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Das in der Zeit der Streitenden Reiche entstandene Werk des chinesischen Gelehrten Zhuangzi gilt als Grundlagentext des Daoismus, wird aber üblicherweise als unergründlich für unseren westlichen und modernen Blick erklärt. Jean François Billeter wendet sich gegen diese verharmlosende Exotik und behauptet: Zhuangzis Schriften sind verständlich und offenbaren den Meister als subversiven Philosophen radikaler Autonomie. Mehr als das: Durch die Konfrontation mit Denkern wie Wittgenstein, Kleist und Montaigne entsteht ein mehr als zweitausend Jahre überspannendes intellektuelles Gespräch, das auf…mehr

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Produktbeschreibung
Das in der Zeit der Streitenden Reiche entstandene Werk des chinesischen Gelehrten Zhuangzi gilt als Grundlagentext des Daoismus, wird aber üblicherweise als unergründlich für unseren westlichen und modernen Blick erklärt. Jean François Billeter wendet sich gegen diese verharmlosende Exotik und behauptet: Zhuangzis Schriften sind verständlich und offenbaren den Meister als subversiven Philosophen radikaler Autonomie. Mehr als das: Durch die Konfrontation mit Denkern wie Wittgenstein, Kleist und Montaigne entsteht ein mehr als zweitausend Jahre überspannendes intellektuelles Gespräch, das auf die grundlegenden Fragen der neueren Philosophie zielt. So macht Billeter nicht nur einen der schönsten Texte der chinesischen Geistesgeschichte endlich zugänglich, sondern pointiert auch sein Erschütterungspotenzial für unser heutiges Leben, denn: »Vielleicht sind wir sogar die Leser, die Zhuangzi sich gewünscht hätte«.

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Autorenporträt
Jean François Billeter, geboren 1939, gehört zu den prononciertesten Sinologen des französischsprachigen Raums. Billeter gilt als Revolutionär seines Faches, der die konventionellen westlichen Interpretationen der chinesischen Kultur grundlegend in Frage stellt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.03.2015

Vergesst die Kultur, haltet euch ans Chaos!

Der Ironiker, Sprachanalytiker und Systemzerstörer Zhuangzi ist neu zu entdecken: Der Sinologe Jean François Billeter befreit den Denker von aller Chinoiserie und präsentiert ihn in seiner universellen Wildheit

Fangen wir mit der Geschichte an, wie das Chaos, das man fürs Leben braucht, einmal reglementiert wurde.

"Der Herrscher des Südmeeres hieß Shu, der des Nordmeeres hieß Hu, der der Mitte hieß Hundun. Von Zeit zu Zeit trafen sich Hu und Shu bei Hundun, und dieser empfing sie höchst freigiebig. Die beiden fragten sich, wie sie ihm dies erwidern könnten, und sagten sich: ,Alle Menschen haben sieben Öffnungen, um zu sehen, zu hören, zu essen und zu atmen, er hat keine einzige. Wir werden sie ihm bohren.' Sie bohrten ihm jeden Tag eine, und am siebten Tag starb Hundun."

Man muss sich diesen Hundun als ein unkonturiertes, wabbeliges Etwas vorstellen; die direkte Übersetzung von Hundun aus dem Chinesischen ist: Chaos. Vom konventionellen Standpunkt seiner beiden Gäste her ist es deshalb verständlich, dass sie ihm etwas von der Fasson geben wollen, die schließlich "alle" haben. Doch kaum sind sie damit fertig und haben ihm die sieben Öffnungen gebohrt, die sonst üblich sind, verstirbt der arme Hundun. Das Chaos ist aufgebraucht.

Die Geschichte ist exemplarisch für den Ton und die Themen dieses Denkers des Chaos namens Zhuangzi (Meister Zhuang), der im China des 4. Jahrhunderts vor Christus gelebt haben soll, eines Ironikers, Groteskenerfinders, Sprachanalytikers und Systemzerstörers, wie sie die Philosophie nicht viele kennt. Die Geschichte könnte aber auch für die schon jahrtausendealten Versuche stehen, diesen Wilden wieder einzufangen und in die vertrauten Schemata einzupassen. Heute gilt das nach dieser legendären Figur benannte Buch, das auch Hunduns Geschichte erzählt, entweder als Repräsentant einer Schule (des "Taoismus"), oder es steht gleich in den Esoterik-Regalen, in denen mit der branchenüblichen Terminologie Lebenshilfe offeriert wird. Laut dem Genfer Sinologen Jean François Billeter gingen diese Neutralisierungen schon 310 nach Christus los, als der Kommentator Guo Xiang dem Buch seine noch heute gebräuchliche, in 33 Kapitel unterteilte Textgestalt gab. Anhand einer Reihe von abstrakten Ideen habe er das Werk zu jener "Apologie der Unverbindlichkeit" verharmlost, die es zur intellektuellen Kompensation für die chinesischen Literatenbeamten und andere gebildete Stände tauglich machte: "Seither hat es ihrem natürlichen Konservativismus gedient, indem es ihrer Unterwürfigkeit ein imaginäres Gegenstück bot." Das sagt Billeter in den "Vier Vorlesungen über den Zhuangzi", die gerade bei Matthes & Seitz auf Deutsch erschienen sind. Der schmale Band will mit seinen genauen Analysen einiger markanter Textpassagen den Philosophen wieder von diesem Ballast befreien und ihn als den theoretisch und ästhetisch herausfordernden Denker rehabilitieren, der er ist.

Billeter ist in Deutschland bisher vor allem als Widersacher eines anderen Sinologen bekannt. In dem Pamphlet "Contre François Jullien" attackierte er den Kollegen als aktuelle Speerspitze der seit den Jesuitenmissionaren üblichen Versuche, das "chinesische Denken" als das Andere der europäischen Rationalität zu verstehen und dadurch zu exotisieren. Im Detail sehr erhellender Untersuchungen etwa über das von den meisten Philosophen unterschätzte "unendlich Nahe und fast Unmittelbare" der alltäglichen Erfahrung, unterscheiden sich die beiden allerdings gar nicht so sehr voneinander. Doch anders als Jullien ist Billeter nicht an der Differenz der kulturellen Ursprünge interessiert, sondern er versucht im Gegenteil, das Universelle der durch Zhuangzi analysierten Erfahrung durch zahlreiche Parallelstellen bei europäischen Autoritäten von Montaigne über Michaux bis Kleist zu belegen.

Das geht so weit, dass Billeter es meist vermeidet, in seinen Übersetzungen den bei Zhuangzi häufigen Begriff "Tao" oder "der Weg" zu verwenden, weil er den Gedanken dadurch "den Stempel chinesischer Herkunft aufgedrückt und den Sinn des Textes somit außer Reichweite des Lesers gerückt" hätte. Stattdessen übersetzt er den Begriff immer anders gemäß dem jeweiligen Zusammenhang, meistens als "das Wirken in den Dingen", das sich dann auch im deutschen Titel des Bandes wiederfindet. Einen solch freien Umgang mit dem Wort sieht Billeter dadurch gerechtfertigt, dass auch zu Zhuangzis Zeit das "Tao" noch nicht zu einer eigenen Philosophie oder Religion erstarrt gewesen sei. Das trifft in den Kern dieser Lektüre. Billeter liest das Buch nicht als lineares System, sondern wie man Bach-Stücke hört: als ein kontrapunktisches und polyphones Gewebe unterschiedlicher Elemente, deren Komplexität sich erst in der Kombination erweist.

Das Chaos, ein Zustand der Unterschiedslosigkeit oder Leere, ist für Zhuangzi deshalb so wichtig, weil in ihm alle Kenntnisse, aber auch die Psyche, die Kunst, sogar die Politik zu sich selbst kommen und regenerieren können. Billeter verwendet viel Sorgfalt auf den Nachweis, dass dies keine mystische Setzung ist, sondern das Ergebnis einer präzisen Phänomenologie von Lernprozessen: Ein Küchenanfänger sieht angesichts eines zu zerlegenden Rinds zunächst nur ein kaum zu bewältigendes Ganzes, ein Objekt vor sich; dann konzentriert er sich auf die einzelnen Teile, bis er schließlich eine solche Vertrautheit mit dem Tier, eine neue Ganzheit, erlangt, dass sie ihm in Fleisch und Blut übergeht und seine Tätigkeit des Schneidens sich wie von selbst vollzieht. Dieser Zustand, ergänzt Billeter, ist der gleiche, egal ob es sich um das Erlernen einer Sprache, eines Instruments oder des Fahrradfahrens handelt: Die beim Lernen hergestellte Synthese sinkt ins Unbewusste hinab, man kann sie buchstäblich "vergessen".

Zhuangzi interessieren nun aber gerade diese produktiven Zustände zwischen Bewusstem und Unbewusstem, zwischen Wachen und Schlafen, die den meisten Philosophen, anders als etwa den Surrealisten, entgehen. So wie oft erst der Schlaf das zuvor Gelesene produktiv macht, sich neu zusammensetzen lässt, müsse man generell, um fruchtbar denken zu können, immer wieder in den vom Bewusstsein nicht vollständig kontrollierten Zustand zurückkehren. Zhuangzi nennt das: "sich beim Beginn der Dinge herumtreiben", Billeter übersetzt es damit, die Bewusstseinsprozesse "als ironischer Zuschauer" von innen her zu beobachten.

Eben dies ist nun der Ansatz für Zhuangzis einigermaßen anarchistische Kulturkritik. Das "Vergessen", das beim Einüben einer Fertigkeit von selbst geschieht, wendet er als Forderung gegen die Kultur, die sich mit ihren Fixierungen und falschen Antinomien ständig vor die Realität schiebt. Deshalb lobt in einem der berühmtesten Dialoge ein fiktiver Konfuzius einen anderen Denker, der zuerst Güte und Gerechtigkeit vergisst und dann die Riten und die Musik - wenig könnte konträrer zum realen Konfuzius sein, der sich von der Institutionalisierung ebendieser Begriffe und Vollzüge Stabilität fürs Leben und Denken versprach. In einem anderen Kapitel heißt es bei Zhuangzi: "Oh, würde ich nur einen Menschen kennen, der die Sprache vergisst, damit ich mit ihm reden könnte!"

Es liegt auf der Hand, wie belebend eine solche Perspektive sein kann, wenn Systeme erstarren, Konflikte vermeintlich gegensätzlicher Doktrinen in Sackgassen stecken. Zhuangzi empfiehlt in solchen Lagen keinen Relativismus; sein unverrückbarer Maßstab bleibt die Wirklichkeit, der es sich so vorurteilslos wie möglich zu stellen gilt. Er empfiehlt das Chaos, die Rückkehr in eine Sphäre vor den aktuell geltenden Unterscheidungen, um die notwendige Autonomie wiederzugewinnen. "Bleibe in diesem Zustand der Verwirrung!", rät in einem weiteren dieser scheinbar absurden Dialoge Zhuangzis eine Gestalt namens Große Verborgenheit dem umherirrenden General Wolke. "Allein die wirkliche Negation der Kultur bewahrt deren Sinn", hatte in einem anderen Zusammenhang der von Billeter nicht zitierte Guy Debord einmal geschrieben.

Die Liste der westlichen Künstler und Intellektuellen, die sich von Zhuangzi schon haben inspirieren lassen, ist lang, von Martin Buber über John Cage und Thomas Merton bis zur Beat Generation. Aber Billeters Vorlesungen geben jetzt eine Vorstellung von der philosophischen Genauigkeit und der literarischen Abgründigkeit dieses Autors, die bewusst macht, was fehlt: eine vollständige Übersetzung auf ebendieser Höhe. Zhuangzi ist bei uns immer noch erst zu entdecken. Einmal beschreibt er, wie jemand den Gelben Kaiser in der Wildnis Musik machen hört und zuerst bestürzt, dann machtlos und am Ende verloren ist. Diese Wirkung zumindest - zusammen allerdings mit einer eigenartig guten Laune - darf man auch bei diesem Philosophen erwarten.

MARK SIEMONS

Jean François Billeter: "Das Wirken in den Dingen. Vier Vorlesungen über den Zhuangzi". Aus dem Französischen von Thomas Fritz. Matthes & Seitz, 156 Seiten, 15 Euro

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»Sein Verständnis des Zhuangzi bezieht [Billeter] ausschliesslich aus dem Text. Darum betont er eingangs auch seine Lesart, nämlich genau und sicher den Text zu erfassen, sie die einzig richtige Lesart. Sein Ansatz ist es, den Text zu entmystifizieren. So spricht Billeter auch nicht von Tao oder Weg, denn das würde dem Werk wieder einen chinesischen Stempel aufdrücken, er übersetzt dao oder tao meist als das titelgebende Wirken in den Dingen. Seine Vorlesungen zum Zhuangzi, in denen er zahlreiche Beispiele aus der westlichen Philosophie und Literatur, von Wittgenstein, Spinoza, Montaigne bis Kleist, zitiert, unterstreichen immer wieder eine räumliche und zeitliche Nähe, und das, obwohl Zhuangzi bereits um 350 v.Ch. Gelebt und gewirkt hat. [...] Billeter will Zhuangzi verstehen und nicht eine uns fremde Denkungsart offenlegen. Zhuangzi erzählt von Erfahrungen, schreibt Gleichnisse, oft in dialogischer Form. Billeter greift Beispiele zum Lernprozess, dem Ablauf von Handlungen sowiezur Autonomie und Freiheit des Individuums heraus. [...] Zhuangzi [] ist ein Meister im Beschreiben [] alltäglicher Erfahrungen. Darauf und was sie mit uns machen, lenkt Billeter den Blick. Immer wieder betont Billeter den Witz und den Sinn für die Dramaturgie des Zhuangzi, als wolle er auch hier sagen: Nur keine Angst, das chinesische Denken ist nicht so fremd, wie mancher denken mag. In sehr handlichem Format kann das Buch überall gelesen werden und verschafft uns einen angenehmen und anregenden Rückzug aus dem reglementierten Alltag.« - Peggy Kames, Ruizhong, 2/2015 Peggy Kames Ruizhong 20150201…mehr