Gregor Schöllgen führt in seinem Band durch eine komplexe Epoche, die von den 1880er Jahren bis zum Ersten Weltkrieg reicht. Dieses Standardwerk hat Friedrich Kießling nun für die fünfte Auflage vollständig überarbeitet und erweitert. Es sind vor allem aktuelle Themen der Forschung, wie die Frage der "Globalisierung" im späten 19. Jahrhundert oder die vielfältigen kulturellen Dimensionen der europäischen Expansion, die Kießling neu aufgreift und umfassend darstellt. Ob auf dem Balkan, in Afrika oder dem arabischen Raum, das Zeitalter des Imperialismus ist bis heute hoch aktuell. Der Grundriss-Band informiert zuverlässig über die Grundzüge der Epoche, stellt die Fülle der Forschungsansätze bis heute vor und bietet im umfassenden und auf den neuesten Stand gebrachten Literaturteil einen unverzichtbaren Einstieg in die kaum noch zu überblickende Menge der internationalen Literatur zum "Zeitalter des Imperialismus".
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.12.2009Bis alle Verlierer waren . . .
Das Zeitalter des Imperialismus 1880 bis 1918
Das Zeitalter des Imperialismus von 1880 bis zum Ende des Ersten Weltkrieges zeichnet dieser magistrale Grundriss knapp und eindringlich nach. Überzeugend ist die klare Gliederung in die drei Teile Darstellung, Forschungsstand und Quellen nebst Literatur. Die nun schon 5. Auflage erfasst den Forschungsstand bis Mitte 2008. Die wesentlichen Entwicklungen der Innen-, Außen-, Kolonial-, Wirtschafts-, Finanz- und Kulturpolitik der europäischen Großmächte werden, unter Einbeziehung der aufstrebenden Mächte Japan und Vereinigte Staaten, in klaren Linien nachgezeichnet. Viele der damaligen Streitfragen sind auch heute noch aktuell - wie die Anerkennung der Oberhoheit Chinas über Tibet, die Auseinandersetzung über Sachalin zwischen Russland und Japan, die russische Expansion auf dem Balkan. Hervorzuheben ist die eindringliche Diskussion des Forschungsstandes, die neben den klassischen Themen von Industrialisierung, Vorgeschichte und Verlauf des Ersten Weltkrieges nun auch stärker die Verflechtung der Weltwirtschaft, den Imperialismus als kulturelles Phänomen, Stadtgeschichte, Frauen- und Geschlechtergeschichte sowie Nationalismusforschung berücksichtigt.
Der rasch expandierende, weltweite Handel und die schnelle Durchsetzung moderner Nachrichtenverbindungen zeigen schon viele Merkmale der heute unter dem Stichwort "Globalisierung" benannten weltumspannenden Verflechtungen. Weltwirtschaft mit internationaler Verflechtung und parallel dazu nationale Orientierung in staatlichen Sicherungs- und Steuerungsfunktionen sind bereits ein Grundzug von Globalisierungsprozessen. Der Handel mit den Kolonien war ebenso wie die Erhebung von Schutzzöllen für den Im- und Export der Industrienationen nahezu bedeutungslos.
Das rasche Wachstum der deutschen Industrie beruhte auf neuen Produkten und Techniken in Maschinenbau, Elektro- und Chemieindustrie und auf der Erschließung weltweiter neuer Absatzmärkte. Ein Beispiel, wie die europäische Expansion das allgemeine Denken der Zeit prägen konnte, ist der Zusammenhang von Medizin beziehungsweise Hygiene und Imperialismus. Der Kampf gegen bis dahin weitgehend unbekannte Krankheiten, Fragen von Gesundheit und Medizin waren wichtige Bestandteile kolonialer Herrschaftsausübung, und so konnten auch Vorstellungen von "Reinheit" und "Unreinheit" oder der notwendigen Trennung von "Gesundem" und "Ungesundem" Eingang in allgemeine soziale und gesellschaftliche Debatten finden. Zum Ersten Weltkrieg halten die beiden Autoren fest, dass sich "letztendlich alle, die einen mehr, die anderen weniger, als Verlierer betrachteten und sich daher mit seinem Ergebnis nur schwer oder gar nicht abfinden konnten. Im Zweiten Weltkrieg ist insofern auch der gigantische Versuch zu sehen, die Ergebnisse des Ersten Weltkriegs zu revidieren."
HANS JOCHEN PRETSCH
Gregor Schöllgen/Friedrich Kießling: Das Zeitalter des Imperialismus. Überarbeitete und ergänzte Auflage. Oldenbourg Verlag, München 2009. 326 S., 24,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das Zeitalter des Imperialismus 1880 bis 1918
Das Zeitalter des Imperialismus von 1880 bis zum Ende des Ersten Weltkrieges zeichnet dieser magistrale Grundriss knapp und eindringlich nach. Überzeugend ist die klare Gliederung in die drei Teile Darstellung, Forschungsstand und Quellen nebst Literatur. Die nun schon 5. Auflage erfasst den Forschungsstand bis Mitte 2008. Die wesentlichen Entwicklungen der Innen-, Außen-, Kolonial-, Wirtschafts-, Finanz- und Kulturpolitik der europäischen Großmächte werden, unter Einbeziehung der aufstrebenden Mächte Japan und Vereinigte Staaten, in klaren Linien nachgezeichnet. Viele der damaligen Streitfragen sind auch heute noch aktuell - wie die Anerkennung der Oberhoheit Chinas über Tibet, die Auseinandersetzung über Sachalin zwischen Russland und Japan, die russische Expansion auf dem Balkan. Hervorzuheben ist die eindringliche Diskussion des Forschungsstandes, die neben den klassischen Themen von Industrialisierung, Vorgeschichte und Verlauf des Ersten Weltkrieges nun auch stärker die Verflechtung der Weltwirtschaft, den Imperialismus als kulturelles Phänomen, Stadtgeschichte, Frauen- und Geschlechtergeschichte sowie Nationalismusforschung berücksichtigt.
Der rasch expandierende, weltweite Handel und die schnelle Durchsetzung moderner Nachrichtenverbindungen zeigen schon viele Merkmale der heute unter dem Stichwort "Globalisierung" benannten weltumspannenden Verflechtungen. Weltwirtschaft mit internationaler Verflechtung und parallel dazu nationale Orientierung in staatlichen Sicherungs- und Steuerungsfunktionen sind bereits ein Grundzug von Globalisierungsprozessen. Der Handel mit den Kolonien war ebenso wie die Erhebung von Schutzzöllen für den Im- und Export der Industrienationen nahezu bedeutungslos.
Das rasche Wachstum der deutschen Industrie beruhte auf neuen Produkten und Techniken in Maschinenbau, Elektro- und Chemieindustrie und auf der Erschließung weltweiter neuer Absatzmärkte. Ein Beispiel, wie die europäische Expansion das allgemeine Denken der Zeit prägen konnte, ist der Zusammenhang von Medizin beziehungsweise Hygiene und Imperialismus. Der Kampf gegen bis dahin weitgehend unbekannte Krankheiten, Fragen von Gesundheit und Medizin waren wichtige Bestandteile kolonialer Herrschaftsausübung, und so konnten auch Vorstellungen von "Reinheit" und "Unreinheit" oder der notwendigen Trennung von "Gesundem" und "Ungesundem" Eingang in allgemeine soziale und gesellschaftliche Debatten finden. Zum Ersten Weltkrieg halten die beiden Autoren fest, dass sich "letztendlich alle, die einen mehr, die anderen weniger, als Verlierer betrachteten und sich daher mit seinem Ergebnis nur schwer oder gar nicht abfinden konnten. Im Zweiten Weltkrieg ist insofern auch der gigantische Versuch zu sehen, die Ergebnisse des Ersten Weltkriegs zu revidieren."
HANS JOCHEN PRETSCH
Gregor Schöllgen/Friedrich Kießling: Das Zeitalter des Imperialismus. Überarbeitete und ergänzte Auflage. Oldenbourg Verlag, München 2009. 326 S., 24,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Das Zeitalter des Imperialismus von 1880 bis zum Ende des Ersten Weltkrieges zeichnet dieser magistrale Grundriss knapp und eindringlich nach. Überzeugend ist die klare Gliederung in die drei Teile Darstellung, Forschungsstand und Quellen nebst Literatur. [...] Hervorzuheben ist die eindringliche Diskussion des Forschungsstandes, die neben den klassischen Themen von Industrialisierung, Vorgeschichte und Verlauf des Ersten Weltkrieges nun auch stärker die Verflechtung der Weltwirtschaft, den Imperialismus als kulturelles Phänomen, Stadtgeschichte, Frauen- und Geschlechtergeschichte sowie Nationalismusforschung berücksichtigt." Hans Jochen Pretsch in der FAZ vom 21.12.2009