Immer mehr Menschen fragen nach Sinn. Aber warum ist das so? Und was sind die möglichen Antworten darauf? Bestsellerautor Wilhelm Schmid geht von der Beobachtung aus, dass viele Menschen Sinn in der Liebe erfahren, Sinnlosigkeit aber, wenn sie zerbricht. Ist das ein Indiz dafür, wo Sinn zu finden ist? Warum dann aber alles vom Gelingen einer einzigen Liebe abhängig machen? Sollte es die Liebe nicht besser im Plural geben? Viele mögliche »Lieben« und ihr Sinnpotenzial rücken in diesem Buch ins Licht: Die Liebe in der Familie und zwischen Freunden, die Liebe zu Tieren und zur Natur, zur Kunst und Kultur, zu Ideen und Dingen, zum Geld, zur Heimat, zum Leben, zum Tod und zu einem möglichen Darüberhinaus, zu Gott. Besondere Aufmerksamkeit gilt der Feindesliebe: Ist es denkbar, sie vom christlichen Ideal abzulösen und auch der Feindschaft eine Rolle bei der Sinngebung fürs Leben zuzugestehen? Deutlich wird in diesem Buch, wie vielfältig und abgründig Sinn sein kann. Wer sich fragt, was Sinn ist und was sich im eigenen Leben dafür tun lässt, findet hier eine Fülle von Anregungen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.05.2013Wer ruhig ist, der wird hier noch ruhiger
Ist ein Sinn in allen Wesen: Der Philosoph Wilhelm Schmid verschreibt als Säkularpastor dem Leiden an modernen Mangelerscheinungen eine sanfte Kur des In-sich-Gehens.
Seit Jahren bemüht sich Wilhelm Schmid, die Lebenskunst unter die Leute zu bringen, also durch Nachdenken das Gefühl für sich, die anderen und die Welt zu verbessern. In seinem neuen Buch steht, wo und wie einer Sinn im Leben finden kann. Ohne Liebe geht es nicht, sagt Schmid. Er schreibt angenehm und beruhigend. So muss auf viele Berliner einmal Klaus Wowereit gewirkt haben. Wer jetzt drängelt und nervös wird, zerstört das Ambiente des Versprechens, dass alles gut wird.
Vertrauen zu Schmid fassen bedeutet dabei, sich selbst für eine Weile aus dem Verkehr zu ziehen. Schmid ist wie ein Ort der Stille auf einem Flughafen. Sonntags in der Kirche kann jeder feststellen, dass nicht jeder Pfarrer predigen kann. An einer Predigt entscheidet sich nicht der ganze Gottesdienst, aber spurlos geht sie an keinem vorüber. Sie bewegt, langweilt oder regt einen auf. Dabei kann ein Pfarrer den Menschen ins Gewissen reden und sie zu einem christlichen Leben anhalten.
Predigen macht Sinn. Nicht immer für den, dem die Predigt gilt, sicher aber für den, der sie hält, also für die Eltern, seltener für die Kinder. Wer predigt, spricht als Beauftragter eines Zusammenhangs, der Pfarrer im Auftrag eines gottgefälligen, die Eltern im Auftrag eines bürgerlichen Lebens. Eine Predigt hält auch, wer davon erzählt, wodurch das Leben wieder Sinn bekommt, ohne dass er deswegen gleich Gott erwähnt. Schmid hat mit Gott kein Problem. Er hat ein weites Herz. Er zitiert Augustinus, wenn es um Gott, und die Schlagersängerin Alexandra, wenn es um Bäume geht.
Sinn ist für Schmid gute Energie, die aus Wärme, Reibung, Liebe entsteht. Eigentlich ganz einfach. Sein Buch ist für die Welt der Beziehungen, was der "Brehm" für die Welt der Tiere war. Entscheidend sind dabei nicht nur das Wissen und der umfassende Anspruch, sondern auch der Ton. Der eine muss die Tiere mögen, der andere die Menschen. Das heißt: richtig mögen, nicht nur gernhaben.
Schmid flößt einem Vertrauen zu sich selbst ein. Die Seele, die für viele ein fremdes Tier ist, gehört nicht den Experten, Therapeuten, Psychiatern, Gerichtsmedizinern. Mit Schmid fühlt sich jeder wieder ein wenig bei sich zu Hause, keiner muss sich aus der Hand geben, im Gegenteil, jeder kann sich selbst in die Hand nehmen.
Die Liebe ist groß, wie alle Meere zusammen, und so geht es bei Schmid um Eheleute und Geliebte, Eltern und Kinder, Enkel und Großeltern, Geschwister und Freunde, Kollegen und Feinde, Selbstliebe und Nächstenliebe, Tiere und Pflanzen, Kultur und Gott. Irgendwo ist immer ein Sinn zu finden.
Wer hingegen das Abenteuer mit sich selbst sucht, wird Schmid langweilig finden. Eine innere Ruhe ist notwendig, damit die Ruhe, die er selbst ausstrahlt, auf einen wirken kann. Wer Rehe beobachten möchte, kann nicht im Gebüsch von einem Bein aufs andere hüpfen. Psychotiker müssen einen Arzt aufsuchen. Schmid kann nur denen helfen, die einigermaßen bei sich sind.
Jeder, der ihm folgt, wird dahin gelangen zu denken, jetzt, da Schmid all das so schön gesagt habe, werde das Leben wieder gut. Dann steht er auf, erleichtert und neugierig, und macht die ersten Schritte. Das kleine und das große Dasein fühlen sich mit einem Mal richtig großartig an, und man redet sich zu, das Leben werde zu schaffen sein, auch wenn es noch ein wenig krumm aussieht und vielleicht krumm bleiben wird. Halb so wild, solange der blaue Fluss der Liebe fließt, zu den Menschen und den Dingen.
Andere ziehen sich klasse Klamotten an oder tragen eine wahnsinnige Sonnenbrille mit sich herum oder fahren mit einem enorm teuren Auto durch die Stadt und tun so, als wären sie die Kings und Queens of Cool, um ein solch kleines Wunder an Zuneigung für sich, von sich selbst und von anderen, zu erleben. Schmids Einsichten sind nachhaltiger und ökologischer. Die Seele wird deswegen nicht grün. Er lobt sogar die Bosheit, die die Energie am Laufen hält.
Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhundert war die Sorge um den Sinn größer als heute. Max Weber dachte über ihn in den soziologischen Grundbegriffen von "Wirtschaft und Gesellschaft" nach, Heidegger suchte ihn in der Erde des Seins, und Thomas Mann schrieb über ihn und die Zeit einen Roman, den "Zauberberg", dessen Held in einem Traum ahnt, dass der Sinn des Lebens in der Liebe und der Güte liegt.
Liebe und Güte, sagen die Pfarrer und nicken mit dem Kopf und mahnen, nicht die Demut zu vergessen. Schmid sieht das auch so. Sinnprediger sind Seelsorger und umgekehrt. Schmid lässt sich beim Erzählen viel Zeit. Er weiß so gut wie Thomas Mann, dass es eine Sache ist, zu behaupten, der Sinn des Lebens liege in der Liebe, eine andere, genau das im Sagen zu zeigen. Wer nachlässig über die Liebe redet, wird nicht viel von ihr, wer abschätzig über den Sinn des Lebens redet, wird nicht viel von ihm halten. Das Wie belebt den Gegenstand wie eine lustvolle Seele den Körper.
Schon beim Lesen seines Buches fühlt man sich sofort sinnvoller, so wie einer, der Torte isst, sich sofort tortenvoller fühlt. Der Effekt ist ähnlich bei Thomas Manns "Zauberberg", nur nicht so erotisch durchtrieben, artifiziell. Schmid ist kein Dichter, der die Wonnen der Gewöhnlichkeit mit ein wenig Verachtung straft, sondern ein Lebensphilosoph, der für alle da sein möchte.
Darin liegt die Kunst der Lebenskunst, dass sie überall dort die Decke der Sorge um sich für ein Picknick auszubreiten versteht, wo die Unruhe der Geschäftigen das Gras zertrampelt. Die Ohren derer, die in der Sonne ruhen, öffnen sich einem leichten Sonntagskonzert, Satie, Chopin, und die Wellen des Glücks mit sich selbst, den anderen und der Welt schwappen sanft an das Herz. Wenn man das Leben mit den Augen von Schmid sieht, müsste es gelingen. So richtig verrückt und toll wird es vielleicht nicht. Schmid ist kein Draufgänger, sondern ein Mensch des rechten Maßes, dem schöne Formulierungen gelingen wie die: Sehnsucht ist das Heimweh nach dem Möglichen.
EBERHARD RATHGEB
Wilhelm Schmid: "Dem Leben Sinn geben".
Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 473 S., geb., 22,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ist ein Sinn in allen Wesen: Der Philosoph Wilhelm Schmid verschreibt als Säkularpastor dem Leiden an modernen Mangelerscheinungen eine sanfte Kur des In-sich-Gehens.
Seit Jahren bemüht sich Wilhelm Schmid, die Lebenskunst unter die Leute zu bringen, also durch Nachdenken das Gefühl für sich, die anderen und die Welt zu verbessern. In seinem neuen Buch steht, wo und wie einer Sinn im Leben finden kann. Ohne Liebe geht es nicht, sagt Schmid. Er schreibt angenehm und beruhigend. So muss auf viele Berliner einmal Klaus Wowereit gewirkt haben. Wer jetzt drängelt und nervös wird, zerstört das Ambiente des Versprechens, dass alles gut wird.
Vertrauen zu Schmid fassen bedeutet dabei, sich selbst für eine Weile aus dem Verkehr zu ziehen. Schmid ist wie ein Ort der Stille auf einem Flughafen. Sonntags in der Kirche kann jeder feststellen, dass nicht jeder Pfarrer predigen kann. An einer Predigt entscheidet sich nicht der ganze Gottesdienst, aber spurlos geht sie an keinem vorüber. Sie bewegt, langweilt oder regt einen auf. Dabei kann ein Pfarrer den Menschen ins Gewissen reden und sie zu einem christlichen Leben anhalten.
Predigen macht Sinn. Nicht immer für den, dem die Predigt gilt, sicher aber für den, der sie hält, also für die Eltern, seltener für die Kinder. Wer predigt, spricht als Beauftragter eines Zusammenhangs, der Pfarrer im Auftrag eines gottgefälligen, die Eltern im Auftrag eines bürgerlichen Lebens. Eine Predigt hält auch, wer davon erzählt, wodurch das Leben wieder Sinn bekommt, ohne dass er deswegen gleich Gott erwähnt. Schmid hat mit Gott kein Problem. Er hat ein weites Herz. Er zitiert Augustinus, wenn es um Gott, und die Schlagersängerin Alexandra, wenn es um Bäume geht.
Sinn ist für Schmid gute Energie, die aus Wärme, Reibung, Liebe entsteht. Eigentlich ganz einfach. Sein Buch ist für die Welt der Beziehungen, was der "Brehm" für die Welt der Tiere war. Entscheidend sind dabei nicht nur das Wissen und der umfassende Anspruch, sondern auch der Ton. Der eine muss die Tiere mögen, der andere die Menschen. Das heißt: richtig mögen, nicht nur gernhaben.
Schmid flößt einem Vertrauen zu sich selbst ein. Die Seele, die für viele ein fremdes Tier ist, gehört nicht den Experten, Therapeuten, Psychiatern, Gerichtsmedizinern. Mit Schmid fühlt sich jeder wieder ein wenig bei sich zu Hause, keiner muss sich aus der Hand geben, im Gegenteil, jeder kann sich selbst in die Hand nehmen.
Die Liebe ist groß, wie alle Meere zusammen, und so geht es bei Schmid um Eheleute und Geliebte, Eltern und Kinder, Enkel und Großeltern, Geschwister und Freunde, Kollegen und Feinde, Selbstliebe und Nächstenliebe, Tiere und Pflanzen, Kultur und Gott. Irgendwo ist immer ein Sinn zu finden.
Wer hingegen das Abenteuer mit sich selbst sucht, wird Schmid langweilig finden. Eine innere Ruhe ist notwendig, damit die Ruhe, die er selbst ausstrahlt, auf einen wirken kann. Wer Rehe beobachten möchte, kann nicht im Gebüsch von einem Bein aufs andere hüpfen. Psychotiker müssen einen Arzt aufsuchen. Schmid kann nur denen helfen, die einigermaßen bei sich sind.
Jeder, der ihm folgt, wird dahin gelangen zu denken, jetzt, da Schmid all das so schön gesagt habe, werde das Leben wieder gut. Dann steht er auf, erleichtert und neugierig, und macht die ersten Schritte. Das kleine und das große Dasein fühlen sich mit einem Mal richtig großartig an, und man redet sich zu, das Leben werde zu schaffen sein, auch wenn es noch ein wenig krumm aussieht und vielleicht krumm bleiben wird. Halb so wild, solange der blaue Fluss der Liebe fließt, zu den Menschen und den Dingen.
Andere ziehen sich klasse Klamotten an oder tragen eine wahnsinnige Sonnenbrille mit sich herum oder fahren mit einem enorm teuren Auto durch die Stadt und tun so, als wären sie die Kings und Queens of Cool, um ein solch kleines Wunder an Zuneigung für sich, von sich selbst und von anderen, zu erleben. Schmids Einsichten sind nachhaltiger und ökologischer. Die Seele wird deswegen nicht grün. Er lobt sogar die Bosheit, die die Energie am Laufen hält.
Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhundert war die Sorge um den Sinn größer als heute. Max Weber dachte über ihn in den soziologischen Grundbegriffen von "Wirtschaft und Gesellschaft" nach, Heidegger suchte ihn in der Erde des Seins, und Thomas Mann schrieb über ihn und die Zeit einen Roman, den "Zauberberg", dessen Held in einem Traum ahnt, dass der Sinn des Lebens in der Liebe und der Güte liegt.
Liebe und Güte, sagen die Pfarrer und nicken mit dem Kopf und mahnen, nicht die Demut zu vergessen. Schmid sieht das auch so. Sinnprediger sind Seelsorger und umgekehrt. Schmid lässt sich beim Erzählen viel Zeit. Er weiß so gut wie Thomas Mann, dass es eine Sache ist, zu behaupten, der Sinn des Lebens liege in der Liebe, eine andere, genau das im Sagen zu zeigen. Wer nachlässig über die Liebe redet, wird nicht viel von ihr, wer abschätzig über den Sinn des Lebens redet, wird nicht viel von ihm halten. Das Wie belebt den Gegenstand wie eine lustvolle Seele den Körper.
Schon beim Lesen seines Buches fühlt man sich sofort sinnvoller, so wie einer, der Torte isst, sich sofort tortenvoller fühlt. Der Effekt ist ähnlich bei Thomas Manns "Zauberberg", nur nicht so erotisch durchtrieben, artifiziell. Schmid ist kein Dichter, der die Wonnen der Gewöhnlichkeit mit ein wenig Verachtung straft, sondern ein Lebensphilosoph, der für alle da sein möchte.
Darin liegt die Kunst der Lebenskunst, dass sie überall dort die Decke der Sorge um sich für ein Picknick auszubreiten versteht, wo die Unruhe der Geschäftigen das Gras zertrampelt. Die Ohren derer, die in der Sonne ruhen, öffnen sich einem leichten Sonntagskonzert, Satie, Chopin, und die Wellen des Glücks mit sich selbst, den anderen und der Welt schwappen sanft an das Herz. Wenn man das Leben mit den Augen von Schmid sieht, müsste es gelingen. So richtig verrückt und toll wird es vielleicht nicht. Schmid ist kein Draufgänger, sondern ein Mensch des rechten Maßes, dem schöne Formulierungen gelingen wie die: Sehnsucht ist das Heimweh nach dem Möglichen.
EBERHARD RATHGEB
Wilhelm Schmid: "Dem Leben Sinn geben".
Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 473 S., geb., 22,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Eberhard Rathgeb fühlt sich gleich viel sinnvoller nach der Lektüre dieses Buches vom Lebenskunstphilosophen Wilhelm Schmid. Das Leben erscheint ihm auf einmal wieder gut, ja großartig, und er fühlt sich ganz bei sich. Kaum zu glauben, doch der Rezensent scheint es ernst zu meinen. Schmid hilft dem Ich zum Ich, meint er. Psychotiker allerdings müssen zum Arzt; man muss schon eigentlich bei sich sein, damit es wirkt, schränkt der Rezensent ein und dämpft unseren Jubel damit doch ein bisschen. Die Liebe jedenfalls, lernt Rathgeb, hilft weiter, Wärme usw. und ein guter, ein angenehmer Ton. Einer wie in diesem Buch vermutlich.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Schmid ist kein Draufgänger, sondern ein Mensch des rechten Maßes, dem schöne Formulierungen gelingen wie die: Sehnsucht ist das Heimweh nach dem Möglichen.« Eberhard Rathbeg Frankfurter Allgemeine Zeitung 20130515