**WINNER OF THE NOBEL PRIZE IN LITERATURE**
**WINNER OF THE MAN BOOKER INTERNATIONAL PRIZE**
Alice Munro captures the essence of life in her brilliant collection of short stories.
Moments of change, chance encounters, the twist of fate that leads a person to a new way of thinking or being: the stories in Dear Life build to form a radiant, indelible portrait of just how dangerous and strange ordinary life can be.
'Another dazzling collection of short stories' Observer
'Alice Munro is one of our greatest living writers...how lucky we are to have Munro herself and her subtle, intelligent and true work' Naomi Alderman, author of The Power
**WINNER OF THE MAN BOOKER INTERNATIONAL PRIZE**
Alice Munro captures the essence of life in her brilliant collection of short stories.
Moments of change, chance encounters, the twist of fate that leads a person to a new way of thinking or being: the stories in Dear Life build to form a radiant, indelible portrait of just how dangerous and strange ordinary life can be.
'Another dazzling collection of short stories' Observer
'Alice Munro is one of our greatest living writers...how lucky we are to have Munro herself and her subtle, intelligent and true work' Naomi Alderman, author of The Power
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.2013Die Dinge glühen, die Zeit steht still
Selten hat ein Literaturnobelpreis so sehr die Richtige getroffen wie in diesem Jahr. Pünktlich dazu kommt nun ein neues Buch, das vom Genie der kanadischen Erzählerin Alice Munro kündet.
Von Andreas Kilb
Über Kurzgeschichten liest man immer noch, sie wären eine Form erzählender Prosa, die sich von Roman und Epos vor allem darin unterscheide, dass sie eben kurz sei. Suppenkonzentrat anstelle von Suppe. Aber vielleicht stimmt das gar nicht. Vielleicht hat die Kunst, Kurzgeschichten zu schreiben, viel mehr mit den Prinzipien zu tun, die auch für den Aufbau eines Bildes, einer Fotografie oder eines Gemäldes, gelten: Proportion, Tiefenschärfe, Fluchtlinien, Verteilung der Gegenstände im Raum. Mit all dem, was nötig ist, um unseren Blick zu lenken, unsere Augen zu öffnen für die Dinge der inneren und äußeren Welt.
In Alice Munros neuem Erzählband "Liebes Leben", der drei Monate nach dem englischen Original jetzt auch auf Deutsch erscheint, gibt es eine fünfzehn Seiten lange Kurzgeschichte mit dem Titel "Nacht". Sie gehört zu dem Schlussteil des Buchs, in dem Munro vier Geschichten versammelt hat, die, wie sie schreibt, "vom Gefühl her autobiographisch" sind und zugleich "die persönlichsten Dinge, die ich über mein Leben zu sagen habe". Die zweite Geschichte im Buch, eben "Nacht", handelt davon, wie die Erzählerin mit vierzehn Jahren ins Krankenhaus kommt, wo ihr der Blinddarm und ein offenbar gutartiges Geschwür entfernt werden, und anschließend unter Schlafstörungen zu leiden beginnt.
Im Frühsommer, als sie wegen ihrer guten Noten von der Schule befreit und wochenlang ohne Beschäftigung zu Hause ist, erreichen sie ihren Höhepunkt. "Ich war nicht mehr ich selbst." In den Stunden vor Tagesanbruch ergreift "ein unsagbar kalter und tiefer Gedanke" von ihr Besitz, der Gedanke, ihre kleine Schwester Catherine, "die ich mehr liebte als sonst jemanden auf der Welt", in ihrem Bett im unteren Teil des Etagenbetts, das die beiden sich teilen, zu erwürgen.
Sie wird ihn nicht los. Unruhig beginnt sie durch das Haus zu wandern, in den Garten, in die Dunkelheit hinaus. Auf der Terrasse macht sie gelegentlich Rast, und eines Nachts wartet ihr Vater dort auf sie, in Hemd und dunkler Hose. Er fragt sie, was los sei, und sie erzählt ihm alles. Und er sagt: "Menschen haben manchmal solche Gedanken." Das sei eine Nebenwirkung des Äthers, den sie im Krankenhaus bekommen habe. Und damit endet das Gespräch. Wenn das, was ihr damals passierte, heute passiert wäre, hätte ihr Vater für sie vielleicht einen Termin bei einem Psychiater gemacht, fügt die Erzählerin an. "Tatsächlich funktionierte das, was er tat, genauso gut."
Und dann kommt der entscheidende Absatz: "Ich nehme an, dass er vielleicht seine bessere Arbeitskleidung trug, weil er am Morgen einen Termin bei der Bank hatte, um - nicht zu seiner Überraschung - zu erfahren, dass sein Kredit nicht verlängert worden war. Er hatte so hart gearbeitet, wie er nur konnte, aber der Markt richtete sich nicht nach ihm, und er musste einen neuen Weg finden, um uns zu ernähren und gleichzeitig unsere Schulden abzuzahlen. Oder er mag erfahren haben, dass es einen Namen für die Zittrigkeit meiner Mutter gab und dass sie nicht aufhören würde. Oder gemerkt haben, dass er eine unmögliche Frau liebte."
In diesen vier Sätzen reißt der Horizont der Zukunft auf, die in diesem Sommer beginnt: der Bankrott der Pelztierzucht, die der Vater betreibt (und die in vielen Geschichten Munros vorkommt), die Parkinson-Erkrankung der Mutter, das Ende der Kindheit, eine unmögliche Liebe. Wir haben Tochter und Vater von nahem gesehen, auf der Terrasse, und jetzt sehen wir die Landschaft, in der diese Szene spielt, eine Landschaft im Raum und in der Zeit. Und, viel kleiner, im Vordergrund, das Bett, in dem die Erzählerin mit ihren Gedanken gekämpft hat: "Von da an konnte ich schlafen."
Ein vollkommenes Kunstwerk zu erleben ist eine seltene Erfahrung, so selten, dass man ihr instinktiv mit Misstrauen begegnet. Aber in dem Band "Liebes Leben" gibt es, wie in früheren Geschichtensammlungen Alice Munros, ein paar Erzählungen, die so unfassbar gut sind, dass sie dieses Misstrauen besiegen - nicht, weil sie den Alltag und die Mentalität der Menschen im ländlichen Kanada, wo Munro lebt, oder in den Städten Vancouver und Toronto, wo sie einmal gelebt hat, besonders eindringlich schilderten (das auch), sondern weil sie, um die Autorin selbst zu zitieren, eine kalte und tiefe Wahrheit über den Menschen mitteilen, eine Wahrheit, die schlaflos machen kann und die zugleich mit Proportion, Komposition und Perspektive zu tun hat. Weil sie nur im Erzählen zu haben ist.
In einer anderen Geschichte, die, nach dem Ort, an dem sie spielt, "Amundsen" heißt, kommt die Erzählerin, eine junge Lehrerin, in ein Sanatorium, um tuberkulosekranke Kinder zu unterrichten. Der Oberarzt, ein Mann zwischen Routine und Verzweiflung - es sind die frühen vierziger Jahre, die Todesrate ist hoch -, nimmt sie unter seine Fittiche. Er ist der einzige, der ein Haus in der nahen Kleinstadt hat, mit vielen Büchern, die er Vivien lesen lässt, und irgendwann schlafen die beiden miteinander. Schließlich sagt er, dass er sie heiraten will, und sie fahren nach Huntsville. Dort zieht sie in einer Damentoilette ihr Hochzeitskleid an, und dann sitzen sie im Auto, und er nimmt alles zurück. Wir aber hören nicht, was er sagt, wir sehen nur, was Vivien sieht: "Das Auto steht vor einem Eisenwarengeschäft. Schneeschaufeln gibt es zum halben Preis. Im Schaufenster hängt immer noch ein Schild, auf dem steht, dass hier Schlittschuhe geschliffen werden." Die Dinge glühen. Die Zeit steht still. Dann rückt sie weiter. Ein anderes Auto will vor dem Geschäft einparken. Routiniert schaltet der Arzt in den Rückwärtsgang. "Ich glaube, ich werde nie fähig sein, ein verschlungenes S wie das auf dem Schlittschuh-Schild zu sehen, ohne seine Stimme zu hören", erinnert sich Vivien.
Man könnte noch lange so weiter schwärmen, von der Erzählung "Kies" etwa, in der sich eine junge Frau an ihr Versagen beim Unfalltod ihrer Schwester erinnert, oder von "Stolz", der Geschichte zweier Außenseiter in einer Provinzstadt, die zu sehr verletzt sind, um ihr Schicksal miteinander teilen zu können, aber eine Kritik ist noch strenger auf Kürze angelegt als eine short story. So muss hier der einschränkende Hinweis folgen, dass es unter den vierzehn Stücken des Bandes auch solche gibt, in denen das frei zwischen den Zeiten springende Erzählen, das Alice Munro in sechs Jahrzehnten Schreibarbeit zur Meisterschaft entwickelt hat, weniger gut funktioniert, in denen die narrativen Bögen überdehnt, die Rückblenden schemenhaft wirken. Aber dieser Einwand hat etwas Hilfloses, denn selbst da, wo der Mechanismus ihrer Prosa nicht perfekt einrastet, sind Munros Sprachgefühl und ihr Gespür für die Lichtverhältnisse ihrer Geschichten von so überwältigender Kraft, dass man sich, wenn man den Finger auf kleinere Schwächen legt, vorkommt, als wollte man der Mona Lisa einen Schnurrbart malen.
Munros bewährte Übersetzerin Heidi Zerning hat auch die neuen Erzählungen mit Geschick und Feingefühl übertragen; nur warum sie "mid-upper gunner" (gemeint ist der Dachturmschütze eines B-17-Bombers) als "Rückenturmschütze" und "my not yet quite erotic fantasies" als "meine halbgaren erotischen Phantasievorstellungen" übersetzt, wird ihr Geheimnis bleiben. Für die letzte, titelgebenden Geschichte musste sie sogar ein Gedicht eindeutschen: "Die weiten, grünen Auen, Die sanft zum Fluss sich senken, Ich möcht sie wieder schauen, Dass sie mir Frieden schenken . . .". Es sind Verse einer fremden Frau, die das Haus der Erzählerin beschreiben, Alice Munros Vaterhaus. Ihre eigenen Gedichte, "von sehr ähnlicher Machart", hat sie irgendwann verloren. Dafür schreibt sie Geschichten.
Alice Munro: "Liebes Leben". Erzählungen.
Aus dem Englischen von Heidi Zerning. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2013. 368 S., geb., 21,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Selten hat ein Literaturnobelpreis so sehr die Richtige getroffen wie in diesem Jahr. Pünktlich dazu kommt nun ein neues Buch, das vom Genie der kanadischen Erzählerin Alice Munro kündet.
Von Andreas Kilb
Über Kurzgeschichten liest man immer noch, sie wären eine Form erzählender Prosa, die sich von Roman und Epos vor allem darin unterscheide, dass sie eben kurz sei. Suppenkonzentrat anstelle von Suppe. Aber vielleicht stimmt das gar nicht. Vielleicht hat die Kunst, Kurzgeschichten zu schreiben, viel mehr mit den Prinzipien zu tun, die auch für den Aufbau eines Bildes, einer Fotografie oder eines Gemäldes, gelten: Proportion, Tiefenschärfe, Fluchtlinien, Verteilung der Gegenstände im Raum. Mit all dem, was nötig ist, um unseren Blick zu lenken, unsere Augen zu öffnen für die Dinge der inneren und äußeren Welt.
In Alice Munros neuem Erzählband "Liebes Leben", der drei Monate nach dem englischen Original jetzt auch auf Deutsch erscheint, gibt es eine fünfzehn Seiten lange Kurzgeschichte mit dem Titel "Nacht". Sie gehört zu dem Schlussteil des Buchs, in dem Munro vier Geschichten versammelt hat, die, wie sie schreibt, "vom Gefühl her autobiographisch" sind und zugleich "die persönlichsten Dinge, die ich über mein Leben zu sagen habe". Die zweite Geschichte im Buch, eben "Nacht", handelt davon, wie die Erzählerin mit vierzehn Jahren ins Krankenhaus kommt, wo ihr der Blinddarm und ein offenbar gutartiges Geschwür entfernt werden, und anschließend unter Schlafstörungen zu leiden beginnt.
Im Frühsommer, als sie wegen ihrer guten Noten von der Schule befreit und wochenlang ohne Beschäftigung zu Hause ist, erreichen sie ihren Höhepunkt. "Ich war nicht mehr ich selbst." In den Stunden vor Tagesanbruch ergreift "ein unsagbar kalter und tiefer Gedanke" von ihr Besitz, der Gedanke, ihre kleine Schwester Catherine, "die ich mehr liebte als sonst jemanden auf der Welt", in ihrem Bett im unteren Teil des Etagenbetts, das die beiden sich teilen, zu erwürgen.
Sie wird ihn nicht los. Unruhig beginnt sie durch das Haus zu wandern, in den Garten, in die Dunkelheit hinaus. Auf der Terrasse macht sie gelegentlich Rast, und eines Nachts wartet ihr Vater dort auf sie, in Hemd und dunkler Hose. Er fragt sie, was los sei, und sie erzählt ihm alles. Und er sagt: "Menschen haben manchmal solche Gedanken." Das sei eine Nebenwirkung des Äthers, den sie im Krankenhaus bekommen habe. Und damit endet das Gespräch. Wenn das, was ihr damals passierte, heute passiert wäre, hätte ihr Vater für sie vielleicht einen Termin bei einem Psychiater gemacht, fügt die Erzählerin an. "Tatsächlich funktionierte das, was er tat, genauso gut."
Und dann kommt der entscheidende Absatz: "Ich nehme an, dass er vielleicht seine bessere Arbeitskleidung trug, weil er am Morgen einen Termin bei der Bank hatte, um - nicht zu seiner Überraschung - zu erfahren, dass sein Kredit nicht verlängert worden war. Er hatte so hart gearbeitet, wie er nur konnte, aber der Markt richtete sich nicht nach ihm, und er musste einen neuen Weg finden, um uns zu ernähren und gleichzeitig unsere Schulden abzuzahlen. Oder er mag erfahren haben, dass es einen Namen für die Zittrigkeit meiner Mutter gab und dass sie nicht aufhören würde. Oder gemerkt haben, dass er eine unmögliche Frau liebte."
In diesen vier Sätzen reißt der Horizont der Zukunft auf, die in diesem Sommer beginnt: der Bankrott der Pelztierzucht, die der Vater betreibt (und die in vielen Geschichten Munros vorkommt), die Parkinson-Erkrankung der Mutter, das Ende der Kindheit, eine unmögliche Liebe. Wir haben Tochter und Vater von nahem gesehen, auf der Terrasse, und jetzt sehen wir die Landschaft, in der diese Szene spielt, eine Landschaft im Raum und in der Zeit. Und, viel kleiner, im Vordergrund, das Bett, in dem die Erzählerin mit ihren Gedanken gekämpft hat: "Von da an konnte ich schlafen."
Ein vollkommenes Kunstwerk zu erleben ist eine seltene Erfahrung, so selten, dass man ihr instinktiv mit Misstrauen begegnet. Aber in dem Band "Liebes Leben" gibt es, wie in früheren Geschichtensammlungen Alice Munros, ein paar Erzählungen, die so unfassbar gut sind, dass sie dieses Misstrauen besiegen - nicht, weil sie den Alltag und die Mentalität der Menschen im ländlichen Kanada, wo Munro lebt, oder in den Städten Vancouver und Toronto, wo sie einmal gelebt hat, besonders eindringlich schilderten (das auch), sondern weil sie, um die Autorin selbst zu zitieren, eine kalte und tiefe Wahrheit über den Menschen mitteilen, eine Wahrheit, die schlaflos machen kann und die zugleich mit Proportion, Komposition und Perspektive zu tun hat. Weil sie nur im Erzählen zu haben ist.
In einer anderen Geschichte, die, nach dem Ort, an dem sie spielt, "Amundsen" heißt, kommt die Erzählerin, eine junge Lehrerin, in ein Sanatorium, um tuberkulosekranke Kinder zu unterrichten. Der Oberarzt, ein Mann zwischen Routine und Verzweiflung - es sind die frühen vierziger Jahre, die Todesrate ist hoch -, nimmt sie unter seine Fittiche. Er ist der einzige, der ein Haus in der nahen Kleinstadt hat, mit vielen Büchern, die er Vivien lesen lässt, und irgendwann schlafen die beiden miteinander. Schließlich sagt er, dass er sie heiraten will, und sie fahren nach Huntsville. Dort zieht sie in einer Damentoilette ihr Hochzeitskleid an, und dann sitzen sie im Auto, und er nimmt alles zurück. Wir aber hören nicht, was er sagt, wir sehen nur, was Vivien sieht: "Das Auto steht vor einem Eisenwarengeschäft. Schneeschaufeln gibt es zum halben Preis. Im Schaufenster hängt immer noch ein Schild, auf dem steht, dass hier Schlittschuhe geschliffen werden." Die Dinge glühen. Die Zeit steht still. Dann rückt sie weiter. Ein anderes Auto will vor dem Geschäft einparken. Routiniert schaltet der Arzt in den Rückwärtsgang. "Ich glaube, ich werde nie fähig sein, ein verschlungenes S wie das auf dem Schlittschuh-Schild zu sehen, ohne seine Stimme zu hören", erinnert sich Vivien.
Man könnte noch lange so weiter schwärmen, von der Erzählung "Kies" etwa, in der sich eine junge Frau an ihr Versagen beim Unfalltod ihrer Schwester erinnert, oder von "Stolz", der Geschichte zweier Außenseiter in einer Provinzstadt, die zu sehr verletzt sind, um ihr Schicksal miteinander teilen zu können, aber eine Kritik ist noch strenger auf Kürze angelegt als eine short story. So muss hier der einschränkende Hinweis folgen, dass es unter den vierzehn Stücken des Bandes auch solche gibt, in denen das frei zwischen den Zeiten springende Erzählen, das Alice Munro in sechs Jahrzehnten Schreibarbeit zur Meisterschaft entwickelt hat, weniger gut funktioniert, in denen die narrativen Bögen überdehnt, die Rückblenden schemenhaft wirken. Aber dieser Einwand hat etwas Hilfloses, denn selbst da, wo der Mechanismus ihrer Prosa nicht perfekt einrastet, sind Munros Sprachgefühl und ihr Gespür für die Lichtverhältnisse ihrer Geschichten von so überwältigender Kraft, dass man sich, wenn man den Finger auf kleinere Schwächen legt, vorkommt, als wollte man der Mona Lisa einen Schnurrbart malen.
Munros bewährte Übersetzerin Heidi Zerning hat auch die neuen Erzählungen mit Geschick und Feingefühl übertragen; nur warum sie "mid-upper gunner" (gemeint ist der Dachturmschütze eines B-17-Bombers) als "Rückenturmschütze" und "my not yet quite erotic fantasies" als "meine halbgaren erotischen Phantasievorstellungen" übersetzt, wird ihr Geheimnis bleiben. Für die letzte, titelgebenden Geschichte musste sie sogar ein Gedicht eindeutschen: "Die weiten, grünen Auen, Die sanft zum Fluss sich senken, Ich möcht sie wieder schauen, Dass sie mir Frieden schenken . . .". Es sind Verse einer fremden Frau, die das Haus der Erzählerin beschreiben, Alice Munros Vaterhaus. Ihre eigenen Gedichte, "von sehr ähnlicher Machart", hat sie irgendwann verloren. Dafür schreibt sie Geschichten.
Alice Munro: "Liebes Leben". Erzählungen.
Aus dem Englischen von Heidi Zerning. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2013. 368 S., geb., 21,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.12.2013Menschen haben solche Gedanken
Ihr neuer Erzählungsband „Liebes Leben“ zeigt Alice Munro auf der Höhe ihres Könnens. Kunstvoll verdichtet die Kanadierin
die Fülle des Lebens – der Nobelpreis für Literatur geht an eine Meisterin der kleinen Form
VON MEIKE FESSMANN
Sie war noch nicht erwachsen, da wurde sie zur „Dolmetscherin“ ihrer früh an Parkinson erkrankten Mutter, und dieses Sprechen im Namen einer anderen war manchmal eine Qual. Und doch waren die Jahre, in denen es mit der Farm, auf der ihr Vater Silberfüchse und Nerze züchtete, immer weiter bergab ging und das Leben der fünfköpfigen Familie von der Krankheit der Mutter überschattet wurde, keine unglückliche Zeit. So beschreibt es Alice Munro in einer der vier autobiografischen Geschichten, die als
„Finale“ ihren neuen Erzählungsband „Liebes Leben“ abschließen. Dass eine Situation und das innere Erleben weit auseinanderklaffen können, ist nur eine der vielen Beobachtungen, aus denen die 1931 in Ontario geborene Schriftstellerin ein Werk geschaffen hat, das ihre Leser und Kollegen seit vielen Jahren bewundern und für das sie nun endlich mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wird.
Sie selbst konnte bei der Preisverleihung am Dienstag in Stockholm aus gesundheitlichen Grün-den nicht anwesend sein. Eine ihrer drei Töchter nahm den Preis aus den Händen des schwedischen Königs entgegen. Das wirkt beinahe wie die Vorlage für eine nächste Geschichte, auch wenn sie wieder einmal erklärt hat, ihr neuester Erzählungsband sei nun endgültig der letzte. In den vierzehn Geschichten ihres nunmehr dreizehnten Bandes, der vor einem Jahr unter dem Titel „Dear Life“ erschienen ist und pünktlich zur Preisverleihung aus der Feder ihrer bewährten Übersetzerin Heidi Zerning auf Deutsch vorliegt, ist sie ganz auf der Höhe ihrer Kunst. Ihre Geschichten sind immer dann am besten, wenn sie einen ganzen Lebensbogen spannen, prägende Details herausgreifend, in denen sich die Fülle eines Lebens zur Essenz verdichtet.
Eine junge Frau reist während des Kriegs als Lehrerin in ein Sanatorium für tuberkulosekranke Kinder mitten hinein in eine Szenerie, die an russische Romane und Thomas Manns „Zauberberg“ erinnert. Obwohl er ihr beim Einstellungsgespräch Fragen wie „Fallen“ stellte, beginnt sie ein Verhältnis mit dem leitenden Chirurgen. Heimlich wollen sie heiraten. Im Auto geht es zum Standesamt, irgendwo in den Bergen. Plötzlich biegt er auf den Parkplatz einer Eisenwarenhandlung ein und eröffnet ihr, dass er es sich anders überlegt hat. Seine Ausführungen werden unterbrochen. Ein Lkw-Fahrer, offenbar der Besitzer des Ladens, fordert sie auf wegzufahren. „Wir sind schon weg“, antwortet er. Für einen kurzen Augenblick klammert sie sich an das Wörtchen „Wir“. Dabei kommt es doch auf das Wort gar nicht an.
Denn der „Mann-zu-Mann-Ton zu dem Fahrer“ hat ihr bereits die Wahrheit verraten. Sie ist schlimmer als die Erklärung zuvor, die immerhin seinen „Schmerz“ erkennen ließ. „Ganz egal, was er sagte und meinte, er sprach in jenen Minuten aus demselben innersten Ort heraus, aus dem er gesprochen hatte, als er mit mir im Bett war. Aber jetzt, nachdem er mit einem anderen Mann gesprochen hat, ist es nicht mehr so.“ Jahre später treffen sie sich in Toronto zufällig wieder. „Wir starrten uns gleichzeitig an, mit nacktem Schock auf unseren von der Zeit beschädigten Gesichtern.“ Es scheint so, als könnten sie immer noch zusammenfinden. Doch nichts geschieht. Nur ein kurzes Aufblitzen in seinem linken Auge, „immer das linke, erinnerte ich mich“. Mit solch kleinen Details kann Alice Munro intime Vertrautheit darstellen. Und manchmal schiebt sie noch eine Lebensweisheit hinterher, die einer Geschichte ihren Rahmen gibt: „An Liebe ändert sich nie etwas.“
Verschlungen sind die Pfade, auf denen sie ihre Figuren führt, oft spielen ihre
Geschichten in Kleinstädten, dort, wo man sich kennt, was manchmal von Nutzen ist. So geht es dem Helden einer Erzählung, der seiner Hasenscharte wegen froh ist, dass sich die Leute an sein Gesicht gewöhnt haben. Und doch ist er zu stolz, das Angebot einer Bekannten, die leichtsinnig ihr Elternhaus verkauft hat, anzunehmen, zu ihm in sein Haus zu ziehen. Aus lauter Sorge, sie könne ihn doch noch überreden, verkauft er das eigene Haus, in dem er mit seiner Mutter bis zu deren Tod lebte.
Ein Satz genügte, um alles zu verunmöglichen: Sie könnten doch wie Bruder und Schwester zusammenleben, niemand würde sich etwas dabei denken. Am Ende erlebt das seltsame Paar dennoch eine Art Glück, als sie gemeinsam ein paar Skunks beobachten, die sich in einem Vogelbad miteinander vergnügen. „Ihr Gesicht strahlte. (. . .) Ich dachte, vielleicht sagt sie noch etwas und verdirbt es, doch nein. Keiner von uns sagte etwas. Wir waren so froh, wie man nur sein kann.“
Dass es besser ist, manche Dinge nicht auszusprechen, spielt in diesen Geschichten mindestens eine ebenso große Rolle wie die Fähigkeit, in einem Gespräch die richtigen Worte zu finden oder etwas erzählen zu können, um den anderen zu unterhalten, wie der Nachtwächter in einem Kino, dessen Frau unheilbar krank ist. Ob sie von Liebeswirren handeln oder von tragischen Verlusten, immer gibt es ein fein austariertes Verhältnis zwischen Gesagtem und Ungesagtem. „All dieses Ausweiden, das heutzutage in Familien betrieben wird, halte ich für einen Fehler“, sagt ein Mann, dessen Schwester als Kind vor seinen Augen mit triumphierender Geste in eine Kiesgrube sprang und ertrank. Noch immer ist er „starr“ vor Schreck, wenn er daran denkt.
In einer der vier Erzählungen, die Alice Munro mit der Bemerkung einleitet, sie
seien „vom Gefühl her autobiografisch“, erinnert sie sich an eine Phase nächtlicher Schlaflosigkeit, in der sie Angst davor hatte, sie könnte ihre kleine Schwester erwürgen, die sie über alles liebte. Nächtelang schlich sie ums Haus, um sich abzulenken, bis sie eines Morgens auf ihren Vater traf. Sie gestand ihm alles, mit dem Wissen, im Augenblick ihres Geständnisses nicht mehr dieselbe Person zu sein.
Der Vater aber antwortete nur, es gäbe keinen Grund zur Sorge. „Menschen haben manchmal solche Gedanken.“ Dass sie mit der Haltung ihres Vaters, der sich mit dem abfand, was das Leben ihm zuteilte, stärker sympathisiert als mit dem Versuch ihrer Mutter, mehr darzustellen, als sie war – eine Farmerstochter, die zur Lehrerin aufgestiegen war, um zur Frau eines Farmers zu werden, der zur falschen Zeit in die Pelzzucht investierte –, daran lässt Alice Munro keinen Zweifel. Das Gespür für Zwischentöne und den Blick für verräterische Details dürfte sie dennoch von ihr geerbt haben, ebenso das blitzschnelle Klassifizieren von Merkmalen, die den Status oder die Gemütslage einer Person verraten.
Der distanzierte Blick aus der Vogelperspektive geht im Werk Alice Munros eine innige Verbindung mit den Stimmen ein, die im Kopf ihrer Figuren hausen. Schon als Fünfjährige hat sie bemerkt, dass das Bild, das ihre Mutter von ihr hatte, von ihrem eigenen Bild abwich. Womöglich war es dieser Zwiespalt, in dem sich ihre Erzählstimme einnisten konnte, die stets nah bei ihren Figuren ist, auch wenn sie nicht aus deren Körper kommt. Als Alice Munro nun mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, ging die Ehrung auch an diese Stimme. Sie kann Distanz und Nähe so eng miteinander verschwistern, dass sie unverkennbar geworden ist.
Ihre Geschichten sind stets
am besten, wenn sie einen ganzen
Lebensbogen umspannen
Dass eine Situation und das innere Erleben weit
auseinanderklaffen könnne, aus dieser Erfahrung hat die 1931 in Ontario geborene Schriftstellerin Alice Munro ein Werk geschaffen, für das sie schon lange bewundert wird. Foto: dpa
Alice Munro: Liebes Leben. 14 Erzählungen. Aus dem Englischen von Heidi Zerning. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2013. 368 Seiten, 21,99 Euro, E-Book
18,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Ihr neuer Erzählungsband „Liebes Leben“ zeigt Alice Munro auf der Höhe ihres Könnens. Kunstvoll verdichtet die Kanadierin
die Fülle des Lebens – der Nobelpreis für Literatur geht an eine Meisterin der kleinen Form
VON MEIKE FESSMANN
Sie war noch nicht erwachsen, da wurde sie zur „Dolmetscherin“ ihrer früh an Parkinson erkrankten Mutter, und dieses Sprechen im Namen einer anderen war manchmal eine Qual. Und doch waren die Jahre, in denen es mit der Farm, auf der ihr Vater Silberfüchse und Nerze züchtete, immer weiter bergab ging und das Leben der fünfköpfigen Familie von der Krankheit der Mutter überschattet wurde, keine unglückliche Zeit. So beschreibt es Alice Munro in einer der vier autobiografischen Geschichten, die als
„Finale“ ihren neuen Erzählungsband „Liebes Leben“ abschließen. Dass eine Situation und das innere Erleben weit auseinanderklaffen können, ist nur eine der vielen Beobachtungen, aus denen die 1931 in Ontario geborene Schriftstellerin ein Werk geschaffen hat, das ihre Leser und Kollegen seit vielen Jahren bewundern und für das sie nun endlich mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wird.
Sie selbst konnte bei der Preisverleihung am Dienstag in Stockholm aus gesundheitlichen Grün-den nicht anwesend sein. Eine ihrer drei Töchter nahm den Preis aus den Händen des schwedischen Königs entgegen. Das wirkt beinahe wie die Vorlage für eine nächste Geschichte, auch wenn sie wieder einmal erklärt hat, ihr neuester Erzählungsband sei nun endgültig der letzte. In den vierzehn Geschichten ihres nunmehr dreizehnten Bandes, der vor einem Jahr unter dem Titel „Dear Life“ erschienen ist und pünktlich zur Preisverleihung aus der Feder ihrer bewährten Übersetzerin Heidi Zerning auf Deutsch vorliegt, ist sie ganz auf der Höhe ihrer Kunst. Ihre Geschichten sind immer dann am besten, wenn sie einen ganzen Lebensbogen spannen, prägende Details herausgreifend, in denen sich die Fülle eines Lebens zur Essenz verdichtet.
Eine junge Frau reist während des Kriegs als Lehrerin in ein Sanatorium für tuberkulosekranke Kinder mitten hinein in eine Szenerie, die an russische Romane und Thomas Manns „Zauberberg“ erinnert. Obwohl er ihr beim Einstellungsgespräch Fragen wie „Fallen“ stellte, beginnt sie ein Verhältnis mit dem leitenden Chirurgen. Heimlich wollen sie heiraten. Im Auto geht es zum Standesamt, irgendwo in den Bergen. Plötzlich biegt er auf den Parkplatz einer Eisenwarenhandlung ein und eröffnet ihr, dass er es sich anders überlegt hat. Seine Ausführungen werden unterbrochen. Ein Lkw-Fahrer, offenbar der Besitzer des Ladens, fordert sie auf wegzufahren. „Wir sind schon weg“, antwortet er. Für einen kurzen Augenblick klammert sie sich an das Wörtchen „Wir“. Dabei kommt es doch auf das Wort gar nicht an.
Denn der „Mann-zu-Mann-Ton zu dem Fahrer“ hat ihr bereits die Wahrheit verraten. Sie ist schlimmer als die Erklärung zuvor, die immerhin seinen „Schmerz“ erkennen ließ. „Ganz egal, was er sagte und meinte, er sprach in jenen Minuten aus demselben innersten Ort heraus, aus dem er gesprochen hatte, als er mit mir im Bett war. Aber jetzt, nachdem er mit einem anderen Mann gesprochen hat, ist es nicht mehr so.“ Jahre später treffen sie sich in Toronto zufällig wieder. „Wir starrten uns gleichzeitig an, mit nacktem Schock auf unseren von der Zeit beschädigten Gesichtern.“ Es scheint so, als könnten sie immer noch zusammenfinden. Doch nichts geschieht. Nur ein kurzes Aufblitzen in seinem linken Auge, „immer das linke, erinnerte ich mich“. Mit solch kleinen Details kann Alice Munro intime Vertrautheit darstellen. Und manchmal schiebt sie noch eine Lebensweisheit hinterher, die einer Geschichte ihren Rahmen gibt: „An Liebe ändert sich nie etwas.“
Verschlungen sind die Pfade, auf denen sie ihre Figuren führt, oft spielen ihre
Geschichten in Kleinstädten, dort, wo man sich kennt, was manchmal von Nutzen ist. So geht es dem Helden einer Erzählung, der seiner Hasenscharte wegen froh ist, dass sich die Leute an sein Gesicht gewöhnt haben. Und doch ist er zu stolz, das Angebot einer Bekannten, die leichtsinnig ihr Elternhaus verkauft hat, anzunehmen, zu ihm in sein Haus zu ziehen. Aus lauter Sorge, sie könne ihn doch noch überreden, verkauft er das eigene Haus, in dem er mit seiner Mutter bis zu deren Tod lebte.
Ein Satz genügte, um alles zu verunmöglichen: Sie könnten doch wie Bruder und Schwester zusammenleben, niemand würde sich etwas dabei denken. Am Ende erlebt das seltsame Paar dennoch eine Art Glück, als sie gemeinsam ein paar Skunks beobachten, die sich in einem Vogelbad miteinander vergnügen. „Ihr Gesicht strahlte. (. . .) Ich dachte, vielleicht sagt sie noch etwas und verdirbt es, doch nein. Keiner von uns sagte etwas. Wir waren so froh, wie man nur sein kann.“
Dass es besser ist, manche Dinge nicht auszusprechen, spielt in diesen Geschichten mindestens eine ebenso große Rolle wie die Fähigkeit, in einem Gespräch die richtigen Worte zu finden oder etwas erzählen zu können, um den anderen zu unterhalten, wie der Nachtwächter in einem Kino, dessen Frau unheilbar krank ist. Ob sie von Liebeswirren handeln oder von tragischen Verlusten, immer gibt es ein fein austariertes Verhältnis zwischen Gesagtem und Ungesagtem. „All dieses Ausweiden, das heutzutage in Familien betrieben wird, halte ich für einen Fehler“, sagt ein Mann, dessen Schwester als Kind vor seinen Augen mit triumphierender Geste in eine Kiesgrube sprang und ertrank. Noch immer ist er „starr“ vor Schreck, wenn er daran denkt.
In einer der vier Erzählungen, die Alice Munro mit der Bemerkung einleitet, sie
seien „vom Gefühl her autobiografisch“, erinnert sie sich an eine Phase nächtlicher Schlaflosigkeit, in der sie Angst davor hatte, sie könnte ihre kleine Schwester erwürgen, die sie über alles liebte. Nächtelang schlich sie ums Haus, um sich abzulenken, bis sie eines Morgens auf ihren Vater traf. Sie gestand ihm alles, mit dem Wissen, im Augenblick ihres Geständnisses nicht mehr dieselbe Person zu sein.
Der Vater aber antwortete nur, es gäbe keinen Grund zur Sorge. „Menschen haben manchmal solche Gedanken.“ Dass sie mit der Haltung ihres Vaters, der sich mit dem abfand, was das Leben ihm zuteilte, stärker sympathisiert als mit dem Versuch ihrer Mutter, mehr darzustellen, als sie war – eine Farmerstochter, die zur Lehrerin aufgestiegen war, um zur Frau eines Farmers zu werden, der zur falschen Zeit in die Pelzzucht investierte –, daran lässt Alice Munro keinen Zweifel. Das Gespür für Zwischentöne und den Blick für verräterische Details dürfte sie dennoch von ihr geerbt haben, ebenso das blitzschnelle Klassifizieren von Merkmalen, die den Status oder die Gemütslage einer Person verraten.
Der distanzierte Blick aus der Vogelperspektive geht im Werk Alice Munros eine innige Verbindung mit den Stimmen ein, die im Kopf ihrer Figuren hausen. Schon als Fünfjährige hat sie bemerkt, dass das Bild, das ihre Mutter von ihr hatte, von ihrem eigenen Bild abwich. Womöglich war es dieser Zwiespalt, in dem sich ihre Erzählstimme einnisten konnte, die stets nah bei ihren Figuren ist, auch wenn sie nicht aus deren Körper kommt. Als Alice Munro nun mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, ging die Ehrung auch an diese Stimme. Sie kann Distanz und Nähe so eng miteinander verschwistern, dass sie unverkennbar geworden ist.
Ihre Geschichten sind stets
am besten, wenn sie einen ganzen
Lebensbogen umspannen
Dass eine Situation und das innere Erleben weit
auseinanderklaffen könnne, aus dieser Erfahrung hat die 1931 in Ontario geborene Schriftstellerin Alice Munro ein Werk geschaffen, für das sie schon lange bewundert wird. Foto: dpa
Alice Munro: Liebes Leben. 14 Erzählungen. Aus dem Englischen von Heidi Zerning. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2013. 368 Seiten, 21,99 Euro, E-Book
18,99 Euro.
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