sondern aus der raffinierten Informationsverteilung beim Zeichnen eines Zustandes. Erst am Ende darf dann etwas dramatisch ins Rutschen kommen, oft nur noch im angedeuteten Ausblick.
Die „Römischen Geschichten“ Jhumpa Lahiris funktionieren genregerecht bis zum Konventionellen. Sie spielen überwiegend – nicht ausschließlich – in Rom, aber handeln sie von der großen, historisch-ästhetisch so überbordend vielschichtigen Stadt? Trotz einiger Klassikerzitate eher nicht. Rom ist hier die Bühne für ein allgemeineres Thema, nämlich die Konfrontation einer globalisierten Unterschicht mit der westlichen, europäisch-amerikanischen Wohlstandswelt.
Es gibt längst ein planetarisches Prekariat, das vor allem im Dienstleistungssektor schuftet, beim Housekeeping, im Klein- und Gebrauchthandel, im reparierenden Handwerk, und es ist kein ganz neuer Einfall, den Blick einmal umzudrehen und unsere alteuropäische Welt einmal aus den Augen dieser Menschen zu betrachten.
Wer ein Ferienhaus auf dem Land mietet, trifft auf gemachte Betten, saubere Küchenschränke und gefüllte Obstteller. Lahiris Geschichte „Die Grenze“ zeigt die Feriengäste wie lässige olympische Götter, sich gutartig achtlos in ihrer extraterrestrischen Sphäre entspannend, wöchentlich wechselnd. Blickgeschützt hinter einer Hecke hausen dienstbare Geister, die viel mehr Schicksal haben als die Menschen, denen sie aufwarten. Sie kommen aus anderen Kontinenten, haben Flucht- und Gewalterfahrungen hinter sich, tragen die äußeren Zeichen anderer Kulturen – bei Frauen lange Gewänder, bedeckte Frisuren – und erregen damit immer neuen Anstoß. Die Verletzungskraft selbst gutartig-höflicher Distanz wird in so einer Geschichte immer fühlbarer, bis zum schwer erträglichen Schmerz.
Denn wenn aus Übersehen Beachtung wird, gerät der Kontakt der Klassen oft feindselig. Sind die langen Kleider nicht viel zu heiß? In zwanzig Jahren werden sie die Mehrheit auf den Straßen stellen! Verachtung und Panik mischen sich. Eine der beklemmendsten Geschichten Lahiris zeigt den unaufhaltsamen Abstieg eines geflüchteten Familienvaters in die Obdachlosigkeit: Eine nachts wenig befahrene, kühle Unterführung verspricht besseren Schlaf als ein überfülltes Massenquartier in einem stickigen Mietshaus. Frau und Kinder wurden weggeschickt. Den herzzerreißend geschilderten Traum von einer eigenen Wohnung haben bösartige Nachbarn zerstört. Einmal kontert Lahiri die Perspektiven. Erst zeigt sie die Innensicht einer migrantischen Haushälterin, die erstmals mit einem westlichen Kleid – ein Geschenk der Patrona – zu einer Erledigung geht. Dann, im abrupten Wechsel, die von zynischen Jugendlichen, die von einem Motorroller aus auf sie schießen – nicht einmal das westliche Kleid hat die Fremde vor der Aggression beschützt.
Fast schlimmer, furchtbarer als solche offene Aggression wirken kleine bösartige Zettel, die einer Migrantin, die in einer Schule als Aufsichtsperson arbeitet, in die Manteltasche gesteckt werden – anonyme Drohungen in Kinderschrift, als Gewalt fast unter der Nachweisgrenze, aber tief erschreckend. In einer anderen Geschichte sagt ein Kind zu einer Frau, die mit ihrer Freundin ein Restaurant besucht, sie sei im Gegensatz zur anderen hässlich. Kurz zuvor hatte die Wirtin diese mit vergifteter Vertraulichkeit als „moretta“, als irgendwie dunkel, gar schwarz angesprochen. In keinem Fall erklären die Geschichten, woher genau die prekären Fremden kommen. Die ungehörige Frage nach der Herkunft schwebt wie eine Drohung über ihren Schicksalen. Sie kommen von weither, aus anderen Kontinenten, über Meere, sie tragen irgendwie bedrohlich wirkende andere Kleidung, sie haben fremde Kulte, das muss genügen. Eine engagierte Reporterin interessiert sich kurz für das Nähere des aus dem Wohnviertel gemobbten Obdachlosen – doch ihre Zeitungsgeschichte erscheint nie. Eine Serie von Miniaturporträts von Anwohnern der Spanischen Treppe weitet den Blick auf andere Zurückgesetzte, etwa eine alte Frau, die auf als Polizisten verkleidete Kriminelle hereinfällt. Einmal wird der Blick eines verschleierten Mädchens auf ihre halb nackten Altersgenossinnen gezeigt. Und zwei lange ambitionierte Storys handeln von Eheproblemen in der globalisierten akademischen Oberschicht, die die Dienste des ebenso globalisierten Prekariats so beiläufig in Anspruch nimmt. Im Vergleich mit den kürzeren Geschichten, die die soziale Blickumkehr erproben, wirken sie überladen, psychologisch wenig plausibel.
Die 1967 in London geborene Lahiri hat einen indischen Hintergrund. Sie blickt auf eine mit Preisen gepflasterte Karriere als vorwiegend amerikanische Schriftstellerin zurück und lehrt heute Kreatives Schreiben in Princeton. Sie arbeitet in einer Sphäre ästhetischer Regelpoetik und erprobter narrativer Verfahren. Die „Römischen Geschichten“ hat sie auf Italienisch verfasst, nachdem sie mit ihrem Mann eine Zeit lang in Rom gelebt hatte.
Doch so bewundernswert die sprachliche Anverwandlung ist, als Geschichten bleiben ihre Texte ganz im Formenrepertoire dieser amerikanischen, zwischen Campus und Zeitschrift lebenden Erzählweise. Deutschsprachige Leser, die nicht wüssten, dass ihr Buch aus dem Italienischen übersetzt ist, müssten es nicht bemerken (was natürlich auch ein Kompliment an die Übersetzerin ist). Und italienische Leser könnten es für eine Übersetzung aus dem Amerikanischen halten.
Das ist kein Einwand, sondern die Beobachtung eines Experiments. Es gibt, parallel zu einer globalisierten Wohlstands- und Armutswelt eben auch eine globalisierte, überall anschlussfähige Literatur. Lateinisch wurde am Ende der Antike in allen Provinzen des Römischen Reichs mit gleicher Geschliffenheit geschrieben. Man kann Jhumpa Lahiris römische Geschichten als Reprise und Rückkehr lesen: Das Weltmodell amerikanischer Schreibweisen erprobt sich an dem Ort, von dem die erste globale Literatur ausging.
Doch ein Bewusstsein von solcher historischen Reflexivität zeigen Lahiris Geschichten an keiner Stelle. Unter ihrer polierten Oberfläche bleiben sie vage sozialkritisch, universell gefühlig, sprachlich uninteressant. Wer sie braucht, um einen sich abmühenden migrantischen Paketboten als Mitmenschen zu erkennen, dem ist vermutlich auch mit ihnen nicht zu helfen.
GUSTAV SEIBT
Die Geschichten sind
auf Italienisch verfasst,
bleiben aber amerikanisch
Preise pflastern ihren Weg: die amerikanische Schriftstellerin Jhumpa Lahiri.
Foto: picture alliance
Jhumpa Lahiri:
Das Wiedersehen.
Römische Geschichten.
Aus dem Englischen von
Julika Brandestini. Rowohlt, Hamburg 2024.
256 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de