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Die Bundeswehr: Innere Führung und Bündnis-Bewußtsein
Wilfried von Bredow: Demokratie und Streitkräfte. Militär, Staat und Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Westdeutscher Verlag, Wiesbaden 2000. 216 Seiten, 42,- Mark.
Konrad Adenauer hätte es gerne gesehen, "wenn alle schon Uniformen gehabt hätten und wenn zum Schluß der Feier das Deutschland-Lied gespielt worden wäre". Die Verpflichtungsfeier von 101 Freiwilligen der neuen westdeutschen Streitkräfte - der erste öffentliche Auftritt der später Bundeswehr genannten Armee - am 12. November 1955 war sehr bescheiden. Nur mäßig schmückte ein übergroßes Eisernes Kreuz die dazu bestimmte Ausbildungshalle einer alten Kaserne in Bonn. Keine Marschmusik, kein Stechschritt, sondern nur zwölf mausgraue Uniformen von zweireihigem Zuschnitt sowie vor allem Straßenanzüge prägten das Bild.
Natürlich ging es dem Kanzler nicht um militärisches Zeremoniell als solches. Wohl aber wußte er um den Wert staatlicher Repräsentation. Zur Verärgerung bestand aus seiner Sicht aktueller politischer Anlaß. Trotz aller Ankündigungen und Vorarbeiten waren seit der Aufnahme der Bundesrepublik in die Nato am 9. Mai 1955 noch immer keine Truppenteile aufgestellt. Die Verbündeten zeigten sich irritiert und zweifelten, ob die Deutschen ihre Bündnisverpflichtungen überhaupt ernst nahmen. Außenpolitisch war mit einem solchen Start kein Staat zu machen. Auch die militärische Elite, voran der spätere erste Generalinspekteur Adolf Heusinger, sah in dieser Zeremonie keinesfalls die Geburtsstunde der "neuen Wehrmacht", sondern allenfalls eine "Schaunummer für die Presse".
Die Domestizierung der imperial-militärischen Macht durch den seit 1949 demokratisch verfaßten Staat und seine zivile Gesellschaft hätte kaum besser in Szene gesetzt werden können. Im Kern korrespondiert das Bild mit der alten Frage, ob Militär und Demokratie überhaupt zusammengehen können oder ob Streitkräfte und Soldaten im Grunde nur soziale Fremdkörper in einer modernen, zivilen Gesellschaft sind. Hauptsächlich darauf sucht Wilfried von Bredow eine Antwort.
Bredow wählt einen nüchternen, an den organisatorischen Grundstrukturen der Bundeswehr und ihren politischen Voraussetzungen, an den Grundzügen des Verhältnisses zwischen Bundeswehr und demokratischer Gesellschaft sowie an den militärstrategischen Doktrinen und an den Auftragsveränderungen der Bundeswehr orientierten Zugang. Am Schluß eines erhellend referierten einleitenden Kapitels über die militärischen Mittel der Politik - es bietet Einblick in die Argumente der Militärtheoretiker des 18. Jahrhunderts und reicht bis zum pazifistischen Diskurs der Gegenwart - werden Thesen aufgestellt, die auf die Geschichte der westdeutschen Streitkräfte zugeschnitten sind:
Das zivil-militärische Verhältnis in der Bundesrepublik und die Geschichte ihrer Armee ließen sich nur verstehen als Konsequenz eines Bruchs mit der Dominanz alles Militärischen in der deutschen Geschichte vor 1945. Weniger aus pazifistischer und antimilitärischer Einstellung, sondern vielmehr aus politischem Quietismus sei die bundesdeutsche Gesellschaft ungern an den Streitkräfteaufbau herangegangen. Die Konzeption der Inneren Führung gehöre bis heute zu den kreativsten politischen Neuerungen der Bundesrepublik und sei vergleichbar mit dem wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Konzept der Sozialen Marktwirtschaft. Die Implementierung eines neuen, nach demokratischen Spielregeln ablaufenden zivil-militärischen Verhältnisses sei trotz mancher Probleme und öffentlich heftig debattierter Skandale erfolgreich gewesen. Ein ausgeprägt multilaterales Bündnis-Bewußtsein überlagere den herkömmlich nationalen Streitkräftehorizont. Die mit dem Ende des Kalten Krieges einhergegangene Veränderung von Aufgaben und Einsatzarten verlange eine gründliche Umorientierung, hin zu flexibler Kooperationsfähigkeit in multinationalem Kontext. Die Innere Führung und das europäisch-transatlantische Bündnis-Bewußtsein seien aber der Schlüssel dafür, daß die Bundeswehr die zukünftigen Herausforderungen meistern könne.
Wo liegen die entscheidenden Gründe für die "demokratische Erfolgsgeschichte" dieser Armee? Bredows Antworten sind nun alles andere als eine trockene Kost. Gewiß, das Vokabular und diverse Statistiken unterstreichen den politik- und sozialwissenschaftlichen Ansatz, der aber immer rückgebunden ist in den größeren historischen Kontext. Zahlreiche Zitate animieren zu weitergehender, individueller Interpretation. Hervorragend strukturiert und in angenehmer Diktion geschrieben, ist das als Studienbuch konzipierte Werk weit mehr als ein Kompendium für den akademischen Gebrauch. Es sollte Eingang finden in die historisch-politische Bildung innerhalb der Bundeswehr, weil es mit dem Wissen des "Staatsbürgers in Uniform" - dieser reicht vom Gefreiten bis zum General - über die Geschichte der eigenen Institution und über die verfassungsrechtlichen und politischen Zusammenhänge oft nicht zum besten steht.
WOLFGANG SCHMIDT
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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