Beinahe 30 Jahre lang glänzte die »Völkerfreundschaft« zwischen Kuba und der DDR im öffentlichen Diskurs der SED als Musterbeispiel ihres proletarischen Internationalismus. Doch die Rhetorik täuscht: Besonders in den Anfangsjahren der bilateralen Beziehungen nahmen die deutschen Kader ihre kubanischen »Genossen« in der Karibik als notorische Querschläger wahr, die mit ihrem Aufbegehren gegen den ideologischen Suprematieanspruch des Kremls die Stabilität des Ostblocks gefährdeten. Anhand bislang unveröffentlichten Quellenmaterials aus deutschen und kubanischen Archiven veranschaulicht Antonia Bihlmayer die Bemühungen der Regierung Walter Ulbrichts, die widerspenstigen Sozialisten in der Karibik auf Moskau auszurichten. Sie analysiert die Charakteristika dieser sozialistischen Zivilisierungsmission und beschreibt zugleich, wie sich diese beiden sozialistischen Enklaven ab Mitte der 1970er Jahre schließlich zu gleichwertigen »Juniorpartnern« der Sowjetunion entwickelten.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Jacqueline Boysen empfiehlt Antonia Bihlmayers Studie über die DDR-Diplomatie in Kuba zwischen 1959 und 1989. Zu lernen ist laut Boysen, wie steif und überheblich zugleich die Ostdeutschen in der Karibik auftraten und wie wenig sie erreichten bei ihren Missionsversuchen in Sachen Bitterfelder Weg und Volksbildung. Überzeugend, anschaulich und mit Momenten subtilen Humors schildert die Autorin den Clash of Cultures und die charakterlichen Unterschiede zwischen Ulbricht und Castro.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.06.2023"Zivilisierungsmission" in der Karibik
Die DDR und Kuba - Geschichte einer von vielen Missverständnissen geprägten Beziehung
Herbst 1963: Die USA und die Sowjetunion hatten im Vorjahr um die auf Kuba stationierten Atomwaffen gestritten, Exilkubaner, von Washington unterstützt, waren in der Schweinebucht gelandet. Die Konfrontation der beiden Weltmächte konnte entschärft werden. Doch war der Weltöffentlichkeit die Gefahr einer Eskalation des Kalten Krieges in der Karibik eindrücklich vorgeführt worden.
Den Librettisten Peter Bejach aus der DDR inspirierte die Kuba-Krise zu einem künstlerischen Experiment. Bejach schlug dem Nationalen Kulturrat in Havanna eine gemeinschaftliche Komposition vor - eine Operette. Diese Kunstform gedachte er "aus dem Verfall eines bürgerlich-dekadenten Amüsierbetriebes auf das künstlerische Niveau einer sozialistisch-realistischen Kunst" zu heben. Das Stück sollte auf der MS-Völkerfreundschaft spielen - dem Urlauberschiff aus der DDR, das die Seeblockade im Jahr zuvor durchbrochen hatte. Dass die Völkerfreundschaft mitten im Zwist zwischen den USA und der Sowjetunion mit 500 Passagieren an Bord unbehelligt in Havanna hatte festmachen können, war angeblich einer persönlichen Intervention John F. Kennedys zu verdanken. Dieser wäre sicher nicht in Bejachs sozialistischem Singspiel vorgekommen, sollte es sich doch "mit den kulturellen Missverständnissen zwischen Ostdeutschen und Kubanern beschäftigen, gleichzeitig aber versuchen, auch einen Beitrag zur besseren Differenzierung zwischen Ostdeutschen und Westdeutschen beizutragen (sic)".
Aus dem ambitionierten musikalischen Gemeinschaftsprojekt ist nichts geworden, jedenfalls verlieren sich die Spuren in den Archiven. Doch allein Idee und Briefwechsel illustrieren bis heute eine originelle Facette der DDR-Kultur- und Außenpolitik - ausgegraben von der Historikerin Antonia Bihlmayer. Sie untersucht ausführlich die ostdeutsche Kuba-Politik zwischen 1959 und 1989 und zeichnet nach, wie die DDR-Diplomatie versuchte, an der Stabilisierung des antikapitalistischen Teils der Welt mitzuwirken und vom "helfenden Handel" auch selbst wirtschaftlich zu profitieren. Die Anwerbung von Arbeitskräften und der Zuckerimport waren ihr ebenso wichtig wie die strategische Positionierung in der Karibik. Während die außenpolitischen Ziele der SED gut erforscht und die Akten des Ostberliner Außenministeriums erschlossen sind, sieht es auf kubanischer Seite bis heute anders aus - so konnte Antonia Bihlmayer dort zwar recherchieren, stieß aber zugleich an Grenzen, was den Erkenntniswert ihrer Forschungsarbeit jedoch nicht schmälert.
Insbesondere in den frühen Jahren sah sich die SED berufen, die kubanischen Revolutionäre zu Parteidisziplin und zum Aufbau eines Staatsapparates nach sowjetischem Vorbild zu drängen. Die Ost-Berliner erkannten in Fidel Castro keinen treuen Vasallen der Sowjetunion. Viele seiner Aussagen, zum Beispiel in der Kulturpolitik, erschienen den Funktionären aus der DDR zu liberal. Dass er sich 1961 ein Land wünschte, in dem der Staat Künstlern nicht reinredet, musste ihnen nachgerade konterrevolutionär erscheinen. Und so waren die DDR-Diplomaten bemüht, auf die Spitzen und Kader der kubanischen Bruderpartei einzuwirken.
Besonders engagiert war die DDR auf dem Feld der Volksbildung - so förderte sie den Mathematikunterricht auf Kuba nicht allein, sondern habe ihn nachhaltig geprägt, stellt die Autorin fest. Insgesamt jedoch kommt sie zu dem Schluss, dass die aus ostdeutscher Sicht vor allem als "Zivilisierungsmission" angelegten Beziehungen zwischen der DDR und Kuba an grundlegenden Missverständnissen scheiterten - nicht zuletzt daran, dass sie auf Stereotypen basierten.
Die SED fühlte sich in traditioneller europäischer Kolonialherrenmanier der kubanischen Kommunistischen Partei überlegen. Wie sich aus Archivmaterial rekonstruieren lässt, gingen die deutschen Funktionäre oftmals undiplomatisch vor - sie sahen sich immer wieder dem Vorwurf der Überheblichkeit ausgesetzt und erreichten dementsprechend wenig. Gerade auf dem Feld der Kulturpolitik war die DDR überambitioniert, selbst auf ihren Bitterfelder Weg der schreibenden Arbeiterschaft wollten sie ihre kubanischen Freunde mitnehmen, um dann zu merken, dass ihre Vorstellungen auf der karibischen Insel keine Begeisterung auslösten.
Antonia Bihlmayer schildert sachlich einen Clash of Cultures und würzt ihn fein abgeschmeckt bisweilen mit einer kleinen Prise subtilen Humors. Manches wird leider nicht auserzählt, anderes wiederholt sich auf den 370 Textseiten, die bei aller in Dissertationen geforderten Wissenschaftlichkeit doch immer anschauliche Schilderungen liefern.
Ihr zufolge schritten die karibischen Revolutionäre und die SED-Nomenklatura keineswegs Seit' an Seit'. Die Hitzköpfigkeit Fidel Castros erschien der führenden Staatspartei der DDR als Unsicherheitsfaktor, stellt die Autorin fest. Die charakterlichen Eigenschaften des Máximo Líder oder Che Guevaras unterschieden sich selbstredend von jenen eines Walter Ulbricht oder eines Erich Honecker. Ihre jeweiligen Lebensumstände, die Herrschaftsstrukturen auf Kuba oder in der DDR, die Produktionsverhältnisse, denen der historische Materialismus bekanntlich eine bestimmende Rolle zumisst, die historischen Prägungen und geopolitischen Zwänge - all dies war grundverschieden. Und zugleich gab es doch ähnliche Konfliktlagen, etwa existenzielle wirtschaftliche Abhängigkeiten oder die Fragilität der Sicherheit angesichts der geographischen Anrainerschaft zum Systemgegner.
Die DDR-Vertreter, so arbeitet Antonia Bihlmayer überzeugend heraus, hatten immer dann schlechte Karten, wenn neben ihnen auch noch Diplomaten - oder Devisenbringer - aus der Bonner Republik auftraten. Außenpolitik der DDR - das hieß immer auch Systemwettstreit und verbissene Konkurrenz zur Bundesrepublik. Die Deutschlandpolitik der SED war eine starke Triebkraft auf diplomatischem Parkett. Die DDR buhlte um Anerkennung auch innerhalb ihres Bündnissystems. Weltweit zielte ihr Engagement darauf ab, die Bundesrepublik zu desavouieren. Mindestens bis zur Entspannungspolitik in den Siebzigerjahren wollte sie Westdeutsche als Yankee-Deutsche diskreditieren. Doch die kubanische Politik ließ sich nicht überzeugen, die Bundesrepublik rigoros abzulehnen, wobei Antonia Bihlmayer auch deren Auftreten auf Kuba kritisch sieht. In Havanna jedenfalls fanden sich im Kalten Krieg Einflüsse aus Ost- und Westdeutschland und - anders als von der SED angestrebt - nicht nur der sozialistische Einheitsgrundton. JACQUELINE BOYSEN
Antonia Bihlmayer: DDR-Sozialismus in der Karibik? Die ostdeutsche Kuba-Politik zwischen 1959 und 1989.
Bebra Wissenschaft Verlag, Berlin 2023. 400 S., 30,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die DDR und Kuba - Geschichte einer von vielen Missverständnissen geprägten Beziehung
Herbst 1963: Die USA und die Sowjetunion hatten im Vorjahr um die auf Kuba stationierten Atomwaffen gestritten, Exilkubaner, von Washington unterstützt, waren in der Schweinebucht gelandet. Die Konfrontation der beiden Weltmächte konnte entschärft werden. Doch war der Weltöffentlichkeit die Gefahr einer Eskalation des Kalten Krieges in der Karibik eindrücklich vorgeführt worden.
Den Librettisten Peter Bejach aus der DDR inspirierte die Kuba-Krise zu einem künstlerischen Experiment. Bejach schlug dem Nationalen Kulturrat in Havanna eine gemeinschaftliche Komposition vor - eine Operette. Diese Kunstform gedachte er "aus dem Verfall eines bürgerlich-dekadenten Amüsierbetriebes auf das künstlerische Niveau einer sozialistisch-realistischen Kunst" zu heben. Das Stück sollte auf der MS-Völkerfreundschaft spielen - dem Urlauberschiff aus der DDR, das die Seeblockade im Jahr zuvor durchbrochen hatte. Dass die Völkerfreundschaft mitten im Zwist zwischen den USA und der Sowjetunion mit 500 Passagieren an Bord unbehelligt in Havanna hatte festmachen können, war angeblich einer persönlichen Intervention John F. Kennedys zu verdanken. Dieser wäre sicher nicht in Bejachs sozialistischem Singspiel vorgekommen, sollte es sich doch "mit den kulturellen Missverständnissen zwischen Ostdeutschen und Kubanern beschäftigen, gleichzeitig aber versuchen, auch einen Beitrag zur besseren Differenzierung zwischen Ostdeutschen und Westdeutschen beizutragen (sic)".
Aus dem ambitionierten musikalischen Gemeinschaftsprojekt ist nichts geworden, jedenfalls verlieren sich die Spuren in den Archiven. Doch allein Idee und Briefwechsel illustrieren bis heute eine originelle Facette der DDR-Kultur- und Außenpolitik - ausgegraben von der Historikerin Antonia Bihlmayer. Sie untersucht ausführlich die ostdeutsche Kuba-Politik zwischen 1959 und 1989 und zeichnet nach, wie die DDR-Diplomatie versuchte, an der Stabilisierung des antikapitalistischen Teils der Welt mitzuwirken und vom "helfenden Handel" auch selbst wirtschaftlich zu profitieren. Die Anwerbung von Arbeitskräften und der Zuckerimport waren ihr ebenso wichtig wie die strategische Positionierung in der Karibik. Während die außenpolitischen Ziele der SED gut erforscht und die Akten des Ostberliner Außenministeriums erschlossen sind, sieht es auf kubanischer Seite bis heute anders aus - so konnte Antonia Bihlmayer dort zwar recherchieren, stieß aber zugleich an Grenzen, was den Erkenntniswert ihrer Forschungsarbeit jedoch nicht schmälert.
Insbesondere in den frühen Jahren sah sich die SED berufen, die kubanischen Revolutionäre zu Parteidisziplin und zum Aufbau eines Staatsapparates nach sowjetischem Vorbild zu drängen. Die Ost-Berliner erkannten in Fidel Castro keinen treuen Vasallen der Sowjetunion. Viele seiner Aussagen, zum Beispiel in der Kulturpolitik, erschienen den Funktionären aus der DDR zu liberal. Dass er sich 1961 ein Land wünschte, in dem der Staat Künstlern nicht reinredet, musste ihnen nachgerade konterrevolutionär erscheinen. Und so waren die DDR-Diplomaten bemüht, auf die Spitzen und Kader der kubanischen Bruderpartei einzuwirken.
Besonders engagiert war die DDR auf dem Feld der Volksbildung - so förderte sie den Mathematikunterricht auf Kuba nicht allein, sondern habe ihn nachhaltig geprägt, stellt die Autorin fest. Insgesamt jedoch kommt sie zu dem Schluss, dass die aus ostdeutscher Sicht vor allem als "Zivilisierungsmission" angelegten Beziehungen zwischen der DDR und Kuba an grundlegenden Missverständnissen scheiterten - nicht zuletzt daran, dass sie auf Stereotypen basierten.
Die SED fühlte sich in traditioneller europäischer Kolonialherrenmanier der kubanischen Kommunistischen Partei überlegen. Wie sich aus Archivmaterial rekonstruieren lässt, gingen die deutschen Funktionäre oftmals undiplomatisch vor - sie sahen sich immer wieder dem Vorwurf der Überheblichkeit ausgesetzt und erreichten dementsprechend wenig. Gerade auf dem Feld der Kulturpolitik war die DDR überambitioniert, selbst auf ihren Bitterfelder Weg der schreibenden Arbeiterschaft wollten sie ihre kubanischen Freunde mitnehmen, um dann zu merken, dass ihre Vorstellungen auf der karibischen Insel keine Begeisterung auslösten.
Antonia Bihlmayer schildert sachlich einen Clash of Cultures und würzt ihn fein abgeschmeckt bisweilen mit einer kleinen Prise subtilen Humors. Manches wird leider nicht auserzählt, anderes wiederholt sich auf den 370 Textseiten, die bei aller in Dissertationen geforderten Wissenschaftlichkeit doch immer anschauliche Schilderungen liefern.
Ihr zufolge schritten die karibischen Revolutionäre und die SED-Nomenklatura keineswegs Seit' an Seit'. Die Hitzköpfigkeit Fidel Castros erschien der führenden Staatspartei der DDR als Unsicherheitsfaktor, stellt die Autorin fest. Die charakterlichen Eigenschaften des Máximo Líder oder Che Guevaras unterschieden sich selbstredend von jenen eines Walter Ulbricht oder eines Erich Honecker. Ihre jeweiligen Lebensumstände, die Herrschaftsstrukturen auf Kuba oder in der DDR, die Produktionsverhältnisse, denen der historische Materialismus bekanntlich eine bestimmende Rolle zumisst, die historischen Prägungen und geopolitischen Zwänge - all dies war grundverschieden. Und zugleich gab es doch ähnliche Konfliktlagen, etwa existenzielle wirtschaftliche Abhängigkeiten oder die Fragilität der Sicherheit angesichts der geographischen Anrainerschaft zum Systemgegner.
Die DDR-Vertreter, so arbeitet Antonia Bihlmayer überzeugend heraus, hatten immer dann schlechte Karten, wenn neben ihnen auch noch Diplomaten - oder Devisenbringer - aus der Bonner Republik auftraten. Außenpolitik der DDR - das hieß immer auch Systemwettstreit und verbissene Konkurrenz zur Bundesrepublik. Die Deutschlandpolitik der SED war eine starke Triebkraft auf diplomatischem Parkett. Die DDR buhlte um Anerkennung auch innerhalb ihres Bündnissystems. Weltweit zielte ihr Engagement darauf ab, die Bundesrepublik zu desavouieren. Mindestens bis zur Entspannungspolitik in den Siebzigerjahren wollte sie Westdeutsche als Yankee-Deutsche diskreditieren. Doch die kubanische Politik ließ sich nicht überzeugen, die Bundesrepublik rigoros abzulehnen, wobei Antonia Bihlmayer auch deren Auftreten auf Kuba kritisch sieht. In Havanna jedenfalls fanden sich im Kalten Krieg Einflüsse aus Ost- und Westdeutschland und - anders als von der SED angestrebt - nicht nur der sozialistische Einheitsgrundton. JACQUELINE BOYSEN
Antonia Bihlmayer: DDR-Sozialismus in der Karibik? Die ostdeutsche Kuba-Politik zwischen 1959 und 1989.
Bebra Wissenschaft Verlag, Berlin 2023. 400 S., 30,- Euro.
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