Augen, so heißt es, sind das Fenster zur Seele. Doch wenn Jem in fremde Augen blickt, sieht sie eine Zahl. Und die ist unauslöschlich. Denn die Zahl ist ein Datum. Der Tag, an dem ihr Gegenüber sterben wird. Diese Gewissheit hat Jem seit dem Tod ihrer Mutter. Deshalb meidet sie Menschen. Ist am liebsten allein. Bis sie Spinne kennenlernt - und mit ihm das Leben. Jem ist glücklich, zum ersten Mal. Doch als die beiden zum Riesenrad, dem London Eye fahren, passiert es - um sie herum haben alle dieselbe Zahl. Jem weiß: Etwas Furchtbares wird passieren. Heute. Hier. Fluchtartig verlassen Spinne und sie das Gelände. Und lösen damit eine Kettenreaktion aus. Spinne und Jem werden zu Gejagten. Von der Polizei, den Medien, den Menschen. Und Spinnes Todestag rückt näher und näher ...
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.07.2020Der Tod spielt Krocket
Blauer Himmel, tiefe See, und nichts zu lesen? Bücher für junge Leser in der Ferienzeit, empfohlen von Tilman Spreckelsen
Ein Haus mit Geschichte.
Fast hundert Jahre ist das Holzhaus nun alt, das ein Arzt 1927 für seine Familie an einem See bei Berlin erbaute. Einige Jahre später wurden sie vertrieben, dafür zog ein systemkonformes Ehepaar mit seinen Kindern ein, nach dem Krieg dann ein Straßenreiniger, der seine Mitbürger in der DDR bespitzelte und hier auch die deutsche Einheit erlebte.
Erst vor wenigen Jahren kam Thomas Harding, der Urenkel des Erbauers, zum mittlerweile leerstehenden Haus und kümmerte sich um dessen Wiederherstellung und neue Nutzung: als ein 2019 eröffnetes "Zentrum für Bildung und Versöhnung".
Harding hat diese Geschichte verständlich und kindgerecht, aber nicht undifferenziert aufgeschrieben. Britta Teckentrup hat daraus ein Bilderbuch gemacht, das gekonnt immer wieder eine Brücke schlägt zwischen Historie und Erleben, zwischen unserer Gegenwart und derjenigen der früheren Hausbewohner. Und so wie der Text sich auf das Leben der Einzelnen konzentriert und die große Geschichte eher durchscheinen lässt, so zeigen auch Teckentrups Bilder schlaglichtartig meist den Alltag - durch fast ein Jahrhundert.
Thomas Harding, Britta Teckentrup: "Sommerhaus am See". Verlag Jacoby & Stuart, Berlin 2020. 48 S., geb., 15 Euro. Ab 8 J.
Landlust ist nichts für jeden.
Am Anfang dieses Wochenendes wird ein Paket geliefert. Es ist riesig, der Inhalt wird in das Auto gepackt, mit dem die dreiköpfige Familie aus der Stadt in das vor einiger Zeit gekaufte Haus auf dem Land fährt, und der Wille, dass nun alles schön werden soll, steht den Eltern ins Gesicht geschrieben.
Dem Kind nicht. Seinen Namen - Otto - erfahren wir erst, als das Buch schon halb wieder vorbei ist, auch seine Wünsche bleiben lange Zeit verborgen. Immerhin: Dass Otto Hörbücher liebt, erfahren wir bald und ahnen außerdem, dass der Klang aus dem Kopfhörer die aufmunternden, fordernden, ärgerlichen Stimmen der Eltern auf Distanz hält. Die wiederum hätten so gern einen aktiven Sohn, einen, der draußen herumspringt, was sie nicht daran hindert, jeden seiner Schritte zu kontrollieren.
Im Paket sind die fertig zugeschnittenen Teile eines Baumhauses, das der Vater zusammen mit dem Sohn im Garten auf dem Land bauen will. Ein Unfall setzt ihn für Stunden außer Gefecht, und was dann passiert, hat Gerda Raidt, von Haus aus Illustratorin, in einer wunderbaren Emanzipationsgeschichte erzählt und selbst gezeichnet. Es ist Otto, der dann zögerlich die Zügel in die Hand nimmt und den Eltern unauffällig vor Augen führt, wie man mit anderen umgeht. Brauchen können sie es.
Gerda Raidt: "Limonade im Kirschbaum". Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2020. 144 S., geb., 13 Euro. Ab 8 J.
Die Tage der Beeren.
"Es kommt eine Zeit, / da wachsen die Bäume / in den Himmel. / Die Blumen wollen so groß sein / wie Bäume." So beginnt ein Gedicht der Lektorin und Lyrikerin Elisabeth Borchers (1926 bis 2013), die auch für Kinder geschrieben hat. Eine Sammlung ihrer schönsten Gedichte für junge Leser ist im vergangenen Jahr unter dem Titel "Oben schwimmt die Sonne davon" erschienen, was an den sehr ähnlichen Titel ihres bekanntesten Kinderlyrikbandes von 1965 erinnert.
"Es kommt eine Zeit, / da gehen rote Pilze / durch den Wald / und schwarzgelackte Käfer", heißt es weiter im Augustgedicht aus ihrem lyrischen Zyklus durch die Jahreszeiten. Sie bilden das Herz dieses Bandes, sie sprechen von Ruhe und Aufbruch und davon, was die Natur, der Himmel, die Sonne mit uns machen und wie wir all das erleben: "Da ist die Sonne so heiß, / daß man sie nicht anfassen kann. / Da wächst es rot an den Sträuchern / und blau an den Gräsern. / Das sind die Tage der Beeren."
Kinderlyrik ist auf dem Buchmarkt gerade in Mode gekommen, jedenfalls erscheinen immer mehr entsprechende Bände. Borchers' Gedichte sind zum Teil schon mehr als fünfzig Jahre alt, und trotzdem treffen sie zuverlässig einen Ton, der auch heutige Kinder erreicht. Ihre Texte verknüpfen Anschauung mit Phantasie, die Vorstellung einer heißen Sonne, die man lieber nicht berührt, mit der Erfahrung der Sommerhitze, und auch für selbstbewussten kindlichen Trotz findet Borchers einen Ausdruck im Gedicht: "Wenn du's so willst - lebwohl, ade! / Vier Jahre bleib ich fort. / Der Himmel blau und tief die See. / Mehr sag ich nicht. Kein Wort."
Natürlich sagt sie dann doch mehr in diesem Band, zum Glück. Wir Leser aber tun gut daran, einige dieser Gedichte laut vorzulesen. Und dann das Buch denjenigen weiterzureichen, für die es gedacht ist.
Elisabeth Borchers: "Oben schwimmt die Sonne davon". Gedichte für Kinder. Mit Bildern von Hildegard Müller. Dtv, München 2019. 120 S., geb., 16,95 Euro. Ab 8 J.
Mit Liebe und leichter Hand.
Wenn sich der Tod langweilt, wenn er sich gar in einen Menschen verliebt, dann heißt es aufpassen. Der Junge Sasja hat ein Auge auf seine Mutter, als die immer schwächer wird. Er kann zwar ihr Sterben nicht verhindern, aber er kann dem Schiff folgen, in dem sie fortgebracht wird - ins Totenreich, wie er vermutet. Dass aber er, ein Lebender, dort ankommt, dass er gar um seine Mutter kämpft, die der Tod so gern um sich hat, ist nicht vorgesehen. Schon gar nicht, dass er sich dabei so listig und tapfer schlägt.
Frida Nilssons Bücher gehören zu den witzigsten, klügsten und anrührendsten Büchern, die derzeit für junge Leser geschrieben werden. Wer ihre Kinderromane um "Hedvig" kennt oder "Die maskierte Makrone" oder "Frohe Weihnachten, Zwiebelchen", der wird zuverlässig einer Autorin verfallen, die mit leichter Hand und voller Liebe ihre Figuren durch eine Welt schickt, die es ihnen nicht leicht macht und in der sie doch in Würde bestehen können. Sasja ist da keine Ausnahme, nur dass das, was er vor hat, vollkommen unmöglich scheint und sich dann doch Schritt für Schritt bewältigen lässt - bis der Junge vor dem Tod steht, der nun mit seiner Mutter zusammenlebt und keine Anstalten macht, sie freizugeben.
Er werde den Tod überlisten, hatte Sasja noch im Diesseits angekündigt, und weil sich im Jenseits der lässig krocketspielende Gegner allzu sicher ist, den Jungen auf Abstand zu halten, hat Sasja tatsächlich eine Chance.
Vielleicht, weil er die Dinge eben nicht hinnimmt wie der träge Tod, weil er die Augen weit aufreißt und weil er auf seinem Weg durch das Land der Gestorbenen und in anderer Gestalt Neugeborenen noch eine Reihe anderer Sachen zurechtrückt, die das verdienen. Von der Heimholung der Mutter ganz zu schweigen.
Frida Nilsson: "Sasja und das Reich jenseits des Meeres". Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2019. 496 S., geb., 20 Euro. Ab 11 J.
Ein Traum von Irland.
Das Dorf Velgow gibt es nicht in der Realität, aber wer Susan Krellers Roman "Elektrische Fische" liest, könnte daran zweifeln. Nicht weil es da so unwiderstehlich schön wäre - Emma, die Erzählerin, will sofort wieder weg, als ihre Mutter sie und die beiden Geschwister von Irland nach Mecklenburg-Vorpommern gebracht hat, in das Dorf, in dem sie selbst einst ihre Kindheit verbracht hatte und aus dem sie geflohen war, sobald es möglich war.
Emma in Velgow - das ist die Geschichte einer vorsichtigen Annäherung an den Ort, die Landschaft und vor allem die Menschen. Was es für das Mädchen bedeutet, sich auf all das einzulassen, während im Hinterkopf ein Fluchtplan reift, beschreibt die Autorin mit stiller Energie. Emma jedenfalls kneift irgendwann nicht mehr die Augen zu, um von Irland zu träumen, sondern übernimmt Verantwortung für sich, die Geschwister, den Ort. Und so eindringlich, wie Susan Kreller dieses Velgow schildert, kann man sich als Leser irgendwann nicht mehr vorstellen, dass es das Dorf nicht geben soll.
Susan Kreller: "Elektrische Fische". Carlsen Verlag, Hamburg 2019. 192 S., geb., 15 Euro. Ab 12 J.
Die große Explosion.
Begabung oder Fluch? Das Mädchen Jem lebt seit Jahren damit, dass sie erkennt, wann jemand sterben wird - in seinen Augen leuchtet dann ein Datum auf, das nur Jem sehen kann. Und es stimmt immer.
Ein Fluch, natürlich, Jem ist das klar. Und als sie den Außenseiter, der sich Spinne nennt, näher kennenlernt, fünfzehnjährig wie sie selbst, als sie ein erschreckend nahes Todesdatum in seinem Gesicht liest, will sie trotz allem dagegen ankämpfen. Denn Spinne steht mit ihr in der Schlange zum "London Eye" an, dem Riesenrad am südlichen Themse-Ufer, und diejenigen, die vor und hinter ihnen warten, haben alle dasselbe Datum im Gesicht - das des aktuellen Tages.
Also zieht Jem Spinne aus der Schlage, sie verlassen die Gegend fluchtartig, weil das Riesenrad, wie Jem richtig geahnt hat, einem Anschlag zum Opfer fällt, und mit ihm seine Passagiere. Zugleich aber sind die beiden Teenager durch ihre Flucht hoch verdächtig, von dem Anschlag gewusst und vielleicht noch mehr damit zu tun zu haben. Dass Spinne in Drogengeschäften steckt und auch deshalb gejagt wird, macht die Sache nicht besser.
Inzwischen hat Rachel Ward "Numbers" noch zweimal fortgesetzt. Am spannendsten ist der erste Teil, auch weil er die ethische Frage stellt: Wenn man weiß, dass ein anderer bald sterben wird - muss man es ihm sagen?
Rachel Ward: "Numbers - Den Tod im Blick". Chicken House, Hamburg 2010. 368 S., br., 8,99 Euro. Ab 14 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Blauer Himmel, tiefe See, und nichts zu lesen? Bücher für junge Leser in der Ferienzeit, empfohlen von Tilman Spreckelsen
Ein Haus mit Geschichte.
Fast hundert Jahre ist das Holzhaus nun alt, das ein Arzt 1927 für seine Familie an einem See bei Berlin erbaute. Einige Jahre später wurden sie vertrieben, dafür zog ein systemkonformes Ehepaar mit seinen Kindern ein, nach dem Krieg dann ein Straßenreiniger, der seine Mitbürger in der DDR bespitzelte und hier auch die deutsche Einheit erlebte.
Erst vor wenigen Jahren kam Thomas Harding, der Urenkel des Erbauers, zum mittlerweile leerstehenden Haus und kümmerte sich um dessen Wiederherstellung und neue Nutzung: als ein 2019 eröffnetes "Zentrum für Bildung und Versöhnung".
Harding hat diese Geschichte verständlich und kindgerecht, aber nicht undifferenziert aufgeschrieben. Britta Teckentrup hat daraus ein Bilderbuch gemacht, das gekonnt immer wieder eine Brücke schlägt zwischen Historie und Erleben, zwischen unserer Gegenwart und derjenigen der früheren Hausbewohner. Und so wie der Text sich auf das Leben der Einzelnen konzentriert und die große Geschichte eher durchscheinen lässt, so zeigen auch Teckentrups Bilder schlaglichtartig meist den Alltag - durch fast ein Jahrhundert.
Thomas Harding, Britta Teckentrup: "Sommerhaus am See". Verlag Jacoby & Stuart, Berlin 2020. 48 S., geb., 15 Euro. Ab 8 J.
Landlust ist nichts für jeden.
Am Anfang dieses Wochenendes wird ein Paket geliefert. Es ist riesig, der Inhalt wird in das Auto gepackt, mit dem die dreiköpfige Familie aus der Stadt in das vor einiger Zeit gekaufte Haus auf dem Land fährt, und der Wille, dass nun alles schön werden soll, steht den Eltern ins Gesicht geschrieben.
Dem Kind nicht. Seinen Namen - Otto - erfahren wir erst, als das Buch schon halb wieder vorbei ist, auch seine Wünsche bleiben lange Zeit verborgen. Immerhin: Dass Otto Hörbücher liebt, erfahren wir bald und ahnen außerdem, dass der Klang aus dem Kopfhörer die aufmunternden, fordernden, ärgerlichen Stimmen der Eltern auf Distanz hält. Die wiederum hätten so gern einen aktiven Sohn, einen, der draußen herumspringt, was sie nicht daran hindert, jeden seiner Schritte zu kontrollieren.
Im Paket sind die fertig zugeschnittenen Teile eines Baumhauses, das der Vater zusammen mit dem Sohn im Garten auf dem Land bauen will. Ein Unfall setzt ihn für Stunden außer Gefecht, und was dann passiert, hat Gerda Raidt, von Haus aus Illustratorin, in einer wunderbaren Emanzipationsgeschichte erzählt und selbst gezeichnet. Es ist Otto, der dann zögerlich die Zügel in die Hand nimmt und den Eltern unauffällig vor Augen führt, wie man mit anderen umgeht. Brauchen können sie es.
Gerda Raidt: "Limonade im Kirschbaum". Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2020. 144 S., geb., 13 Euro. Ab 8 J.
Die Tage der Beeren.
"Es kommt eine Zeit, / da wachsen die Bäume / in den Himmel. / Die Blumen wollen so groß sein / wie Bäume." So beginnt ein Gedicht der Lektorin und Lyrikerin Elisabeth Borchers (1926 bis 2013), die auch für Kinder geschrieben hat. Eine Sammlung ihrer schönsten Gedichte für junge Leser ist im vergangenen Jahr unter dem Titel "Oben schwimmt die Sonne davon" erschienen, was an den sehr ähnlichen Titel ihres bekanntesten Kinderlyrikbandes von 1965 erinnert.
"Es kommt eine Zeit, / da gehen rote Pilze / durch den Wald / und schwarzgelackte Käfer", heißt es weiter im Augustgedicht aus ihrem lyrischen Zyklus durch die Jahreszeiten. Sie bilden das Herz dieses Bandes, sie sprechen von Ruhe und Aufbruch und davon, was die Natur, der Himmel, die Sonne mit uns machen und wie wir all das erleben: "Da ist die Sonne so heiß, / daß man sie nicht anfassen kann. / Da wächst es rot an den Sträuchern / und blau an den Gräsern. / Das sind die Tage der Beeren."
Kinderlyrik ist auf dem Buchmarkt gerade in Mode gekommen, jedenfalls erscheinen immer mehr entsprechende Bände. Borchers' Gedichte sind zum Teil schon mehr als fünfzig Jahre alt, und trotzdem treffen sie zuverlässig einen Ton, der auch heutige Kinder erreicht. Ihre Texte verknüpfen Anschauung mit Phantasie, die Vorstellung einer heißen Sonne, die man lieber nicht berührt, mit der Erfahrung der Sommerhitze, und auch für selbstbewussten kindlichen Trotz findet Borchers einen Ausdruck im Gedicht: "Wenn du's so willst - lebwohl, ade! / Vier Jahre bleib ich fort. / Der Himmel blau und tief die See. / Mehr sag ich nicht. Kein Wort."
Natürlich sagt sie dann doch mehr in diesem Band, zum Glück. Wir Leser aber tun gut daran, einige dieser Gedichte laut vorzulesen. Und dann das Buch denjenigen weiterzureichen, für die es gedacht ist.
Elisabeth Borchers: "Oben schwimmt die Sonne davon". Gedichte für Kinder. Mit Bildern von Hildegard Müller. Dtv, München 2019. 120 S., geb., 16,95 Euro. Ab 8 J.
Mit Liebe und leichter Hand.
Wenn sich der Tod langweilt, wenn er sich gar in einen Menschen verliebt, dann heißt es aufpassen. Der Junge Sasja hat ein Auge auf seine Mutter, als die immer schwächer wird. Er kann zwar ihr Sterben nicht verhindern, aber er kann dem Schiff folgen, in dem sie fortgebracht wird - ins Totenreich, wie er vermutet. Dass aber er, ein Lebender, dort ankommt, dass er gar um seine Mutter kämpft, die der Tod so gern um sich hat, ist nicht vorgesehen. Schon gar nicht, dass er sich dabei so listig und tapfer schlägt.
Frida Nilssons Bücher gehören zu den witzigsten, klügsten und anrührendsten Büchern, die derzeit für junge Leser geschrieben werden. Wer ihre Kinderromane um "Hedvig" kennt oder "Die maskierte Makrone" oder "Frohe Weihnachten, Zwiebelchen", der wird zuverlässig einer Autorin verfallen, die mit leichter Hand und voller Liebe ihre Figuren durch eine Welt schickt, die es ihnen nicht leicht macht und in der sie doch in Würde bestehen können. Sasja ist da keine Ausnahme, nur dass das, was er vor hat, vollkommen unmöglich scheint und sich dann doch Schritt für Schritt bewältigen lässt - bis der Junge vor dem Tod steht, der nun mit seiner Mutter zusammenlebt und keine Anstalten macht, sie freizugeben.
Er werde den Tod überlisten, hatte Sasja noch im Diesseits angekündigt, und weil sich im Jenseits der lässig krocketspielende Gegner allzu sicher ist, den Jungen auf Abstand zu halten, hat Sasja tatsächlich eine Chance.
Vielleicht, weil er die Dinge eben nicht hinnimmt wie der träge Tod, weil er die Augen weit aufreißt und weil er auf seinem Weg durch das Land der Gestorbenen und in anderer Gestalt Neugeborenen noch eine Reihe anderer Sachen zurechtrückt, die das verdienen. Von der Heimholung der Mutter ganz zu schweigen.
Frida Nilsson: "Sasja und das Reich jenseits des Meeres". Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2019. 496 S., geb., 20 Euro. Ab 11 J.
Ein Traum von Irland.
Das Dorf Velgow gibt es nicht in der Realität, aber wer Susan Krellers Roman "Elektrische Fische" liest, könnte daran zweifeln. Nicht weil es da so unwiderstehlich schön wäre - Emma, die Erzählerin, will sofort wieder weg, als ihre Mutter sie und die beiden Geschwister von Irland nach Mecklenburg-Vorpommern gebracht hat, in das Dorf, in dem sie selbst einst ihre Kindheit verbracht hatte und aus dem sie geflohen war, sobald es möglich war.
Emma in Velgow - das ist die Geschichte einer vorsichtigen Annäherung an den Ort, die Landschaft und vor allem die Menschen. Was es für das Mädchen bedeutet, sich auf all das einzulassen, während im Hinterkopf ein Fluchtplan reift, beschreibt die Autorin mit stiller Energie. Emma jedenfalls kneift irgendwann nicht mehr die Augen zu, um von Irland zu träumen, sondern übernimmt Verantwortung für sich, die Geschwister, den Ort. Und so eindringlich, wie Susan Kreller dieses Velgow schildert, kann man sich als Leser irgendwann nicht mehr vorstellen, dass es das Dorf nicht geben soll.
Susan Kreller: "Elektrische Fische". Carlsen Verlag, Hamburg 2019. 192 S., geb., 15 Euro. Ab 12 J.
Die große Explosion.
Begabung oder Fluch? Das Mädchen Jem lebt seit Jahren damit, dass sie erkennt, wann jemand sterben wird - in seinen Augen leuchtet dann ein Datum auf, das nur Jem sehen kann. Und es stimmt immer.
Ein Fluch, natürlich, Jem ist das klar. Und als sie den Außenseiter, der sich Spinne nennt, näher kennenlernt, fünfzehnjährig wie sie selbst, als sie ein erschreckend nahes Todesdatum in seinem Gesicht liest, will sie trotz allem dagegen ankämpfen. Denn Spinne steht mit ihr in der Schlange zum "London Eye" an, dem Riesenrad am südlichen Themse-Ufer, und diejenigen, die vor und hinter ihnen warten, haben alle dasselbe Datum im Gesicht - das des aktuellen Tages.
Also zieht Jem Spinne aus der Schlage, sie verlassen die Gegend fluchtartig, weil das Riesenrad, wie Jem richtig geahnt hat, einem Anschlag zum Opfer fällt, und mit ihm seine Passagiere. Zugleich aber sind die beiden Teenager durch ihre Flucht hoch verdächtig, von dem Anschlag gewusst und vielleicht noch mehr damit zu tun zu haben. Dass Spinne in Drogengeschäften steckt und auch deshalb gejagt wird, macht die Sache nicht besser.
Inzwischen hat Rachel Ward "Numbers" noch zweimal fortgesetzt. Am spannendsten ist der erste Teil, auch weil er die ethische Frage stellt: Wenn man weiß, dass ein anderer bald sterben wird - muss man es ihm sagen?
Rachel Ward: "Numbers - Den Tod im Blick". Chicken House, Hamburg 2010. 368 S., br., 8,99 Euro. Ab 14 J.
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